Was man so verlangt

Beim Elternabend in der Grundschule hat die Mathelehrerin drei Verfahren der Subtraktion erklärt, das hat die Zuhörerinnen und Zuhörer teilweise sichtlich etwas mitgenommen. Faszinierend, wie außerordentlich unangenehm es sich im Hirn anfühlt, von den gelernten Rechenwegen abweichen zu müssen, egal wie kurz. Das soll so nicht! Um Gottes willen! Man kriegt förmlich Augenzucken, wenn da etwas falsch herum an der Tafel steht, wobei Tafel, haha, das ist natürlich ein Smartboard heutzutage. Ich mit meinen Steinzeitbegriffen! Auffüllverfahren, Ergänzungsverfahren, Bündelungsverfahren, wenn man sich die mal besonnen einen Tag später ansieht, dann ist das alles ganz easy, wenn es einen aber so unvermutet anspringt, hat man einen tollen Trigger für das Mathe-Trauma in enorm vielen von uns. A faint cold fear thrills through my veins …

Und nebenbei bekommt man auch wieder ein Gefühl dafür, durch was die Kinder sich da eigentlich jeden Tag mühen und manchmal auch kämpfen, das vergisst man nämlich gerne, was man da eigentlich dauernd verlangt. In diesem Zusammenhang finde ich es übrigens immer wieder amüsant, dass die Kinder 45 oder 60 Minuten durchgehend lang aufpassen sollen und jede und jeder das ganz normal findet, während die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Erwachsenen heutzutage erheblich darunter liegt, wie jeder weiß, der einmal – in welcher Rolle auch immer – vor Menschen gesprochen oder ihnen etwas beigebracht hat.

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Ich bin ganz entzückt, dass mein neuer Kunde, das Goethe-Institut, meine Kolumnen ins Englische übersetzt. How nice!

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Ansonsten war das heute ein ganz außerordentlich hektischer Tag, da habe ich einen passenden Song. Ruhig ganz ansehen oder wenigstens, bis der Herr singt – das hat was. Hocus Pocus.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Der olle Theaterzauber

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Bei der GLS Bank gibt es einen neuen Wirtschaftsteil von mir.

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Ich war mit Sohn I im Theater, in einem ganz normalen Stück für Erwachsene. Er möchte das gerne alles kennenlernen, also  kommt das jetzt womöglich öfter vor. Es gab “Die Nervensäge” von Francis Veber (Deutsch von Dieter Hallervorden) in den Kammerspielen, eine Komödie mit viel Slapstick und Situationskomik, da konnte also nicht viel schiefgehen. Ein Killer mietet sich in einem Hotel ein, um vom Fenster aus jemanden zu erschießen, im Nebenzimmer möchte aber jemand aus Liebeskummer seinem Leben selbst ein Ende setzen. Um seinen Job in Ruhe machen zu können, muss der Killer den Selbstmörder aufhalten und sich um ihn kümmern, was natürlich nicht gerade zu seinen Kernkompetenzen zählt.

Sohn I ist elfeinhalb, der Rest des Publikums war nennenswert älter als ich, da hat er schon gestaunt. Es war außer ihm keiner, wirklich kein einziger auch nur annähernd junger Mensch im Saal, es ist immer wieder betrüblich. Als wir in den Saal kamen, wurde auf der Bühne noch gearbeitet, es gab keinen Vorhang, man konnte alles sehen, wie da noch einer schnell mit dem Staubsauger durchs Bühnenbild – und dann kam so langsam die Erkenntnis, dass das schon zum Stück gehörte. Das ist für Erwachsene vielleicht nicht so originell, das ist nur ein kleiner Spaß nebenbei, aber für Kinder ist es ganz neu und das ist dann ein erheblicher Spaß, so etwas mitzubekommen. Der olle Theaterzauber, wie er wieder und wieder funktioniert, auch bei der nächsten Generation.

Wir hatten vorher überlegt, welche Rolle wohl einfacher zu spielen ist, die des eiskalten Killers (Sewan Latchinian, der künftig auch der künstlerische Leiter des Hauses ist) oder die des hysterischen Selbstmörders (Jacques Ullrich), wir haben uns vorgestellt, dass der ungerührte Killer wohl  nennenswert leichter zu geben ist. Damit lagen wir gründlich falsch, und das war auch gut so, die Überraschung hat den Abend noch verbessert.

