Tulpen und Toy Dolls

Im Hauptbahnhof ist es auch am Sonntagvormittag quirlig und rappelvoll, laut und etwas hektisch. Polizisten in voller Riot-Ausrüstung laufen Patrouille, warum auch immer, das kommt hier öfter vor. Vor dem Blumenstand steht ein junger Mann und besieht sich lange die Tulpen, die da in großen Eimern vorm Geschäft stehen, die bunten, gelben, rosafarbenen und roten Tulpen, die von unten zu den Passanten heraufleuchten. Er steht und guckt, mehr passiert gar nicht, er macht nichts, er kauft nichts, er ist einfach nur ein nachdenklicher junger Mann vor Frühlingsblumen. aber ich sehe im Vorbeigehen gerade noch, was auf seinem T-Shirt steht: “Existence is pain.” Aber mit ein paar Tulpen geht es dann ja vielleicht kurz mal.

***

Wir haben die Söhne für ein Feriencamp angemeldet, nur für ein paar wenige Tage in den Frühjahrsferien, sie haben so riesengroße Lust darauf. Und ich? Kann ich in der Zeit vielleicht zu einem Gemüsegärtnercamp, dort ganz viel lernen und dennoch Spaß haben, mit kompetenter Betreuung, Verpflegung, Abschlussparty und tollen neuen Freunden? Nichts da. Ich mache mir dann wohl mein eigenes Camp. Camp Buddenbohm. Das mal auf ein Hemd drucken!

***

Am Vormittag Mathe mit einem Kind geübt, das nach jeder gelungenen Aufgabe den Dab gemacht hat, wirklich konsequent nach jeder. Ich fand es erst ein wenig nervtötend, aber nach einer Weile leuchtete es mir doch ein, Mathe macht einfach viel mehr Spaß, wenn man die Erfolgserlebnisse so deutlich betont, das Lernen wird lebendiger und die Erfolge spürbarer. Vermutlich ist es also richtig, das alles emotionaler anzugehen, vermutlich machen wir das im Großraumbüro alle falsch, die korrekten Ergebnisse in den Exceltabellen einfach stoisch und so elend erwachsen hinzunehmen. Was sagt der Innere Zehnjährige dazu? Mehr Moves bei Mathe! Wobei der Dab die Kolleginnen dann doch irritieren könnte, glaube ich, vielleicht fange ich lieber mit einem dezenten Victory-Zeichen an. Und am besten gleich nach dem Hochfahren des Computers, man weiß ja nie, ob man danach im Laufe des Tages noch einmal Gelegenheit dazu hat.

***

Schließlich haben sich mehrere Leserinnen beschwert, denn der Tom-Waits-Clip gestern hatte wohl depressiv stimmende Nebenwirkungen und hat den Abend bei manchen etwas runtergezogen. Was kann ich heute als Heilmittel anbieten? Einen Partykracher aus meiner, haha, unbeschwerten Jugend. Man kriegt gleich wieder Lust auf Dosenbier, kriegt man nicht? 1984! Da sah ich dem Sänger figürlich noch ähnlich.

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Ich kenne mich aus

Der Garten hat eine seltsame Folge für die Herzdame, denn immer, wenn sie jetzt am Sonnabend die spontane und bekanntlich einigermaßen schräge Idee hat, mal wieder zu Ikea zu fahren, ergreife ich nicht mehr die Flucht, nein, ich sage sofort und begeistert zu. Denn neben Ikea ist ein Baumarkt, und im Baumarkt ist eine Gartenabteilung, da kann ich dann ja mal gucken.

