Odysseus Karlsen: Das Wort zum Montag

Ich habe auch nach dem nunmehr ausgestandenen grippalen Infekt immer noch in erheblichem, ja, in geradezu rekordmäßigem Ausmaß Grund zur schlechten Laune, und ich kann die Ursachen hier nicht einmal thematisieren, wie sagt man, aus Gründen. Weil ein Ende aber nicht abzusehen ist und die schlechte Laune irgendwohin muss, in meinem Fall also irgendwie in einen Text muss, mache ich es jetzt jekyllandhydemäßig und lagere die verstimmteren Anteile meines schreibenden Ichs an eine Kunstfigur aus, an Odysseus Karlsen, der hier künftig ab und zu das Wort zum Montag schreiben wird. Warum der Odysseus Karlsen heißt, das kann man hier nachlesen. Er ist weitgehend mit mir identisch, er ist nur deutlich schlechter drauf als ich. An Themen wird es ihm sicher nicht mangeln, er nimmt während der Woche einfach alles auf, was mich ärgert, nervt, entsetzt. Da sollte sich also ab und zu etwas finden lassen.

In der Bahnhofsbuchhandlung wurde umgebaut, alles ist jetzt etwas moderner, stylisher, Plastik imitiert edles Holz, der Raum wirkt etwas luftiger, bei Printprodukten würde man von Mut zum Weißraum reden. Im Taschenbuchregal gibt es jetzt drei übersichtliche Rubriken, da steht man staunend davor und sieht, wie sich die wehrlose Literatur neuerdings einteilen lässt: “Für ihn” liest man da, “Für sie” und außerdem noch: “Mit Liebe”. Der Buchbestand wurde durchgegendert mit kleinem Rest, da staunt der Bibliothekar in mir, den ich in meinem äußerst bescheidenen akademischen Titel trage. “Mit Liebe”, da sehe ich natürlich zuerst hin, “Mit Liebe”, das ist ja immer gut, das wollen wir alle, wofür lebt man sonst. Da findet man aber nur diese rosafarbenen Bände mit den peinlichen Schulterbeißerszenen auf dem Cover, da vernascht der geile Graf bei schwellendem Vollmond das kokettierende Komtesschen, das ist einigermaßen entsetzlich. Bei “Für Ihn” gleich daneben findet man Blutrünstiges, Thriller, Actiondramen, Krimis der grauenvolleren und abgrundtiefen Art mit reichlich Blut und Einschusslöchern auf dem Einband. Der Mann als solcher liest eigentlich gar nicht, der Mann arbeitet sich durch Verbrechen und watet per Buch durch Blutbäder, dazu kommen wir später übrigens noch genauer.

Lieber schnell weitergucken, “Für sie”, was findet man denn da? Robert Seethaler: “Ein ganzes Leben”. Bitte? Was? Ist das denn nicht ganz normale Literatur? Ein Buch sogar, das sich für Geschlechterklassifikation so überhaupt nicht anbietet, einfach ein ziemlich gutes Buch? Eines mit Liebe, wie einem auch wieder einfällt, da war doch was, nicht wahr, das war sogar ziemlich schön? Müsste es nicht in die Rubrik “Feine Literatur”, die es leider nicht gibt? Aber nein, es steht bei den Damenbüchern, es ist “für sie”, dieses einfach gute Buch über einen Mann mit Liebe und zeitweise auch mit Frau. Was auf eine verdrehte Art, wenn man nur seltsam genug denkt, also etwa wie ein Marketingfachmensch, vermutlich beweist, dass Frauen die normalen Menschen sind und der Rest irgendwie komisch ist. Ich konnte ja mit Männern nie etwas anfangen, ich bin nur zufällig selber einer, aber ganz ohne Bezug zu den marketingüblichen Themen meines Geschlechts. Motoren sind doof, Maschinen sind doof, Mannschaftssport ist doof, Mord ist erst recht doof. Männer haben komische Themen, Frauen haben normale Themen, q.e.d.