Das Stück läuft noch bis 18. April, Sohn I fand den Abend hervorragend.  Es gibt keine Pause, man ist also recht früh wieder draußen und weit vor Mitternacht im Bett, das ist für Kinder ja auch nicht ganz unwichtig.

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Gelesen und gemocht: “Königinnen” von Elke Naters. Hier mehr dazu.

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Musik! Ein Tanz, den man heute eher nicht mehr sieht.

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Nabokov steht sicher

Falls Sie es nicht mitbekommen haben – die aktuelle Reihe bei HONY ist ganz wunderbar.

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Ein Déjà-vu, an der Ecke, an der die Menschen hier im kleinen Bahnhofsviertel ab und zu ihre Bücher aussetzen, damit andere sie mitnehmen können, liegt ein neues Buch, es sieht allerdings eher aus wie im Vorbeigehen hingeworfen als gelegt: “Zeitmanagament im Alltag”. Da ist wohl jemand nicht dazu gekommen, und ich habe das Gefühl, genau das schon einmal geschrieben zu haben, vielleicht mit einem leicht abweichenden Buchtitel, es ist sicher mindestens ein Jahr her. Egal, ich hänge die Pointe von damals einfach noch einmal dran und nehme das Buch jedenfalls auch diesmal nicht mit – wer hat denn Zeit für so etwas.

In der Nähe aber steht der neunte Band aus der feinen Nabokov-Gesamtausgabe, der wurde säuberlich etwas erhöht auf einem Mauervorsprung unter einem Dach so abgestellt, dass er gewiss keinen Schaden nehmen kann, nicht durch pinkelnde Hunde und auch nicht durch Regen. Nabokov-Leser sind sorgsame Menschen.

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Im Garten habe ich Dill gesät und 2o Meter Beetkante aus Stein gesetzt, das war eine ausgesprochen angenehme Tätigkeit fürs Wochenende. Leicht, machbar, mit vorzeigbarem Ergebnis. Klare Sache und damit hopp.

Heute haben wir dann zwischen zwei Schauern die Obstbäume 17 und 18 gepflanzt, und nun sind wir mit Bäumen auch durch, mehr gehen nicht. Jetzt sehen wir zu, wie sie wachsen, und das ist ja auch mal ein vernünftig klingender Plan.

Der Pfirsich übrigens blüht jetzt, und wie der blüht.

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Schnell noch ein Buchtipp. Ich habe es ja nicht so mit langen Rezensionen, aber wenn Sie einen Hang zu Kurzgeschichten haben und sich vielleicht auch freuen, wenn es mal Kurzgeschichten gibt, die tatsächlich kurz sind, dann greifen Sie doch bitte zu “Signalstörung” von Kirsten Fuchs. Hier etwas mehr dazu. In Sachen Geschichten hatte ich lange kein besseres Buch in der Hand.

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Musik! Take on me in der Plüschversion. Warum auch nicht, es klingt irgendwie frühlingshaft.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Die Wahl des Ladens und des Schadens

Auf dem Rückweg vom Büro kann ich zwischen mehreren Läden wählen, in denen ich einkaufen kann. Je nachdem, in welchen ich gehe, mache ich Erfahrungen mit armen oder mit reichen Menschen, mit diesen oder jenen Klischees. Ich kann auch Läden wählen, in die gehen fast nur Menschen, die noch nicht allzu lange im Land sind, es gibt einen, in dem sind ungewöhnlich viele Menschen mit heftigen Alkoholproblemen und es gibt einen, in dem sind fast nur Menschen, die es wahnsinnig eilig haben. Ich kann mir aussuchen, welche Geschichten ich erleben möchte. Was ich eher nicht bieten kann, ist ein durchschnittlicher Laden mit durchschnittlichen Kunden. Im kleinen Bahnhofsviertel ist alles etwas speziell, unser Mainstream hier ist kein langer, ruhiger Fluß.