Wir haben als Ergebnis jetzt ein sehr volles Auto, die neuen Kleinmöbel sind davon nur ein geringer Teil. Wobei wir übrigens getrennt einkaufen gehen, sie in dem einen Laden, ich in dem anderen, und zwar aus Prinzip. Da die Herzdame schon damals, kurz nach Beginn unserer Beziehung, die Hoffnung aufgegeben hat, in mir einen erfreulichen Shopping-Partner gefunden zu haben, weigert sie sich jetzt kategorisch, mich in irgendwelche Läden zu begleiten, an denen ich plötzlich Interesse habe. Logisch. Man trifft sich nach einer Weile am Kofferraum wieder, das läuft sehr gut. Ich erzähle von meinen Einkäufen, sie von den ihren, wir tun beide so, als würden wir zuhören, man ist ja so weit zivilisiert. “Erfolgreiche Beziehungen für sehr sture Menschen”, vielleicht sollte ich doch mal einen Ratgeber schreiben, ich kenne mich aus.

Warum aber will die Herzdame überhaupt zu Ikea? Das gehört mit in den phänologischen Kalender, denn wenn der Winter allmählich weicht, dann will sie die Wohnung verändern, das ist immer so. Sie steht irgendwann morgens mit dem Kaffeebecher in der Hand murmelnd vor einer Wand, dann weiß ich schon Bescheid, es geht wieder um Farben. Sie steht kurz darauf mit schiefgelegtem Kopf vor Möbelstücken, da nehme ich schon innerlich Abschied vom Schrank. Man hat so seine Routinen, wenn man länger zusammen ist. Ich habe natürlich dezent darauf hingewiesen, dass wir auch ein kleines Laubenprojekt laufen haben und sie sich bitte nicht übernehmen soll, sie hat auf Übersprungshandlungen verwiesen, denn mit der Laube und dem Garten geht es ja einfach nicht weiter. Wie sollte ich da widersprechen. Der eine bestellt abends Saatgut und liest stundenlang sämtliche auffindbaren Gartenblogs, die andere malt Wände neu an und tauscht den Duschvorhang aus, es ist alles aus der Not geboren, alles nur, um den elenden Januar irgendwie herumzubringen. Womit wenig gewonnen ist, weil da noch ein ähnlich schwieriger Monat hinterherkommt. Februar, wenn man das schon hört!

Egal. Das regelt sich alles von selbst.

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Psychotricks und Probebohrungen

Am Straßenrand lag am Morgen wieder ein Buch: “Der Marshallplan und die europäische Linke”, das Exemplar war schon leicht angeregnet und im frühen Stadium der Auflösung. Inhaltlich sicher schwere Kost, wie ein bekannter Boxer sagen würde, und man kann wohl bezweifeln, dass dieses Werk noch von jemandem gerettet und begeistert gelesen werden wird. Beim Wort Marshall-Plan aber gleich wieder dieses entsetzliche Panikgefühl aus der mündlichen Abi-Prüfung Geschichte im Körper, sehr unangenehm. Nach all den Jahren! Das Abitur als Trauma betrachtet.

***

Zwischendurch ein Link, nämlich ein Interview über Demographie und Religion. Ich vermeide ja das schreckliche Wort Lesebefehl, aber interessant ist das schon. 

***

Gestern kurz im Garten gewesen, dort sind weiterhin keine Frühblüher zu sehen, nur an einer einzigen Stelle, an der wir allerdings ganz sicher nichts gepflanzt haben, da zeigt sich was. Spontan beschlossen, dort sehr wohl etliche Blumenzwiebeln gepflanzt zu haben. Psychotricks kann ich!

Der Abriss der Laube ist immer noch nicht weiter gediehen, nur ein paar Gehwegplatten davor wurden entfernt, das hilft so alles nicht weiter, das hätte ich auch selbst gekonnt. Der Bagger steht weiterhin dekorativ auf dem Rasen herum, wenn es noch ein paar Wochen so weitergeht, wird er einfach mit irgendwas bepflanzt. Die Verstromung der Parzelle schreitet währenddessen planmäßig voran, wir haben da in Kürze eine Steckdose mitten in der Landschaft. Ab Februar ist das also ein leerer Garten mit brachliegender Erde, ohne Laube, aber mit Steckdose. Man steht im grünen Nichts, kann dabei aber sein Handy laden, das ist so schlecht nicht. Immer schön auf das Positive achten.

