44 und 10000

Ich hatte im Artikel zur Rede von Liao Yiwu zum Exil seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache erwähnt. Gerade finde ich eine passende Stelle in den Tagebüchern des Ungarn Sándor Márai, geschrieben in den USA:

“Für jede Emigration ist es ein Schicksalsproblem, inwieweit der Emigrant bereit ist, sich auf Kosten der Muttersprache die Sprache der neuen Gemeinschaft anzueignen. Für Exilschriftsteller ist das keine Frage, denn wenn sie sich von der Muttersprache lösen und in einer fremden Sprache zu schreiben versuchen, zerschneiden sie die Nabelschnur, die sie mit der lebensspendenden Muttersprache verbindet und die ihr Selbstbewusstsein, ihre schriftstellerischen Fähigkeiten speist. Man kann sehr wohl Gedanken in einer fremden Sprache schriftlich ausdrücken, aber “schreiben”, also schöpfen, kann man nur in der Muttersprache. Das war für mich kein Geheimnis, als ich vor sechsunddreißig Jahren Ungarn verließ: Wohin es mich verschlägt, dort werde ich ein ungarischer Schriftsteller sein.” (Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki)

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Sehr passend: Völlig fasziniert starre ich auf einen Text von mir in russischer Sprache. Nichts davon kann ich lesen. Toll.

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Ich war auf einer Veranstaltung zu Mobilität und Verkehrsplanung, es ging u.a. um den “Charme des Flanierens”. Da ging ich etwas unzufrieden wieder weg, was aber zum großen Teil an mir selbst lag, denn das Thema habe ich für den Wirtschaftsteil jahrelang recht intensiv verfolgt, da kann ich also schlecht zu einem Vortrag gehen und sagen: “Überraschen Sie mich!” Natürlich gab es dort all die Beispiele, die es immer gibt, natürlich wurden die Städte mit den autofreien Zonen und den tollen Radwegen und den lebendigen Quartieren erwähnt, die in jedem Artikel zum Thema erwähnt werden. Immerhin wies jemand aus dem Publikum darauf hin, dass man da nicht ganz korrekt jeweils die Städte erwähnt, geht es doch meistens nur um die Innenstädte oder um bestimmte Viertel. Vermutlich gibt es weltweit keine einzige Stadt, die in ihrer Gesamtheit als tolles Beispiel für irgendwas dienen kann.

“Wer Stadt und Architektur erfahren will, sollte nicht fahren”, das war ein Satz, der da zitiert wurde, ich habe leider nicht notiert, wer das gesagt hat. Der Satz passt jedenfalls in einem gewissen Sinne zu einer Erfahrung, die sowohl die Herzdame als ich gerade machen, ganz unabhängig voneinander: Radfahren ist hier und in den Nachbarstadtteilen so dermaßen gefährlich und stressig geworden, es macht einfach überhaupt keinen Spaß mehr und über den Claim “Fahrradstadt” kann ich nur lachen. Mit dem Auto zu fahren finde ich aber bekanntlich ähnlich absurd, was also heißt, wohl fühle ich mich nur im Nahverkehr und zu Fuß. Zu Fuß kommt man nicht so weit, das macht nichts. “Die Frage ist”, so hieß es an diesem Abend, “welche Chancen hat man, sich in seiner Langsamkeit wohlzufühlen?” Und das immerhin ist ja eine Frage, die man sich auf den Wegen durchs Viertel tatsächlich mal stellen kann. Na, aber das nur am Rande.

Mitgenommen habe ich noch zwei Zahlen: Zum einen 44%: Das ist der der Anteil aller Hamburger Autofahrten, die kürzer als fünf Kilometer sind. Also beste theoretische Fahrradentfernung, vielleicht künftig auch E-Roller-Entfernung, weiß der Geier, da raten alle gerade herum, auch die Verkehrsexperten. Zum anderen: 10000 Menschen braucht es auf einem Quadratkilometer, damit ein Vollsortimentsupermarkt dauerhaft laufen kann. Aus der Zahl kann ich nichts direkt ableiten, aber das ist doch wieder cool für den Smalltalk, so etwas zu wissen. Als ob ich jemals Smalltalk machen würde! Wer hat denn Zeit für so etwas, ich muss ja immer früher los. Ich gehe zu Fuß, ich brauche länger.

 

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Überrascht hat mich, dass der vortragende Herr mit Stadtgrün wenig anfangen konnte. Das fand er eher lapidar und höchstens am Rande bedeutsam, nicht wesentlich und deutlich unterhalb seines fachlichen Interesses. Und da bin ich mir nicht ganz sicher, ob das 2019 wirklich noch eine Frage des Interesses oder schon eine Weiterbildungslücke ist.

Na, egal. 44% und 10000, das immerhin habe ich mir gemerkt.

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Musik! Ein Herr mit interessanter Mimik und dem ersten Reggae-Song, der weltweit ein Erfolg wurde. Wenn ich das richtig erinnere. Laut der Wikipedia steht das Wort “Israelites” in der jamaikanischen Umgangssprache für Leiden, Armut, Hunger – habe ich das nach all den Jahren also auch einmal verstanden.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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79 40

Schweden fahren öfter Zug.

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Klimanotstand auch in Bochum, demnächst dann in Ihrer Stadt?

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Überaus vernünftige Karriere-Pläne.

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Es gibt ein Buch, das dem Jahr 1979 eine besondere Bedeutung zuweist (hier gelesen). Das kann ich historisch nicht recht beurteilen, ich habe das Buch auch noch nicht gelesen, würde es aber immerhin glatt tun, wenn es mir demnächst in der Bücherei über den Weg laufen sollte. 1979, das Jahr kann ich sogar halbwegs einsortieren, was mir sonst eher schwer fällt, ich habe es nicht so mit Jahreszahlen und verstehe Leute nicht, die zu jedem ihnen zugerufenen Jahr aus dem Stand ihre damalige Lebenssituation referieren können, ohne irgendwas nachzusehen. Ich kann das nicht, bei mir verschwimmt immer alles, aber die letzten 15 Jahre kann ich immerhin ganz gut hier im Blog nachlesen, falls da jemals Bedarf bestehen sollte, und 2007 und 2009 wurden die Söhne geboren, das vereinfacht die Orientierung zumindest in diesem Zeitraum etwas.