In einem großen Laden, in dem viele Menschen einkaufen, die nicht ganz so viel Geld haben, steht ein schwankender Trinker vor mir an der Kasse, der stützt sich schnaufend auf seinen Rollator, der seltsam fragil wirkt, weil der Mann über ihm ein erhebliches Format hat. So einer war einmal Seemann oder Türsteher, Preisboxer oder sonstwas, so einer hat immer noch die Reste der Muskeln, die er sicher einmal gut genutzt hat, aber das ist schon eine Weile her. Jetzt kämpfen die Muskeln gegen das Schaukeln und gegen die verdammte Schwerkraft, und einfach ist das nicht. Er will nur schnell einen Flachmann kaufen, ungeduldig schiebt er ihn über das elend langsam ruckelnde Kassenband. Er kickt ihn mit dem Finger immer weiter vorwärts bis er endlich dran ist, er murmelt dabei Flüche und stöhnt. Die Kassiererin ist von stoischer Verkaufsfreundlichkeit, sie grüßt korrekt und spult alles ab, was die Lehrgänge nur hergegeben haben, da gibt es nichts. Sie fragt nach der Kundenkarte und nach den gesammelten Punkten und ob der Herr denn auch den Bon … und bei der dritten Frage reicht es dem Kerl, dessen Not jetzt endgültig nicht mehr im aushaltbaren Bereich ist, er grapscht nach dem rettenden Fläschchen: “Mensch, halt endlich die Fresse und gib her das Ding!” Was sie ohne sichtbare Regung mit “Schönen Tag noch” beantwortet, denn in diesem Laden lernt man auch das. Der Mann geht zwei, drei Meter weiter, dann schüttet er sich den Schnaps schon in den Hals. Das ist so ein Typ, vor dem haben Kinder Angst.

Im anderen Markt, in dem die Menschen mit mehr Geld und auch die mit sehr viel mehr Geld verkehren, gibt es an der hochgelobten Fleischtheke mehrere Sorten exquisiten Rindfleischs. Das Kilo kostet manchmal so viel, wie die Leute im anderen Laden in einer Woche für alle Lebensmittel ausgeben, vielleicht kostet es auch mehr. Diese Ware läuft hier wirklich gut, wenn man öfter in diesem Laden einkauft, gewinnt man den Eindruck, dass sich ab einem gewissen Einkommen alle von Steak ernähren, und zwar von feinsten und allerfeinsten Steaks. Wenn man da etwas so Banales wie Mett kauft, das wirkt schon arm, so eine Fleischtheke ist das. Dort arbeiten natürlich auch nicht irgendwelche Leute, da arbeiten Experten, die sich bestens auskennen. Die können zu jedem Stück Fleisch eine Geschichte erzählen, die wissen auch alles zu den sinnvollen Zubereitungsarten, zur Lagerung und überhaupt, die wissen, welches Rind wo und was gegrast hat, die wissen womöglich alles, was man überhaupt über Fleisch wissen kann.

Vor mir steht ein Paar, ungefähr Renteneintrittsalter. Beide sind für die Kundigen nach einem Dresscode gekleidet, der nach Herrenausstatter und Boutique aussieht, nach Jaguar, Landhaus, Golf und dergleichen, unbedingt aber auch nach wir haben nicht erst seit ein paar Jahren Geld. Und die beiden haben Fragen. Sie fragen nach dem Fleisch, nach dem teuren Fleisch und auch nach dem allerteuersten. Sie lassen sich die Geschichten ausführlich erzählen, einen Tick zu ausführlich vielleicht, wenn man bedenkt, dass hinter ihnen noch zehn Leute stehen, aber gut, sie sind ja dran. Und das will eben sorgfältig gewählt sein, dieses Fleisch, das ist ja nicht wie beim Discounter mit den abgepackten Billigfleischbrocken, die man so im Vorbeigehen wahllos mitnimmt. Es ergibt sich ein freundlicher Austausch mit der Fleischereifachverkäuferin, man unterhält sich in verbindlichstem Tonfall. Auf der Waage liegen schließlich zwei gar nicht so dicke Scheiben Fleisch, beim Preis werden 58 Euro und ein paar Cents angezeigt. Gerade will die Frau, es wird wohl die Ehefrau sein, doch noch einmal etwas fragen, gerade will die Fleischereifachverkäuferin noch ein letztes Mal etwas erklären, da hat er auf einmal genug davon, das Thema ist jetzt durch, man kann ja auch nicht den ganzen Tag einkaufen. Und er redet mit einer fürchterlichen Routine nur einen knappen Satz lang auf einmal etwas lauter als die beiden Damen, gerade nur so laut, dass die sofort merken, was Sache ist: “Wir haben das dann jetzt entschieden”, sagt er. Und sie verstummen beide sofort, nicken und sagen “Gut”, weil es auch gar keinen Zweifel daran geben kann, dass das jetzt tatsächlich entschieden ist.