Außerdem habe ich mir, famous first times, eine Bohrmaschine gekauft, um demnächst mal Hochbeete zu basteln. Die Herzdame guckt seitdem sehr besorgt, wenn ich mich dem Karton auch nur nähere. Sohn II wiederum kann nicht glauben, dass ich sie tatsächlich für mich gekauft habe, nicht als Geschenk für ihn, was doch viel logischer wäre, sagt er. Überlege noch, an welchem Möbel ich hier mal heimlich probebohre.

***

Eine neue Rezension zum Buch “Die Geschichte des Gartens in fünfzig Werkzeugen”, das hatte ich hier auch schon einmal empfohlen. Auch gut für Vokabelfetischisten geeignet! Großartige Begriffe darin.

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Vorfrühling

Auf dem Weg zur Arbeit liegen wieder Bücher am Straßenrand, Dürrenmatt, Kafka und irgendwas über Microsoft Projects, dazu ein rückenschiefes Englisch-Deutsch-Lexikon. Die Taschenbuchausgabe von “Der Richter und sein Henker” ist genau die, die ich auch damals in der Schule lesen musste, da hat vielleicht jemand aus meiner Generation dann doch noch seine Schulbücher entsorgt.

Mir kommen morgens die ersten Menschen im T-Shirt entgegen, Frühlingserwachen. Ich habe gestern bereits das Ende der S-Bahn-Saison beschlossen und gehe jetzt wieder zu Fuß zur Arbeit und zurück, quer durch St. Georg und Hammerbrook, ein Weg bar jeder Schönheit und durch städtische Stiefgegenden, ungeliebt, vernachlässigt und verbaut, Einfallstraßen, Ausfallstraßen, aber hey, es geht um meine Bewegung. Neben, vor und hinter mir gehen zahllose Menschen zur Arbeit, wirklich erstaunlich viele, und sie gehen aufrechter als sonst, weil sie sich nicht mehr unter der Kälte wegkrümmen müssen, weil es gerade einmal ein paar Stunden nicht regnet und weil es auch fast schon hell ist, nehme ich an. Manche sehen geradezu gutgelaunt aus, als gäbe es in Hammerbrook Lustbarkeiten und Kurzweil, nicht nur die grauen Verwaltungszentralen großer Konzerne und acht oder mehr Stunden Bürozeit.

An der großen Kreuzung zwischen den beiden Stadtteilen nageln die Autos vielspurig an den Ampeln vorbei, über die Köpfe der dort gerade wartenden Passantenschar rauscht die aufgeständerte S-Bahn weg, es ist laut und dreckig und betonöde, aber es ist doch irgendetwas in der Luft, es ist nicht zu überfühlen, irgendwas, das die Stimmung hebt.

Und drüben auf dem brachliegenden und martialisch eingezäunten Gelände des ehemaligen Autohändlers, wo neulich noch die Obdachlosen aus Osteuropa im jetzt abgeräumten Sperrmüll übernachtet haben, da wächst ein arm Kräutchen hellgrün aus dem steinigen Boden. Ganz klein noch.

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Mit Grüßen, mit Beil, mit Messpunkt

Vorweg schon wieder vielen Dank, diesmal an die Leserin Lihabiboun, die uns Gartenhandschuhe geschickt hat. Grandios!

***

Neuerdings bekomme ich Post und Mails mit seltsamen Grüßen drunter, die bekam ich sonst nicht so. Da steht z.B. “… mit Schrebergrüßen”. Oder “… mit grünen Grüßen.” Das ist doch seltsam, dieses ausgeprägte Bedürfnis, seine Vereinshaftigkeit, seine Zugehörigkeit zu irgendwas oder sogar seine Haltung in die Grußformel zu packen, das macht man doch sonst nicht? Ich schreibe im Büro jedenfalls nicht “… mit Controllergrüßen” unter meine Mails, das würde auch eher seltsam wirken. Oder ob ich meine Texte einfach mal “mit kolumnistischen Grüßen” an die Zeitung sende? Was für eine Vorstellung.

