Späte Ernte, frühes Obst

27.5., weiterhin der Sonnabend. Der Todestag von Joseph Roth übrigens (1939), ich sehe es gerade auf Mastodon, aber das nur am Rande.

Der Bruder der Herzdame kommt aus Nordostwestfalen zu uns, um beim Streichen der Laube zu helfen, wie nett ist das denn. Holzlauben muss man nämlich dauernd streichen, nervtötend oft sogar. Legohäuschen aus pflegeleichtem Plastik wären da wesentlich einfacher. Aber wie groß wären die Packungen der Bausätze und wie lange würde man für den Aufbau brauchen. Egal, wir fahren also mit dem Bruder in den Garten.

Die Herzdame hat die Farbe oder die Lasur oder den Schutzlack oder was, ich kenne mich da nicht aus, Handwerk ist ihr Metier, im Baumarkt besorgt. Dabei fand sie ein paar letzte vorgezogene Pflanzen, die gerade noch brauchbar aussahen: Steckrüben. Sehr originell, die hatten wir noch nie im Garten, ich bin gespannt. Ich habe sie, wenn ich mich richtig erinnere, auch noch nie irgendwo vorgezogen gesehen, warum eigentlich nicht. Kein allzu beliebtes Gemüse vermutlich. Egal, eine späte Ernte wird das, Oktober oder November sogar. Die Rübe ist ein zögerliches Langstreckengewächs, fast wie die Pastinake. Wenn die Karotten daneben in diesem Jahr auch etwas werden, wird es schon ein Selbstversorgereintopf, vielleicht sogar, wenn es richtig gut läuft, für zwei Tage.

Ich habe die Rüben betont behutsam eingepflanzt und freundlich gewässert. Ihre Form nahm mit jeder Stunde nach dem Kauf sichtlich ab, ich hoffe, ich war mit meinen Rettungsmaßnahmen noch rechtzeitig. Die armen Dingerchen, es wird einem ganz grün ums Herz.

Einige Radieschen ernte ich nebenbei, etwas Rucola, etwas Rosmarin, diesen werfen wir dann später mit Feta und Tomaten auf den Grill, denn wir zum ersten Mal in dieser Saison öffnen, was übrigens, wenn man ein freundliches Verhältnis zu Spinnen hat, auch eine interessante Erfahrung ist: Ein belebtes Gehäuse. Aber wir haben kein freundliches Verhältnis zu Spinnen.

Die erste Iris blüht derweil lilafarben mit gelben Streifen unter der Hecke, gut versteckt. Der Zierlauch strahlt blaukugelig aus dem Fliedergebüsch, der Ehrenpreis blüht etwas verhalten neben dem Rittersporn, der gerade noch etwas vorbereitet. Die Lupinen arbeiten an der äußerst abgefahrenen Architektur ihrer Blüten, ein ganz besonderes Design. Fingerhüte öffnen sich langsam und Katzenminze und Salbei haben so viel Bienenbesuch, jemand müsste über ihnen den Flugverkehr regeln.

Das unüberschaubare Heer der Maiglöckchen hat in dieser Woche das strahlende Blütenweiß verloren, jetzt sind sie eher chamois, gelblich bis rentnerbeige, zurückhaltend. In wenigen Tagen schon werden sie ganz durch und verblüht sein, es sind eben keine Juniglöckchen, sie sind präzise benannt. Und apropos kalendarische Vorgaben, die Pfingstrose könnte gerade eben noch pünktlich sein. Vielleicht fehlt ihr ein sonniger Tag, vielleicht fehlen noch zwei.

Die Stachelbeeren sehen schon eindeutig nach essbarem Obst aus, früh wie immer, sie sind aber steinhart, versteht sich. Äpfel, Birnen etc. sind noch im winzigen Embryonalstadium, die Kirschen sämtlich noch knackgrün.

Eine Stachelbeere am Busch

Die neulich erst so mühsam umgepflanzte Topinamburtruppe, ich berichtete, hat immerhin Kniehöhe erreicht. Die Pflanzen werden mich noch überragen im Laufe des Sommers, zu den Blüten muss man dann hochsehen.

Erdbeertorte im Garten

Die Söhne sind währenddessen den ganzen Tag auf Abwegen. Wir eröffnen, noch bevor sie die Wohnung verlassen, die Saison der nervtötenden Sonnencremeermahnungen, man eltert nach Kräften so herum und kann sich selbst dabei nicht mehr hören. Meine Güte, was muss man manchmal auftragsgemäß nervtötend sein. Ich benutze fluchend und zeternd zum ersten Mal auch selbst Sonnnencreme. Ich sehe die Notwendigkeit selbstverständlich ein, finde es aber ausgesprochen schauderhaft. Fettiges oder glibberiges Zeug auf der Haut, entsetzlich ist das. Aber muss ja. Den Kindern ein Vorbild und auch sonst.

Wenn wir die zwei zurzeit oft erwähnten und in den letzten Jahren prominenten Vorsichtsmaßnahmen zusammennehmen, die Sonnencreme und die Masken etwa im ÖPNV – gerade in der Verbindung wäre dieses Szenario einem Menschen aus früheren Jahrzehnten vermutlich einigermaßen dystopisch vorgekommen. Was vielleicht so zu deuten ist, dass wir in dezent dystopischen Zeiten leben, nicht wahr. Man hat es sich vorher nur etwas actiongeladener und mit Bruce Willis vorgestellt. Na ja.