Das ist so ein Typ. vor dem haben Kinder noch keine Angst. Das kommt erst viel später.

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Fast

Auf Twitter oder wo ging ein Scherz um, danach ergibt die Kombination “Johann Ludwig” + “dein liebstes Gartenwerkzeug” schöne Namen für Barockkomponisten, weswegen die Herzdame und ich jetzt für Johann Ludwig Vertikutierer und auch für Johann Ludwig Spaten schwärmen, es sind in der Tat großartige Namen, man möchte direkt ihre Orgelkonzerte hören.

Ansonsten habe ich diverse Blumen und Klettererdbeeren gepflanzt, den Rhabarber mit Kompost beschenkt und Dill und Radieschen gesät. Ich habe gestern ein paar Minuten sinnend vor dem Pfirsichbaum gestanden und bewundert, wie er die Spannung hält, seit Tagen öffnen sich seine Blüten nicht, es sieht aber die ganze Zeit überzeugend so aus, als sei es nur noch eine Frage von Stunden, wenn nicht sogar nur von Minuten, man könnte es auch kurz abwarten – aber es passiert einfach nichts. Wochenlang kann der wohl so stehen und alles ist ein drängendes, knappes, packendes Fast. Ein großartiger Baum, Krimis nichts dagegen.

Die Purpurmagnolie auf der anderen Laubenseite hat endlich eine einzige ihrer vielen Knospe einen winzigen Spalt geöffnet, man sieht, was da kommt, eine Farbe wie ausgedacht, wie der Trend der Saison im Stoffgeschäft.

Alle drei Stachelbeeren sind schon voll ergrünt und stehen da, als sei das ganz normal, während der Rest der Sträucher und Bäume ringsum noch mühsam und eher zögerlich am grünen Schimmer herumlaboriert. Stachelbeeren werden auch unterschätzt, es sind ungeheuer charakterstarke Pflanzen.

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Wir waren bei den Floating Bricks, der großen Lego-Ausstellung mit den manchmal etwas wahnwitzigen Modellen. Die Ausstellung findet in diesem Jahr im St.-Pauli-Stadion statt und ist auch morgen noch geöffnet, ich empfehle besonders die Muppets und den Buckingham Palace.

(Foto: Sohn I)

 

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(Foto: Herzdame)

 

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Ich gehe heute Abend mit Sohn I ins Theater und merke gerade, dass die Zeit für nichts reicht, wenn man am Abend nicht da ist. Wie machen das denn andere bloß dauernd? Unbegreiflich.

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Der Musiktipp heute wieder von Sohn I, er hat ein paar Stücke auf Vorrat geliefert. Fischgang:

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Haltlos königsblau eingesaut

Die Kaltmamsell zitiert eine schöne Blogdefinition von Goncourt, die muss ich auch wiedergeben: “Das Bloggen gleicht inzwischen dem Schreiben auf einer alten Triumph Adler. Hemmungslose Lektorats- und Redaktionsfreiheit. Deadlinefreiheit. Leserfreiheit. Kein anderes Medium derart in der Lage, das Durcheinander, die Skizze, die Beobachtung und den Gedanken, die haltlose Assoziation und den hinfälligen Zusammenhang in ähnlicher Diskretion, ähnlicher Verantwortungslosigkeit, ähnlicher Willkür aneinanderzureihen. Das Fotografieren, genauso Augenblicksprotokoll wie Projektionsfläche für alles mögliche, das Notat, je kürzer desto interpretierbarer, der Name Goncourt, irgendwann im Fluge aufgeschnappt, dann mit Wörtern, Gesten, Blicken gefüllt, dann wieder entleert.

