Es ist nichts passiert

Es ist nichts passiert, ich habe nichts zu erzählen, das ist zur Abwechslung als gutes Zeichen zu verstehen.

Ich habe heute auf dem Sofa gelegen und freies Wochenende gespielt, was allerdings bei bewusster Verdrängung einer Deadline geschah, die jetzt allmählich rot und rauchend zu glimmen beginnt, weswegen noch schnell etwas zu bloggen ist. Mir fällt gerade nichts anderes ein, was mich plausibel vom etwas verfrühten Beginn des Montags und der Arbeitswoche abhalten könnte. Mit anderen Worten, das Wochenende, also mein Wochenende, es endet gleich mit dem letzten Absatz hier, das ist doch mal ein greifbar bedrohliches Timing.

Ich habe mir am Nachmittag von Golo Mann viel über 1848 und über die Karriere und den Charakter von Bismarck erzählen lassen, während es draußen sachte regnete und das Laub der großen Eiche vor dem Küchenfenster sich teils erfolgreich bemühte, die exakt gleiche Farbe wie die güldenen Ziffern der Kirchturmuhr über dem Baum anzunehmen, das war alles sehr gut so. Ich sollte mir so etwas viel öfter genau ansehen. Das Buch habe ich jetzt durchgehört, im nächsten Band wird es um die wilhelminische Epoche gehen, das dann ab morgen.

Zwischendurch habe ich, man soll sich ab und zu bewegen, das Tiefkühlfach enteist, weil ich auf Twitter neulich daran erinnert wurde. Das wird enorm Geld sparen, das stand dort auch, da kann ich mich also in finanzieller Hinsicht wieder etwas entspannen und Rücklagen für was auch immer bilden. Endlich einmal gute Aussichten.

In Hamburg enden die Ferien. Wir haben noch einmal Zettel ausgedruckt und wahrheitsgemäß ausgefüllt, dass die Söhne nicht irgendwo im Ausland waren. Ich weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male wir denen diese Zettel mitgeben, es ist längst Routine geworden, wie alles. Nebenbei kurz nachsehen, ob noch genug Masken da sind. The same procedure. Etwa acht Wochen sind es jetzt bis zu den Weihnachtsferien, Eltern und Kinder denken nur in solchen Einheiten.

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Der einsamer Klimakampf der Wetteransager. Im Text wird Özden Terli erwähnt, den finde ich auch auf Twitter stets informativ.

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Noch ein trauriges Lied? Jo. Und dann geht hier unweigerlich die Arbeit los. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Irgendwelche Jahre

Ich höre abends Geschichtsbücher von Golo Mann, es geht um Deutschland im 19. Jahrhundert. Zwei Bemerknisse dazu. Zum einen ist es ein sonderbarer Effekt im Hirn, wenn Geschichtsbücher, gerade etwas tiefer schürfende, auf das Wissen treffen, das ich noch aus der Schule, aus dem Studium oder auch aus Romanen und Filmen habe. Ich stelle mir inneres Bibliothekspersonal vor, welches bei den vorgelesenen Absätzen und Kapiteln unterschiedlich reagiert. Angestellte etwa, die bei den Stichwörtern Preußen und Bismarck routiniert nicken und wie nebenher auf ein Regal dort hinten im Schädel zeigen, die aber bei Piemont verwirrt die Augenbrauen heben, wie jetzt, Piemont, was ist mit Piemont, wir kennen kein Piemont? War da was und was hat es mit Sardinien zu tun, wir verstehen nicht richtig? Müssten wir da etwas haben, wir sehen mal im Katalog nach, Moment. Nein, wir bedauern, zu Piemont haben wir nichts. Und manchmal, das kommt noch dazu, steht in dem Regal, auf das da so lässig und voller vermeintlicher Expertise gezeigt wird, gar nicht allzu viel drin. Manchmal steht da nur eine Art Handreichung für Sextaner oder eine Fibel mit bunten Bildchen und fettgedruckten Überschriften, nach denen dann nichts mehr kommt. Nach 1848 etwa kommt 1871, so viel ist vertraut und vollkommen klar, das ist felsenfestes Wissen. Zwischen diesen beiden Jahren aber – nun, dazwischen waren sicher auch irgendwelche Jahre. Die kamen aber damals in den Arbeiten nicht vor. In Geschichte musste man festgelegte Namen, Zahlen und Stichwörter wissen, mehr nicht. Der Lehrer, der es aus guten Gründen damals mit der Vermittlung von demokratischen Werten bitterernst gemeint hat, den habe ich erst Jahre später verstanden, Erkenntnisse ex post.

