Kippwoche

Der Stadtsommer war wie eine schlechte und langweilige Party, die erst in der letzten Stunde, kurz bevor man wirklich, wirklich gehen muss, um den letzten Zug gerade noch zu bekommen, unerwartet Fahrt aufnimmt – und wie. Plötzlich Bombenstimmung, plötzlich alles richtig, plötzlich Spaß und dieses selten schöne Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Menschen zu sein, weder zu betrunken noch zu nüchtern. Und man weiß, es hört gleich auf, noch zwei Bier, noch eines, vorbei, jetzt los. Genau so dieser Spätsommer, noch drei Tage, noch zwei Tage, noch einen Tag. Die Regenfront, von der der Wetterbericht seit Tagen raunt, sie kommt am Donnerstag, am Freitag, am Sonnabend, sie kommt, sie wird schon kommen, aus Südwest wird sie kommen. Und danach ist dann Herbst. Aber jetzt ist die Stadt noch heiß und die Abende sind sattwarm wie in den großen Städten des Südens. Die Menschen sitzen vor den Cafés und Bars, und je später am Abend man vor die Tür geht, desto mehr Menschen sitzen da, es werden immer noch mehr. Sie sitzen nicht nur auf den Stühlen, sie sitzen auch in den Hauseingängen und auf den Mauern, Treppen, Stromkästen und auf den Spielplatzschaukeln, sie sitzen einfach irgendwo und überall.

Niemand möchte drinnen sein, es sind nur noch drei Tage, es sind nur noch zwei Tage, es regnet bald, frischt der Wind nicht schon auf, es raschelt so in den Bäumen und einen trinken wir noch. Das drängende Gefühl, noch etwas Sommerliches tun zu müssen, heute noch, jetzt sofort, hier, was könnte man verpassen, man muss doch. Es ist so ein seltsam drängendes und unverständlich wehes Gefühl, es ist so ein Gefühl, als müsse man sehr viel in sehr kurzer Zeit erledigen, und dabei aber auf keinen Fall etwas tun. Es ist so warm, wir bleiben noch. Die Kinder wollen nicht ins Bett, die Kinder müssen nicht ins Bett, wer die Kinder ins Bett bringt, muss in die Wohnung, da kann man noch den ganzen Herbst über sein, wer jetzt ein Haus hat, will dort nicht hinein. Die Kinder spielen immer noch im Park, es ist schon spät, es ist dunkel, ein räudiges Stadtdunkel ist das, es hängt von Autoscheinwerfern zerzaust zwischen den Büschen im Park.

Der Wind frischt nicht auf, nichts ist frisch, gar nichts. Warm weht es durch die Straßen, ganz warm, umarmungswarm. Und ein wenig muffig ist es auch, was da weht. Diese Böe hat schon die halbe Stadt passiert und ist müde, diese Böe hebt nur noch ein paar Papierservietten auf den Tischen vor den Restaurants hoch und ein wenig auch den Rocksaum der Frau an der Bushaltestelle, die da eben einfach stehenblieb, obwohl doch der Bus kam, obwohl die Tür sich vor ihr öffnete und den Blick auf einen Busfahrer freigab, der sie kopfschüttelnd ansah und dann weiterfuhr. Sie steht da noch und lehnt am Fahrplanhalter und guckt ins Nichts und will vermutlich auch nicht nach Hause. Niemand will nach Hause, es ist noch schön, jetzt gerade ist es noch schön, gleich noch, ein wenig noch und so warm. Obwohl das Licht seltsam ist, ein fahler Filter über dem Straßenabend, die Spinnweben sehen in diesem Licht aus wie von Menschen an die Laternen und an die Ränder der hellen Schaufenster gesponnen, abgefahrene Herbstdeko überall und viel zu groß die Netze. Die jugendlichen Basketballspieler im Park stehen und spielen nicht, warum spielen die nicht, der eine hält den Ball im Arm. Die stehen da nur und einer zeigt zum Mond, der hängt groß und fast voll knapp über dem Dach der Schule, und das Flutlicht am Korb und das Mondlicht vermischen sich, dass die T-Shirts leuchten wie an einem falsch eingestellen Bildschirm. Es riecht nach Grill und nach Abgasen und Zigarettenrauch und Dope, aus allen Richtungen hört man Gemurmel und Gläserklingeln und Lachen.