Egal! Wenn man jetzt ein Buch schreibt, das ist die wichtige Lehre dieses Regals, muss man also alles daran setzen, in der Rubrik ”Für sie” zu landen, man muss unbedingt ein Damendichter sein, das sind die Besten. Wenn man bei “Für ihn” landet, ist man womöglich doof. Gut zu wissen, wirklich gut zu wissen.

Wobei ich auch seit dem Dezember schon über dieses Badezeug lache, das ich mir irgendwann gekauft habe, weil ich es so lustig fand und weil ich tatsächlich albern kichernd vor dem Regal im Drogeriemarkt stand: Männer 2.0 mit Blutorange und Pfeffer. Da müssten an sich alle Kunden vor Lachen zusammenbrechen, wenn sie das lesen, finde ich, wie albern ist das denn bitte? BLUTORANGE und PFEFFER. Kann es denn ernstgemeint sein? Was könnte denn noch lächerlicher klischeehaft männlich sein, als etwas mit Blut und Schärfe, herrgottnochmal. Ich bade als Mann natürlich nicht einfach in beruhigendem Lavendel oder heilender Kamille, nein, ich lege, ach was, ich werfe mich ins tiefrote Obstblut und scharf ist das auch noch. Ich habe nicht irgendwelche beliebigen und trutschigen Pflanzenaromen im Wasser, nein, das knallt bei mir voll rein. Wenn man das Zeug ins Wasser streut, dann sieht die rote Wolke tatsächlich aus, als hätte man sich über der Badewanne den Kopf an der Wand blutig gestoßen und würde aus einer zünftigen Platzwunde schwallartig runtertropfen, das ist wirklich nichts für jeden Menschen, schon gar nichts für empfindsame oder normale Menschen, also für Frauen, siehe oben. Was könnte eigentlich noch alberner männlich in der Badewanne sein? Wenn man sich kurz vorstellt, man sei Produktdesigner für solche Badezusätze? Könnte man das noch steigern? Vielleicht “Stechpalme und Hauhechel”? Nein, das klingt wegen der Stechpalme irgendwie weihnachtlich, das geht eher nicht. “Spargel und Nüsse”?

Als schreibender Mensch, um wieder etwas normaler zu denken, findet man unter den Pflanzen den Lorbeer sympathisch, das klingt aber als Badezusatz nicht männlich, sondern irgendwie suppig, da kann man gleich noch etwas Sellerie und Karotte dazuschnippeln, das geht nicht. Die Firma Niederegger, die natürlich jetzt Süßigkeiten gendert, hat eine Schokolade namens “Männersache” auf dem Markt, die schmeckt nach “Apple & Bourbon”, woran sich direkt die Frage anschließt, ob der Apfel denn neuerdings tatsächlich männlich ist? Und warum eigentlich? An apple a day keeps the woman away? Was weiß ich. Da fällt mir ein, ich habe gar nicht nachgesehen, ob es im Regal mit den Badezusätzen auch die so überaus hilfreichen Rubriken “Für sie”, “Für ihn” und “Mit Liebe” gibt. Egal, man möchte es wetten. Die Bahnhofsbuchhandlungen sind so, die Drogeriemärkte werden längst auch so sein, alles wird so sein. Man möchte sich in die Schulter beißen.

Morgen wieder normaler Content. Vermutlich “Für sie”.

Fastenzeit, Zwischenstand

Bei dem Thema werden einige womöglich peinlich berührt zusammenzucken, da war doch was? Bei mir läuft es jedenfalls, es läuft sogar besser denn je. Ich mache die pädagogisch wertvolle Friedens-Diät, die werden Sie vermutlich gar nicht kennen. Bei der Friedens-Diät ernährt man sich nur noch von den Lebensmitteln im Haushalt, die in ungerader Zahl vorkommen. Ganz egal, worum es sich dabei handelt, das ist vollkommen zweitrangig. Es geht nur um ein Ziel – den Streit der Geschwister um ein einzeln übrig bleibendes Exemplar von irgendwas zu vermeiden. Die Söhne schafften es in letzter Zeit sogar, sich um etwas zu prügeln, was sie gar nicht mögen, einfach nur, weil sie es dem anderen nicht gönnten. Der hätte ja urplötzlich und hinterlistig beginnen können es zu mögen, und dann hätte der einen Vorteil gehabt! Unerträglich!  Zack, Handgemenge.