Zum anderen kann ich ganz hervorragend bei Golo Mann einschlafen. Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass ich ihn langweilig finde. Ich vermute eher, dass es an der etwas langsamen Erzählweise liegt, langsam hier ganz und nicht negativ gemeint. Mich beruhigt und entspannt nämlich Sprache, die Zeit hat, ungemein. Ich könnte zum Einschlafen auch jeden Abend den Anfang des Schimmelreiters hören, diese mehrfache Verschachtelung der Rahmenhandlung in dem Roman, dreifach war es wohl, das ist besser als jeder Beruhigungstee. Wäre ich gelehrt genug, hier folgte jetzt ein längerer Exkurs über den Zusammenhang zwischen grammatikalischen Strukturen und Geschwindigkeiten im Denken und Stresspegel, aber das müssen bitte andere übernehmen. Auch beim Brehm habe ich neulich gedacht, als er da einen Versuchsaufbau beschrieb und dabei lange, lange Anlauf nahm, dass für den geschilderten Sachverhalt heute ein Dreiwortsatz vollkommen genügt hätte.

Ich möchte die Vergangenheit nicht romantisieren, ich möchte die Gegenwart nicht kritisieren, ich möchte nur für mich befinden, dass mir Slow Thinking oder Slow Writing mit jedem Lebensjahr sinnvoller vorkommt. Ich schreibe mittlerweile, um diesen Ansatz noch schnell mit der Gegenwart kollidieren zu lassen, mitunter recht lange an einem Tweet.

Ansonsten habe ich mit der Familie ein Spaßbad besucht, in welchem sich die Jungs allein und altersgerecht im Wasser amüsiert haben, während die Herzdame und ich auf Liegen lagen. Ich habe dabei etliche Märchen gehört, Grimm, Bechstein, Andersen, ich hatte immerhin drei Stunden Zeit dafür, da passen etliche Prinzessinnen, Hexen, Zauberer, gute Könige und sprechende Tiere mancher Art hinein. Es ist auch da interessant, was assoziativ noch anklingt und was nicht, wie mir etwa der Andersen in den Details geradezu unheimlich viel präsenter ist, als ich es vermutet hätte. Was muss der mich damals beschäftigt haben. Der Hund mit den teetassengroßen Augen im Brunnenschacht, das hat so etwas von gewirkt, als ich es in der Kindheit gelesen habe.

Bechstein dagegen – ich fühle nichts, überhaupt nichts. Vermutlich gab es in meinem Elternhaus keinen Bechstein, nicht als Buch, nicht als Flügel.

Passend zu den Märchen übrigens lässt sich Tocotronic gerade mit Undine ein, was naturgemäß nicht gut ausgeht.

Ob ich die Undine von Fouqué jemals gelesen habe, das weiß ich gar nicht mehr genau, fällt mir dabei ein. Ich merke die mal für demnächst vor, wenn sie schon so schön vor mir, haha, auftaucht.

Grund zur Freude gab es auch noch, und der Grund passt hervorragend hinter diesen Blogtext mit dermaßen viel Hang zu altmodischen Aufhängern. Ich habe nämlich eine Anfrage erhalten, eine Bitte um die Verwendung eines Textes von mir. Es gibt dafür kein Geld, es gibt dafür keinen Ruhm, es gibt aber doch ein heiteres Nicken von mir, denn die Anfrage kam aus einem Kloster der Franziskaner. Doch, da freue ich mich, auch wenn ich eher durch und durch religionsfern bin. Religionsfern, aber besinnungsaffin, vielleicht passt es so? „Herr Buddenbohm war stets um Besinnung bemüht.“

Sollten Sie im Gegensatz zu mir ausdrücklich kirchlich bezogen sein, evangelisch sogar, es erscheint da um diese Jahreszeit immer ein Kalender, „Der andere Advent“, der kommt in vielen kirchlichen Einrichtungen vor, und darin finden Sie in diesem Jahr auch einen Text von mir.

Dauernd diese seltsam konfessionellen Bezüge, vielleicht hätte ich doch Pastor werden sollen? Allein mir fehlt der Glaube.

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So träg, so plump

Am Morgen gehe ich zum Bahnhof. Der Gemüsehändler an der Ecke räumt gerade neue Ware aus einem Lieferwagen in den Laden, Kisten und Kartons stehen auf dem Fußweg. Ich mache einen großen Schritt über Mangold, Thymian und Zwiebeln hinweg, ich bekomme beim Blick nach unten schon um 07:15 Hunger auf Mittagessen. In der halbleeren S-Bahn reden die Leute über die Teuerung, jetzt auch die Nudeln, mit Ausrufezeichen wird es berichtet, die Nudeln! Bis zu 30%! Es ist außerdem überraschend kalt, die Kollegen aus den Außenbezirken berichten vom morgendlichen Eiskratzen an den Autos, es ist kurz vor Winterjacke. Beim Discounter gibt es, ich sehe auf dem Rückweg vom Büro dort die Werbung im Fenster, schon Weihnachtsbaum-Lichterketten. So also ist die Lage da draußen.

