Ab und zu zurückdenken

Ich werde überraschend aus der Arztpraxis angerufen, man habe dort gerade Dosen über, ob ich nicht eben zur Doppelimpfung … ja, aber gerne doch. Ich klappe das Home-Office zu und eile. Und so stellt man sich das eigentlich auch vor, in einer idealen Welt, dass man freundlich gebeten wird, sich doch mal eben impfen zu lassen, dass man dem Zeug also nicht nachjagen muss wie schon damals, 2021, 2022 etc., in den dunklen Schwarzmarktzeiten, als die Informationen zu Impfgelegenheiten noch wie in kriminellen Netzwerken weitergereicht wurden, wissen Sie noch? Und dann quer durch die Stadt, zu Adressen, wo man noch nie war. Ich habe in diesem Jahr wieder ähnliche Erlebnisse mitbekommen.

Wir haben, das muss man sich vermutlich aus Gründen der seelischen Gesundheit ab und zu wieder aufsagen, schon etwas mitgemacht in den letzten Jahren. To say the least. Ab und zu zurückdenken und den Kopf schütteln. Lange.

Am Morgen nach den Impfungen fühle ich mich mäßig grippig, von einem Nebenwirkungsdrama kann ich da nicht reden. Andere hatten es am Tag nach der Impfung deutlich schwerer, las ich mehrfach.

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Ansonsten habe ich wieder einen Tag erlebt, der einleuchtend demonstrierte, wie schnell man zerrieben werden kann, wenn man für mehrere Personen aus verschiedenen Generationen mehr oder weniger zuständig ist. Auch die kleinen Besorgungen und organisatorischen Aufgaben addieren sich nämlich, auch wenn gar nichts oder doch kaum etwas ist, so ist immer doch etwas, wie man dann am Abend merkt, der so erstaunlich schnell kommt, nach einem Tag, von dem man kaum etwas mitbekommen hat, so dermaßen voll war der, so herumgerannt ist man.

Es ist im Grunde, aber das haben andere schon wesentlich gründlicher ausgeführt als ich, ein vollkommen verrücktes Konstrukt, berufstätig zu sein und auch noch den Haushalt, den Rest des Lebens und auch der Care-Arbeit im weitesten Sinne regeln und erledigen zu wollen. Man kann das leicht nachrechnen, dass diese Aufgabe gar nicht aufgehen kann, es ist nicht möglich. Es ist wie damals bei dieser einen Mathe-Aufgabe mit dem Druckfehler im Lehrbuch.

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And he took the road to heaven in the morning: Wir winken Shane MacGowan. Er hat lange durchgehalten, wie man bei seinem Lebenslauf wohl sagen muss. Danke für die Lieder.

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Im Bild ein Nebenarm der Elbe am Oberhafen. Im Hintergrund die wachsende Stadt, da wuchert sie hin.

Blick von der Oberhafenbrücke in Richtung Neubaugebiete

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Dunkel bleiben die Fenster

Schleichende Änderungen der Normalität sind schwer zu erfassen in Chroniken wie dieser hier, oft bemerke ich sie erst deutlich nach ihrem Eintreten und weiß dann nicht recht, wie lange der beobachtete Umstand schon so ist, es fehlen mir auch oft die Anhaltspunkte im Rückblick. Aber es sei doch einmal festgehalten, was schon seit geraumer Zeit so ist – das Einkaufen dauert länger. Länger als, na, sagen wir vor der Pandemie, vielleicht aber auch länger als vor einem Jahr, fast bin ich mir dabei sicher.

Und das liegt wenig überraschend am Personalmangel. Ich stehe einfach deutlich länger und zu allen Zeiten in Kassenschlangen, weil niemand mehr da ist, der oder die eine weitere Kasse öffnen könnte. Und selbst die unfreundlichsten Kundinnen, die noch bis vor einigen Wochen immer wieder quer durch den Laden lauthals nach mehr Personal und Service bellten, sie haben es mittlerweile verstanden und stehen nahezu still und ergeben, nur noch verhalten grummelnd und fluchend. Es ist eben, wie es ist und in meinem kleinen Ausschnitt der Gesellschaft hat sich das Bild also wieder etwas verschoben. Man steht und wartet jetzt. Und wartet, und wartet.