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Bügelwäsche und Business

26.5., der Freitag. Nach vier Tagen im Office-Office bleibe ich heute doch einmal einen Tag zuhause, und ist es ausgesprochen nett, wieder im Home-Office zu sitzen. So eine entspannte Umgebung hier, nett eingerichtet ist es auch und mit schmackhafter Auswahl im Kühlschrank. Jedenfalls ist es für mich entspannt, wenn die Söhne bis zum späten Nachmittag aus dem Haus sind, und ich einen ihrer Schreibtische in aller Ruhe okkupieren kann. Nachdem ich ihn aufgeräumt habe, irgendwas ist immer. Dann aber – schon schön. Bei einem langen Vortrag zuhören und nebenbei Wäsche zusammenlegen, ich mag diese kleinen Gewinne im ewigen Stellungskrieg gegen die To-Dos und die Timings. Ich brauche allerdings dringend ein kabelloses Headset, dann ginge noch mehr. Ich fühle mich bei Online-Meetings zu angeleint, das muss doch nicht sein.

Das Hin- und Herwechseln zwischen den Arbeitsstandorten ist für mich weiterhin das Richtige. Wobei ich zu der Minderheit mit einem kurzen Arbeitsweg gehöre, der Rest der Bevölkerung hat da Erschwernisse und Zeitverlust durch die elende Pendelei, die nur für wenige ein Genuss ist. Ich dagegen gehe mal eben schnell ins Büro oder fahre eine Station mit der Bahn. Oder ich setze mich aufs Rad und rolle etwas hügelabwärts, runter nach Hammerbrook. Ich kann sogar aus dem Home-Office mal eben spontan für ein Treffen ins Office-Office wechseln, wenn mir das passend erscheinen sollte, es kam so schon vor. Easy.

Über Workation könnte ich auch nachdenken, also von irgendwo arbeiten, vielleicht vor attraktiver Kulisse, aber ich sehe im Moment noch nicht, wie das in meinen Alltag passen könnte. Theoretisch könnte ich eine Weile lang, was weiß ich, von Helgoland aus arbeiten oder aus Meran, um noch etwas mondäner zu denken. Technisch und auch betrieblich ginge das mittlerweile alles, und das ist sicher erfreulich, es wäre vermutlich auch belebend fürs Blog – aber familiär ist es doch schwer zu lösen. Na, das mal im Auge behalten.

Ich hatte Zeiten im Leben, in denen mein Weg ins Büro anderthalb Stunden lang war, also nur hin. Das fand ich damals sogar kurz gut, weil man so viel lesen konnte im Zug, aber auf Dauer war es doch furchtbar.

Notizen vom 27.5., Sonnabend. Auch mal wieder einen Tag im Blog aufholen, wobei ich da kaum sportlichen Ehrgeiz habe. Ich schreibe gerade an vier, fünf Blogartikeln gleichzeitig, sie werden eher langsam und in mehreren Schleifen fertig. Es hat auf diese Art alles etwas mehr Zeit, es gefällt mir weiterhin so.

Ich interessiere mich sowohl für Eiderstedt als auch für den städtischen Wandel, beides kommt hier in dieser Meldung zusammen – Ein Jahr ohne Miete in Tönning. Strampelndes Stadtmarketing also, nicht negativ gemeint, ich finde es gut, wenn etwas versucht wird. Es gibt auf Eiderstedt auch Städte, Garding etwa, die schon fortgeschritten traurig und lost aussehen. Oder zumindest aussahen, ich war mittlerweile über ein Jahr nicht mehr da, vielleicht ist es wieder besser geworden.

In meiner Gegend findet beides gleichzeitig statt, die Stadt stirbt und blüht. Dass sie stirbt, sieht man an den leeren Kaufhäusern oder den kreativen Zwischennutzungen, dass sie blüht, sieht man dann in Straßen wie etwa dem Neuen Wall mit den zahlreichen Läden im oberen und höchsten Preissegment. Es liegen nur ein paar Gehminuten zwischen den Extremen. In der Hamburger Ausgabe der Zeit wurde in der letzten Woche erwähnt, dass Erfolgsgeschichten, also Erfolg rein wirtschaftlich betrachtet, versteht sich, wie die am Neuen Wall dennoch nicht zu einer Belebung der Stadt führen, weil es bei den Mietpreisen dort selbstverständlich kein nettes Café oder etwas in der Art geben kann. Pünktlich zum Ladenschluss ist dort alles wie leergefegt, da ist dann einfach nichts mehr, nur schöne Schaufenster, in die keiner mehr guckt, und vermutlich etwas patrouillierendes Sicherheitspersonal davor. Sehr urban.

Die oben erwähnte kreative Zwischennutzung im Jupiter-Kaufhaus sehe ich auf meinen Spazierrunden oft, und gut besucht scheint mir das da nicht zu sein, auch nicht betont wohlwollend betrachtet. Woran bemisst sich der Erfolg solcher Maßnahmen? Sind sie nützlich? Es ist kompliziert.

Im Bild heute der Himmel über den Großen Bleichen in der Hamburger Innenstadt, knapp neben dem erwähnten Neuen Wall. Betont bunt geht es da zu, auch in dieser Straße blüht die Stadt.

Bunte Bänder vor blauem Himmel als Deko über der Straße Große Bleichen

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In Pinneberg privat im August

Der 25.5., Donnerstag der letzten Woche. Morgens schon wieder ins Büro, schon wegen des Tagesbildes. Man muss sich eben zusammensuchen, was einen auf Trab bringt und auch einmal vor die Tür lockt. Mich motiviert hier also ein Motiv, warum auch nicht, das klingt doch passend und plausibel.