Drinnen habe ich mich gestern Abend enorm über Büchner gefreut, dessen Lenz mir als Hörbuch begegnet ist. Ich habe den vor langer, langer Zeit gelesen und hatte in vage als „überraschend gut lesbar“ in Erinnerung, aber erst jetzt, beim Wiederlesen, bzw. beim Wiederhören, fällt mir auf, wie sensationell dieser Anfang ist. Wie modern das klingt und wie klug das gemacht ist:

Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen.

Es war nasskalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht – und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump.

Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte.“

Ich habe das jetzt ein paarmal gehört und das Buch aus dem Regal genommen und auch nachgelesen, ich finde es immer wieder gut. Ein Literatur-Ohrwurm sozusagen. Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Ich könnte schon wieder, ich bin ganz vernarrt in diesen Anfang.

Was noch? Ich war in den letzten Tagen zweimal in Restaurants, beide Male hat niemand nach Impfung, Test oder sonst etwas gefragt. Diese ganze Diskussion um 2G und 3G in Hamburg, die hätte man sich auch sparen können, weil es alles eh egal ist. Ich rege mich allerdings nicht auf, es regen sich alle schon genug auf, ich stelle das nur fest, ich mache mir nur Notizen.

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Kathrin Passig über Dunning-Kruger

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Später sitze ich mit einem Sohn bei Regen in der ausgekühlten Laube im Schrebergarten, wir unterhalten uns über Musikgeschichte. Es geht um die Anfänge der Rockmusik und ich zeige ihm „one of the most beautiful lovesongs that’s ever been written“, weil der Anfang so überraschend ist. Ihre sanftmütige Einleitung und dann dieses Lied vom hard headed woman: Wanda Jackson. Der Sohn findet das gut, das Lied, wir hören es so laut, wie es gehört und ich glaube, das war das Beste heute. Draußen wird es dunkel, außer uns ist kein Mensch weit und breit in den Gärten. Im Laubhaufen unter der hängenden Kätzchenweide arbeitet der Igel am Winterquartier.

Dann stellen wir das Wasser im Garten ab. Es wird Zeit, bevor die Leitungen Frost bekommen.

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Goldene Papageien vor Moosgrün

Bei der morgendlichen Internetrunde sehe ich einen Artikel über den Maximalismus, das ist natürlich der Nachfolger des Minimalismus im Bereich der Inneneinrichtung. Man hat danach jetzt gemerkt, dass es doch nicht der Weisheit letzter Schluss war, alles Schöne und Alte aus dem Haus zu werfen, ergriffen auf leere Flächen zu sehen und nichts als ein Echo im schmucklosen Schrank zu haben, und man holt jetzt also alles wieder rein. Dazu malt man die Wände in fetten Farben an, moosgrün, lila, beerenrot. Und weil das aber alles dem Konsum dienen soll, nimmt man zum Zwecke der Dekoration selbstverständlich nicht die alten Sachen, die alt aussehen, weil man sie schon so lange hat, sondern kauft neue Sachen, die alt aussehen, weil sie so designt worden sind. In dem Text stand sinngemäß etwa: „Einen goldenen Lampenständer in Form eines Papageien oder Affen hat nicht jeder“.

Ich gehe am Morgen wieder vor dem Home-Office kurz um den Block, ich sehe im Vorbeigehen ins Schaufenster des Ladens mit Dekoklimbim, dort stehen – es passt wieder alles dermaßen schön zusammen hier! – güldene Lampenständer in Papageien- und Affenform. Die hat sicher nicht jeder, es stimmt schon. Noch nicht. Es ist eine Bewegung vom Schwund zum Schwulst, wenn ich es richtig verstehe. Und warum auch nicht.

Jenny Erpenbeck, so lese ich ohne direkten Zusammenhang irgendwo im Feuilleton, bewahrt alles auf und lebt in ihrem „Lebensmuseum“.

An der Tür der Eisdiele klebt ein Zettel, sie schließen in ein paar Tagen und kommen im Februar wieder. Diese Zeit des Jahres. Demnächst kann man sicher wieder Kunsthandwerkliches und Weihnachtliches dort kaufen, die übliche Zwischennutzung der Ladenfläche. Nasses Laub auf den Wegen, es ist nicht warm, es ist nicht kalt, es ist nicht dunkel, es ist nicht hell, mir fällt nichts weiter auf, gar nichts. Minimalismus der Eindrücke.

Ich gehe nach Hause, auf dem Küchentisch liegen die ersten Satsumas, gestern gekauft. Es gibt Menschen, die können einem die Unterschiede zwischen Mandarinen, Clementinen und Satsumas erklären. Und es gibt normale Menschen.

Ich mache das Home-Office an und teste mit der Notebook-Kamera, ob ich ein zeitgemäßer goldener Affe bin. Das ist nicht der Fall. Aber ich trage einen Pullover in sattem Lila. Immerhin.