Außerdem bleibt die Frage, warum diese Spezialgrüße bei einigen Vereinen/Gruppen auftauchen, bei anderen aber kategorisch nicht. In der Lindy-Hop-Szene etwa bekommt man keine Nachrichten “mit swingenden Grüßen” drunter, auch keine Tänzergrüße oder so etwas. Wie und warum also kommen Gruppen zum eigenen Gruß? Da mal drüber nachdenken!

Mit Bloggergrüßen …

***

In unserer Kleingartenanlage gibt es jetzt einen Luftmesspunkt, den man online checken kann, das sieht dann so aus, es geht um den Punkt oben rechts auf der Insel in der Bille. Sehr schick und am Puls der Zeit und so. Und gute Luft ist da! Zumindest jetzt gerade. Wenn man in die Mitte vom Stadtteil Rothenburgsort klickt, dann sieht das schon ganz anders aus, eher betrüblich.

***

Heute interessante Gespräche über Beile geführt, warum auch nicht. Es wurde mir ein handgeschmiedetes Beil empfohlen, mir werden, seit wir den Garten haben, überhaupt ziemlich faszinierende Dinge empfohlen. Ich habe dann natürlich kurz recherchiert, was man darüber finden kann. Es handelt sich beim empfohlenen Produkt um ein “Sportsbeil”, das stand da wirklich so, auf der Seite eines Händlers. Und gehst Du zum Sport, vergiss das Beil nicht! Dann musste ich lange lachen über diesen trockenen Satz in einer Kundenrezension: “Ich benutze das Beil als Zweitaxt.” Ganz großes Kino. Vielleicht hat man wesentlich mehr Spaß in der Freizeit, wenn dabei eine Zweitaxt erforderlich wird? Da kann doch irgendwas mit Zweitbildschirm unmöglich mithalten! Was mich übrigens wieder daran erinnert, dass ich noch die Geschichte weiterschreiben muss, in der ich mit drei riesigen Astscheren, von denen sich eine nicht schließen ließ, in die S-Bahn stieg und alle mir sehr schnell sehr viel Platz gemacht haben, aber das ist ein anderes Thema, das gehört hier gar nicht hin. Funkdisziplin! Ein weiterer Kunde schreibt jedenfalls auf der Rezensionsseite: “Ich nehme es als Outdoor-Beil.” Was natürlich sofort zur Frage führt, was er denn im Indoorbereich nimmt und wozu, da kann man dann auch eine Weile drüber nachdenken, es ist doch immer wieder herrlich, auf welche Abwege man im Internet gerät.

***

Den besten Vers mit einem Beil darin hat übrigens Bodo Wartke geschrieben, falls sie den Song versehentlich nicht kennen: “Ja, Schatz.” Man beachte auch den Wahnsinnslichteffekt gegen Ende des Liedes, wirklich beeindruckend.

 

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Krank, Dank, Grün

Heute bleibt die Herzdame mit dem kranken Kind im Home-Office, ich gehe ins Büro, komm, wir spielen Vereinbarkeit. Wobei wir noch sensationelles Glück haben, denn wir können beide fast jederzeit Home-Office machen, Arbeitszeiten verschieben, regulären Urlaub nehmen, unbezahlten Urlaub nehmen, was auch immer. Da durchschreiten andere viel tiefere Jammertäler.

***

Zwischendurch herzlichen Dank! Und zwar an völlig unbekannt, jemand hat mir nämlich den Kosmos-Gartenkalender geschickt, es lag aber kein Zettel bei.