Die S-Bahnstation Hammerbrook

Ich kann es im Laufe des Tages nicht länger ignorieren, ich habe ein gravierendes Problem mit einem Fußknöchel, neulich bin ich mit dem Fuß umgeknickt. Es wurde dann aber nicht so schnell wieder besser, wie es sonst immer läuft, wenn so etwas passiert, und es passiert einem ja öfter im Leben. Es sieht auch komisch aus, dachte ich zwischendurch, als hätte ich auf einmal zwei Knöchel, wo einer doch vollkommen reicht. Oder bisher gereicht hat. Ich mache nach zehn, zwölf Tagen mit Schmerzen und deutlicher, wirklich seltsam aussehender Schwellung also doch einmal und nur äußerst widerwillig einen Orthopädentermin. Am Ende ist so etwas sogar behandlungsbedürftig, was weiß ich, das ist manchmal schwer zu schätzen und wie man es macht, macht man es auf jeden Fall verkehrt und jemand mit medizinischer Bildung fragt dann wieder mit skeptischem Blick, warum man erst jetzt komme oder aber warum man überhaupt komme, man verliert immer. Ich hasse es.

Aber ich gehe viel im Alltag, ich brauche meine Füße einigermaßen dringend.

Die Buchungs-App (mit der es auch gewisse Probleme gibt) schlägt mir entweder Termine mit Privatzahlung oder irgendwann im August oder aber kurz vor Pinneberg vor. Ich sitze schimpfend vor der Suchmaske, hangele mich durch Menüs, fluche über die unsinnige Gleichsetzung von „akute Probleme“ und „Notfall“, finde schließlich doch noch etwas halbwegs Passendes, klicke auf Terminbuchung, absolviere diverse Dialoge, sehe endlich die Bestätigungsmail im Posteingang, stehe vom Schreibtisch auf – und zack, beschwerdefrei. Spontanheilung, vollständige Remission, ich stehe auf und wandle. Manchmal ist es dermaßen einfach.

Die Buchungs-App kann man wegen Datenschutzfragen problematisch finden, es scheint aber noch einen weiteren Effekt zu geben, der mit ihr zusammenhängt, mit der Personalknappheit sicher ebenfalls, einen Effekt, den man kaum noch ignorieren kann: Viele Praxen sind telefonisch immer schlechter zu erreichen. Wobei man daran erinnern muss, dass es Menschen gibt, vor allem alte Menschen, meine Mutter etwa, die kein Smartphone und kein Internet haben, und daher immer schlechter an Arzttermine kommen. Eine problematische Entwicklung, da auch solche Menschen manchmal dringend einen Arzt brauchen.

Ich nehme an, das dreht niemand mehr um, das ist jetzt so. In meiner Kindheit, manchmal fällt es mir wieder ein, kamen Ärzte, es waren nur Männer, noch zu uns nach Hause. Auch in dieser Hinsicht kommt meine Generation mittlerweile also aus einer anderen Welt. Aus heutiger Sicht ist es unbegreiflich, wie das damals hat funktionieren können, wie viel Zeit hatten die Ärzte denn und woher.

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Mitten rein ins Idyll

24.5., immer noch der Mittwoch der letzten Woche. Hier geht alles nach, auch der Autor, wie seine Söhne längst festgestellt haben. Ich fahre nach der Arbeit mit einem bemerkenswert pünktlichen und sauberen Zug nach Lübeck, sehr komfortabel ist das. Tolles Ticket auch, dieses Deutschlandding, ich erwähnte es bereits hier und da. Mittlerweile hat es sich in aller Deutlichkeit für mich gelohnt, finanziell und auch sonst. Während ich von Hamburg wegfahre, fährt die Herzdame gerade in einem anderen Zug von Süden auf Hamburg zu. So ist das in dynamischen Beziehungen, alles ist in Bewegung.

Die Zufallsstichprobe der Mitreisenden im Blickbereich umfasst heute einen Mann, der reglos aus dem Fenster sieht und einen Pullover trägt, auf dem mehrere lustige Faultiere im Cartoon-Style herumhängen, Motive wie auf einem Kinderpyjama sind das. Ferner ein anderer Mann, der in einer slawischen Sprache leise telefoniert, es klingt ernst und dringend. Eine Frau, die ein Fachbuch durchblättert, in dem es wohl um Knochenbrüche geht, lauter große Röntgenaufnahmen mit viel Erklärtext in winziger Schriftgröße daneben. Ein Mann mit einem langen, grauen Bart, den er mit mehreren Zopfgummis etagenweise abgebunden hat. Es sieht aus, als würden unter seinem Kinn drei unterschiedlich große Meisenbälle hängen. Es sieht merkwürdig aus und ich glaube, es würde mich wahnsinnig machen, so etwas da hängen, baumeln zu haben. Kinnklöten.

Aber doch immer wieder großartig, nicht wahr, wie anders andere Menschen sind. Schon dafür braucht man doch den ÖPNV, jedenfalls wenn man im Beruf keinen Kundenverkehr hat. Wie die alle aussehen! Und was die alle so machen! Und was die so tragen! Und lesen! Wie interessant das immer alles ist. Da hinten eine Frau mit einem enorm dicken Fantasy-Schmöker, schillernde Drachen auf dem Titelbild, die sich auf Gold räkeln, sie guckt während der ganzen Fahrt nicht einmal hoch, es muss spannend sein. Und da vorne noch der Mann, der zwar einen bürotauglichen Anzug trägt, dazu aber selbstgestrickt aussehende Wollringelsocken in verschiedenen Erdfarbtönen. Er ist hervorragend gelaunt, er grinst, er freut sich über etwas, er ist dem Aussehen nach der glücklichste Mensch im Waggon. Vielleicht wegen der Socken, man weiß es nicht.