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Seladon, Zinder, Drongo

Ich bin bei einem Hörbuch hängengeblieben, bei dem ich eigentlich nur mal kurz reinhören wollte. Dann habe ich gemerkt, dass Roger Willemsen es liest und er auch die Textauswahl besorgt hat, damit hatte ich gar nicht gerechnet. Und wie es bei ihm so war, er freute sich so dermaßen deutlich über alles, was ihn interessierte, dass man sich da gerne mitfreut und also auch etwas hört, das man vielleicht gar nicht so dringend hören wollte. Etwa Brehms Tierleben. Ich hätte das vage unter staubig und veraltet einsortiert, das war falsch. Es ist tatsächlich interessant, und es ist sprachlich überraschend gut. Also überraschend für mich, Sie wussten das vielleicht längst. Ein überaus reiches Vokabular, man merkt dem Willemsen beim Vorlesen an, wie ihn das kickt.

Gleich zu Anfang, ich habe mit den Kriechtieren begonnen, geht es um die Smaragdeidechse, und die hat, so heißt es im Tierleben, einen seladongrünen Bauch. Klingt das nicht fantastisch? Und ich kannte das Wort nicht. Seladon, vollkommen unbekannt, da klingelte nichts. Seladon, das hätte meinetwegen auch der Name eines Schlafmittels sein können. Seladon, bei der Wikipedia findet man ein Bildbeispiel für das seladonfarbene chinesische Steinzeug, und man findet auch, was noch viel besser ist, den Verweis auf die früher übliche Redewendung: „Zärtlich wie Seladon.“ Und spätestens da verstehe ich den Willemsen vollkommen. Wie schön ist das denn, was für ein Vergnügen, so etwas zu finden.

Oder wenn ein Ameisenhaufen im Buch beschrieben wird, dann „wimmelt und grimmelt“ es darin. Wie großartig das passt. Roger Willemsen hat damals im Büchermagazin gesagt:

Jede lebende Frau, die einen Kanarienvogel hat, möge dieses Buch kaufen. Jeder Mann, der seine Zierfische nur halbherzig liebt, soll gefälligst dieses Hörbuch kaufen. Jeder Lehrer, der die Liebe zum Kosmos an seine Schüler weitergeben muss, kaufe sofort dieses Hörbuch. Redakteure, deren Hemd ein Krokodil ziert, sollen unbedingt dieses Hörbuch kaufen. Die ernste Antwort wäre: Es ist ein Volksbuch. „Brehms Tierleben“ gehört in jeden Bücherschrank, denn es ist eines der Grundbücher unserer Erziehungsgeschichte.“

Okay, das verstehe ich jetzt. (Auf Spotify ist es als Hörbuch verfügbar.)

Es war ein wortreicher Tag, ich las abends in den Dublinern weiter, James Joyce in der Übersetzung von Harald Beck. Da stehen Männer um eine Feuerschale und zerbröseln Zinder. Auch bei diesem Wort: Das habe ich noch nie gesehen oder gehört, glaube ich. Im Duden findet man es, es ist ausgeglühte Steinkohle. Nach anderen Quellen auch ausgeglühte Holzscheite, aber egal. Zinder jedenfalls. Gerne gelernt. Zinder und Zunder, wir braten einen Zander.

In der Zeit fand ich dann noch eine Meldung über den Drongo, der auch einen ansprechenden Namen hat, aber es kommt noch besser. Ein subtropischer Vogel ist das, der bemerkenswerte Fremdsprachenkenntnisse haben soll. Er macht die Warnrufe anderer Tierarten nach und verzehrt dann, wenn die alle panisch abgehauen sind, seelenruhig deren liegengelassene Beute oder Nahrung. Damit ist er, und das fand ich hervorragend, ein Kleptoparasit. Dieses Wort auch mal merken, man kann es hier und da sicher im familiären Kontext unterbringen, etwa wenn spontan wachsende Söhne nachts den Kühlschrank ausräumen.

Ich lese gerade Zeitungen, einfach nur deswegen, weil ich sie so lange nicht gelesen habe. Jahrelang nicht. Nachdem ich neulich in der gedruckten SZ schon den Waldrapp gefunden habe, jetzt also in der Zeit den Drongo, ist das nicht merkwürdig? Welcher Vogel wohl in der FAZ vorkommt? Das dann demnächst.

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Noch ein Lied. Heute von Ayo. You don’t have to worry at all. Auch mal schön.

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Die Brötchenpreise steigen, es gibt Chardonnay

Kaum hat man mal zwei Urlaubstage, schon kommt man nicht mehr dazu, die ganzen Notizen zu verbloggen. Aber egal, ich lasse mich wieder entspannt zurückfallen und berichte vom, was weiß ich, Mittwoch oder so. Und was ist heute überhaupt für ein Tag, man verlottert doch im Urlaub, auch im kurzen, erstaunlich schnell.