Ich gehe außerdem mit einem Sohn am Morgen in eine Artpraxis, ein kleiner Schulunfall, es wird etwas geschient und gegipst. In der Praxis höre ich dabei mehrfach den Hinweis, wie lange heute alles dauern würde, denn es sei niemand da, alle erkrankt. Die noch Standhaften übernehmen die Aufgaben von mehreren. Eine vom Personal steht noch während des Gesprächs auf und geht nach Hause, es geht ihr nicht gut. Alle anderen sind sichtlich und deutlich hörbar krank, blubbernde Infektionsherde, die munter Viren weiterreichen, sie machen dennoch weiter. Eine Szene wie zur Bebilderung eines entsprechenden Berichts über die Infektionswelle und all die Ausfälle in den Abendnachrichten.

Man findet keine Leute, und die, die man findet, sind krank. So in etwa die Quintessenz der letzten Wochen hier. Und die eine Bäckerei um die Ecke ist auch schon wieder seit Tagen zu, dunkel bleiben die Fenster, woran das wohl liegen mag?

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Der Nachbar übt währenddessen „Ihr Kinderlein kommet“ auf dem Klavier, die Kinder auf dem wie immer schneelosen Hof der Grundschule singen laut und ironisch „Jingle bells“ im improvisierten Chor. Weihnachten rückt näher.

Nachtaufnahme - eine tannenbaumförmige Leuchtskulptur vor dem Hamburger Rathaus, sehr hoch, mit einem Stern an der Spitze

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Im wabernden Fettgeruch der Schmalzgebäckbuden

Herzlichen Dank vorweg, es wurde uns das Buch „Die Zeit der Verluste“ von Daniel Schreiber geschickt. Sehr fein, es liegt nun auf dem Nachttisch.

Montag, 27.11. Es findet in diesen Tagen einiges ritualisiert statt, so schneit es etwa überall, quer durch die Timelines und durchs Land, nur bei uns in der Mitte der großen Stadt nicht, so scheitert etwa unsere Heizung wieder an den ersten richtigen Kältetagen und möchte lieber nicht; wir dulden still und gefasst bei 17 Grad Innentemperatur. Das sind immerhin deutlich mehr als null und andere haben gar nichts, immer alles relativieren und die Wärmflaschen und auch die besonders flauschigen Decken heraussuchen. Der Haustechniker wird es richten, irgendwann.

In der Stadt hat sich die Weihnachtszeit nun programmgemäß voll entfaltet, alle Märkte wurden eröffnet, alle Schaufenster wurden im Geschenk- und Festmodus voll aufgebrezelt oder, wie Sohn II sagt: „Die Deko ist gespawnt.“.

Im wabernden Fettgeruch der Schmalzgebäckbuden in der Fußgängerzone sitzen wieder obdachlose Menschen und betteln, „Hunger“ steht auf dem kleinen Pappschild, das einer hält. Gegensätze aushalten, schon klar. Die ersten Straßenmusikanten flöten dazu ihre Weihnachtslieder.

Ich gehe durch die verregnete Stadt und renoviere meine Weihnachtsplaylist. Ich konzentriere mich dabei auf die drei, vier kümmerlichen Schneeflocken, die ich in den Schauern ausmachen kann. Ich gehe nach Hause und trinke Christmas Tea, ich erreiche immerhin mäßige Ergebnisse, was die dezembrige Stimmung angeht. Aber es sind auch noch ein paar Tage Zeit, ich bin im Vorlauf und überpünktlich, so wie ich es gerne habe. Um bezüglich des restlichen Winters noch einmal Sohn II zu zitieren: „Auf Tiktok sagen sie, es wird viel Schnee geben. Aber auf Tiktok sagen sie vieles.“

Ich lese am Abend ein wenig in Johnsons Jahrestagen, denke dann aber wieder, dass es wegen des beträchtlichen Umfangs doch eher ein Projekt für die Rentenjahre ist. Das dann mal später am Stück vornehmen. Vielleicht.

Schließlich doch weiter Alice Munros Geschichten gelesen und sehr zufrieden damit gewesen.