1979 jedenfalls: Das erste komplette Travemünde-Jahr und das Jahr, in dem politisches Interesse auf einmal schulisch relevant wurde. Man hatte als Gymnasiast nämlich quarta-aufwärts Zeitung zu lesen, also eine Zeitung neben der Regionalzeitung, versteht sich, so tickte man damals ja noch, die Regionalzeitung war eh gesetzt, das waren also die Lübecker Nachrichten, für die ich heute Kolumnen schreibe. In Frage kamen als Zeitungen von Rang die SZ, die Zeit, die FAZ und auch noch die FR. Bei der Welt kann ich mich nicht mehr erinnern, vielleicht kam die auch in Betracht, das mag sein, und es gab bald auch Freaks, die ab und zu den Guardian oder den Observer lasen, Streber erster Klasse. Die Geschichts- und Erdkundelehrer legten gesteigerten Wert auf diese Lektüre, denn ohne Zeitung, besonders ohne den Politik-Teil, so sagten sie, war eine ernsthafte Karriere als interessierter Bürger ganz und gar  ausgeschlossen. Ich fing also mit dem Zeug an und kam bald voll drauf, ich las die Zeit. Allerdings nicht aus bedachter Wahl, sondern weil die eben zuhause herumlag. Die und der Spiegel und auch der Stern, der als Magazin damals noch ganz normal in Betracht kam und nicht weiter peinlich war. Ich verstand ein Viertel oder noch viel weniger von der Zeit, es gab ja keine sinnige Vorbereitung durch Kindernachrichtensendungen oder dergleichen, aber ich las doch immer weiter. Ich versuchte, mir die Namen aus der Politik und auch aus dem Feuilleton zu merken, ich versuchte irgendwann, eine sinnige Meinung zu haben oder wenigstens zu raten, welche denn wohl warum richtig sein könnte, das mache ich im Grunde natürlich heute noch. Ich kam irgendwann darauf, dass die Lehrer gar nicht mit allem Recht hatten und dass es neben ihrer rabiat-konservativen Weltsicht auch noch andere Möglichkeiten gab.

Wenn also ausgerechnet 1979 tatsächlich irgendwie von Bedeutung ist, dann kann ich jetzt mit mir selbst auf vierzig Jahre politisches Interesse anstoßen. Prost! Es gibt hier allerdings gerade nur alkoholfreis Bier, das muss reichen.

Und da die Grünen (1979 noch knapp vor der bundesweiten Parteigründung und aus Lehrersicht eine höchst alberne Truppe) gerade gestern in Umfragen erstmals zur stärksten Partei avancierten, möchte ich den Lehrkräften von damals aus meiner mittlerweile erwachsenen und angemessen durchdachten Position doch einmal ein entschlossenes “Nänänä!” nach einigen Jahrzehnten Meinungsbildung zurufen. Doch, so viel Feierei darf schon sein.

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Musik! a-ha. Und all die gebrochenen Herzen im Publikum und das Tränchen bei 1:50.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Kurz und klein

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Trends and tolerance

Ich finde es weiterhin faszinierend, meine Texte in englischer Übersetzung zu lesen, hier etwa über trends and tolerance.

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In Berlin wird das Wasser warm.

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Darf’s noch ein bisschen Teer sein?

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Hafenluft. Oder, wie die Touristen immer ganz begeistert sagen: “Ah, es riecht nach Meer!”

Nein, tut es nicht.

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Climate crisis seriously damaging human health

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Am Wochenende waren wir im Garten und haben dort auch übernachtet. Dabei ergibt sich immer eine beträchtliche Offline-Zeit für die ganze Familie, in der News aller Art größtenteils nur noch aus den Beeten und Töpfen kommen, etwa die Eilmeldung von der ersten Erdbeere:

 

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Oder die lange, lange Meldung über das Wachstum der Feuerbohnen an nur einem Tag, es waren immerhin ungefähr vier Zentimeter. Twitter wurde natürlich stilsicher durch echtes Gezwitscher ersetzt, es war viel skandalfreier als die Online-Version, aber das liegt vielleicht nur an der fehlenden Übersetzung, wer weiß. Am Ende haten und disssen die Singvögel noch schlimmer als wir.

Wir haben den Staketenzaun endlich komplett fertiggestellt und sahen, es war gut. Die Menschheit teilt sich künftig in zwei Hälften, die eine sagt: “Ach, wie hübsch!”, die andere sagte: “Wieso steht jetzt da ein Zaun!” Wir lassen milde lächelnd beide Meinungen gleichberechtigt nebeneinander stehen, auch die der Ignoranten und Banausen, die nichts von dekorativen Aspekten im Garten verstehen.

Und tatsächlich war nicht nur der Staketenzaun gut, auch der Rest des Gartens war  – so etwas gilt stets nur nach Tagesform – besser als gedacht. Es haben im letzten Jahr doch mehr Stauden überlebt, die jetzt mit einer seltsamen Plötzlichkeit loswachsen (der Rittersporn! Hurz!) und volle Lotte erblühen, es sind wohl alle Bäume und Büsche gut angewachsen und produzieren sogar einige Früchte, am weitesten hat es dabei ausgerechnet die Nektarine gebracht. Mit etwas Glück bekommt in diesem Jahr jeder in dieser Familie eine. Immerhin! Dafür kränkelt der Pfirsichbaum jämmerlich vor sich hin da wird es keine Ernte geben. Ein Pflegefall.

Ein Sohn war am Sonntag auf der Bille als Stand-Up-Paddler unterwegs, also als Suppie, wie sich die Freundes dieses Sports wohl ernsthaft nennen, das ergibt übrigens auch eine seltsame Verbform: “Komm, wir suppen mal um die Insel.” Danach war er noch – ganz freiwillig – in der Bille baden, was wir jetzt im pluralis familiaris vergemeinschaften, wir haben also angebadet. So ein Wochenende war das.

