Ich hatte im Artikel zur Rede von Liao Yiwu zum Exil seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache erwähnt. Gerade finde ich eine passende Stelle in den Tagebüchern des Ungarn Sándor Márai, geschrieben in den USA:
“Für jede Emigration ist es ein Schicksalsproblem, inwieweit der Emigrant bereit ist, sich auf Kosten der Muttersprache die Sprache der neuen Gemeinschaft anzueignen. Für Exilschriftsteller ist das keine Frage, denn wenn sie sich von der Muttersprache lösen und in einer fremden Sprache zu schreiben versuchen, zerschneiden sie die Nabelschnur, die sie mit der lebensspendenden Muttersprache verbindet und die ihr Selbstbewusstsein, ihre schriftstellerischen Fähigkeiten speist. Man kann sehr wohl Gedanken in einer fremden Sprache schriftlich ausdrücken, aber “schreiben”, also schöpfen, kann man nur in der Muttersprache. Das war für mich kein Geheimnis, als ich vor sechsunddreißig Jahren Ungarn verließ: Wohin es mich verschlägt, dort werde ich ein ungarischer Schriftsteller sein.” (Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki)
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Sehr passend: Völlig fasziniert starre ich auf einen Text von mir in russischer Sprache. Nichts davon kann ich lesen. Toll.
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Ich war auf einer Veranstaltung zu Mobilität und Verkehrsplanung, es ging u.a. um den “Charme des Flanierens”. Da ging ich etwas unzufrieden wieder weg, was aber zum großen Teil an mir selbst lag, denn das Thema habe ich für den Wirtschaftsteil jahrelang recht intensiv verfolgt, da kann ich also schlecht zu einem Vortrag gehen und sagen: “Überraschen Sie mich!” Natürlich gab es dort all die Beispiele, die es immer gibt, natürlich wurden die Städte mit den autofreien Zonen und den tollen Radwegen und den lebendigen Quartieren erwähnt, die in jedem Artikel zum Thema erwähnt werden. Immerhin wies jemand aus dem Publikum darauf hin, dass man da nicht ganz korrekt jeweils die Städte erwähnt, geht es doch meistens nur um die Innenstädte oder um bestimmte Viertel. Vermutlich gibt es weltweit keine einzige Stadt, die in ihrer Gesamtheit als tolles Beispiel für irgendwas dienen kann.
“Wer Stadt und Architektur erfahren will, sollte nicht fahren”, das war ein Satz, der da zitiert wurde, ich habe leider nicht notiert, wer das gesagt hat. Der Satz passt jedenfalls in einem gewissen Sinne zu einer Erfahrung, die sowohl die Herzdame als ich gerade machen, ganz unabhängig voneinander: Radfahren ist hier und in den Nachbarstadtteilen so dermaßen gefährlich und stressig geworden, es macht einfach überhaupt keinen Spaß mehr und über den Claim “Fahrradstadt” kann ich nur lachen. Mit dem Auto zu fahren finde ich aber bekanntlich ähnlich absurd, was also heißt, wohl fühle ich mich nur im Nahverkehr und zu Fuß. Zu Fuß kommt man nicht so weit, das macht nichts. “Die Frage ist”, so hieß es an diesem Abend, “welche Chancen hat man, sich in seiner Langsamkeit wohlzufühlen?” Und das immerhin ist ja eine Frage, die man sich auf den Wegen durchs Viertel tatsächlich mal stellen kann. Na, aber das nur am Rande.
Mitgenommen habe ich noch zwei Zahlen: Zum einen 44%: Das ist der der Anteil aller Hamburger Autofahrten, die kürzer als fünf Kilometer sind. Also beste theoretische Fahrradentfernung, vielleicht künftig auch E-Roller-Entfernung, weiß der Geier, da raten alle gerade herum, auch die Verkehrsexperten. Zum anderen: 10000 Menschen braucht es auf einem Quadratkilometer, damit ein Vollsortimentsupermarkt dauerhaft laufen kann. Aus der Zahl kann ich nichts direkt ableiten, aber das ist doch wieder cool für den Smalltalk, so etwas zu wissen. Als ob ich jemals Smalltalk machen würde! Wer hat denn Zeit für so etwas, ich muss ja immer früher los. Ich gehe zu Fuß, ich brauche länger.
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Überrascht hat mich, dass der vortragende Herr mit Stadtgrün wenig anfangen konnte. Das fand er eher lapidar und höchstens am Rande bedeutsam, nicht wesentlich und deutlich unterhalb seines fachlichen Interesses. Und da bin ich mir nicht ganz sicher, ob das 2019 wirklich noch eine Frage des Interesses oder schon eine Weiterbildungslücke ist.
Na, egal. 44% und 10000, das immerhin habe ich mir gemerkt.
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Musik! Ein Herr mit interessanter Mimik und dem ersten Reggae-Song, der weltweit ein Erfolg wurde. Wenn ich das richtig erinnere. Laut der Wikipedia steht das Wort “Israelites” in der jamaikanischen Umgangssprache für Leiden, Armut, Hunger – habe ich das nach all den Jahren also auch einmal verstanden.
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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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