***

***

Ich war gestern noch bei der Vorstellung der drei Kandidatinnen für den Bundesvorsitz der Grünen und wüsste jetzt dennoch nicht, welche oder welchen davon ich wählen würde, wäre ich denn Delegierter beim Parteitag. Da hat sich niemand disqualifiziert und qualifiziert wirkten sie alle. Robert Habeck wurde mit “Robert fällt aus dem Rahmen, er ist ein Mann” vorgestellt, das fand ich amüsant. Und in den Hamburger Medien findet eine seltsame Umkehr statt, da wird nämlich in gewissen konservativen Blättern nur bei Habeck erwähnt, wie er angezogen war und auf sein gutes Aussehen angespielt. Während die Frauen einfach da waren und irgendwas anhatten, who cares. Da kann man mal sehen, wie das andersherum funktioniert, auch interessant.

***

Der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sagte zwischendurch einen Satz, den ich bemerkenswert fand, dass nämlich immer, wenn Parteien etwas digital machen, sich eher die Älteren daran beteiligen, nicht die Jüngeren. Etwa bei parteiinternen Umfragen. Er sagte Parteien in der Mehrzahl, vermutlich meinte er nur die eigene, das kann schon sein, aber der Satz ist dennoch erstaunlich genug und der Inhalt ein Fall von Ironie der Geschichte, wenn es denn so stimmt. Als das Digitale in der Politik endlich selbstverständlich wurde, da fanden es also nur noch Senioren wie ich interessant? Das darf man doch ein wenig witzig finden, darf man nicht?

***

Aus der Reihe “Kein Tag ohne Demütigung”: Das kranke Kind hört über meinen Account Musik und ich werde von Freunden bei Spotify auf meinen seltsamen Geschmack hingewiesen. Schlimm. Immerhin aber diente mir die Musikwahl des Sohnes als Beleg einer spontan eingetretenen Heilung. Auch gut, manchmal muss man kein Arzt sein.

Scvreenshot Spotify: Zwiebel auf dem Kopf

***

Zwei Links noch, einmal über die Huder-Bloggerei und Patricia geht baden. Das mit dem Baden kommt mir alles sehr bekannt vor, besonders das mit den fünf Minuten.

***

Wetterbericht: Kleine Wasser ändern die Betonung. Ja, zweimal im Jahr darf man Rilke zitieren, das ist so. Alte Regel.

***

Am Nachmittag dann noch mit einem Sohn Mathe gemacht: “Der LKW transportiert Zuckerrüben zur Zuckerfabrik. Um das Gewicht seiner Ladung festzustellen, wird der LKW zweimal gewogen.” Nämlich mit und ohne Ladung. Na, das kriegt man ja noch hin. Ich bin gespannt, wann ich endgültig abgehängt werde, vermutlich ereilt es einen in Klasse 7. Oder vorher?

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

 

 

Ein wenig Taube …

Kurz ins Büro gefahren, nach nur einer Stunde außerplanmäßige Tagesablaufänderung: Ich bin wieder mit einem darbenden Bauchwehkind im Home-Office, man gewöhnt sich an alles. Vor dem Wohnzimmerfenster grauer Schneeregen aus farblosem Himmel, ich begucke mir verstimmt das endlose Januarelend. Auf dem Balkongeländer hockt eine Ringeltaube, die noch viel verstimmter ist als ich, denn sie ist nass und der Schnee fliegt ihr um den Kopf, ihr ist kalt und der Wind verdreht ihr so dermaßen die Federn, Bad-Hair-Day nichts dagegen. Alle paar Minuten kommen Kohl- und Blaumeisen vorbei, immer abwechselnd, und führen der voluminösen Taube wieder und wieder vor, dass Meisen in das Vogelhäuschen reinpassen, also im Gegensatz zu manchen größeren Vögeln. Es folgen freche Seitenblicke und demonstratives Gehüpfe, rein raus, rein raus, natürlich immer Futter im Schnabel dabei, wer hat, der hat. Die Taube sitzt da lange reglos aufgeplustert mit herausgedrückter Brust, ignoriert das verdammte Meisenpack komplett und guckt mich unverwandt an, wie ich da am Computer sitze und tippe, und sie guckt mit einem vernichtenden Blick: “Du sitzt wenigstens drinnen!” Und da hat sie auch wieder Recht, die Taube. Gleich Sonnenblumenkerne in den Blumenkasten gestreut, da kommt sie auch dran.