Passend zur Triumph-Adler-Assoziation habe ich hier gestern beim Aufräumen einen alten, sehr feinen Kolbenfüller und ein Tintenfass gefunden und mir damit ganz herrlich die Finger königsblau eingesaut. Auch mal wieder schön.

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Ich bin nach der Arbeit kurz im Garten gewesen und habe Zuckererbsen, dicke Bohnen, rote Melde und Mangold gesät und Zwiebeln gesteckt. Gleich fühlt sich der Tag konstruktiv genutzt an.

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Die plötzlich kurzhaarigen Söhne haben ein ebenso plötzliches Interesse an Haarstylingprodukten. Beim morgendlichen Zähneputzen sehe ich im Badezimmer ein neues und selbstverständlich extrastarkes Gel vor mir stehen, “Radikaler Halt” steht da drauf. Radikaler Halt! Ich gucke entgeistert. In wie vielen dunklen Stunden des Lebens hat man den gesucht, in wie vielen schlaflosen Nächten hätte man Gott weiß was dafür gegeben, den einmal, wenigstens einmal zu fühlen, bevor man sich dann mühsam doch wieder selbst den üblichen und leider nur minimalen Halt gebastelt hat, fintenreich wie ein MacGyver für Arme und Psychos, mit einem Bindfaden und alter Hoffnung und etwas Alkohol oder Liebe oder was immer da gerade in Reichweite herumlag. Radikaler Halt, ja verdammt, das wäre es doch gewesen, das hat immer gefehlt. Und dabei kann man einfach in den nächsten Drogeriemarkt gehen, da gibt den in Tuben und er kostet nicht einmal viel. Herrje.

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Musik! Natürlich was mit Halt.

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Golipdi!

Auf der bereits gestern erwähnten internationalen Einkaufsmeile im kleinen Bahnhofsviertel stehen auch internationale Seelenfänger. Anhänger einer christlichen Sekte stehen da in Dreiergrüppchen, alle hundert Meter noch eines und noch eines. Die Grüppchen sind multikulturell besetzt und die Damen und Herren versuchen, die Herkunft der Passanten zu erraten, rufen ihnen ihre Botschaft dann in den womöglich passenden Sprachen zu und halten ihnen auch dazu passende Heftchen hin, die sie in etliche Versionen dabei haben. Natürlich interessiert sich niemand für diese Grüppchen mit Missionsauftrag, da kann man noch so lange zusehen, es bleibt niemand stehen, es nimmt keiner ein Heft. Es zieht ein unendlicher Menschenstrom achtlos an den Leuten mit den Heftchen in den Händen vorbei. Aber immer lächeln diese Typen weiter, verbindlich, stetig und vielleicht auch märtyrerhaft, zumindest in der eigenen Wahrnehmung, aber wer würde ihnen das schon bestätigen wollen.

Ich sehe ziemlich deutsch aus, nehme ich an, jedenfalls hält man mir das passende Heftchen hin und ruft mir in gebrochenem Deutsch zu, was sie wohl in allen Sprachen rufen: “Golipdi!” Mehrfach und dreistimmig ruft man das. Erst zehn Schritte weiter enträtsele ich mir das als “Gott liebt dich”, ich bin leider auch nicht immer der Schnellste.

“Gott liebt dich!” Natürlich. Ich habe ja meistens eher Göttinnen geliebt und das auf eine denkbar weltliche Art. Aber vielleicht macht das nichts, wer weiß.

Kurz darauf stehe ich auf dem Schulhof des Gymnasiums und höre einen Dialog im Vorübergehen:

“Weißt du, ich liebe dich.”

“Das ist auf Freundschaftslevel auch voll okay.”

Zweimal Liebe an einem Tag, wie einseitig auch immer, Sie merken es schon, wir sind wieder bei den Frühlingszeichen und ich liebe übrigens gerade den Wetterbericht.

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Der Musiktipp kommt heute von Sohn I und ist eher ein Tanztipp, eine Choreo, wie er sagt. Bitte sehr, Sie können die paar Schritte ja auch mal eben einüben. Hält geschmeidig!

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Kasse, Kiosk, Kalt

Wuthering Heights ist zu verkaufen.

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Hatte ich das hier eventuell noch gar nicht verlinkt? Nein? Das muss aber verlinkt werden.