Das hatte ich so satt, dauernd hatten die sich in den Haaren, weil etwas nicht aufging. Ich greife daher jetzt überall begradigend essend ein, ich esse Frieden herbei. Man ernährt sich dabei äußerst seltsam, aber da muss man durch. Drei Eier sind das große Übel, nur zwei Eier sind gute Eier. Von den sieben Joghurts muss einer weg, von den fünf Scheiben Brot auch eine, und oh, nur noch eine Banane! Das geht gar nicht. Die Einzelbanane im Obstkorb ist ein großes Sicherheitsrisiko, die Banane in mir aber ist ein großer Schritt zur Familienharmonie, wie auch die Tafel Schokolade, das Stück Kuchen, die Bratwurst. Die Söhne haben keinen Grund mehr zum Streiten und ich bin auch viel friedlicher. Außerdem bin ich erstaunlich satt und auch etwas müde, denn ich muss ja permanent wachsam sein und alle Vorräte nachzählen und alles immer wieder gerade essen. Sogar während die Familie isst, muss ich permanent alle Teller beobachten und rechtzeitig zugreifend einschreiten, denn hier essen leider nicht alle gleich schnell. Das strengt schon etwas an.

Aber es hat auch keiner behauptet, die Fastenzeit sei eine leichte Übung.

Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten

Kleine Szenen (8)

Es ist eigentlich nur eine Szene, sie hat sich im Winter ein paar Mal wiederholt, ich bin bisher nicht dazu gekommen, sie aufzuschreiben. Und sie hat nichts mit Flüchtlingen zu tun, wie es bei den letzten Artikeln dieser Art war. Es geht aber um Migranten anderer Art, sie kamen in den letzten Texten in dieser Kategorie schon am Rande vor. Es geht um die weit fortgeschrittenen Alkoholiker vor dem Hauptbahnhof, von denen ein großer Teil Russisch spricht. Oder eine andere slawische Sprache, das kann ich nicht unterscheiden. Es geht also um Menschen, deren Lebensweg sie irgendwie vor diesen Bahnhof geführt hat, von dem sie nicht wieder wegkommen. Vor dem sie jeden Tag herumstehen, hocken, liegen. Sie sind da bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit, sie sitzen auf dem blanken Boden, sie liegen auch im Regen unter freiem Himmel, sie merken längst keine Kälte und keine Nässe mehr.

Manchmal liegen sie lange wie tot herum, dann ruft ein Passant oder jemand vom Sicherheitsdienst vielleicht einen Krankenwagen. Oft liegen sie so, dass man schon im Vorbeigehen denkt, wenn ich so liegen würde, wie schnell wäre ich tot? Wie überleben sie das denn bloß? Viele sind in einem Zustand, zu dem man sich keine hoffnungsvolle Perspektive mehr denken kann, da müssten schon mehrere und wahrhaft gewaltige Wunder geschehen, um diese komplett abgerockten Gestalten noch ein paar Kurven zum Besseren im Leben nehmen zu lassen. Wahrscheinlich ist das wirklich nicht. Wahrscheinlich ist, dass dieser Bahnhof eine der allerletzten Stationen ist, wenn nicht sogar die Endstation. Das sind gescheiterte Lebens -und Migrationsgeschichten, an denen man da vorbeigeht, da ging etwas gründlich schief, da ging alles schief.