Vor den Zugfenstern zieht Schleswig-Holstein in der entschiedenen Hübschigkeit der Maienblüte und des frischen Grüns vorbei. Wenn man das so sieht, man möchte sofort da irgendwo hinziehen, mitten rein ins Idyll, wie viel besser als die Mitte der Großstadt ist diese Gegend hier. Aber es wird ja wieder November. Und dann sieht es da anders aus, ich kenne das. Ich war da schon tief drin, in dem Idyll. Jahrelang.

Das Smartphone shuffelt mir währenddessen The Tennors in die Kopfhörer, und ich höre schon wieder: „I can gather all the news I need from the weather report”, das Lied ist eben gerade dran.

Ich treffe meinen Bruder in Lübeck, wir haben einen gemeinsamen Termin. Vorher gehen wir noch eine Weile und ein Stück durch die Innenstadt, in der ich wieder lange nicht war. Mir fällt etwas auf, was vermutlich speziell für reisende Hamburger ist: Hier liegen deutlich weniger Menschen als bei uns auf den Fußwegen und in den Hauseingängen herum. Wie sichtbar Armut, Alkohol, Drogen und Elend aller Art bei uns sind.

Ich sehe ansonsten auf diesem Spaziergang nebenbei vier von den sieben Türmen der Altstadt, die aus welchen unbegreiflichen Gründen auch immer nach wie vor nicht autofrei ist, das finde ich seit langer Zeit seltsam. Immerhin vier Türme also. Vier Siebtel, das kann man nicht weiter kürzen, sagt mein innerer Home-School-Lehrer. Den werde ich wohl nie mehr los, das ist auch so ein Spätschaden.

Im Zug und in Lübeck kein einziges Bild gemacht. Schlimm.

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Es schleicht sich ein

24.5. ein Mittwoch. Ich höre Radio am Morgen, es geht da gerade um Heizungen, immer geht es um Heizungen, ob ich nun das Radio anmache oder das Internet. Eine Moderatorin sagt, die Ampelstimmung sei schlecht, man streite sich eskalierend. Das deckt sich vermutlich mit dem, was die Mehrheit annimmt, das deckt sich wohl auch mit der Wirklichkeit, aber als Beweis für die zunehmend raue Tonlage in der Koalition zitiert man dann ausgerechnet Überschriften aus deutschen Medien, die diese Zustände kommentierend bis herablassend beschreiben. Ich bin kein Medientheoretiker oder -kritiker, aber wenn ich so etwas höre, möchte ich glatt einer werden.

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Im Büro habe ich am Rande wieder Kontakt mit ChatGPT und technischen Konsorten. Überlegungen dazu, Diskussionen darüber. Ich lerne nebenbei, dass es die Bezeichnung Buchhaltroniker gibt, die habe ich noch nie gehört. FiButroniker auch, lese ich später noch nach, guck an. Mein eigener Beruf wäre dann wohl entsprechend der Controllotroniker, das klingt nach deutscher Science-Fiction aus dem letzten Jahrhundert.

Zwischendurch sehe ich in den Timelines ähnliche Gespräche zu verwandten Themen, es ist überall das Gleiche, von Firma zu Firma, von Schreibtisch zu Schreibtisch, man denkt über das neue Zeug nach. Zwischenstand aus meiner Sicht, der ich allerdings absolut nicht als Experte durchgehen kann: Die Auswirkungen kommen schneller als noch vor ein paar Wochen gedacht, sind aber erst einmal geringer, alltäglicher als von vielen zunächst angenommen. Es schleicht sich ein, wie immer und wie bei allem. Wir erinnern uns, selbst die Smartphones haben 2007 nicht über Nacht die Welt verändert (ich habe das Geburtsjahr der Smartphones immer so schön parat, weil es mit dem Geburtsjahr von Sohn I zusammenfällt.). Vor ein paar Wochen habe ich noch gedacht, dass spätestens in fünf Jahren vieles gründlich anders sein wird, besonders in den Büros, auch in meinem, mittlerweile denke ich eher in zwei Jahren, und ich werde nicht besonders überrascht sein, wenn ich das noch einmal auf ein knapperes Timing korrigieren muss.

Später am Tag spiele ich mit einem weiteren neuen Chatbot herum, PI von Inflection (hier ein Artikel darüber, im englischsprachigen Raum findet man mehr Texte). Der oder eher es ist im Gegensatz zu ChatGPT ausdrücklich auf emotionale Intelligenz getrimmt, es ist ein betont freundlicher Gesprächspartner, benimmt sich ähnlich wie ein Therapeut im Erstkontakt und stellt Nachfragen, die einfühlsam sein sollen und, wenn ich es recht verstehe, die einem helfen sollen, das eigene Denken zu strukturieren. Was auch bei kreativen Prozessen interessant sein kann. Wenn man der Software etwa sagt, dass man heute die große Stadt satthabe und aufs Land wolle, vertieft sie die Gedanken durch geduldiges Nachfragen und Vorschläge. Und es läuft, wie ich beeindruckt feststelle, hervorragend. Meine Güte, kann Software gut reden mittlerweile. Allerdings kann sie kein Deutsch und man möchte ihr, weil man ja in diesem emotional warmen Textumfeld ist, wenn man da chattet, gleich schreiben: „Das verstehe ich, dass du Deutsch noch nicht kannst, es ist wirklich eine sehr schwere Sprache. Bestimmt kannst du es später noch lernen.“ Also auf Englisch müsste man das dann sagen, versteht sich.