***

Ich war im Theater und da wurde u.a. Christian Lindner parodiert, was mir wenig sagte, da ich den Herrn nicht kenne. Also als Nachrichteninhalt kenne ich ihn schon, eh klar, aber ich habe kein Bild von der Art wie er spricht oder sich bewegt, ich wüsste auch nicht, ob er irgendeinem Dialekt nahesteht oder wie groß er ist, ob er vielleicht einen Bewegungstick hat, ob er am Ende auch mal sympathisch aussehen kann und dergleichen. Ich sehe einfach viel zu wenig fern, fiel mir dabei auf, und am Ende kommt es dabei doch zu Bildungslücken. Vielleicht wäre es besser, wenigstens ein paar Bilder am Tag anzusehen? Deswegen gibt es hier jetzt ab sofort nach jahrzehntelanger Pause abends wieder die Tagesschau, die ist sowieso praktisch, denn die ist kurz und sie läuft zum richtigen Zeitpunkt, danach können die Herren Söhne dann bitte ins Bett, das hat sich in meiner Kindheit auch schon bewährt. Damals, als wir Kinder bei der bloßen Erwähnung von Bonn im Fernsehen todmüde wurden, und so begannen die Nachrichten damals immer: “Bonn.” Ein Wort, ein Satz.

In der Tagesschau sahen die Söhne dann erstmalig Frau Nahles, die sie sehr befremdlich fanden, dieses pathetisch eifernde Sprechen kommt bei Kindern wohl nicht so gut an. Bei mir allerdings auch nicht. Ansonsten fragten sie, ob der GroKo-Beschluss nun gut oder schlecht sei, die Frage wurde von mir wahrheitsgemäß und umfassend mit “Es ist kompliziert” beantwortet.

Die Presseschau heute früh hat diese spontane Zusammenfassung von mir dann weitgehend bestätigt, da habe ich mich gefreut.

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

 

Marotten und Möbelbretter

Nebel in Hamburg, dazu ist es saukalt. Aber immerhin ganz hübsch.

***

Ich werde den ganzen Vormittag das Gefühl nicht los, irgendwas vergessen zu haben. Nicht im Sinne einer Kleinigkeit, eher im Sinne von Kunde vergessen, Kolumne nicht abgeschickt, wichtiges Date komplett ignoriert, so etwas. Mir fällt aber nichts ein, auch nach zwei vergrübelten Stunden nicht, also suche ich Trost in Übersprungshandlungen, was man eben so macht, man kümmert sich um Zeugs.

Die Küche ist jetzt also sehr aufgeräumt und die Tütchen mit dem Saatgut sind nach Aussaatmonaten und Gemüse/Kräuter/Blühzeug sortiert, das war eine ungeheuer befriedigende Stunde. Ich habe selbstverständlich zu viele Sämereien, aber das macht nichts, ich werde sogar noch mehr kaufen. Ich möchte im ersten Gartenjahr nämlich ganz sicher zu viel von allem haben, ich möchte dringend z. B. auch zu viele Zucchini im Beet haben. Ich finde, man hat als Anfänger geradezu ein Recht auf zu viele Zucchini und all das.