Die Männer und Frauen sitzen und trinken und stieren in die Gegend, es sind vom Alkohol zerstörte Gesichter, denen man keine Mimik mehr ansieht. Leere Blicke, halboffene Münder, aus denen Gebrabbel und Sabber tropfen. Gebissruinen, hängende Mundwinkel, darunter im parallelen Bogen hängende Schultern. Wirre Haare, rote, aufgedunsene Nasen. Sie prosten sich zu, gelegentlich geht einer irgendwo neues Bier oder Schnaps holen. Mehr passiert nicht. Manche reden den ganzen Tag vor sich hin und gestikulieren lahm dazu, manche verdämmern einfach die Stunden. Weil sowieso nichts passieren wird, heute nicht und morgen nicht.

Aber einer von ihnen kann etwas Besonderes. Einer von ihnen stellt sich ab und zu hinter eine oder einen der anderen und fasst tastend an Schultern, Hälse und Arme. Und die Art, wie der das macht, die lässt einen gleich denken, dass der da etwas Professionelles macht. So biegt man keine Arme, so drückt man nicht probeweise in fremde Muskeln, wenn man sich nicht damit auskennt, wenn man das nicht irgendwann gelernt hat. Der war sicher einmal Masseur, Physiotherapeut, so etwas in der Richtung. Der drückt und knetet gekonnt, der macht da nicht irgendwas. Und die Angefassten schälen sich nach einer Weile mühsam aus ihren Winterjacken, damit er besser zugreifen kann. Er bohrt Finger in Rücken und Knöchel in Oberarme, er fragt leise etwas. Der Mensch vor ihm zeigt vage auf eine Stelle, er nickt und drückt dorthin, da geht es dann weiter. Ganz normal sehen diese Bewegungen im Dialog aus, als würde jemand in irgendeinem Wellnesstempel kurz seine Verspannung von der Büroarbeit schildern. Der Masseur drückt und greift, mal sachte, mal fester. Und dann passiert nach ein paar Minuten etwas mit den sonst so unbeweglichen Gesichtszügen der Trinker, dann heben sich nämlich Mundwinkel zögernd und wie untrainiert. Da gehen zottige Augenbrauen weit nach oben, da werden Augen wie in höchster Konzentration geschlossen und auf diesem vom Suff zerstörten Gesicht sieht man etwas, das dort vermutlich jahrelang nicht mehr gesehen wurde: Behagen.

Nach einer Weile klopft der Masseur abschließend auf die Schultern vor ihm, mit einer Geste, als würde er sich jetzt dem nächsten Patienten einen Raum weiter zuwenden. Er brummelt etwas, kratzt sich am Bart, er sieht zu, wie sich der Mensch vor ihm wieder mühsam anzieht. Dann wendet er sich nicht dem Nächsten zu, sondern doch wieder seinem Bier. Winkt den Dank des anderen ab. Und der andere bewegt noch eine Weile verblüfft seine Arme, dreht seinen Kopf, hebt die Schultern, hebt sie wieder, als hätte er gerade erst gemerkt, dass da Arme dranhängen. Und schüttelt sich dann etwas, mit einem wehen Staunen im Gesicht, in dem vielleicht, wer weiß, ein wenig Erinnerung an längst vergangenes Wohlbefinden liegt. Und dann trinkt auch er weiter.

Kurz und klein

Wider die Verschwendung

Die Söhne haben beide Ahnung von Umweltthemen, das bleibt nicht aus. Sie wissen, was der Klimawandel ist, sie kennen den Abgaswerteskandal, sie wissen, dass man Geräte nicht sinnlos laufen lässt. Das ist anders als in meiner Kindheit, in der es noch gar keine Umwelt gab, da gab es ja nur das da draußen, oder vielleicht noch so etwas wie Gegend. Und mit allem, was draußen oder in der Gegend war, konnte man anfangen, was immer man wollte, das war damals alles für die Menschen da, Selbstbedienung. Dachten wir jedenfalls. Das war selbstverständlich nicht richtig, aber das war noch kein Allgemeingut. Das klingt, als sei es hundert Jahre her, nicht wahr? So wird man allmählich zum Museumsstück, auch interessant.