Zwischendurch war ich sogar mit einem Sohn zuhause, um dort intensiv für die Schule Mathe zu üben, auch das hat trotz des guten Wetters hervorragend und in bester Stimmung geklappt. Das sind dann so die Sternstunden der Familiengeschichte, wenn einmal ein Plan aufgeht und keine Unzufriedenen zurücklässt, wenn einmal jedes Timing hinkommt, wenn einmal alles funktioniert – dann merke ich auch wieder, wie ungeheuer selten das bei uns vier Dickköpfen der Fall ist. Schlimm.

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Die letzten Arbeiten in den Schulen der Söhne sind mittlerweile geschrieben, es folgen einige ausgesprochen lästige und im Grunde völlig sinnlose, sich endlos ziehende Wochen bis zu den Sommerferien, es ist jedes Jahr das gleiche Drama. Dass die Wochen bis zu meinem Urlaub aber noch viel tragischer zu bewerten sind, das glaubt mir ja sowieso wieder kein Sohn.

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Währenddessen hat die Herzdame still und leise einen neuen Job angetreten und arbeitet jetzt festangestellt zum ersten Mal seit den Söhnen gleich viel oder tendenziell eher mehr als ich. Wir werden sehen, welche Auswirkungen das auf unseren Alltag hat, ich bin jetzt hier der flexiblere Part. Wir werden natürlich Aufgaben und Termine hin- und herschieben müssen, das ergibt dann wieder völlig unplanbare Kettenreaktionen, wobei allerdings auch gute Ergebnisse herauskommen können, bei denen wir uns dann vielleicht fragen werden, wieso wir denn nicht schon seit 2007 … man weiß es nicht.

So etwas ist jedenfalls immer spannend, und es soll ja auch bloß nicht langweilig werden.

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Musik! 36 Grad. Passt schon.

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Das ist neu, das ist alt

Das Blog geht etwas nach, pardon. Es hat eben Folgen, wenn man zu Veranstaltungen geht, man kann dann zwar über etwas schreiben, kommt aber zum normalen Zeug nicht mehr, irgendwas ist immer.

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In der S-Bahn gehört:

“Polnisch ist keine Sprache. Polnisch, das sind einfach nur Buchstaben.”

“Na, du musst es ja nicht lernen.”

“Ganz bestimmt nicht!”

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Im Vorübergehen auf dem Weg zu Fridays for Future gehört:

“Gegen was protestiert ihr da eigentlich?”

“Das ist für Klimaschutz.”

“Und da geht ihr dann so mit und schreit dann immer so Klimaschutz, Klimaschutz? Oder wie?”

“Das sehen wir ja dann, was man da so schreit.”

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Im Sinne der im letzten Text erwähnten und selbstverständlich zu bekämpfenden Nachlässigkeit in Bezug auf die Demokratie war ich auch bei Fridays for future, denn seit es Parents for future gibt, kann man da ja auch einfach so hin, auch als unbegleiteter Erwachsener. Die Söhne konnten beide nicht, überhaupt stimme ich mich da mit denen eher ungern ab, denn das ist ihre Sache, ob, wann und wie sie da mitmachen. Ich werde sie da weder hinscheuchen noch abhalten.

Der Älteste auf dieser Demo war ich deutlich nicht, es scheint gar nicht wenig Grandparents for future zu geben. Die Demo fand an einem schulfreien Tag, bei bestem Wetter und zu schönster Reisezeit statt, was auch gleich zum wichtigsten Bemerknis führt – dort waren trotz dieser Umstände zwischen 4000 und 5000 Leute, der Großteil natürlich sehr jung. Und wer irgendwelche Illusionen hat, dass denen die Lust auf solche Demos bald vergehen könnte: Nein. Einen entschlosseneren und besser gelaunten Demonstrationszug habe ich lange nicht erlebt, die wissen, dass sie etwas gewinnen können und müssen und die machen das auch noch jahrelang, wenn es sein muss. Es werden vermutlich eher mehr als weniger Teilnehmer.

 

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Eine ältere und vermutlich japanische Dame stand am Straßenrand vor einem besseren Hotel und applaudierte grazil dem Zug, der langsam an ihr vorbeizog. So fein und huldvoll lächelnd stand sie da und nahm alles so ausdrücklich wohlwollend zur Kenntnis, die Queen hätte es nicht würdevoller hinbekommen können.

 

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Und nichts gegen Joan Baez & Co, aber diese Jugend hat dann doch die bessere Musik als meine Generation damals vor Brokdorf und so weiter. Heute gibt es mehr Spaß und mehr Kawumm, ich werde hier gleich einen Song einbauen, der da gespielt wurde:

Solarenergie. Ohne Bewegtbild, dafür aber mit Bass.

Schön war ferner, was am Jungfernstieg mit den schon etwas älteren Zuschauern am Straßenrand geschah, als “Hurra, hurra, die Schule brennt” gespielt wurde, wie sich da Paare, Freundinnen und Freunde hier und da schnell anstupsten und ansahen, weißt du noch, weißt du noch? Erinnerungsselige Grinsegesichter. Wie die Blicke auf die tanzenden Jugendlichen im Laufe des Songs bei manchen doch etwas neidisch wurden, wie der Refrain von manchen tonlos mitgesungen wurde, denn man kann das ja noch, jedes Wort kann man noch, es fällt einem alles wieder ein, wenn man nur die ersten Takte hört. Die singen in dem Lied zwar “Das ist neu, das ist neu”, doch es ist alt, es ist alt. Wie ich, wie wir.

 

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Und schließlich gefiel mir noch der kurze skeptische Blick der Teilnehmerinnen aus der Großelterngeneration, als alle aufgefordert wurden, sich mal eben hinzulegen, um das Massensterben der Arten zu demonstrieren, dieser skeptische Blick auf die Straße und der mir völlig verständich erscheinende Gedanke: “Da komme ich doch nie wieder hoch.” Nun, Generationen können nicht in allen Aspekten gemeinsam demonstrieren, das ist vollkommen in Ordnung, denke ich.