Die Rathausarkaden in der Dunkelheit, im Vordergrund ein Teil der beleuchteten Schleusenanlage

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Währenddessen in den Blogs

Eine Vorhersage zur Wiedergeburt der Kaufhäuser. Der kann ich mich anschließen, das erwarte ich auch so. Passend dazu Frau Novemberregen über Kaufhäuser und seltsame Sortierungen der Ware.

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Man macht es sich aus hässlichen Gründen schön

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Hier wird an die Deutschstunde angelegt

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Über das Bahnfahren in dieser Zeit. Natürlich gibt es viele Artikel dieser Art, ich könnte nach gewissen Vorkommnissen in der letzten Woche auch wieder einen schreiben. Aber das sind allzu erwartbare Texte, ich verzichte diesmal. Bahnfahrten sind nun einmal Dramen geworden, wir wissen es mittlerweile, ich teile nur ab und zu einmal einen Artikel dazu, für die Materialsammlung Verkehrswende, die man vielleicht in ironische Anführungszeichen setzen müsste.

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Ein ansprechender und außerdem besonders novemberkompatibler Internetradiotipp. Sehr schräges Zeug läuft da teils, gefällt mir.

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Auf die nunmehr angekommene kalte Winterzeit

Schmale, schmuddelige Schneefetzen auf den Randstreifen der graupelnassen Autobahn durch Niedersachsen, im Licht der Scheinwerfer in der Dunkelheit des späten Nachmittags aufscheinend, einige Kilometer entlang nur, für wenige Minuten, irgendwo auf der Höhe von Soltau. Das norddeutsche Winterwonderland des späten Novembers. „Schnee“, sage ich und zeige, „Hm“, sagt die Herzdame, da haben wir das Thema auch schon abgehandelt. Der Sohn auf der Rückbank guckt kurz vom Bildschirm hoch, eher desinteressiert. Er glaubt generell nicht an Schnee. Eine Generationenfrage.

Später dann noch Regengüsse, Sturm, Hagel und Gewitter, aber da sind wir schon im Heimatdorf der Herzdame, da sitzen wir schon vor dem Kamin. Zwei, drei Grad draußen und alle Arten von Nass auf dem Dach, der Wind heult ums Haus und ruckelt ruppig an der Katzenklappe der Hintertür.

„Kommt, lasst uns Holz zum Herde tragen

Und Kohlen dran, jetzt ist es Zeit.“

Das sind Zeilen aus dem Gedicht, von dem ich mir auch den Titel dieses Eintrags geliehen habe. Es ist noch aus dem frühfossilen Zeitalter, Johann Rist hat es geschrieben, 17. Jahrhundert. Wenn Sie Kirchenlieder aus der evangelischen Richtung parat haben, dann kennen Sie den vermutlich.

In der Nacht ziehe ich zum ersten Mal in dieser Saison in Erwägung, das Fenster doch zu schließen, denn die Kälte geht mir feinfingrig unter die Decke und an die Beine, das behagt mir nicht. Unruhige Träume von wärmenden Gehäusen.

Am nächsten Morgen steht das Wasser hoch in den Gräben und auch auf dem Acker vor dem Haus, metallisch glänzend im ersten Licht, filigran ausgezackte Silberintarsien auf schwarzer Erde. Blätter und frühe Kohlmeisen treiben wirbelnd darüber hin. Man möchte heute nicht aus dem Haus müssen.

„Glatteis geringfügig“ sagt die Wetteranzeige am Computer, und unter „Vorschläge für diesen Tag“ steht kurz und lapidar: „Draußen sehr schlecht.“ Ja, das sieht man. Es sind noch einige Blätter an dem Baum vor dem Fenster, aber es werden mit jeder Stunde weniger, es wird jetzt alles abgeräumt. Die Birken am Feldrand sind schon bar allen Laubes, nackte Zweige wehen im Wind, und wenn man genau hinsieht, sitzt ein Sperber auf einem Ast und sieht über das Feld.

Ich habe wohl das Alter erreicht, in dem mir bei Kälte manchmal dies und das wehtut, es zieht in der Schulter und im Kreuz. Ich setze mich seufzend neben den brennenden Kamin, wie ich es als Kind bei den Alten gesehen habe.