Ich gehe da also abends durch den Hauptbahnhof. Das ist meine normale Spaziergangsstrecke, durch die U-Bahngänge, durch die Wandelhalle und über die Bahnsteige, den Südsteg entlang und zurück. Noch einmal andersherum durch die Halle und vielleicht auch oben noch durch die Galerie, einmal an allen Geschäften und Gastrobetrieben und natürlich auch an den wartenden Reisenden auf den Fernbahnsteigen vorbei. Ich sehe zu, wie ein Zug einfährt oder gerade abfährt. Ich sehe zu, wie sich Menschen begrüßen oder verabreden. Wie sie Brötchen kaufen oder Alkohol und Limo und Zigaretten, wie sie reden, lesen, streiten und im Sitzen schlafen, manchmal auch wie sie sich prügeln oder küssen. Wie sie arbeiten, betteln, herumhasten oder schlendern, wie sie auf Koffern sitzen, ihre kleinen Kinder keifend reglementieren und ihre kleinen Hunde wiegend auf den Armen tragen, wie sie vor tieffliegenden Tauben in Deckung gehen, und ich weiß nicht warum, aber es ist mir gerade ein Bedürfnis, alles mitzuschreiben. Ich neige zu Hypernotaten, es fühlt sich seltsam befriedigend an, das alles aufzuschreiben. Also mache ich das.

Ich setze mich auf eine Bank an einem Fernbahngleis. Ein Zug fährt gerade ein, nach Köln wird er weiterfahren, lese und höre ich. Immer kurz an die Menschen denken, die ich dort kenne und gekannt habe, das geht Ihnen vielleicht auch so? Dass bei Städtenamen Gesichter aufschimmern, Situationen und Stimmen, dass die in geradezu unfassbarer Geschwindigkeit durchs Hirn blitzen und diese Stadt ausmachen? Im Falle von Köln blitzt sogar vieles, auch Kindheitserinnerungen sind dabei. Köln habe ich immer gemocht, ich könnte nicht sagen, warum. Nur wenige Menschen steigen in diesen Zug ein, und die paar, die ich von meiner Bank aus sehen kann, ziehen die blauen OP-Masken runter, sobald sie sich hinsetzen. Wenn jemand durch den Zug geht, ziehen sie sie mit zwei Fingern wieder hoch, es sind lässig routinierte Bewegungen.

Der Zug fährt ab, zwei Angestellte der Deutschen Bahn unterhalten sich am Gleis und sehen den Lichtern nach. Dann gehen sie langsam zurück zu ihrer kleinen Dienstbude auf dem Bahnsteig und treten an die Bildschirme dort, gucken prüfend zum Zuganzeiger und auf ihre Uhren.

Ich bleibe da noch sitzen. Der Bahnsteig ist jetzt leer. Ich habe nichts anderes vor und bin gerade gerne draußen. Ich sehe mir die Werbung auf der anderen Seite der Gleise an. Ich soll eine Ausstellung in Halle an der Saale besuchen. Ich war noch nie in Halle an der Saale, obwohl es mir bereits mehrfach empfohlen wurde, diese Stadt einmal zu besuchen, allerdings habe ich vergessen, warum. Irgendeinen Grund wird es für jede Stadt geben, versteht sich. Ich kenne immerhin sympathische Menschen aus Halle an der Saale, das ist nicht nichts. Eine Ausstellung des Malers Sitte soll ich mir da ansehen, eine große Retrospektive. Den kenne ich nicht, aber ich googele ihn natürlich pflichtgemäß, vielleicht ist es peinlich, ihn nicht zu kennen. Der hier war das. Aha. Die Gröner hätte den bestimmt gekannt, denke ich.

Ich frage mich, ob es ernsthaft Menschen gibt, die im Hamburger Hauptbahnhof ein Plakat für eine Ausstellung in Halle an der Saale sehen, und dann tatsächlich dort hinfahren. Lohnt sich denn diese Art von Werbung? Es muss so sein, ich arbeite ja sogar für eine Firma, die Werbewirksamkeit misst und beweisen kann, solche Plakate hängen nicht umsonst, wo sie hängen. Nicht kostenlos und nicht umsonst. Aber es wundert mich doch ein wenig. Vielleicht gehe ich dabei zu sehr von mir aus. Wie lange man wohl für die Fahrt braucht? Dann fällt mir ein, dass meine Mutter und ich das gemacht haben, damals. Also ganz damals, in der Travemünder Zeit. Plakate für Dalí in Paris gesehen, und dann sind wir da mit dem Nachtzug hingefahren. Jeden Betrag hätte ich damals gewettet, dass ich später mal einer von denen werde, die das öfter machen. Jeden Betrag hätte ich verloren. Vielleicht werde ich als Rentner noch so. Nie zu spät und all das? Als Rentner, ich habe da so eine pessimistische Ahnung, wird mir eventuell das Geld dafür fehlen. Aber wenn nicht – dann habe ich jetzt etwas vorgemerkt. Ausstellungsplakate sehen und spontan hinfahren, dann darüber bloggen. Sie wissen, der Mensch braucht Ziele.