Die Herzdame hat immer leichte Zweifel an meinem Verstand, wenn ich in neuen Themen so aufgehe, sie hält mich mit anderen Worten für leicht wahnhaft, was Interessen angeht. Darüber habe ich pflichtgemäß etwas nachgedacht, denn man kann in Partnerschaften ja auch hier und da sinnvoll korrigiert werden, das ist nicht auszuschließen und war auch schon oft so. Aber, und ich sage das nach reiflicher Überlegung, ich bin bei neuen Themen jetzt schon ein paar Jahrzehnte lang so, wie ich bin. Und unterm Strich, ich gucke da auf viele, viele höchst unterschiedliche Themenbegeisterungen zurück, war das immer richtig so. Ich habe ab und zu Lust, mich voll und ganz auf ein Thema zu werfen, und ich kann mich dann tage-, wochen, oder monatelang intensiv theoretisch und praktisch damit beschäftigen, gerne auch non-stop. Ich werde sozusagen lerngeil, ich möchte möglichst bald möglichst alles über das neue Spielzeug wissen. So weit der Spaß mich trägt. Das wirkt seltsam, das verstehe ich, besonders da mir in diesen Phasen andere, also alte Themen ziemlich egal sein können.

Tatsächlich ist es allerdings so, dass es im Nachhinein immer richtig war. Ich habe in diesen Phasen bisher immer großartige Menschen aus der neuen Themenwelt kennengelernt, ich habe auch schon oft auf irgendeine Art mit dem jeweils neuen Thema Geld verdient. Ich habe immer Sachen gelernt, die ich auch Jahre danach nicht vermissen möchte, und ich habe bestimmte Aspekte aus diesen Phasen mitgenommen, die mich heute irgendwie ausmachen. Ich komme tatsächlich auf kein einziges Thema, das in der Rückschau vollkommen sinnlos war, nicht einmal die Astrologie, das hatte schon alles seine Berechtigung. Und deswegen stelle ich für mich fest, ohne es irgendwie verallgemeinern zu wollen, dass es für mich eher unvernünftig wäre, diesem Spleen nicht zu folgen, um dadurch vernünftiger zu wirken. As my whimsy takes me. Passt schon. Es muss doch auch einmal zu den Vorzügen des fortschreitenden Alters gehören, sich selbst bei irgendwas Recht zu geben. Schon morgen dann wieder Selbstzweifel galore, versteht sich! Egal.

***

Am Nachmittag mit drei Kindern im Garten gewesen. Sohn II hat in einem geradezu wüstem Arbeitseinsatz, wo mag er das nur her haben, noch etliche Bretter der jetzt zerstörten Einbaumöbel aus der halb abgerissenen Laube gerettet oder wie ein Terrier knurrend aus bereits aufgeschichteten Schuttstapeln gezogen und hinterm Schuppen in Sicherheit gebracht. Denn genau wie ich sieht er da gar keine schnöden Bretter, er sieht wunderbare Beetumrandungen. Wir werden Spaß haben, im Sommer.

Sohn I hat währenddessen fleißig und konzentriert mit einem Kumpel Pokémons aus der Gartenanlage weggefangen, und das ist auch gut und richtig so, denn Pokémons sind immerhin eine invasive Art, die möchte man in einem naturnahen norddeutschen Kleingarten gar nicht haben.

Bretter aus der halb abgerissenen Laube retten. #schrebergarten

Ein Beitrag geteilt von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) am

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

 

Tapetenwechsel, quasi

Manche Themen sind mit einem Satz auf Twitter auch schon erledigt, dem ist gar nichts mehr hinzuzufügen.

***

Ansonsten ein unergiebiger Tag, langweiliges Wetter, langweiliges Einkaufen, langweilige Kopfschmerzen und sonst gar nichts, das kommt natürlich auch vor. Hier aber noch ein kleiner Beitrag zur Frage, ob die Buddenbohms mit der neuen und noch zu bauenden Gartenlaube eigentlich irgendwelche romantischen Vorstellungen verbinden. Das kann ich ganz kurz fassen und durch ein Kunstwerk von Sohn II darstellen. “Laube bei Sonnenuntergang”, Johnny Buddenbohm, Buntstifte auf Pappe, 2018.