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Nach der Arbeit gehe ich mit einem Sohn zur Kieferorthopädin. Im Wartezimmer sickert flauschige, belanglos perlende Sedativ-Musik aus den Boxen an der Decke, die mich in Sekunden aggressiv macht. Gibt es im Ernst Menschen, die eine solche Geräuschkulisse beruhigend finden und wie bitte sind die denn drauf? Beruhigungsgedudel, schauderhaft, das triggert meine Wellnessallergie.

Später sitze ich wartend zwischen den Behandlungszimmern, es gibt hier etliche davon, aus denen erlesen fiese Schleifgeräusche im hohen Frequenzbereich kommen und weiß für einen Moment nicht, ob in diesem speziellen Fall nicht doch vielleicht die willenlos wabernde Musik besser sein könnte … Pest oder Cholera.

Haben Sie übrigens gewusst, wieviel Eltern bei kieferorthopädischen Leistungen für ihre Kinder dazuzahlen müssen? Das mal bei der Familienplanung mitbedenken, wenn Sie noch in dieser Phase sein sollten.

Ansonsten ist dieser Mittwoch der Tag der überaus seltsamen Aktionen gegen die Letzte Generation und wie viele andere Menschen auch brauche ich recht lange, bis ich verstehe, dass der Text auf der beschlagnahmten Homepage kein Fake ist, dass das mit der „kriminellen Vereinigung“ da wirklich vorverurteilend stundenlang stand und auf die Strafbarkeit der Spenden im Ernst hingewiesen wurde. Wow.

Ich habe es eine ganze Weile nicht glauben können. Plötzlich spendenwillig sein, so kann es also zugehen.

Siehe zu dem Thema auch hier oder noch ausführlicher bei der Lage der Nation.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 29.5.2023

Weiter im Orkney-Bericht, hier noch mit einigen Vögeln. Krähenscharbe – was ist das wieder für eine großartige Artbezeichnung, und was für eine feine Beleidigung auch, du olle Krähenscharbe. Herrlich.

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Eine Cannes-Nachlese mit interessanten Details zu Falken, Tauben und Möwen als Festival-Gäste.

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Eine Brandgans, wir bleiben noch kurz bei Vögeln, hatten wir schon als Gartengast, hier steht etwas mehr zu ihr. Man beachte bitte, dass in so einem Natur-Artikel auf einmal der Zweite Weltkrieg vorkommt. So etwas lernt man nicht im Geschichtsunterricht, dafür braucht man das Internet.

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Eine kleine Anmerkung zu Corona nur, die genau an dem Tag erschien, als ich es auch dachte und vor so einem Schildrelikt stand, deswegen verlinke ich es eben.

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Solar-Erfahrungen, vielleicht findet sie jemand nützlich.

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Die Duldsamkeit des Vinyls. Mir kam neulich in ähnlicher Situation eine LP-Seite auch erstaunlich kurz vor, meiner Erinnerung nach dauerten die länger. Und zwar erheblich länger. Nun, Erinnerungen täuschen, und wie sie täuschen.

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Später Tagesschau hinterhergeguckt: Acht von 15 Minuten über deutschen Männerbundesliga-Fußball. Das halte ich für sehr falsch: Menschen, die sich für dieses Thema interessieren, haben sicher genügend andere, auch öffentlich-rechtliche Quellen dafür.

Genau. Es ist eine Zumutung, und ich meine es nicht freundlich-scherzhaft.

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Pandemiemeldungen – man kann immer noch mitspielen. Gute Besserung!

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Über Lehneriche und Eckensteher. Bei Eckensteher muss ich noch zwingend Nils Koppruch anlegen, leider finde ich das gleichnaige Lied von Fink (von dem übrigens großartigen Album „The return of the Tüdelband“, das wiederum auf die Gebrüder Wolf verweist) nicht online, hier steht aber zumindest der Text.

Und weil es gerade Sommer wird und Kirschen hier auch schon vorkamen, nehmen wir ersatzweise einfach dieses Lied, denn es ist sicher nie falsch, des Koppruchs zu gedenken.

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Berufe mit Tieren

23.5., Dienstag erst, es ist erstaunlich, gefühlt bin ich schon komplett freitagsdurch und wochenfertig. Aber das war erwartbar.

Auf einem Plakat an der Haltestelle Hammerbrook sehe ich am Morgen Werbung für den Job als Lokführer, es wird in großer Schrift auch gleich das Gehalt angegeben: 4.000 Euro netto. Es steht noch mehr dabei, ich sehe aber nicht alles im Vorbeigehen. Ich habe keine Zeit für das Kleingedruckte, wer hat die schon auf dem Weg zur Arbeit. Vermutlich stimmt die Gehaltsangabe nur mit Schichtzuschlägen und mehreren Sonderbedingungen und sonst etwas. Egal. Es ist jedenfalls nicht so lange her, da wäre so eine öffentliche Verkündung von Gehältern noch seltsam gewesen, mittlerweile wird sie aber auch auf den bunten Zetteln, mit denen an Cafés, Kiosken, Schwimmbädern dringend etc. nach Personal gesucht wird, immer üblicher und die Zahlen werden dabei größer, sowohl im Wert als auch in der Darstellung. Ich habe damals in einer vollkommen anderen Welt mit diesem Berufsspiel begonnen.