Falls Sie, egal in welchem Alter, bisher bei keiner dieser Demos waren, aber doch darüber nachdenken, dann möchte ich das ausdrücklich empfehlen. Nicht nur aus inhaltlichen Gründen, das sowieso, aber es ist auch eine schwunggebende Erfahrung und man geht in bester Stimmung nach Hause.

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Fridays for future hier weltweit in Bildern.

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Kapitänin Pia Klemp.

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Plastikverbot am Roten Meer.

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Nach wie vor übrigens fräse ich mich durchs erzählerische Werk von Gabriele Wohmann und bin sehr angetan. Eine manchmal herbe Boshaftigkeit darin, die nie herablassend hämisch wird, ich bin ganz verzückt und hatte eine völlig falsche Vorstellung von ihr. Auch gut, so etwas aufzudecken. Im Moment: “Frauen schauen aufs Gesicht”, Kurzgeschichten.

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Empfehlenswert außerdem “Nordsee” von Tom Blass, eine Meeres-Reportage in der very extended version. Falls Sie gerade einen Urlaub an diesem Meer planen, nehmen Sie das ruhig mit. Ich zitiere mal den Deutschlandfunk: “Wortgewaltig und stimmungsvoll erweitert Tom Blass so unser Wissen um den Kulturraum Nordsee. Dabei ist er nicht nur belesen und neugierig. Seine Sprache ist lebendig, reich an Metaphern, ohne in Kitsch abzugleiten, und sie besitzt ihren eigenen Rhythmus. Kongenial von Tobias Rothenbücher übersetzt, ist dieses Buch ein echter Lesegenuss.”

Jo.

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Anmerkungen zur Nachlässigkeit

Wie neulich bereits erwähnt, ich war in der letzten Woche bei der Rede von Liao Yiwu – das erste Mal überhaupt, dass ich einen chinesischen Dichternamen auswendig weiß – zum Tag des Exils, nicht zufällig fand diese kurz vor einem gewissen Jahrestag statt. Ich sehe gerade, die Regierung da möchte da gewisse Vokabeln lieber nicht hören, etwa die Sache mit der Unterdrückung.

Wer das ganze Bild des Abends in journalistischer Manier haben will, der findet das im verlinkten Text, ich empfehle das natürlich. Ich bleibe aber, auch wenn das in den letzten Tagen nicht gerade einfacher geworden ist, beim Blogstyle und schreibe wie immer nur über das, was mir auffiel.

Das fing beim Publikum an. Ich gehe gerne zu früh zu Veranstaltungen, über die ich vermutlich etwas schreiben möchte, ich denn will saehen, wer da wie reingeht. Wer also besucht die Rede eines sehr bekannten chinesischen Dichters, der dem Staat dort ganz und gar nicht passt? Das war etwas schwer zu deuten, es lag zwischen einem typischen Hamburger Opernpublikum und den Besuchern einer Dichterlesung, wobei das Wort Dichter hier sehr feierlich zu betonen wäre, also im deutlichen Gegensatz zu Poetry Slam und anderen modernen Formaten. Ich habe eine Weile herumgerätselt, bis die Rede begann und etliche die Kopfhörer für die Übersetzung nicht aufsetzten, da kam ich erst darauf, dass auch etliche akademische Kennerinnen des Landes dort gewesen sein werden, Sinologinnen also, die Herren sind mitgemeint.

Interessanter noch fand ich aber, wer nicht da war. Die Rede fand in einem Saal in der Körber-Stiftung statt, der Saal war nicht gerade klein und rappelvoll besetzt, es waren allerdings kaum Menschen chinesischer Herkunft zu sehen. Wirklich fast keine. Wie kann man sich das nun erklären, kann man da überhaupt auf einen guten Grund kommen? Ich weiß das nicht zu beantworten, aber ich finde es nach wie vor unheimlich. Wobei ich natürlich völlig ahnungslos bin, was die Wirkung von Liao Yiwu angeht, was China angeht, was chinesische Literatur angeht, ich habe keinerlei tiefere Kenntnis und kann das also alles nicht einschätzen. Soweit ich es verstehe, ist Liao aber sehr bekannt, auch in China. In Berlin, wo er jetzt lebt, ist er übrigens nicht der einzige Geflohene aus diesem Staat.

Weiter mit den Bemerknissen. Der Beginn des Abends wurde von einem Herrn moderiert, der mich gedanklich stark auf Abwege brachte, weil er einen so faszinierenden Titel hatte, das war der Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement und Zusammenhalt bei der Stiftung. Ich neige bei Berufen selten zu Neid, aber das fand ich dann doch ungeheuer kleidsam für Visitenkarten, Leiter Demokratie, Engagement und Zusammenhalt – das hat doch zweifellos etwas und ich fragte mich also doch wieder einmal, was ich sonst als Frage lieber grundsätzlich vermeide, nämlich warum ich eigentlich nichts Sinnvolles gelernt habe. Nach solchen Fragen bin ich allerdings dummerweise erst einmal zehn Minuten unbrauchbar und kriege nichts mehr mit.

Dann gab es ein kurzes Lehrstück über Diskursverschiebung, es war in der Einleitung nämlich die Rede von Menschen im Exil, es war die Rede davon, was sie brauchen, um ihre berufliche Biographie fortzusetzen, und ich habe gemerkt, dass es mich mittlerweile schon freut, wenn überhaupt einmal etwas Positives im Zusammenhang mit Fluchtgeschichten erwähnt wird, wenn es um Hilfe und Unterstützung geht, wenn das also selbstverständlich ist und auch als möglich gilt. So weit runter bin ich also auch schon selbst, dachte ich, und das muss man ja unbedingt zur Kenntnis nehmen, wenn man so etwas an sich bemerkt. Sie sollen ihre berufliche Biographie fortsetzen können, die Exilanten, selbstverständlich sollen sie das, es klingt aber wie vor 2015. Es ging dann um die Frage, was sie für diese berufliche Biographie brauchen, dazu gehört bei Dichtern auch die Öffentlichkeit. Ein normaler, ein ganz logischer Satz. Aber vor ein paar Jahren wäre er noch normaler gewesen, Diskursverschiebung findet nicht nur in den Medien, sondern auch in einem selbst statt,