Später der Spaziergang. Im Dorf wird vor dem Altenheim heute der große Adventskranz gehisst, rote, glänzende Kugeln darin. Vor der Kirche stehen Männer auf einer Hebebühne. Es wird dort etwas in die Bäume montiert, Lichterketten werden es sein. Auf dem nahen Friedhof gehen mehr Menschen als sonst herum, kurz vor dem Totensonntag wird hier und da noch etwas gerichtet. Neu erworbene Gestecke liegen auf zahlreichen Gräbern, viele in Herzform. Diesen Brauch kannte ich nicht.

Der Laden des Bäckers, der neulich aufgegeben hat, steht leer. Die Kaugummiautomaten am Straßenrand sehen aus, als würden sie schon lange nicht mehr funktionieren. „Die Apotheke macht auch zu“, sagt die Mutter der Herzdame.

Ein letztes verfärbtes Herbstblatt an einem Zweiglein vor einem unter Wasser stehenden Acker, sehr novembrige Anmutung

Am Totensonntag liegt dann eine hauchdünne weiße Schicht auf den Dächern im Dorf, gerade eben noch ist sie zu erkennen und bald schon weggeregnet. Ich könnte dem erst spät aufwachenden Sohn sagen, dass es am Morgen weiß draußen war, und er würde es wieder zweifeln.

In der Kirche werden die Namen der Verstorbenen vorgelesen, 27 sind es in diesem Jahr. Name, erreichtes Alter und letzte Adresse sagt man da an, auch den etwaigen Geburtsnamen. Bei jedem Namen wird eine Kerze angezündet, dann ist der Mensch abgekündigt, lerne ich. Die Kirche ist voll, ich nehme an, dass zu jedem Namen Angehörige anwesend sind, so wie wir.

Nun kenne ich auch so einen Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag. Ich habe nicht allzu viel Erfahrung mit kirchlichen Vorgängen und kenne diese Gepflogenheiten nicht.

Einen Satz des Pastors vor dem Abendmahl habe ich uns noch für die große Pandemie-Chronik notiert: „Seit Corona sind wir zu Einzelkelchen übergegangen.“ Diese Formulierung mal merken, die mal übernehmen, etwa für die Stoßseufzer bei gewissen Problemen, wenn sie denn klar abzugrenzen sind von der Gemenge- und der Weltlage: „Lass diesen Einzelkelch an mir vorübergehen.“

Man lernt auf Reisen doch immer und wird irgendwie bereichert, selbst wenn man nur kurz übers Wochenende unterwegs ist, selbst wenn es nur eine kleine Pointe ist.

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Am Nachmittag zurück nach Hamburg. Wir holen Weihnachten aus dem Keller.

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Glad to be unhappy

Man wird gerade überall erschlagen von der Black-Friday-Werbung, und ich stelle ebenso zufrieden wie renitent fest, dass ich nichts brauche oder will, was natürlich sehr befreiend ist und ein wenig wohl auch Glückssache. Ich muss gerade keinen Preisen hinterherjagen, ich muss nichts im Auge behalten, nichts suchen, ich muss nicht einmal Geschenke besorgen, es ist überaus angenehm so.

Der große Werbedruck drängt mich also eher zu: Dann kaufe ich eben nichts, das habt ihr jetzt davon. Man wehrt sich, wo man noch kann, wie jämmerlich es auch ausfällt.

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Ansonsten Home-Office, sehr viel Arbeit, dazu Deadlines im freiberuflichen Teil des Tages, es ist alles etwas eng bemessen. Daneben weitere Krankmeldungen, auch aus der Schule, auch als Privatnachricht aus anderen Kreisen. Ungefähr jeder zweite Kontakt ist krank, war gerade krank oder wird noch im Laufe des Tages krank, man hört es schon.

Immerhin dabei ergiebiger Regen auf den Dachfenstern, beste und beruhigende Arbeitsstimmung also, vor allem mit der richtigen Musik. Und immerhin gehöre ich noch zur Bevölkerungshälfte ohne Infekt, das mal jeden Tag feiern. Ich habe Schulkinder, meine Chancen sind auf Dauer denkbar gering.