Und die Lokführer werden nun nicht mehr so banal benannt, wie wir es früher gewohnt waren, sondern werbend „Loklöwen“, das macht gleich viel mehr her. Was macht denn ihr Sohn? Der ist jetzt Loklöwe. Das klingt ausbaufähig, da geht sicher noch mehr, vom Tunnelbautiger über den Paketpanther bis hin zum Pflegepferd. Wobei letzteres nicht beeindruckend genug klingt, merke ich gerade, da müsste man vielleicht nochmal ran.

Büro. Man arbeitet so vor sich hin.

Am Nachmittag wird beim Discounter jemand mit Gewalt rausgeworfen, während ich Toast und Dosentomaten und anderes Zeug in den Einkaufswagen lege. Kurze Szenen des energischen Zupackens und schnellen Abschiebens, der sonst so freundliche Security-Man kann auch anders. Jemand hat betrunken die Kundinnen belästigt, lallendes Schreien und Toben. Es ist nicht so selten, dass jemand aus diesem Laden fliegt, und Alkohol ist meistens an den Vorkommnissen beteiligt. Das liegt an der nahen und personalstarken Trinkszene am Hauptbahnhof, die wirkt sich bis weit ins Viertel und in meinen Alltag aus. Solche Szenen kommen hier also vermutlich öfter vor als etwa bei Ihnen, wenn Sie nicht gerade ähnlich in einer anderen Großstadt wohnen. Ich müsste es vielleicht öfter erwähnen, dass es vorkommt. Es könnte längst zu selbstverständlich für mich sein, ich sehe es teils nicht mehr.

Vor dem Geschäft stürzt eine Frau mit einem Scooter auf dem Gehweg, sie sammelt ihn wütend brabbelnd wieder auf und schiebt ihn dann in Schlangenlinien und laut schwadronierend weiter, schon die nächste Volltrunkene. Normal. Ich bin kein Abstinenzler, aber abschreckende Beispiele für den fortgeschrittenen Missbrauch von Alkohol gibt es hier überreichlich, jeden Tag und an jeder Ecke.

Die Herzdame ist währenddessen schon wieder auf Reisen, diesmal im schönen Dortmund, ich dagegen gebe das Heimchen am Herd. Ich koche Spaghetti Bolognese. Kinder, auch große Kinder, wollen Klassiker, zumindest beim Essen. Bei der Wahl der Lektüre ist die Lage dann deutlich anders.

Ich dagegen lasse mir beim Braten weiter Joseph Roth vorlesen, „Zipper und sein Vater“, die wehe Traurigkeit nach dem Ersten Weltkrieg wird gerade verständlich und nachvollziehbar dargestellt. Bis zur Traurigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Herr Roth es dann bekanntlich nicht mehr geschafft.

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Juliwarm, gelbes Licht

Der 22.5., ein Montag, ein Werktag. Wir ruckeln uns nach der Reise ins Heimatdorf mühsam in den Alltag zurück. Mehrere Familienmitglieder bestaunen nach dem Wecken erst einmal die seltsame Uhrzeit und fragen sich, ob sie früher auch zu der aufgestanden sind, ob das denn tatsächlich sein kann, es fühlt sich heute alles dermaßen falsch an.

Ich bin mutig und glaube dem morgendlichen Wetterbericht, ziehe mich tropentauglich an und gehe ins Büro. Und ja, der Wetterbericht lag richtig, es wird warm, sehr warm sogar, auf einmal juliwarm, fast könnte man es heiß nennen. Aber überall noch skeptische Menschen, die das mit der plötzlichen Erwärmung nicht recht für bare Münze genommen oder auch komplett ignoriert haben, die noch Pullover tragen, Übergangsjacken, Mäntel und dergleichen. Im Laufe des immer schwüler werdenden Tages bekommen sie rote Gesichter, atmen schneller, schwitzen mehrere Lagen Klamotten durch, zerschmelzen dann am späten Nachmittag und werden nie mehr gesehen. Der Mensch muss sich anpassen können, es zeigt sich auch im Alltag, nicht nur über Jahrhunderte.

Ich gehe nach der Arbeit noch durch die Innenstadt, ich hole bei einem Arzt etwas ab, es gibt immer irgendwas zu besorgen oder von A nach B zu tragen. Jeden Tag Strecke machen und alles ablaufen. Es wird währenddessen noch wärmer. Ich höre Simon & Garfunkel dabei, was singen sie da: „I can gather all the news I need from the weather report.“

Yes, we can.

Ich höre danach noch einen Podcast über den Song „Mrs. Robinson“ von den beiden und lerne, dass der ursprünglich als „Mrs. Roosevelt“ gedacht war, das wusste ich nicht. Daher auch die Liedzeile „going to the candidate debate“, die ist einfach aus dem ersten Entwurf dringeblieben und wurde nicht durchgetauscht. Beim nächsten Hören wissend nicken an der Stelle, dann fühlt man sich gleich wieder etwas eingeweihter.

In der Innenstadt sehe ich einkaufende Menschen in allen Stadien der Hitzeverwahrlosung („Mir doch egal, ich ziehe das jetzt aus!“), aber wer bei diesem Wetter in Kaufhäusern Hosen und dergleichen anprobiert, der hat auch selbst schuld.