Ich habe ein Video gefunden, darin stellt sich Liao Yiwu vor, es dauert eine halbe Stunde. Es enthält einen Aspekt für die literarisch Interessierten, der in der Rede nicht vorkam, den finde ich aber wichtig. Denn dieses Gedicht, dieses sehr bekannte Gedicht, das schreit er – und das ist dann schon etwas anderes, als wenn man es wie die Lyrik damals in der Schule oder im Bändchen auf dem Nachttisch schlicht abliest. Es ist etwas ganz anderes. Gucken Sie mal, das Gedicht rezitiert er mit Unterbrechungen durch die Erzählung, die aber auch die halbe Stunde wert ist:

Liao Yiwu hat an dem Abend der Rede durchgehend Chinesisch gesprochen und wurde simultan übersetzt, übrigens deutlich langsamer, als das mit englischsprachigen Gästen der Fall gewesen wäre. Liegt das an der Sprachstruktur? Das weiß ich auch wieder nicht. Sein Roman “Die Wiedergeburt der Ameisen”, den ich gerade angefangen habe, wurde in dreijähriger Arbeit übersetzt (Karin Betz), das ist auch ein etwas anderer Zeitmaßstab als sonst. Ich habe noch nie einen chinesischen Autor gelesen, aber wo ich ihn jetzt doch quasi kenne – gut, genau deswegen wollte ich ja, wie neulich beschrieben, zu mehr Veranstaltungen gehen. Im Gefängnis hat Liao Yiwu heimlich Manuskripte in winziger Schrift verfasst, kaum ameisengroße Zeichen, daher der Buchtitel.

Noch zwei Aspekte, die mir auffielen. Zum einen spricht der Herr kein Deutsch, obwohl er seit Jahren hier ist, also zumindest spricht er es nicht öffentlich. Er sagte, er sei damals im Deutschkurs der Schlechteste gewesen, was wohl alle für einen Scherz hielten, es wurde allgemein gelacht, ich habe nicht ganz verstanden, warum. Wenn jemand Schriftsteller ist, muss er ja nicht zwingend auch gut in Fremdsprachen sein, das hat doch keinen garantierten Zusammenhang? Er kann wohl das Deutsche etwas verstehen und vielleicht auch lesen, er würde aber nicht sprechen und schreiben in der Sprache, er sagte: “Auch wenn ich lebenslang Deutsch lernen würde, ich könnte nie ein Gedicht in dieser Sprache schreiben. Das bringt mich zur Verzweiflung.”

Schließlich ging es um sein Flötenspiel, er hat bei der Lesung auch musiziert. Das Spielen hat er im Gefängnis von einem alten Mönch gelernt, was wie in einem Drehbuch klingt, aber es kommt noch besser – wenn er spielt, dann klingt es nämlich tatsächlich genau so. Wenn Sie sich kurz mal das Flötenspiel eines alten chinesischen Mönches in einem abgelegenen Gefängnis wie in einem Film vorstellen, genau das war es, und das war einigermaßen unheimlich, weil in diesem Spiel Bilder und Situationen mitklangen, die man ganz sicher nicht gesehen und erlebt haben möchte.

 

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Hängengeblieben ist mir schließlich noch ein Satz über den chinesischen Überwachungsstaat, Yiao Liwu erinnerte in einem Nebensatz daran, dass China die grundlegende Technik dazu importiert habe. Aus dem Westen, von uns. Das passte zu dem neulich gehörten Vortrag von Aral Balkan, ich berichtete, und endete mit dem freundlichen Hinweis, dass die Menschen in den freien Gesellschaften oft nachlässig gegenüber der Demokratie und den Menschenrechten seien.

Wozu fast nichts weiter zu ergänzen ist, außer vielleicht, dass ich den abschließenden Satz, der hier gleich unter dem Text kommen wird, Sie wissen schon, der Satz, der da immer kommt, dass ich den also einfach so hinschreiben kann. Ist das nicht toll? Es folgt darauf keine Einladung zum Tee, wie in China die verhängnisvollen Vorladungen zur Polizei heißen, es folgt darauf im besten Fall einfach nur ziemlich bald der nächste Eintrag. Ich kann meine Meinung einfach so da hinschreiben, es war mir ein Bedürfnis, das nach dieser Rede wieder einmal festzustellen.

Denn Nachlässigkeit lässt man sich ja nicht gerne nachsagen.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Trinkgeld Mai, Ergebnisbericht

Wir haben im Garten eine Kupfer-Felsenbirne, einen Zierapfel, zwei Blutjohannisbeeren und einen Flieder gepflanzt, daran waren Sie wieder maßgeblich beteiligt. Die Pflanzsaison ist damit auch erst einmal beendet – mehr dazu dann wieder im Herbst.

Den immerhin im Sinne des friedvollen Lesens erfreulichen Ausflug in ein Spaßbad im Speckgürtel Hamburgs haben wir ebenfalls vom Trinkgeld bezahlt.

Sohn I hat den ersten Teil der “Herr der Ringe”-Verfilmungen erworben, bei dem sowohl die Söhne als auch ich bestens mittendrin eingeschlafen sind. Das war zwar nicht ganz im Sinne des Vorhabens, aber es war gleichwohl friedlich, gemütlich und kuschelig, da kann man auch nicht meckern. Auf die weiteren Teile werden wir aber verzichten, denke ich. Ferner gab es für ihn einen Mangaband aus der Reihe “Fairy Tail” (kein Schreibfehler) die Zentralbücherei hatte die Nummer 10 nicht vorrätig und so geht es ja nicht. Weiter kaufte er den mittlerweile dritten Band der Reihe “Dämonen-Akademie”, da er kein Harry-Potter-Fan ist, stellt das jetzt seine größte Leselangstrecke dar, es muss wirklich enorm spannend ein. Für mich gab es von Yuval Harari: Homo Deus – a brief history of tomorrow, hier die Seite zur deutschen Ausgabe. Ich lese es aber in der englischen Version, ab und zu auch sprachlich etwas Weiterbildung,

Sohn II kam nicht zu kurz, hatte aber gerade keine Wünsche und beschäftigt sich eher mit Verzicht, auch so etwas kommt vor.