Ein anderes Plakat hängt daneben, ich soll die Messe Hamburg toll finden, steht da. Ich finde schon die Herzdame toll, die arbeitet dort, das muss erst einmal reichen. Dann noch irgendwas mit der Telekom, das ist langweilig. 5G oder so.

Ein kleines Schild lese ich auch noch, ich soll auf meine Wertsachen achten. Ich packe mein Notizbuch wieder weg.

Ich gehe weiter. Auf der Theke einer Bäckerei steht ein grellgelbes Hinweisschild, mit dem einige der aktuellen Krisen, die gerade immer öfter auf den Wirtschaftsseiten besprochen werden, in der Szenerie um mich herum ankommen und sich zu einer Aussage verdichten. Zumindest könnte man es so deuten. Gewissheit gibt es nicht, aber es fällt doch auf, was ich da sehe: „Achtung“, steht da, „Achtung, wir erhöhen demnächst unsere Preise!“ Ob jemand heute ein Brötchen mehr kauft, weil es morgen teurer wird? Was bewirkt dieses Schild, was ist der Zweck und was ist der Hintergrund? Die steigenden Mieten, die ausbleibenden Rohstoffe, die schlechteren Ernten, die Klimakrise, die Lieferkettendramatik, die Energiepreise, die Inflation, was noch alles. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Schild und all den Zetteln, auf denen geradezu verzweifelt nach Personal aller Art gesucht wird, ich weiß es nicht. Ich fand VWL immer furchtbar uninteressant. Ich durchschaue die Lage nicht, ich schreibe nur mit, was ich sehe.

Ich gehe nach Hause. Vor der Haustür liegt eine zertrümmerte Flasche Chardonnay. Auch das fällt auf. Nicht weil da eine von Kippen umrahmte zertrümmerte Flasche liegt, das ist normal in dieser sogenannten besseren Wohnlage. Es wird hier überall gerne gecornert, und wo gecornert wird, fallen Scherben. Nein, es fällt auf, weil es sonst eher Wodkaflaschen sind, die da zerschlagen auf dem Boden liegen, Red-Bull-Dosen oder anderes Zeug, das die jungen Menschen schnell druckbetankt. Aber Chardonnay?

Die Brötchenpreise steigen, es gibt Chardonnay vor der Haustür, man kann nicht immer alles passend zusammenfügen. Ich schließe kopfschüttelnd auf und verbleibe für heute ratlos.

Im Treppenhaus liegt Werbung für Schiffsmotoren. Ich brauche im Moment keinen Schiffsmotor. Aber ich habe hier gerade ein neues Wort gelernt, fällt mir dazu noch ein, das Wort hieß „Seemannssonntag“. Das habe ich noch nie vorher gehört, aber ich finde es schön. Man möchte das sofort einführen, nicht wahr, es klingt nach einer überaus feinen und sehr norddeutschen Tradition. Nächsten Donnerstag vielleicht?

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Noch ein trauriges Lied? Noch ein trauriges Lied.

Falls Sie übrigens auf traurige Lieder stehen oder gar so wie ich darin wohnen, also gefühlt jedenfalls, falls Sie also traurige Lieder gar nicht so traurig, sondern eher heimelig finden: Ich arbeite gerade wieder mit Vehemenz an meiner entsprechenden Playlist „Good evening“. Ich nähere mich tausend Liedern und es ist ganz ungeheuer gemütlich. Falls Sie auf Spotify sind: Hier. Die zuletzt hinzugefügten Lieder sind in der Probezeit, die müssen sich erst noch durch lange Winterabende hindurch als solche beweisen, die ich mmer wieder hören kann, die verschwinden also vielleicht wieder.

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Links am Morgen

Ich habe für das Goethe-Institut etwas über die Stunde, in der die Läden schließen geschrieben.

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America is running out of everything (Via Sven Dietrich auf Twitter). Das Thema ist medial etwas unterbelichtet, ist es nicht? Da kommt noch was.

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Die Klimakrise ist nicht akut genug, um danach zu handeln.“ Gefunden via Nessy. Ich war mal auf einer Veranstaltung mit Irina Scherbakowa, da hat sie einen ganz einfachen Satz gesagt, der das alles erklärt: „Demokratie bezieht sich immer auf die Gegenwart.“

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für die freundliche Zusendung einer Bialetti, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob man das eigentlich so sagt, eine Bialettti? Oder ein Bialetti-Espressokocher? Eine Bialettikanne? Wie auch immer. Die Dinger für den Treibstoff eben, Sie wissen schon. Diese war speziell gedacht für den rettenden Kaffee in der Laube im Herbst, etwa zur Wiederbelebung nach dem stundenlangen Laubharken. Ganz herzlichen Dank, die Einweihung der Kanne erfolgt in Kürze!

Vorderseite

Eine Großstadtstraße, aber wir brauchen im Bildausschnitt nur so viel davon, dass wir genau das erahnen können, das Städtische, das Naturferne, das durch und durch Menschengemachte. Es ist früher Morgen. Künstliche Beleuchtung, Restdunkelheit, es ist die Stunde zwischen Nacht und Tag. Vielleicht sekundenlang in der Totalen anfangen, vorbeifahrende Busse auf der Straße, Motorroller, Elektroroller, Fahrräder, Mietsmarts, da ist was los, auf dieser Straße, da geht es zur Arbeit, es ist die morgendliche Rushhour. Eine Ampel vielleicht noch, die wird gerade rot, aber das dient nur dem Farbeffekt im Halbdunkel, das tut nichts zur Sache. Undeutlich sehen wir Menschen über die Straße hasten und in einer hell beleuchteten Bäckerei verschwinden. Kamerafahrt auf diese Bäckerei zu, eine Bewegung nach unten auch, der Blickwinkel wird bodennah. Gelbes Eichenlaub am Kantstein vor den Reifen der parkenden Autos. Zwei, drei leere Bierflaschen vor einem roten Mülleimer, eine blaue OP-Maske, die dort vielleicht hingeweht wurde, Kippen und eine zerdrückte Zigarettenschachtel, man erkennt eine Discountermarke. Graue Gehwegplatten. Die Wand der Bäckerei, davor das Zusammengekehrte des Morgens, der Besen steht noch daneben und der Mensch, der ihn vermutlich gerade eben benutzt hat, der steht da auch noch, blaue Sneaker, Jogginghose. Noch tiefer der Blick, zum Kehricht, dieses Wort habe ich eventuell noch nie in einem Text benutzt, fällt mit gerade auf. Im Kehricht wieder Laub, und zwar Eiche und Linde, weitere Kippen, bunte Plastikfetzen, Papierschnipsel und nicht zu identifizierendes Zeug der kleinteiligen Art. Dreck. Am Rande aber auch, und sie sehen aus wie gruppiert und drapiert: Eine Eichel, eine Kastanie, eine Weintraube und eine blasse Scheibe Salatgurke.

Das ist alles. Man muss die Herbststillleben in den großen Städten nehmen, wie und wo sie kommen, und auch die Erntedankarrangements des Zufalls.

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Eine gewisse Grandezza

Dienstag. Im Laufe des Tages wird es kälter. Auch in die Wohnung ist die Kälte während des Vormittages eingezogen und hat sich dann über den Nachmittag dort festgesetzt, die Küche bleibt die letzte sattwarme Insel. So kühl ist es auf einmal in der Wohnung, dass wir im Home-Office an den Schreibtischen sitzen und ab und zu schon zur Heizung sehen, ob man denn jetzt, und man könnte doch, es ist bei geöffnetem Fenster doch geradezu frisch, ist es nicht? Aber ich lebe mein life natürlich to the fullest, wie es immer so schön heißt, bei mir kommt also erst richtiges Frieren, dann deutlich nachgelagert das Heizen, sonst macht es ja keinen Spaß.

Ich home-office, du home-officest, wir home-officen.

Die Abendrunde. Die Außengastronomie auf dem Platz um die Ecke ist nur noch dürftig besetzt, nicht einmal ein Viertel der Plätze ist belegt. Die Gäste, die dort sitzen, tragen auf einmal Wintermode, aufgeplusterte Jacken und Wollschals. Da wird der Herbst gleich komplett übersprungen, sonst hält man keine zwei, drei kalten Biere durch auf diesen Stühlen, am Abend, draußen, im Wind. Die Körper der Menschen vor den Kneipen wirken seltsam zusammengeschnurrt. Verkürzte Hälse, eingezogene Beine, untergeschlagene Arme, die Leute krümmen sich um ihre Restwärme und ziehen die obligatorischen blauen oder roten Decken fröstelnd enger um sich. Es ist gar nicht furchtbar kalt, es ist nur ungewohnt, so hat man lange nicht gesessen. Alles erst mühsam wieder einüben, auch den Herbst.

Vor dem Hauptbahnhof sitzt einer auf dem Boden, in einer eher dreckigen und dunklen Ecke des Vorplatzes sitzt er, und spielt Gitarre. Er spielt spanische Musik, wenn ich es richtig deute, ist das Flamenco. Seine Hände machen Sachen, die mir anatomisch eher unwahrscheinlich vorkommen und seine Finger rasen in einer galoppierenden Geschwindigkeit über die Saiten, die mit der norddeutschen Feierabendträgheit so gar nichts zu tun hat. Ein Mensch bleibt vor ihm stehen, noch einer, noch einer. Sie sehen sich an, sie sehen den Gitarristen an – der ist richtig gut, oder nicht? Ist der besonders? Fragende Blicke, hier und da ein anerkennendes Nicken, alter Schwede, das ist aber nicht die übliche Straßenmusik, das ist deutlich mehr. Ein Publikumskreis bildet sich schnell. Die ersten filmen den Musiker mit dem Handy, immer muss alles mit dem Handy gefilmt werden, sonst ist es nicht passiert. Jetzt singt der auch noch. Oder er schreit, aber es ist doch irgendwie Gesang, was ist das. Der singt sich da die Seele aus dem Leib, das klingt vollkommen unerwartet, schon gar aus dieser Haltung heraus, aus dem Sitzen, aus dem Dreck, aus der Dunkelheit dieser schlecht beleuchteten Stelle vor einem Bauzaun. Aber es ist großartig.