Im Hamburger Hauptbahnhof steht etwas, das da vorher nicht stand, ich sehe es auf dem Rückweg. Es ist groß und beeindruckend und es trägt verdammt schwer an der Welt: Der gerettete Atlas. Hier die Geschichte dazu, es ist noch eine Kriegsgeschichte aus diesem Land, nach all der Zeit noch.

Die Atlas-Skulptur im Hauptbahnhof

Atlas hat, das passt schön zum Wetter, nichts an, nicht einmal unten herum. Es ist ein Wunder in unseren immer spießiger werdenden Zeiten, das man nichts davor gehängt hat.

Und während ich diese Zeilen schreibe, wird das Licht vor dem Wohnzimmerfenster auf einmal deutlich gelb und die Unwetterwarnung poppt zeitgleich auf dem Handy auf, während auf den Dachfenstern die ersten großen Tropfen trommelnd zerplatzen. Es ist alles wieder sehr schön synchron heute. „Teils unwetterartige Entwicklungen mit Starkregen. “

Okay. I can gather all the news I need from the weather report.

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Eidechsen und Lindenblütenbeobachtungen

21.5., Sonntagmorgen. Ein taz-Artikel mit einem Schlusssatz, der einerseits auf der Hand liegt, andererseits aber eher selten in den Medien festgestellt wird. Es ist doch immer wieder faszinierend, wie viel Ungerechtigkeit wir alle in der Gesellschaft hinzunehmen bereit sind, wieviel davon wir auch bereitwillig entschuldigen, dabei kann das doch jeder Kita-Morgenkreis plausibel erklären, was gerecht ist. Und dass wir uns an so vielen Stellen auf der Welt gleichzeitig in seltsamster Weise irgendwie faschofeudalistisch zu finstersten Zeiten zurückentwickeln, ich hätte es mir als jüngerer Mensch wahrhaftig nicht träumen lassen. Aber die Zeiten, sie sind nun so.

Abseits der Politik kommen jetzt zwei, drei wärmere Tage, richtig warme Tage sogar. Die Vögel auf dem Spielplatz klingen am Morgen gleich etwas munterer, wir frühstücken zum ersten Mal bei offener Balkontür. Ende Mai erst! Aber der Mann, der früh auf dem Rad ankommt und das Kirchenbüro aufschließt, ich sehe es vom Balkon, er trägt immer noch die gleichen Sachen wie im April, März, Februar, Januar. Vielleicht ändert er das nie, es gibt solche Menschen.

Der Spielplatz ist am Vormittag besser besucht als sonst, Eltern in T-Shirts und kurzen Hosen, Kinder ohne Schuhe im Sand, beides habe ich lange nicht mehr gesehen.

Die Herzdame liest beim Frühstück im Blog, wobei sie wie stets weit zurückhängt, immerhin aber nicht mehr jahrelang. Das gab es auch schon. Ich frage nach, sie ist gerade am 2. März angekommen. Ich habe nur noch eine ungefähre Ahnung, was ich im März geschrieben haben könnte. Etwas über die Kälte vermutlich, die einfach nicht weichen wollte.

In einer Hamburger Kleingartengruppe im Internet postet jemand ein Eidechsenbild. Gerade erst ging es bei uns in einem Gespräch darum, dass wir in Hamburg nie Eidechsen oder Schlangen sehen, prompt wird der Gegenbeweis geliefert, ab und zu ist es doch bemerkenswert, wie das ineinandergreift. Wenn nachher eine Natter auf unserem Kompost ruht, ich wundere mich nicht. (Späteres Update: Auf dem Kompost war keine, aber in einem Blog postete jemand prompt und wie bestellt noch am gleichen Tag ein Natternbild. Es ist unheimlich.)

Ansonsten ist jetzt die Zeit der Lindenblüte. Die Autos, die unter den Bäumen geparkt wurden, sehen nach ein paar Tagen aus, als könnte man sie direkt abmelden und verschrotten, so dick ist die Schmierpappklebeschicht auf dem Lack und auf den Scheiben, komplett rettungslos sieht das aus und manchmal bekommt man mit, wie jemand laut fluchend in sein Auto steigt, durch dessen Scheiben man kaum noch etwas sehen kann. Händeringen auf dem Fahrersitz, da hat man einen tollen neuen SUV, und dann ist da überall Natur drauf. E-kel-haft.

Auf den Tischen der Außengastro daneben die pflegeleichten Blüten der Plastikblumen in den wasserlosen Vasen.

Ich schleppe den portablen Mini-Backofen zum Auto, den fahren wir in den Garten und haben damit wieder eine voll ausgerüstete Laube, es kann alles losgehen, sogar Kuchen kann es im Garten wieder geben. Die Radieschenernte wird allmählich üppiger und die erste Mohnblüte hat sich auch geöffnet.

Einige frisch geerntete und gewaschene Radieschen, noch nass

Apropos Blüte, ich habe im Internet so lange auf Herrenmodewerbung geklickt, jetzt wird es allmählich wunderlich und also erträglich, was mir nun noch angezeigt wird. Heute etwa sehe ich mehrfach Werbung für seidene Stoffblumen, die man sich ans Revers des Sakkos steckt, sogenannte Boutonnières (die Kornblume lieber vermeiden, siehe dazu den eben verlinkten Wikipedia-Artikel. Fast gerate ich bei dieser Werbung in Kauflaune, aber nur fast. Ich sehe nach, ich habe gar kein richtiges Knopfloch am Revers, es ist nur aufgestickt, nicht geöffnet, eine bloße Attrappe. Billigschund! Mehr auf sich achten, auch wichtig.