Wie immer in den wenigstens halbwegs warmen Monaten gab es mehrfach Eis für alle, die Söhne tendieren dabei gerade zu irgendwas mit Milchreis drin, ich weiß ja nicht. Das Verpflegungseis auf der Stadtwanderung von Sohn II und mir war natürlich auch dabei.

Ausdrücklich gab es ferner Geld für Gebäck von “Oriental Sweets”, einem Laden aus unserem kleinen Bahnhofsviertel, ich habe das schamlos ganz alleine ausgegeben und die Einkäufe ohne alle Zuschauer verzehrt, das war auch einmal schön. Und nahrhaft, verdammt nahrhaft. Weiter gab es etwas Geld ausdrücklich für Wanderschokolade, das wurde selbstverständlich auch entsprechend auf Vorrat umgesetzt.

Nach wie vor offen sind weiterhin Posten für “Unsinn und Verwegenes” und auch “gegen Schwerkraft”, aber mir fällt dazu noch im Laufe des Jahres etwas ein, da bin ich sicher.

Die Herzdame hat von der ihr zugewiesenen Summe diesmal den Eintritt ins Schloss Schönbrunn in Wien bezahlt, dort auch das Fahren mit Elektro-Rollern getestet, ein Schnitzel bei Figlmüller gegessen sowie “richtig guten Kuchen” bei Prückel. Und hat sie darüber gebloggt? Keine Zeile. Zustände sind das, wirklich schlimm.

Wie immer gilt: Verbindlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und auch jeden Cent! Weltbeste Leserinnenschaft, echtjetztmal, die Herren sind mitgemeint.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Krass mittel

Die Fortsetzung zu diesemText

Die Wandersaison ist da und ich habe mit Sohn II eine kleine Testwanderung unternommen, einen überschaubaren Fitness- und Teamtest sozusagen. Das war eine Großstadtregenwanderung, so etwas geht auch. Nachdem ich im letzten Jahr erhebliche Probleme mit den Armen hatte, habe ich jetzt ein kleines Fußproblem, Macken am Bewegungsapparat kann ich nämlich wirklich gut. Aber es hält mich noch nicht auf, hat sich gezeigt. Na gut, Drei-Tagestouren würde ich im Moment nicht gerade machen, aber egal, das muss ich ja auch nicht. Wir sind einfach mit der U-Bahn in Richtung Garten gefahren und nicht wie immer ausgestiegen, wir sind bis zur Endstation Mümmelmannsberg sitzen geblieben und dann von da aus ohne Karte oder Plan zurückgegangen, bescheidene neun Kilometer, etwas mehr vielleicht.

Das ist natürlich keine besonders aufregende Strecke, Stadt eben, wenn sie auch durch den Wechsel der Bebauung dennoch einigermaßen unterhaltsam ist. Besonders der Sohn ist immer wieder davon beeindruckt, dass die Stadt mal schön ist und mal nicht, in dem Alter nimmt man das noch nicht einfach so hin, sondern steht alle paar Schritte vor der Frage: “Wie isses nun bloß möglich?” Ja, warum eigentlich gibt es so unfassbar hässliche Stellen in der Stadt. Warum gibt es andererseits plötzlich ganz zauberhafte Winkel und waldartige Grünstellen, dann wieder Betonklötze und Auftürmungen in Deprigrau, warum? Es liegt nicht nur am Geld, stellen wir fest, es gibt auch arm-schön und reich-hässlich, und zwar ganz eindeutig. Wie bei allen Wanderungen fragen wir uns oft, ob  man da wohl leben wollen würde, also etwa genau in dem Haus da, guck mal:

“Man kann auch besser wohnen.”

“Aber auch viel schlechter!”

“Ja, es ist mehr so krass mittel.”

Und dann überlegen wir, ob krass mittel okay ist oder eher knapp unterhalb von okay, das ist im Grunde ein großes Thema, und große Themen passen sehr gut zu Wanderungen. Wir kommen irgendwie auf Berufe und Karrieren, aufs Schreiben und Dichten, wir kommen auf tausend Umwegen auf Dichterlesungen, er findet das Wort so witzig, Dichterlesung, meine Güte, das kann doch keiner ernst nehmen. Er fragt, wo ich schon überall gelesen habe und wo demnächst, er stellt ganz richtig fest: “Du bist ja eher kein Dichter. Du bist mehr so der Geschichter.” Ich muss mal wieder über neue Visitenkarten nachdenken.

Das Hamburg um uns herum wirkt auf einmal kreisstadtklassig, ich denke an das Begemannsche “Bad Salzuflen weltweit”. Wir kaufen ein Eis in einer Konditorei, in der die letzten zwanzig bis dreißig Jahre nicht stattgefunden haben, eine Verkäuferin erklärt einem sehr alten Herren gerade, dass das mit dem Mürbeteig hier immer schon so gewesen sei, wirklich immer schon, und ich verstehe sofort, warum ringsum nur CDU-Plakate hängen.

Wir gehen über eine Autobahnbrücke und dann noch einmal zurück, weil die Wirkung der gigantischen Lärmschutzwand sehr faszinierend ist. Wir stellen uns davor und daneben und hören, wobei der Sohn unentwegt schimpft und flucht, diese Generation wird nicht als autoverliebt in die Geschichte eingehen. Die Autobahnbrücke zieht runter, die hässlichen Ecken der Stadt auch, so etwas möchte er gar nicht sehen, ich eigentlich auch nicht, die nächste Wanderung soll dann doch bitte an der Ostsee oder irgendwo draußen stattfinden.