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Ich zitiere aus einem Handelsblatt-Artikel über Javier Milei, gerade gewählt in Argentinien: „Seine emotional engste Verbindung hatte er zeitlebens zu seinem Hund Conan, über dessen Tod ihn nun vier geklonte Welpen trösten, die nach libertären Ökonomen benannt sind.

Und dennoch soll man immer weiter die Nachrichten ernst nehmen. Es ist doch allmählich etwas herausfordernd, finden Sie nicht auch? Leben wir in einer satirisch gefärbten Dystopie, und wie konnte es denn bloß soweit kommen?

Bei mir um die Ecke bringt ein Polizist Grundschülern Verkehrsregeln bei, er weist dabei einen Passanten darauf hin, dass er bei Rot über die Straße geht – und wird daraufhin von ihm angegriffen (Meldung hier). Werden alle immer schneller verrückt oder kommt es einem nur so vor, ich kann es kaum noch abwägen und verbleibe einigermaßen ratlos.

Zumal es doch richtig wäre, sich bei der Feststellung, dass alle verrückt werden, stets zu fragen, ob „alle“ nicht fast zwingend auch den Fragenden inkludiert, denn wer ist man, sich über die Gesellschaft zu erheben.

Was aber heißt das alles nun wirklich? Schon gut, ich erwarte keine Antworten.

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Im Tagesbild sehen Sie, wie Weihnachten auf LKW-Anhängern in die Hamburger Innenstadt gekarrt wird, man kann gut erkennen, dass es groß ausfällt.

Eine riesige rote Christbaumkugel auf einem LKW-Anhänger

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Der Himmel über Hamburg

Es gibt eine neue Meldung zur Lage am Hauptbahnhof, zu den Maßnahmen, die von der Stadt ergriffen werden sollen, erst einmal ein runder Tisch, meine Güte. Man initiiert also Spitzengespräche, und ich hätte jetzt gedacht, diese zuständigen Leute würden aus beruflichen Gründen ohnehin miteinander reden, und zwar öfter, wenn nicht sogar dauernd.

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Beim diesmal etwas lustlosen Laubharken im Garten höre ich weiter die Deutschstunde von Siegfried Lenz. Ich halte es dabei für eine schöne Vorstellung, dass das ganze Werk gemäß der Erzählung mit Füller in Schulhefte geschrieben worden ist, sogar noch mit Tinte aus Fässern, es wird mehrfach erwähnt. Es ist ein dickes Buch, es wird also ein hoher Stapel Hefte gewesen sein, und ich stelle mir die langsame Handarbeit über viele Wochen heute sicher viel deutlicher vor, als ich es bei der ersten Lektüre des Buches getan habe. Ich habe in den letzten Jahren mehr mit der Hand geschrieben als in meiner Schulzeit, und mit bedeutend mehr Vergnügen dabei. Fast alles hier entsteht aus handschriftlichen Notizen, die aber meist nur aus Stichworten bestehen, seltener aus ganzen Sätzen.

Stelle ich mir alle Jahrgänge dieses Blogs handgeschrieben in Schulheften vor, ist es eine regalbrettfüllende Angelegenheit, ausreichend für mindestens ein selbstvergebenes Fleißsternchen. Heute wie damals aber würde Lehrpersonal zuverlässig überall an den Rand schreiben: „Das kann man kaum lesen!“

Die Söhne kennen das, man vererbt halt auch oder vor allem den Unfug.

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Gelesen: Peter Stamm: Der Lauf der Dinge. Seine sämtlichen Erzählungen. Es war ein verregneter, extragrauer Sonntag, da passte das gerade gut hinein. Viele angenehm kurze Texte ohne jede Politik, wenn Sie so etwas vielleicht einmal suchen … manchmal hat man doch nicht den Atem für den Konsum vielseitiger Erzählungen mit zahlreichen Verwicklungen und Ebenen, manchmal liest man auch morgens schon von Wahlen in Argentinien und ist dann für den Rest der Woche mit Nachrichten bedient und braucht andere Inhalte.