Der ewige und unvermeidliche Wind steht heute so, dass das Gebell aus dem nahen Tierheim zu uns in den Garten weht. Wutbellen, Angstbellen, Verzweiflungsbellen, eine Stimmung dort wie auf Twitter in den schlimmsten Stunden, und es ist ein passender Zufall, dass der Wind von rechts kommt.

Von Baum zu Baum springt dieser auffrischende Wind am Nachmittag, erst rauscht der Weißdorn auf, dann die Birke, dann die Weide, und aus den Apfelbäumen rieseln schließlich die letzten Blüten weiß auf den Rasen.

Der Deutsche Wetterdienst mahnt auf seiner Seite streng: „Es ist noch kein Sommer!“

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Das Sommermorgenwochenendgefühl

20.5., ein Sonnabend. Der Efeu an der Spielplatzmauer hat neue Blätter ausgetrieben und über die alten geschoben, ich sehe es beim Brötchenholen. Frisches, leuchtendes Grün, hier sieht es auf einmal wie renoviert aus, alles so glänzend. Sich ab und zu einmal etwas Neues überwerfen, wie gut das tut, ich kenne das. Da wirkt man gleich wie eine andere Pflanze.

Frische Erdbeeren mit Quark zum Frühstück, für das bisschen Sommermorgenwochenendgefühl bei allerdings immer noch allzu bescheidenen Temperaturen. Die Herzdame und ich reden über die neu festgestellte Vorabendserienhaftigkeit ihres Heimatdorfes. Wie leicht man aus den Leuten und Lebensläufen dort ein in endlos viele Folgen zerteiltes Epos mit kauzigem Personal, heiteren Verwicklungen und tragischen Wendungen machen könnte, was solche Serien eben jahrelang zuverlässig füllt. Aber das fällt uns natürlich nur auf, weil wir aufmerksam wie Urlauber hingesehen haben. In Wahrheit hat so gut wie jede Stichprobe menschlichen Beisammenseins diese Vorabendserienhaftigkeit, man muss sie nur interessiert genug beobachten. Wenn ich etwa an das Haus denke, in dem ich wohne – mindestens ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner ist mehr als seltsam, mich selbst natürlich eingeschlossen, lauter merkwürdige Typen, Etagen voller schräger Vögel, die wunderbare Welt des Buddenbohms. Jede Partei ein Original, genau wie alle anderen auch. Menschlich eben.

Ich höre „Zipper und sein Vater“ von Joseph Roth, gelesen von Harald Seeböck. Ich notiere mir die Formulierung, etwas sei „traurig wie ein aufgeräumtes Zimmer.“ Das mal merken, das irgendwann mal anwenden. Ach guck, schon erledigt.

Und immer noch denke ich darüber nach, was es ausmacht, dass die Artikel hier gerade so erscheinen, wie es im Moment der Fall ist. Alleine der Freitag gestern, sehe ich gerade, wurde im Blog zu drei Texten, und ein besonderer Tag war es wirklich nicht. Ob ich mir hier wohl gerade die Geschwindigkeit aus dem Alltag schreibe, und ob ich, wenn mir das am Ende gelingen sollte, sofort Lebensratgeber schreiben müsste. Nein, keine Sorge.

Dann wieder in den Garten gefahren. Ein Straßenschild auf dem Weg hat man nachts überklebt, der kleine Weg heißt jetzt „Fickteuchallee“, alles in einem Wort. Für Bindestriche wäre auch kein Platz mehr gewesen, es wurde alles etwas eng beschriftet.

In der Gartenkolonie winkt der Nachbar von seiner Parzelle herüber, als ich ankomme. Ob alles gut sei, will er wissen, was antwortet man da. Und was sind das überhaupt für Menschen, bei denen alles gut ist, passen die nicht auf oder was. Ich winke nur freundlich, denn der Nachbar ist ein netter Mensch, ich mag ihn. Immer lächeln und winken, stoisch durch die social awkwardness.

Ich pflanze noch schnell eine Gurke und einen Kürbis, welche die Herzdame aus dem Heimatdorf mitgebracht hat. Sie sehen wesentlich strammer und fitter aus als die Pflanzen, die schon im Beet sind, kerngesunde Nachzügler sind es. Noch. Die Pflanzen, die ich hier im Viertel noch kaufen könnte, sie sind auch alle schon in der Invaliden-Kategorie, die werden jetzt verramscht oder landen im Müll.

Der Himmel ist bedeckt und die vom Wetterbericht versprochene Erwärmung fällt bei uns aus oder verzögert sich deutlich, so wie die Züge im Regionalverkehr nach Sylt. Es ist etwas enttäuschend, wir hatten deutlich mehr erwartet, und der ewige Wind geht mir mit seiner Kälte heute dermaßen auf den Wecker. Auch die Vögel im Garten klingen an diesem Nachmittag etwas verhalten, sie sind vielleicht in der gleichen Stimmung wie ich, seltsam bedröppelt, nur zögerliches Piepsen aus dem Flieder.

Später trinke ich noch einen Kaffee mit der Herzdame, wir sitzen unter der Weide. Sie sagt: „Einfach nur im Bett mit einer Decke über dem Kopf, das wäre jetzt aber auch gut.“

Und damit sie hat wieder recht, aber das bin ich ja gewohnt.

Im Tagesbild heute ein Frosch. Warum auch nicht.

Wilde Kunst an einer Wand, ein Frosch mit dem Text: Küss mich

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