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Im Supermarkt kommt ein älterer Herr schnellen Schrittes an die Kasse, umgeht die Schlange und beugt sich übers Laufband zur Kassiererin: “Haben Sie denn wirklich keine Rosinenbrötchen?” Das ist eigentlich keine besonders schlimme Frage, aber er fragt es in einem unangemessen tragischen Tonfall, es muss doch irgendwie schlimm sein. Seine Frage klingt nach einem anderen Sinn des Satzes, etwa nach: “Gibt es denn wirklich keine Hoffnung mehr in der Welt?” So in der Art. Die Frage klingt nach Trostlosigkeit, dabei geht es nur um süßes Gebäck. Fortgeschritten traurig wirkt der Mann, zumal er feuchte Augen hat, was natürlich nicht zwingend mit seiner Frage zusammenhängen muss. Es weht immerhin ein ziemlich scharfer Wind von Nord da draußen, da können Augen schon einmal tränen, gerade bei älteren Herrschaften, das kennt man. Außer Atem ist er allerdings auch ein wenig. Vielleicht ist er mittlerweile bereits im dritten oder vierten Laden ohne Rosinenbrötchen, das kann doch sein, da steigt die Dringlichkeit, da versteht man ihn gleich etwas besser. Vielleicht brechen dem gerade wichtige Selbstverständlichkeiten weg, wer kennt es nicht.

Die Kassiererin sagt: “Nein, die haben wir hier nicht, das tut mir leid”, und sie guckt ziemlich nett und mitfühlend und lächelt. “Gar nicht?”, fragt der Mann, und “Gar nicht” antwortet die Kassiererin. Der Mann guckt, als könne das einfach nicht wahr sein, was er da hören muss, dann geht er grußlos und schnell weiter, vermutlich zum nächsten Laden. Er hat Kleingeld in der Hand und trägt es vor sich her. Die anderen Leute in der Kassenschlange sehen ihm nach. Was war denn das jetzt wieder für einer? Und jeder denkt sich so seinen Teil und zwei, drei Leute haben sicher plötzlich Hunger auf Rosinenbrötchen. Aber nach denen müssen sie in diesem Markt ja nicht fragen, das wissen sie jetzt. Denn die Nachfrage steigt zwar gerade, aber der Markt regelt hier so gar nichts.

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Ansonsten ein Tag mit grob unfreundlichem Wetter, es drischt auf die Menschen ein als wolle es uns alle zwangsweise und schnell an kalte Duschen gewöhnen, die sollen ja gesund sein und hier, noch ein Guss? Kommt sofort.

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Ich kaufe in einem Kiosk etwas für 1,30 Euro und zahle mit einem Fünf-Euro-Schein. Der junge Mann, der da gerade aushilfsweise verkauft, guckt den Schein an und überlegt etwas, dann fragt er mich freundlich, ob ich ihm vielleicht helfen könne, das jetzt mal auszurechnen? Das mit dem Rückgeld?

Und das ist auch wieder irgendwie tröstlich, dass es noch Menschen gibt, die in ihrem Aufgabenbereich eindeutig weniger kompetent sind, als man sich selbst in seinem manchmal empfindet.

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Musik! Josienne Clark und Ben Walker.

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Was schön war

Irgendwann in der letzten Woche: Ich gehe auf dem Steindamm einkaufen, also auf der internationalen, aber ganz und gar nicht reiseführertauglichen Einkaufsstraße des Stadtteils. Vor einem der arabisch-afghanisch-syrisch-libanesisch-türkischen Geschäfte fegt einer den Fußweg und grinst. Ich bleibe neben ihm stehen, weil ich da auf ein Ampelgrün warte, er sieht mich strahlend an: “Hi!”, sagt er mit starkem Akzent, “ich fege hier.”

Und er sagt es so, als sei das mit großem Abstand das Beste, was man so machen kann. Es ist ein stolzer Tonfall wie bei „Mein, Haus, mein Auto, mein Boot“, es klingt nur viel vergnügter. Er steht und lächelt, er ist sehr zufrieden mit sich und seinem Besen, mit dem Job und dem Tag, der so grau und nasskalt und grob unfreundlich ist, wie es ein Märztag nur sein kann. Er guckt, was er schon gefegt hat, er guckt, was er gleich noch fegen wird, dann nickt er mir zu und sagt noch einmal: “Ich fege hier.” Auf der Straße weht ein Stück Papier herum, das weht zwar nicht durch seinen Aufgabenbereich, das fängt er aber in einer Lücke zwischen den Autos nebenbei schnell auf, wenn er schon dabei ist. Und er guckt die Straße entlang, als würde er hier am liebsten alles fegen: “Muss weg”, sagt er mit Blick auf das Stück Papier in seiner Hand, “muss alles weg.”