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Die Krankenquote im Umfeld steigt und steigt ansonsten, die halbe Stadt liegt mittlerweile flach, die andere Hälfte pflegt vermutlich, holt und bringt Medikamente. Ich will am Freitag bei einem Arzt etwas abholen, an der Tür der Praxis ein Schild: Wegen Grippe geschlossen.

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Die Tagesbilder werden allmählich knapp, ich mache zu wenig neue Fotos, das liegt am Monat, an der Dunkelheit und am Regen. Nur noch wenige Bilder habe ich auf Vorrat, und am Ende muss ich dann wie ein Tourist zu den Postkartenstellen dieser Stadt, um Motive nachlegen zu können. Peinlich.

Hier noch einmal die Alster, drüben, auf der anderen Seite, nicht bei uns im kleinen Bahnhofsviertel. Die Landlebenbloggerin hatte sich neulich einmal gefragt, wie denn die Menschen in den großen Städten bloß mit so wenig Himmel auskommen, aber hier an Alster und Elbe kommen wir schon klar, das wollte ich noch eben belegen.

Blick über die Alster von der Harvestehuder Seite aus, Richtung Sankt Georg. Im Vordergrund leere Stege auf dem Wasser.

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Finale

Im Hauptbahnhof wird das Finale des Jahres vorbereitet, die ganz große Weihnachtsdeko wird nun also montiert, diese gigantischen und großstadtgemäßen Kugeln und Figuren etc., die in der Wandelhalle wieder unter der Decke hängen werden. Die Riesenteile, bei denen ich immer denke, wenn die mal runterfallen, was einen bei dem an allen Ecken kaum noch zu übersehenden Verfall des Landes und der Stadt und bei dem allgemeinen Pessimismus längst nicht mehr wundern würde, und wenn die dabei jemanden erschlagen, das ist dann zumindest ein origineller Tod. Geradezu filmtauglich wird das sein.

Aber gut, das ist kein besonders besinnlicher Gedanke, pardon. Der innere Grinch ist stark in mir in diesem Jahr, ich halte mich nur mühsam zurück und garantiere im weiteren Verlauf für nichts. Nie schienen mir Besinnlichkeitsmarketing, Weltlage und eigene Verfassung inkompatibler.

Diese Weihnachtsdeko jedenfalls, vor und unter der sich die Touristinnen in Kürze wieder scharenweise grinsekatzenlustig und selfiehalber um ihre Smartphones drängen werden, um dann Bilder in die Kleinstädte und die Dörfer, in den Speckgürtel und auch ins Ausland zu schicken, guck mal, guck mal, wir in Hamburg, wir voller Glühwein, wir voller Bratwurst, wir mit Geschenken, sie hängt also schon, diese Deko, sie wird nur noch nicht beleuchtet. Es ist eine Frage von wenigen Tagen, vielleicht glimmt es dort aber auch schon, wenn dieser Text erscheint.

Die Wohltätigkeitsorganisation beginnt währenddessen mit dem Verkauf der Weihnachtsteddys in der Wandelhalle, und es ist vielleicht nur der Zufall der Minute, aber als ich da vorbeigehe, haben sie am Stand sogar reichlich Kundinnen. Auch mal etwas Nettes erwähnen, so ist es ja nicht, es wird gespendet.

Und der Weihnachtsmarkt bei uns um die Ecke, er wurde auch schon eröffnet. Glühweingeruch wabert wieder über die Straße und die ersten Kinder bremsen im Vorbeigehen ihre Eltern, weil sie die Standardsüßigkeiten der Saison sehen oder riechen, darf ich, darf ich.

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In der Bücherei gewesen, in die ich nun wieder deutlich öfter gehe, mehr Bücher von Alice Munro geholt. Ich habe über Alice Munro auch einiges nachgelesen, anlässlich des Nobelpreises ist damals immerhin viel über sie geschrieben worden, man wird also fündig. Nicht alles kann ich anhand der Geschichten, die ich lese, auch nachvollziehen, aber ich finde es doch unterhaltsam und spannend, das versuchsweise zusammenzubringen.