Die Menschen bestellen noch eine Runde, denn es ist immer noch warm und es wird einfach nicht kühl, wann war es denn zuletzt kühl, es ist schon Tage her oder sind es Wochen, man weiß es gar nicht mehr genau. Der ganze Sommer war kühl, das weiß man noch. Das wird jetzt bis zur Neige wettgemacht und weggetrunken und die Menschen lachen und seufzen und lehnen sich zurück und sehen nach oben, wo man keine Sterne am Großstadthimmel sieht, keinen einzigen. Der Himmel ist bedeckt und vielleicht ist das schon der Regen, guck mal, da kommt doch was, da braut sich etwas zusammen. Vielleicht haben wir nur noch morgen, vielleicht noch zwei Tage und dann aber auf jeden Fall. Aus dem Park hört man das Auftippen des Balls, auf den Bänken am Rand sitzen Paare und halten Hände und küssen Schultern und flüstern und hoffen. Es ist so warm, da könnte man doch. Zu ihren Füßen das Herbstlaub, es raschelt, wenn sie die Beine bewegen. Ein Hund schnüffelt vorbei und überhört jemanden zwischen den Bäumen, der ihn immer wieder ruft. Mitten auf dem Rasen schläft einer, der sieht nicht aus, als hätte er keine Bleibe.

Morgen ist ein Werktag, aber dieser Abend ist ein Urlaubsabend, das Gefühl kann kaum täuschen, genau so geht Urlaub doch, so warm und so leicht und so egal, wann man was macht. Erst einmal wird noch etwas bestellt, das kann nicht falsch sein, man sitzt so gut, man braucht keine Jacke, man braucht überhaupt nichts, noch stundenlang könnte man so sitzen und man macht es auch. Es wird immer noch nicht kühler, wann es in dieser Nacht wohl kühler wird. Vielleicht in the wee small hours, vielleicht auch erst am Morgen, und kurz darauf führt die Sonne dann doch noch einmal den Hochsommer auf, wegen des großen Erfolges, dann aber endgültig letzter Vorhang und last order. Die Stadt wird noch einmal glühen, und alles wird viel langsamer sein als sonst. Wenn man sich nur wenig und nur zögerlich bewegt, geht die Woche vielleicht nicht so schnell vorbei. Morgen Abend kommen alle wieder. Wenn es nicht regnet. Sie sehen zum Himmel und riechen die Luft und nicken. Einmal noch.

Ganz sacht ist er, der Wind aus Südwest, ganz sacht.

Gelesen – J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land

Deutsch von Monika Köpfer.

Das Buch ist überall schon besprochen worden, ich sah gerade eben diese freundliche Rezension und möchte nur schnell etwas anfügen, nämlich ein dezentes “Husch, husch!”

Weil man sich etwas beeilen muss und dann gerade noch etwas hi  nbekommt, was sich vermutlich lohnt. Dem aktuellen Wetterbericht nach ist es noch etwa eine Woche lang Hochsommer, ist es nur noch ein paar Tage lang August im September. Und dieses Buch ist ein Augustbuch, ein ausgesprochenes Spätsommerbuch, im Park zu lesen, im Garten oder am Waldrand, zur Not auch auf einem Balkon mit ein paar Blumentöpfen.

Wenn der Sommer mit jedem Tag etwas mehr kippt, wenn die ganze Pracht schon gilbt und die Vögel längst ziehen, obwohl die Sonne noch brennt, wenn es abends manchmal schon strickjackenkühl wird und es morgens nach Herbst riecht, und wenn der Sommer bald nur noch erinnert wird, aber nicht mehr wärmt, dann ist dieses Buch aber so etwas von perfekt.

Ich bin ja ein großer Freund des situativ korrekten Lesens, und bei diesem Wetter, mit etwas Ruhe und zumindest ein wenig Grün – es ist ein ganz dünnes Buch, man schafft es leicht in den wenigen Tagen oder Stunden, die uns noch bleiben, bevor man im September schon den Oktober fühlt und dann reflexmäßig gleich den November mitdenkt und für ganz andere Bücher bereit ist. Das wollte ich doch schnell noch empfohlen haben.

Vorgelesen – Dave Shelton: Bär im Boot

Übersetzt, und zwar saugut übersetzt, wirklich fluffig übersetzt von Ingo Herzke. Ein höchst bemerkenwertes Kinderbuch, ich werde es ein wenig lobpreisen müssen.