Wir gehen durch Kleingärten. Wir beide haben eine fachmännisches Interesse an Kleingärten und gehen jetzt einen Kilometer mit Kennerblick, das haben wir uns im letzten Jahr verdient. Völlig entsetzt stehen wir vor überfrachteten Wahnsinnsgebilden durchgedrehter Dekorationskunst in Laubenfenstern. Da müssen wir natürlich schon wieder einiges besprechen, nämlich was der Mensch schön findet und was tatsächlich zweifellos schön ist, also etwa der Baum da. Gut, dass wir verglichen haben.

Schließlich kommen wir im eigenen Garten an, es regnet mittlerweile in Strömen. Wir werfen uns aufs Bett und halten Mittagsruhe, während hinter der Holzwand Wasser in die Regentonne plätschert, fröhlich plätschert hätte ich fast geschrieben, denn so klingt es tatsächlich, es plätschert und plätschert und es ist das allerbeste Einschlafgräusch der Welt, zumindest heute. Weiter hinten am Himmel wird es schon wieder hell, die Temperatur in der Laube ist genau richtig und für einen kleinen Moment ist einmal alles gut. Das braucht man auch ab und zu, stellen wir fest und merken wieder, die Pausen nach den Wanderungen, die gehören ganz klar zu den schönsten, die man machen kann.

Dann finden wir Schokolade in den Schränken und es wird alles noch besser.

Die Fortsetzung des Wanderberichtes ist hier.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Schulhofvokabeln

Return to sender.

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Die Unterschätzung des digitalen Raumes durch die Medien. Man beachte darin den Clip mit dem Vortrag von Luisa Neubauer und Jacob Blasel. Wirklich interessant.

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Johnny Haeusler dagegen dreht die ganze Lage etwas ins Positive, das ist auch nicht verkehrt.

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Was Felix sagt.

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Sven kauft ein E-Bike. Also theoretisch.

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Hier drüben endet ein Eintrag mit den Worten “Im Übrigen bin ich der Meinung …”, und wenn ich in den letzten Jahren nichts weiter erreicht habe, als diese Tradition in Blogs zu begründen – nun. Besser als nichts.

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Da mal drüber nachdenken, wie der olle Kempowski gesagt hätte. Also ich sage das zu mir selber, versteht sich, nicht zu Ihnen. Sie kommen ja vielleicht ganz gut klar mit dem Konzept. Ich überhaupt nicht.

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Gestern fiel mir wieder auf, dass einige Erwachsene gewisse Schulhofvokabeln gar nicht kennen. Genau genommen fiel es mir bei der Herzdame auf, was natürlich erstaunlich ist. Vielleicht spricht sie nicht mit den Söhnen, das muss ich noch genauer eruieren. Jedenfalls Schulhofvokabeln. Etwa das bei den Söhnen völlig übliche “sich maulen”. Das meint, sich aufs Maul zu legen. Wenn man also mit dem Tretroller stürzt, weil man etwa einen Salto über den Kantstein macht, dann hat man sich gemault: “Ey, ich hab mich da vorhin voll gemault, Alter.” Wenn Sie das nicht kannten, das können Sie ab jetzt auch so verwenden, das ist normal. “Mit ihrer Äußerung zur Meinungsregulierung hat sich AKK heftig gemault.” Der Satz, ich nehme ihn nur als völlig willkürliches Beispiel, würde hier auf dem Schulhof so durchgehen.

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Gleich mehrfach habe ich in letzter Zeit gesehen, dass Menschen morgens vor Bürohäusern Selfies machen. Ausgesprochen schlechtgelaunte Selfies ohne auch nur den geringsten Versuch eines Lächelns waren das, da wurden graue Momente des werktäglichen Elends festgehalten, Sekunden vorm Reingehen, guckt doch mal, wie unfassbar mies ich heute wieder drauf bin. Mit diesen Gesichtern, die man aus den morgendlichen S-Bahnen kennt, mit den immer weiter nach unten drängenden Mundwinkeln und dem trüben Blick. Ist das ein neuer Trend? Macht man das jetzt so? Landet das auf Instagram oder nur in Whatsapp-Familiengruppen, in denen damit demonstriert wird, was man wieder alles tut, nur um zum Haushaltseinkommen beizutragen? Ich weiß es nicht.

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Auf einem Bildschirm an einem U-Bahngleis erscheint die Meldung, in der vor dem Tragen der Kippa gewarnt wird. Zwei Männer stehen davor und lachen, die Meldung erheitert sie auf denkbar unschöne Art. Dann sehen sie sich kurz um, ob ihr Lachen womöglich irgendwie auffällt. Ich könnte jetzt kurz auf das Aussehen der Männer eingehen und wir könnten gemeinsam raten, wo sie wohl herkamen, das sind ja ganz naheliegende Gedanken, könnte man meinen, aber sinnvolle Gedanken sind das nicht. Denn man sieht es eben nicht, wo sie herkamen, man nimmt da nur Wahrscheinlichkeiten an. Wenn Sie jetzt als Leserin gerade an bestimmte Typen gedacht haben, an stramme blonde Nazis oder doch an eher dunkle Araber, das sind auch nur so Gedanken. Zwei Männer stehen da, so viel wissen wir, mehr nicht. Sie stehen da und lachen, es ist völlig egal, wo sie herkamen. Es ist auch so schon schlimm genug.