Kinderbild einer Laube

***

Die alte Laube wurde währenddessen vom Bagger endlich etwas angeknabbert, ein Anblick grässlich und gemein, die ganze Parzelle nähert sich erwartungsgemäß dem Vollchaos. In der nächsten Woche hat sie vermutlich schon die ansprechende Optik eines Truppenübungsplatzes, die Älteren erinnern sich.

In der halben Laube kann man immerhin einen Blick in die 70er werfen, unter drei Holzschichten tauchten die Tapeten von damals wieder auf, die Laube war tatsächlich ziemlich alt. Die Wände bestanden zum Teil aus bis zu vier Schichten Holz, der Vorbesitzer hat da unentwegt und über Jahrzehnte irgendwas angenagelt, reingebastelt, dazugebaut, in den Wänden waren sogar ausgediente Schranktüren verbaut, was eben so anfällt. “Im Garten kannst du alles gebrauchen”, das sagt mein Gartennachbar bei jedem Treffen. Ich verstehe den Satz immer besser.

Der Garten, soweit nicht ohnehin verwüstet, ansonsten immer noch januarplatt, ein paar Knospen, ein paar Frühblüherblattspitzen, aber bis jetzt nur wenige. Sehr wenige. Na gut, eine. 

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung

Hamburger Winter

Vor der Grundschule steht gestern Nachmittag ein kleines Kind, ein Kind höchstens im Vorschulalter, das geht sicher noch nicht einmal in die erste Klasse, so klein ist es. Ein Geschwisterkind könnte es sein, der große Bruder oder die große Schwester werden vielleicht gerade abgeholt. Das Kind tritt mit Hingabe gegen einen großstadtgrauen Schneematschhaufen am Straßenrand, wieder und wieder tritt es dagegen, dass der Schmodder nur so wegspritzt und Passanten sich fluchend und springend in Sicherheit bringen. Das Kind ist auch schon selbst ganz durchnässt, aber hey, da liegt Schnee, also zumindest die Hamburger Innenstadtversion davon, damit wird man ja wohl was machen dürfen, so als Kind. Der kleine Stiefel wird energisch in den trostlosen Haufen gebohrt, in dessen Mitte jetzt schwarzes Pfützenwasser zu erkennen ist, schwarz wie der Asphalt darunter. Dann noch einmal richtig Schwung geholt und ein letzter Tritt in die Pampe, das Kind guckt den hochfliegenden Matschspritzern nach und singt mit glöckchenheller Stimme: “Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst Du geschneit?”

***

Gestern Abend beim Elternrat der Grundschule gewesen, das könnte man auf Twitter gar nicht erzählen, weil da alle aus prinzipiellen oder humoristischen Gründen, das ist ja manchmal schwer zu unterscheiden, diese Elternarbeit ganz furchtbar finden. Aber hey, Demokratie und so. Wenn man bestimmte Entwicklungen in der Gesellschaft falsch findet, kann man ruhig auch mal über Pausenhofregeln und deren Einhaltung diskutieren, das ist jetzt nicht so abwegig.

***

Seit ich mehr und dauernd schreibe, gibt es auch dauernd mehr Kommentare, das ist sehr schön, vielen Dank. Und so tolle Hinweise darin! Gestern etwa der auf das Als-ob-Zimmer, das ist ganz großartig.

***

#reading

Ein Beitrag geteilt von maximilian buddenbohm (@buddenbohm) am

Ich lese abends Saatgutkataloge. Und was für eine entspannende Lektüre das ist, fünf Seiten nur Kartoffelsortenbeschreibungen! Danach ist die Welt wieder in Ordnung und man träumt von der Duke of York, einer alten schottischen Sorte, benannt nach dem Vater der Queen und mit “hervorstechend gutem Aroma”. Möchte man doch haben, so etwas, Kartoffeln mit hervorstechend gutem Aroma, die kriegt man nicht beim Discounter.

***

Es folgt Werbung.

Anzeige Europacamp der Zeitstiftung