Ein Junge steigt zu einem Bären in ein Boot, er möchte auf die andere Seite – und der Bär rudert los. Und herrlich kinderbuchuntypisch wird das nicht weiter erklärt. Man erfährt nicht, warum der Junge wohin will, was auf der anderen Seite ist, wovon das überhaupt die andere Seite ist, wieso der nicht sehr große Junge alleine unterwegs ist, warum es normal ist, dass der Bär reden kann, nichts, nichts, nichts wird erklärt. Der Junge setzt sich hin, der Bär rudert. Er rudert ein kleines, altes, nicht eben vorzeigbares Boot, die Harriet. Und bald ist links Meer, rechts Meer, hinten Meer, vorne Meer, unten Meer und obendrüber ein endloser blauer Himmel, und mehr ist da nicht, rein gar nichts.

Im Boot liegt nicht allzu viel herum, da sind auch keine reichlichen Vorräte, da ist nur eine verdächtig gleichmäßig blaue Seekarte mit einem unbestimmten Fleck darauf, und unter einer Sitzbank gibt es noch ein paar äußerst befremdlich belegte Sandwiches. Und ein wenig ruderboottypischer Kram, aber das ist nicht viel. Der Bär und der Junge sind sich zunächst nur mäßig sympathisch, aber da sind ja nur die beiden, also reden sie manchmal miteinander. Und bald müssen sie auch etwas mehr machen, als nur rudern und reden, denn sie kommen einfach nirgendwo an, obwohl der Bär äußerst empfindlich auf den Vorwurf reagiert, sich womöglich verirrt zu haben. Auch ein Bär hat eine Kapitänsehre.

Und weil im Boot nicht viel passiert, aber die Situation doch irgendwie bedrohlich ist, bekommt der Autor das einigermaßen spektakuläre Kunststück hin, die Handlung gleichzeitig ermüdend und spannend zu gestalten, was ich für eine starke Leistung halte. Für Jungs, die in Kürze einschlafen sollen, ist das die ideale Mischung, das schraubt einen durch die immer gleiche Szenerie in den Schlaf – und durch die unklare Aussicht auf das Ende in Träume von Möglichkeiten. Perfekt.

Und das Buch bekommt es außerdem ganz wunderbar und ohne jede Zeigefingerheberei hin, dass es schon bald nicht mehr um das Ankommen geht. Ganz wie im richtigen Leben, nicht wahr, man lebt ja in aller Regel nicht freudig dem Ende entgegen und ist begeistert, dort möglichst früh anzukommen (ja, es gibt Ausnahmen, schon klar, wir alle wissen das, aber wir reden hier von einem Kinderbuch). Man lebt so vor sich hin, man rudert so vor sich hin, man kümmert sich um das Essen und um seinen Schlafplatz, ob nun mit oder ohne einen Bären. Und wenn ein Bär dabei ist, dann lernt man den mit der Zeit eben besser kennen und kommt irgendwann schon darauf, warum das eine ziemliche gute Idee ist, das geht einer gewissen Bloggerin übrigens ganz ähnlich [Link kaputt].

Das war ein Buch, mit dem wir plötzlich in einer erzähltheoretischen Diskussion landeten, weil die Söhne dann doch wissen wollten, wieso der das so erzählen kann, so ganz ohne etwas zu erklären, das ist doch ungeheuerlich. Als vorlesender Vater möchte man da leise lächelnd den Satzanfang “Als der kleine Junge eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte …” irgendwo einbauen, so schön ist das, über dergleichen mit den Kindern reden zu können. Was kann man erzählen, was darf man als ErzählerIn, wieso ist etwas spannend, das gar nicht klar ist und kann man Realität und Phantasie wirklich einfach beliebig mischen und immer wieder anders arrangieren, wo bleibt da die Logik und ist die eigentlich zwingend in Büchern – das Vorlesen war mir wirklich ein Fest, und zwar ein großes.

Wir haben bei Büchern jetzt ein neues Kriterium, wir bestimmen Anfänge nach “Das ist ein Bär-im-Boot-Anfang” oder eben nicht, und das ist eine sehr gute und weise Unterscheidung. Und ich freue mich noch im Nachhinein, dass mein aktuelles Manuskript so einen “Bär-im-Boot”-Anfang hat und die Hauptfigur außerdem von bärenhafter Figur ist, was allerdings reiner Zufall ist. Wenn man denn an Zufälle glaubt.

Das Buch ist für Kinder ab etwa acht Jahren. Und ganz ausdrücklich ist es auch für Mütter, Väter, Patentanten und -Onkel, Großeltern und andere Erwachsene mit oder ohne verfügbare Kinder.

Eltern! Blog Award

Kurz nachdem ich diesen Text hier veröffentlicht hatte, bin ich auf den Blog-Award von Scoyo gestoßen. Und da ich den Text ausnahmsweise mal richtig mochte, was mir bei eigenen Produktionen eher selten passiert, habe ich ihn da eingereicht – obwohl das hier nur teilweise ein Elternblog ist, obwohl es im Artikel um ein eher ernstes Thema geht, obwohl Humor bei so etwas meistens das leichtere Spiel hat – ganz ähnlich wie bei Lesungen.

Nun hat die Jury dieses Blog Awards den Text von mir freundlicherweise in die Endrunde befördert (herzlichen Dank!), und jetzt können LeserInnen weiter abstimmen (bitte hier entlang), wer dort gewinnt. Und die Preise können sich sogar sehen lassen, das ist auch schön und keineswegs der Normalfall, wenn es um Blogtexte geht.

Ich freue mich also, wenn Sie da mitmachen und abstimmen, wobei es natürlich auch andere großartige Texte gibt, etwa von Patricia. Aber natürlich sollte man sich alle ansehen, eh klar.

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So …

… und nun ist auch erst einmal Schluss mit den Feiereinträgen, die fast nur aus einem Bild bestehen, weil ich einfach zu nix komme, schon gar nicht zu einem Text.

Aber es ist vielleicht besonders für langjährige LeserInnen interessant zu sehen, dass auch Sohn II jetzt ein Schulkind ist. Wir Eltern zumindest kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus – und das gilt vermutlich auch für die Großeltern und die Patentante, denen für die Betreuung des Sohnes in den Ferien und in den letzten Tagen übrigens ganz besonderer Dank gebührt. Es gibt noch eine weitere Patentante, der auch zu danken ist, aber die kann man mangels Blog leider nicht verlinken. Stimmt gar nicht, fällt mir gerade ein, sie kam ja bei mir einmal vor – merci Patricia.

Mehrere Gründe

Ich wollte ein Dokument am Computer öffnen, einen normalen Text, gar keine technische Besonderheit. Die Datei ging nicht auf, die Meldung am Bildschirm sagte: “Diese Datei kann nicht geöffnet werden. Das kann mehrere Gründe haben.” Das ist eine dieser Fehlermeldungen aus der Hölle, ein Hinweis, der einem absolut nichts sagt. Es ist ein Gipfel der Nullinformation, eine Veralberung erster Klasse, eine Verhöhnung der Menschen vor den Geräten, vermutlich überhaupt nur zu dem Zweck geschrieben, Anwender zielgerichtet in den Wahnsinn zu treiben. Wer auch immer den Satz einmal kichernd geschrieben und im Programm verewigt hat, er lacht vermutlich immer noch, wenn er sich die Gesichter der Lesenden vorstellt, wie sie zornbebend mit der Faust auf den Schreibtisch hauen und irgendwann den Kopf auf die Tastatur sinken lassen. So ziemlich alles im Leben “kann mehrere Gründe haben”, danke, wir wissen das. Man liest es, man flucht, man nimmt es hin, was soll man auch sonst machen. Man startet neu.

In einem anderen Kontext wird dieser Satz noch auffälliger, man könnte sich ja versuchsweise auf diese Art im Büro krankmelden: “Ich kann heute nicht kommen. Das kann mehrere Gründe haben.” Das klingt nicht, als sei der Satz gut für die Karriere, man könnte es aber noch steigern und das dranhängen, was Computermeldungen auch als Ergänzung hinterherschieben, die so unschuldig klingende Frage: “War diese Information hilfreich?” Wenn man sich das so als Telefonat am Morgen vorstellt, dann wird einem erst klar, wie irre diese Dialoge mit der Software sind. Man sollte sich das ab und zu bewusstmachen, bevor sich diese Formulierungen irgendwann noch in unser Leben schleichen: “Ich liebe dich. Das kann mehrere Gründe haben. Möchtest du abbrechen?”

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

 

Was schön war

Als die Herzdame und ich in Berlin waren, haben wir einen Zettel mit Empfehlungen dieser erfahrenen Spezialexpertin abgeklappert, und es sagt vermutlich einiges über unser gemeinsames Arbeitsethos aus, dass wir ihre Empfehlungen einfach alle befolgt haben, von vorne bis hinten. Am letzten Tag, kurz bevor wir in den Zug zurück nach Hamburg stiegen, liefen wir noch durch Berlin-Mitte und absolvierten dort den letzten Besuch. Barcomi’s, das ist eine Location, deren Inhaberin wohl eine Berühmtheit ist, sie hat mehrere Bücher geschrieben etc., in Foodkreisen kennt man sie, soweit ich es verstanden habe. Ich kannte sie nicht, das heißt aber rein gar nichts, ich kenne mich da nicht aus.

Ein schick restauriertes Hinterhaus, irgendwas zwischen Kontorhaus (wie man in Hamburg sagen würde) und Fabrikhof, wirklich attraktiv. Wir konnten draußen sitzen, zwischen schönen bis sehr schönen Menschen, die gerade vom Vorsprechen für irgendwas kamen oder aus New York oder von irgendeinem Deal in einer attraktiven Branche. Falls man ein Klischee von Berlin-Mitte entwickeln möchte, einfach da mal ein, zwei Stunden sitzen und zuhören, das ist zielführend. Man kann in diesem Café, Diner, was auch immer es nun ist, jedenfalls, und das ist wirklich löblich, einen Kuchen-Probier-Teller bestellen, dann erhält man mehrere kleine Stücke. Ist das nicht eine hervorragende Idee? So einfach. So naheliegend. Und ich habe das, soweit ich mich erinnere, noch nie vorher in irgendeinem Café erlebt. Das könnte man meinetwegen sofort überall einführen. Kuchen wie auf Tapas-Platten, von allem etwas, ich fand das sehr überzeugend. Ich meine, man hat ja auch ein gewisses Recherche-Interesse als Tourist, man will doch etwas kennenlernen. Das jedenfalls war schön, ein Kuchenteller mit reichlich Auswahl. Und sehr gutem Kuchen, eh klar, besonders dieses Schoko-Chili-Zeug. Und der New York Cheesecake.

Auf der Toilette des Etablissements steht mit zaghafter Schrift und dünnem Edding eine schüchterne Beschwerde an der Wand, der Höhe nach zu urteilen brav im Sitzen geschrieben: “Alle mainstream!”

Welcher leise Rebell mag da mit bebend vorgeschobener Unterlippe den Stift gezückt haben, um doch einmal irgendwo ein Zeichen zu setzen? Inmitten von Models, Schauspielern, Schriftstellerinnen, Feuilletonlieben der einen oder anderen Art, Businesskaspern und Edel-Expats saß da einer und fühlte sich allein auf dem rechten Weg und ach so außen vor, und so sehr fühlte er das, dass es an die Wand musste, als Protest auf allerdings kleinster denkbarer Flamme. Ungefähr so geistreich, als würde man auf dem Neuen Wall in Hamburg vor den Geschäften stehen und mit schüchtern erhobener Faust “Das ist aber kein Heavy Metal” murmeln, um einmal ganz unvermutet Isabel Bogdan zu zitieren, siehe ihr Buch “Sachen machen”, dort die Wacken-Geschichte.

Laienpsychologisch würden einige vielleicht auch eine enttäuschte Sehnsucht unterstellen, da gehörte womöglich jemand nicht dazu, da gehörte jemand vielleicht nicht zum gepflegten Mainstream, dem es im Barcomi’s ganz offensichtlich saugut geht, und gut angezogen ist er auch, er sitzt bequem und parliert geistreich, er zahlt flotte Preise und wohnt in der Nähe oder in San Francisco, er hat Arbeit und auch sonst keinen Mangel, es ist nicht alles schlecht in diesem Mainstream, wirklich, man könnte auch verstehen, wenn er auf andere anziehend, nicht abschreckend wirkt.

“Alle mainstream!” Ja, Mensch. Rock’n Roll sieht anders aus, wie Rainald Grebe sang, in der Tat. Aber gutes Essen gibt es, gar keine Frage.

 

Ich hatte keinen Edding dabei, ich hätte sonst ein kuchensattes “Begrabt mein Herz an der Biegung des Mainstreams” unter den Klospruch des zaghaften Rebellen geschrieben. Nächstes Mal. Wenn ich es mir dann noch leisten kann.

 

Kurz und klein