Als Jugendlicher hätte ich darüber vermutlich gelacht. Fegt der da und ist froh dabei! Als Jugendlicher macht man eben manchmal noch schlimme Denkfehler. Heute weiß ich längst: Mit sich und allem zufrieden zu sein, und sei es nur für eine halbe Stunde, das ist schon verdammt viel.

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Denn der König winkt nicht jedem

Ich habe drüben bei der GLS Bank etwas über das Anthropozän zusammengestellt. Wenn Sie danach immer noch zu viel gute Laune an Bord haben, lesen Sie einfach diese Buchrezension, das regelt sich dann runter. Bitte, gerne.

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Ich lese weiterhin Bücher von Frauen, gerade habe ich Mariana Lekys “Die Herrenausstatterin” beeendet. Während das Buch den gleichen Charme hat wie ihre anderen Bücher, bin ich aufgrund meiner Geschmacksvorlieben diesmal etwas raus, Geister in Büchern sind nicht so meins, auch wenn sie noch so sympathisch wirken. Ich habe den Roman dennoch durchgelesen, das ist jetzt ein erhebliches Kompliment.

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Ich habe letztens im Vorbeigehen in der Hamburger Innenstadt gesehen, wie der stadtbekannte Jesusbrüller gerade in die Fußgängerzone einbog, fraglos um dort stundenlang in erheblicher Lautstärke geifernd zu predigen, also wie immer. Er kam mir ganz am Anfang der Fußgängerzone entgegen und sah sich gerade um, er sah ins Gewimmel der einkaufenden Menschenmassen vor ihm und murmelte mit leuchtenden Augen und voller Tatendrang: “Ah, Satan ist busy.”

Und vermutlich glaubt er tatsächlich, dass er dem mit seinen Predigten eifrig und stetig entgegenwirkt. Auch so ein Schicksal.

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Einer der letzten Tage begann so, dass ich mit dem obligatorischen Kaffeebecher in der Hand aus dem Dachfenster runter auf die verregnete Straße sah. Von da winkte mir jemand zu, das war ungewöhnlich, da sah ich genauer hin. “Hey! Ho!”, rief der mir nicht bekannt vorkommende Mensch da unten, “Guten Morgen!” Und er winkte ausladend ganzarmig und strahlte so begeistert, dass ich trotz aller norddeutscher Zurückhaltung kurz mal zurück winkte. Das ist ja auch mal ganz schön, wenn man morgens vom Volk auf der Straße so euphorisch begrüßt wird wie ein geliebter König im Märchen, der an einem besonderen Tag im vollen Ornat auf den Balkon tritt, das geht mir auch nicht gerade jeden Tag so. Ich winkte also  zurück und hob grüßend den Becher, der Mensch da unten geriet daraufhin völlig aus dem Häuschen vor Freude. Denn der König winkt nicht jedem, das weiß man.

Aber egal, der Rest des Tages war dann weniger märchenhaft. Deutlich weniger. Ich hatte bei der Begegnung am Morgen allerdings auch keine Brille auf und habe noch eine Weile überlegt, ob nicht doch irgendwelche Bekannte aus dem Stadtteil am frühen Morgen in so ekstatischer Stimmung da um die Ecke kommen könnten. Aber ich glaube, das kann ich ausschließen. Ich kenne nur normale Menschen.

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Ansonsten haben wir kinderfrei, bitte entschuldigen Sie daher die Kürze, ich muss mit enormer Dringlichkeit nichts tun.

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Aber doch noch schnell Musik! Zu Frühlingstagen dieser Woche, die sich so seltsam überzeugend herbstlich anfühlen, gibt es natürlich auch ein textlich passendes Lied. Die Wasser des Märzens. Hier in einem wunderbaren und sehr vergnügten Duett.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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