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Ein Instagram-Tipp von Sohn I, den fand ich auch gut:

 

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#ruthe #cartoon #zocken #spielen

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Ich denke übrigens nach wie vor über meine Vorsätze 2019 nach, womit ich vermutlich einer strebsamen Minderheit angehöre. Aber es ist für mich weiterhin interessant, da weiter zu justieren, auch kurz vor der Halbzeit. Einiges läuft, einiges läuft überhaupt nicht oder bestenfalls so mittel. Immerhin denke ich noch nicht daran, einen Punkt – handliche zehn hatte ich mir im Januar notiert – komplett sausen zu lassen. Einen hatte ich tatsächlich eine Weile lang ganz vergessen oder eher verdrängt, mit einem habe ich noch gar nicht begonnen, das ist aber in Ordnung, der war jahreszeitlich beschränkt und ist ein rein sommerliches To-Do, der kommt noch. Ein Punkt klang total einfach, nämlich das überschaubare Vorhaben mehr rauszugehen, mehr Veranstaltungen zu besuchen, das fiel damals auch mit der Komfortzonendiskussion zusammen, also andere Themen zulassen usw. – na gut, dachte ich, dann gehste eben mal irgendwo hin, was weiß ich, öfter mal ins Theater, ins Kino, zu Barcamps und Podiumsdiskussionen. So etwas. Das hat nicht gut geklappt, das hat fast überhaupt nicht geklappt, was mich in den letzten Wochen schwer genervt hat. Sie kennen das, diese nagende Unzufriedenheit mit der Alltagsgestaltung. Ich meine, es klingt doch leicht und einladend, einfach mal rauszugehen, was soll daran schwer sein, ich kann hinterher sogar drüber bloggen, das ist doch super? Die Gewohnheit, die Müdigkeit, das Wetter, die Schwerkraft, was sind denn das bitte für Gründe dagegen.

Umso mehr habe ich mich jedenfalls gefreut, dass genau in diese Gedanken eine Möglichkeit fiel, mit einem neuen Kunden zu kooperieren, der passt da nämlich fast schon unheimlich gut in diese Situation, im Grunde ein Fall für den Freundeskreis Zufall. Die Hamburger Körber-Stiftung wird hier ab und zu per Banner auf Projekte und Termine aufmerksam machen, was ich zum Anlass nehmen werde, mir die Veranstaltungen der Stiftung öfter anzusehen. Wobei “öfter” leicht gesagt ist, denn bisher war ich da noch nie, habe das aber seit Ewigkeiten schon vorgehabt, weil ich beim Programm manchmal “Ach guck” gedacht habe, “das könnte ja interessant sein.“ Okay, nun aber wirklich.

Die Körber-Stiftung beschäftigt sich mit Themen wie Leben im Exil, Innovation, Internationale Verständigung, Europa, es gibt eine Unzahl von Projekten, Veröffentlichungen und Vorhaben. Von denen war übrigens auch die Instagram-Reihe Gesichter des Exils, die hatte ich hier im Blog bereits vor einiger Zeit verlinkt, das haben Sie vielleicht gesehen.

Gestern war ich in diesem Zusammenhang bei der Rede zum Exil von Liao Yiwu, dazu dann in Kürze mehr.

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Völlig unpassend zum Dichter aus dem Osten kommt der Musik-Tipp von Sohn I heute weit aus dem Westen: Old Town Road.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank.

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Ein hübscher Satz nur

Für das Goethe-Institut habe ich über Streckensperrungen geschrieben. Warum auch nicht.

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Sohn I erlernt in der Schule gerade das Schreiben von Rezensionen und hat dabei festgestellt, dass er ja beim Bloggen schon eine ganze Menge darüber gelernt hat.

 

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Ich habe “Was uns stark macht” gelesen, das ist ein Interview-Band der Journalistin Annick Cojean (Le Monde), aus dem Französischen übersetzt von Kirsten Gleinig. Interviews mit 21 Frauen, etwa mit Amélie Nothomb, Patti Smith, Juliette Gréc0, Claudia Cardinale, Joan Baez, Vanessa Redgrave, Cecilia Bartoli. Nicht alle waren mir bekannt, aber doch viele. Es geht immer um die Frage und den Einstieg: “ Ich wäre nicht die, die ich heute bin, wenn …”

Fast alle Frauen beantworten das mit Geschichten, eine einzige verweigert sich in intellektueller Überlegenheit der Antwort, Vanessa Redgrave macht das, die – natürlich völlig und irgendwie langweilig korrekt – darauf hinweist, dass man das so doch gar nicht beantworten könne,  weil das Leben so nun einmal nicht sei. Aber diese Korrektheit ist etwas bedauerlich, weil die von den anderen erzählten Geschichten viel interessanter sind, die wunderbar konstruierten und oft erzählten, romanhaft ausgestalteten Selbstbilder mit den klar erkennbaren Dreh- und Angelpunkten, ich habe das ausgesprochen gerne gelesen. Eine einzige Frau, Cecilia Bartoli, geht sogar auf einen Tag, auf einen Moment herunter, auf eine Minute und das Wetter darin – wenn da die Sonne geschienen hätte, sagt sie, dann … und auch das ist eine sehr gute Geschichte. Was nicht davon ablenken sollte, dass auch niederschmetternde  Geschichten in dem Buch stehen, etwa zu sexueller Gewalt, Unterdrückung und Erfahrungen mit uralten Rollenbildern, und nicht gerade wenig davon. Aber es sind Interviews mit sehr erfolgreichen Frauen, die Entwicklungen hin zu einer Karriere oder einem Lebensziel stehen im Vordergrund.

Natürlich ist es nebenbei auch interessant, den Einstiegs-Satz selbst anzuwenden. Ich hatte da spontan eine Antwort parat, auf die ich noch gar nicht gekommen war, manchmal bringt es eben die Formulierung der Frage, das können Sie selbst ja auch mal eben im Geiste durchspielen, dass sie also nicht die oder der wären, wenn …

Im Buch las ich außerdem einen Satz von erstklassiger und postkartentauglicher Kalenderspruchgüte. So etwas überlese ich normalerweise genervt, aber manchmal spricht mich dergleichen auch an, so wird es wohl jeder und jedem gehen, und dann trifft es eben gerade etwas. Delphine Horvilleur ist eine französische Rabbinerin, eine von nur dreien übrigens, und sie sagt da: “Ein chassidischer Satz besagt, man solle niemals jemanden nach dem Weg fragen, der ihn kennt, man würde sich sonst womöglich nicht verirren.”

Nun, das ist tatsächlich nur so ein hübscher Satz. Aber er ist mir gerade sehr dienlich. Und wenn ich lange genug drüber nachdenke, komme ich vielleicht sogar noch darauf, warum ich das so empfinde.

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Musik! Die oben genannte Cecilia Bartoli.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. Wobei auch gewisse Parteivorsitzende … ach, egal.

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