Ich bin allerdings kein intellektueller, sinnsuchender Leser, ich will meist nur Geschichten erzählt bekommen, schlimmer noch, Bilder eigentlich nur, und ich deute beim Lesen wenig und betrachte Literatur selten als Suchspiel und Entschlüsselungsaufgabe. Ich bin eher ein Leser von sehr geringem Verstand, deswegen schreibe ich auch keine Rezensionen, das ist ein ehrbares Handwerk für andere Leute. Die eigenen Grenzen auch stets beachten, mind the gap.

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Im Tagesbild die ansprechende Novemberstimmung an der Billerhuder Insel, auf der unser Garten ist. Hinter den Bäumen links liegt das Tierheim, von dort hört man, wenn der Wind passend steht, zu jeder Tageszeit den Chor der Gefangenen.

Blick über die Bille an der Billerhuder Insel, Boote an Stegen, grauer Himmel, Herbstlaub an den bäumen

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Die Beschaffenheit der Steine in dieser Stadt

In einem der kleinen Läden im Hauptbahnhof, im nicht eben attraktiven unterirdischen Bereich, steht ein Verkäufer in einem kleinen Laden. Er sieht aus wie der junge Frank Zappa, er sieht sogar ziemlich überzeugend so aus, auch seine Kleidung wirkt seltsam zeitgereist, und ich habe dann für den Rest des Tages einen unauslöschlichen Bobby-Brown-Ohrwurm.


Auch so ein Text, den rechte Bewegungen überall auf der Welt verbieten würden, wenn sie denn nur könnten, und sie können es sicher hier und da, haben es immer irgendwo gekonnt. Der Song ist selbstvertändlich auch nicht in US-Radios zu hören.

Der Verkäufer jedenfalls lehnt an seinem Tresen, er besieht sich den ewigen Strom der vorbeiziehenden Passanten und grinst. Es sieht etwas spöttisch, etwas herablassend aus, wie er den Leuten nachsieht, denn da draußen vor seinem kleinen Schaufenster ziehen unentwegt all die Trottel vorbei, die man kaum unterscheiden kann, erst ziehen sie von links nach rechts, dann ziehen sie wieder von rechts nach links, so denkt er vielleicht. Frank Zappa hätte das, da darf man wohl sicher sein, auch so gesehen.

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Am Nachmittag sehe ich wie immer zwischendurch aus dem Fenster auf den leeren Spielplatz. Es sind keine Kinder da, es ist heute zu kalt und zu grau, es ist ein unangenehmer Tag für die meisten. Nur ein Mann geht ihm Kreis und zwischen den leeren Schaukeln hin und her. Mit einem etwas bärenhaft schaukelnden Gang, der mir auf Alkoholkonsum hinzuweisen scheint. Er bleibt stehen und trinkt aus einem Flachmann, und das ist dann auch nett, wenn meine Gedanken von meinen Figuren so prompt und beflissen bestätigt werden. Der Mann geht zur Mauer am Rand des Platzes, legt die Hand auf einen Ziegel und befühlt ihn einen Moment, er nickt dann.

Er verlässt den Platz, er geht zu den Häusern gegenüber. Er fasst einen Stein an, der zur kunstvoll gemauerten Umrandung einer Haustür gehört, er tastet ihn ab, er nickt. Und das macht er dann noch mit mehr Steinen an mehr Häusern, auch an der Kirche. Es sieht nicht aus, als würde er etwas suchen, es sieht eher aus … als würde er ernsthaft die Beschaffenheit der Steine in dieser Stadt erkunden. Manchmal nickt er dabei, manchmal nickt er nicht.

Dann trinkt er noch einen großen, letzten Schluck, wirft den leeren Flachmann kopfschüttelnd in einen Mülleimer und geht weiter, langsam, etwas schaukelnd. Es gibt noch mehr Steine in dieser Stadt.

Und es gibt noch mehr Szenen, die man vom Fenster aus beobachten und nicht zuverlässig deuten kann.

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Im Tagesbild und fast ohne jeden Zusammenhang, wenn man von der herbstlichen Stimmung absieht, die Tretboote unten an der Alster im Novembermodus.

Tretboote an einem verlassenen Steg, Herbstlaub im Wasser, grauer Himmel

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