Heute wissen die Kinder, dass nicht alles für die Menschen da ist, dass vielleicht auch nicht genug für alle da ist, schon gar nicht, wenn wir weiter alles hemmungslos verschwenden. Das sorgt in ihnen für einen seltsamen Widerspruch. Denn einerseits leben sie im Saus und Braus dieses reichen Landes, andererseits haben sie das deutliche Gefühl, auf etwas oder sogar auf alles aufpassen zu müssen. Und da es zwar kinderleicht ist, die Notwendigkeit des ressourcenschonenden Verhaltens zu erkennen, aber eher schwer, sich selbst richtig zu verhalten, achten sie lieber auf das Verhalten anderer. Also etwa auf das Verhalten ihrer Eltern. Es ist eben schöner, die hemmungslose Stromverschwendung anderer zu kritisieren, als selber kalt zu duschen, um es etwas überspitzt auszudrücken. Ich lebe hier unter permanter Beobachtung, ich könnte ja eine schlimme Umweltsau sein. Da muss ich mir also Mühe geben, ein brauchbares Vorbild zu sein.

„Papa, wenn du etwas aufschreibst, was du dir auch so merken könntest, dann ist das Stiftverschwendung. Das macht man nicht.“

Und deswegen habe ich mir dieses Kolumnenthema jetzt eine Woche lang ohne Stift gemerkt. Geht doch!

(Dieser Text erschien im letzten Jahr als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

Das Wort zum Montag

Der Elendsmonat Februar ist also einen Tag länger als sonst, die Herzdamentanzkapelle spielt dazu das alte Volkslied “Wie soll ein Mensch das ertragen”.  Es ist zu kalt draußen, es bleibt auch noch weiterhin kalt, der Wetterbericht ist gnadenlos wie ein früherer Mathematiklehrer von mir, der mir eine Arbeit einmal mit der Anmerkung “Kaufen Sie sich einen Sarg” zurückgab. Die meisten Menschen um mich herum sind seit Wochen krank, waren gerade krank oder werden es nach Maßgabe der Statistik schon ab morgen sein, das ist saisonal und regional korrekt, das ist alles fein, das gehört so, was soll man machen. Ich bin auch krank, ich schreibe aber keine Blogartikel darüber, das will ja keiner wissen. Mein Problem ist auch gar nicht der grippale Infekt, meine Güte, so etwas hat man eben mal. Mein Problem ist, dass mich so etwas unleidlich macht. To say the least.

In dem Lieblingsbilderbuch von Sohn II,  der Riesenbirne von Jakob Martin Strid, gibt es eine Figur, die sich mit diesem schönen, mit diesem geradezu unsterblichen Satz vorstellt: “Mein Name ist Odysseus Karlsen, und ich mag keine Menschen.” So auch ich, möchte man im grippalen Zustand da an den Rand schreiben und es doppelt unterstreichen und mit einem Bündelchen Ausrufezeichen versehen, so auch ich. Mein Name sei Odysseus Karlsen, das ist überhaupt ein schöner Name. Menschen! Geh mir doch weg. Menschen sind doof, machen doofe Sachen, sprechen über doofe Themen. Menschen machen überall doofe Werbung, an der man dann kopfschüttelnd vorbeilaufen muss wie ein doofer Wackeldackel. Menschen machen doofe Politik, über die in doofen Medien berichtet wird, dann schreiben doofe Menschen doofe Kommentare dazu. Wer soll das auf Dauer aushalten? Menschen schreiben doofe Texte über ihre Launen in soziale Netzwerke, Blogs, Zeitungen und an Wände, sogar in Bücher. Und dann ist diese Konzentration an Doofheit noch nicht einmal echt, denn das liegt in Wahrheit alles an mir, nicht an denen, dass ich alles gerade doof finde, so doof bin ja nicht, dass nicht zu merken. Aber das ist doch auch doof.