Zwei Männer aus der Trinkerszene hören zu und fangen vor Begeisterung an zu tanzen. Der große und nicht eben grazil gebaute Kerl, der dabei spontan die Dame gibt, er macht das gar nicht schlecht und nicht ohne eine gewisse Grandezza in der Bewegung, so ein schickes Schnörkeln in der Bewegung von Hand und Arm bei der Drehung… zumindest bis er ins trunkene Taumeln gerät und doch lieber wieder stillsteht und sich aufs leider kastagnettenlose Fingerschnippen beschränkt.

Jemand wirft Geld in den Rucksack des Gitarristen, andere machen es ihm kurz darauf nach. Ich kann kein Spanisch, ich habe in seinem Gesang leider nur ein einziges Wort verstanden, hermosa war es. Das heißt wunderschön.

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Trauriges Liedgut mit Herbst- und Spanienbezug? Haben wir auch. „So take heed, take heed of the western wind, take heed of stormy weather.“

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Zur Seite gekippt, allein und zurückgelassen

Home-Office. Ich gehe frühmorgens um den Block, weil es mir zu nervtötend ist, bis in den Nachmittag hinein nur das Rechteck des Bildschirms gesehen zu haben, ich will etwas anderes sehen, irgendetwas anderes, das nicht Internet, Excel oder Word ist.

Die Straßen sind um 07:15 immer noch leerer, als sie es präpandemisch waren, so viel scheint mir festzustehen. Die paar Menschen nur, die mir begegnen, das wäre doch früher ein Sonntag gewesen? Auf den Stufen der Kirche wachen die Obdachlosen auf und wickeln sich aus ihren Schlafsäcken, einer klappt einen großen, blauweißen Regenschirm ein, der in der Nacht über seinem Kopf gestanden hat. Es hat nicht geregnet, aber es hätte ja können.

Im Coffeeshop schäumt jemand Milch, obwohl noch keine Gäste da sind. An der Ampel hängt ein neuer Zettel, da wird enggedruckt zum Kampf gegen die Mächtigen aufgerufen, wenn ich das beim flüchtigen Lesen richtig mitbekomme, von links. Die Wahlen haben nichts genützt, steht da, das Klima, die Wohnungsnot … Aber es ist zu viel Text, es ist auch zu klein gedruckt, es hängt außerdem zu tief, man muss sich erst bücken, um das zu lesen, so wird das nichts mit der Revolution.

Auf dem nahen Platz liegt ein weißer Damenschuh vor der Kreuzigungsgruppe, mittig vor der Jesusfigur. Ein weißer Schuh ist es, halbhoch, ein Teil eines Pumpspaares, was ein seltsames Wort ist. Salamander steht innen auf der Sohle. Der Schuh sieht auf den ersten Blick ein wenig nach Brautmode aus, aber das denkt man vielleicht bei jedem weißen Damenschuh ohne Kontext, der nicht gerade ein Sneaker ist. Jedenfalls liegt er da, zur Seite gekippt, allein und zurückgelassen. Nichts liegt neben ihm, kein weiteres Indiz für was auch immer. Das Relikt einer wilden oder verwirrten Nacht ist der Schuh vielleicht, man weiß es nicht.

Auf einem E-Scooter kommt mir eine Frau entgegen, in einem Moment, in dem gerade kein Auto auf der Straße zu sehen ist. Sie trägt einen langen, schwarzen Mantel, der ist offen und weht im Fahrtwind nach hinten, er sieht aus wie ein Cape. Sie hat lange, schwarze Haare, die wehen parallel zum Cape, und bei allem, was ich gegen E-Scooter habe, das sieht schon sehr gut aus, diese junge Frau mit den wehenden Haaren und dem eleganten schwarzen Cape auf dem lautlosen Roller, die da schwungvoll an mir vorbeikurvt, seltsam superheldinnenmäßig auf dem Weg ins Büro. Ein Fall für Officewoman.

Ich gehe nach Hause, eine kurze Runde war das nur, mehr Zeit habe ich heute nicht. In einem Geschäft für Schreibwaren und Geschenkartikel liegen die Kalender für 2022 im Schaufenster, die nehme ich noch zur Kenntnis. Ich könnte kurz stehenbleiben, hineinsehen und mich auch an diese Zahl gewöhnen.

Wie an alles.

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Was hört der Freundeskreis trauriges Liedgut? Die Herren Elridge und Lage, Sleeping by myself. Der Text wirft einen nicht um, aber gute Feierabendmusik ist es doch.

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