Nur Minden, Minden ist nicht doof, in Minden hatte ich am Wochenende eine sehr nette Lesung. Aber Minden nützt jetzt schon nichts mehr, ich bin wieder in Hamburg. Und was soll man auch von einer Welt halten, in der nur Minden nicht doof ist.

Ich sitze mit Sohn II auf dem Sofa, wir sagen uns gegenseitig ab und zu, wie doof wir sind, solche Dialoge kann man sehr gut mit ihm aufführen, er ist recht gut im Beleidigen. Sohn I dagegen ist beim Fußball. Fußball ist doof, finden wir zwei hier auf dem Sofa. Wir spielen gleich Schach nach den Spezialregeln von Sohn II, ich werde also nicht die geringste Chance gegen ihn haben, das passt schon zum Gesamtbild des Tages. Ich sehe so überzeugend schlecht gelaunt aus wie der späte Günter Grass, ich lasse mir jetzt einfach genau so einen doofen Oberlippenbart stehen und schreibe so lange abscheuliche, aber doch wahnsinnig durchdachte und abgrundtief empfundene Sachen, bis mich jemand auch einmal irgendwo “sensibler Grantler” nennt, man braucht ja auch Ziele, trotz allem.

Vielleicht geht es mir morgen aber auch schon besser.

Dialog am Morgen

Sohn II: „Wenn ich mich so sehr für Fußball interessiere, dass ich mich in der Schule überhaupt nicht mehr konzentrieren kann, würdet ihr es mir dann verbieten?“
Ich: „Äh … Du interessierst Dich nicht ansatzweise für Fußball und du gehst noch gar nicht zur Schule.“
Sohn II: „Ja. Ich denke nur so herum.“

Gedankliche Abgründe

Wir haben ein neues Bett, in dem schlafe ich viel besser und entspannter als in dem vorherigen, obwohl es auch nur ein normales Doppelbett ohne jeden Spezialeffekt ist. Das finde ich beunruhigend. Sehr beunruhigend sogar. Wir haben dieses neue Bett nämlich nicht, weil mit dem alten Bett etwas nicht stimmte. Ich war zufrieden damit, es gab keine Klagen. Es war eben irgendein Bett, ich habe mir nie viele Gedanken über mein Bett gemacht, ich war da eher anspruchslos.

Wir haben das neue Bett nur, weil wir alles umdekoriert und verschoben haben, weil das alte Möbel danach einfach nicht mehr gut aussah. Das war also ein reiner Zufallstreffer, das mit dem besseren Schlafen. Ich habe nicht einmal gewusst, dass ich überhaupt besser schlafen kann, ich habe mein schlechtes Schlafen gar nicht als verbesserungsfähig erkannt. Ich dachte, das sei völlig normal, wie ich schlafe.  Und jetzt werde ich den Gedanken nicht mehr los – was könnte noch alles besser in meinem Leben sein, wenn ich etwas ändern würde, was mich bis jetzt gar nicht stört?

Einfach mal was versuchen, irgendwas ändern? Wieviel Potential ist da wohl noch, an Stellen, wo man mit normalen Gedanken im Alltag nicht hinkommt? Man kommt doch nie dazu, sich um das zu kümmern, was man jahrelang einfach so hinnimmt. Ein wahrer Abgrund, vor dem man da plötzlich gedanklich steht, das ist doch von geradezu philosophischem Interesse, da wird man glatt zum Denker und grübelt sich fest. Geht nicht fast alles auch anders? Und ist dann vielleicht sogar besser? Wenn man da länger drüber nachdenkt! Dann kommt man auf tausend Ideen, da hinterfragt man alles, da sieht man plötzlich überall unendlich viele Optionen. Die Gedanken rattern nur so – und dann kann man übrigens nicht mehr schlafen. Aber wenn ich nicht mehr schlafen kann, dann hätten wir ja auch gleich das alte Bett behalten können. Ist das kompliziert!

Ja, ich weiß schon, warum aus mir kein Denker geworden ist.

 

Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten