Einfach, sinnvoll und lösbar

Wir fahren am Sonntag in den Garten, wir räumen etwas in den Beeten auf. Ich verteile schwarzen Kompost auf dem Kartoffelfeld, das danach aussieht wie frisch gestrichen. Ich schneide den Rosmarin. Ein Duft wölkt auf, dass es mich kurz in den August versetzt und in südlichere Gegenden. Wir bauen das Trampolin auf, der Saisonbeginn ist jetzt in Sichtweite, man darf wieder. In der Weide lärmt die Kohlmeise und ist mit unserer Anwesenheit ganz und gar nicht einverstanden. Wir lassen sie lärmen, essen Kuchen in der Laube und stellen fest, dass alles wie vor einem Jahr ist. Die Kälte, der Kuchen, die Laube, das Trampolin. Die Pandemie. Wir essen Kuchen und sind nicht in der Wohnung, das tut gut. Wir harken etwas, das ist auch gut. Das ist einfach und sinnvoll und lösbar und führt zu einem erwarteten Ergebnis.

Im digitalen Familienkalender steht als To-Do: „Biotonne langsam füllen“, womit gemeint ist, dass sie bald wieder abgeholt wird und wir daher langsam beginnen können, sie mit Gartenabfällen zu befüllen. Ich stelle mir die Aufgabe lieber wörtlich vor, wie man da also neben der Tonne steht und sie ganz langsam befüllt, sozusagen Blatt für Blatt und in Zeitlupe. Zen und die Kunst, eine Biotonne zu füllen.

Die bunten Krokusse zu meinen Füßen werden rege durchhummelt, einzelne Bienen sehen auch vorbei. Dahinten die vage Unruhe in der Luft, kaum zu erkennen, das werden die ersten Mücken sein. Die Forsythien in der Hecke blühen noch nicht, aber es fehlt auch nicht viel, es kann eine Frage von Stunden sein. Ich stehe schon mit der Rosenschere im Anschlag wie Clint Eastwood mit einem anderen Gerät in einem alten Western. Spiel mir das Lied vom Rosenschnitt. Ich stehe still, die Forsythie steht still, keiner von uns beiden bewegt sich. Das zieht sich etwas hin, dann murmele ich „Man trifft sich immer zweimal“ und gehe weiter.

Vorne im Hochbeet kommen die ersten Radieschen, die ich vor vierzehn Tagen gesät habe. Hellgrüne Keimblätter. Man bekommt sofort Lust auf Salat, wenn man die sieht.

Ich schneide einen Meter weiter das Braune im Erdbeerbeet weg. Das ist eine simple Regel, das Braune muss weg, das gilt anderswo genauso schlicht. Kein Gartentag ohne Metaphern, alte Regel.

Mitten in der Arbeit höre ich auf und setze mich wieder in die Laube. Der Plan war, weniger einzuplanen, es fällt mir rechtzeitig wieder ein. Ich setze mich hin und mache gar nichts. Ich schreibe nicht einmal. Das schaffe ich ganze zwanzig Minuten lang und komme mir danach vor wie ein Wellness-Experte. Dazu dann demnächst mal Kurse geben oder ein Buch schreiben, Entspannung im Kleingarten. Been there, done that.

 

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Links am Abend

Eine Sendung (arte) über Françoise Hardy

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Und eine (Audio) über Tucholskys Schloss Gripsholm

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Die Kaltmamsell schreibt über die Serie Beforeigners, die sehen wir uns auch mal an. Also mindestens ein Sohn und ich. Die Grundidee klingt super.

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Andererseits klingt es noch in unseren Ohren: Niemand soll schulisch Nachteile aus COVID erfahren. Dies ist jetzt schon nicht mehr einzulösen.

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Bei Gerd Brunzema kann man Grafik kaufen. Bei uns hängt auch eine, lange schon. Kunst aus Social-Media-Kreisen, so etwas kann man auch sammeln. Wir haben einen Kelm, einen von Criegern und einen Brunzema. Als Sammlung geht das natürlich nicht durch. Aber immerhin.

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Links am Abend

Frau Herzbruch hat einen, nun ja, geradezu pragmatischen Vorschlag.

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Ein anderer guter Vorschlag: Be more Alice.

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Ein neues Blog, da auch mal drauf achten.

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Ein neues Lied von Lampchop. Sehr gut in fensterlosen Abstellkammern zu hören, ich habe das getestet. Aber vielleicht gilt das nur, wenn man depressive Musik emotional stabilisierend findet. Das fand ich immer schon, warum auch immer. Die Musik muss runterziehen, dann bleibt man fest am Boden und hebt nicht ab in Gefilde, in die man nicht gehört. So ähnlich wird es wohl sein, und es ist nicht ironisch gemeint, es klingt nur so. Bodenständig wird ja allgemein recht positiv assoziiert. Egal, schönes Lied jedenfalls.

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Das Lied zur Pandemie wiederum kommt von Eric Bibb. Eric Gale an der Gitarre. Es bluest ganz ungemein und wenn man es laut genug macht, dann hört man die Nachrichten nicht mehr, ich habe auch das für Sie getestet.

 

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Der Vormittag

Nebel am Morgen, der verweht unbemerkt. Es war auch nicht die schönste Ausgabe des Dunstes, es war nur so ein gewöhnlicher Nebenbeinebel. Ein Obdachloser verlässt in der grauen Dämmerung den Spielplatz, er wird auf der Bank am Gebüsch geschlafen haben. Schwere Taschen, gebeugter Gang, an der Kirche vorbei schlurft er langsam aus dem Blickfeld, langsam, so langsam.

Aus der anderen Richtung kommen kurz darauf zwei Jogger, Mann und Frau. Er läuft lässig federnd, die Hände in den Taschen seines Hoodies, betont gerade Haltung, grinsend. Sie keucht hinterher, eher schwere Schritte, knallroter Kopf. Eine Kurzgeschichte im Trab, schon vorbei.

In der Birke geht das Elsternpaar ruppig gegen eine Krähe vor. Sie umfliegen sie, sie picken sie an, sie ziehen sogar an ihren Schwanzfedern. Heftiges Geschimpfe, wildes Flügelschlagen, aggressive Grundstimmung im Baum. Eine Möwe segelt dicht darüber hinweg, kein Flügelschlag, kein Blick nach unten auf die Krawallbande, stoisches Gleiten, die Ruhe selbst. Und schöne Grüße nach Helgoland, sage ich leise aus meinem Dachfenster.

Eine Schülerin mit Ranzen auf dem Rücken fährt auf einem Mountainbike an unserem Haus vorbei in eine Richtung, in der gar keine Schule ist. Absetzbewegungen, man versteht das.

Aus einem Haus gegenüber kommt ein Mann mit einem Rennrad auf der Schulter. Er geht die drei Stufen von der Tür zum Gehweg runter, setzt das Rad ab, schwingt sich drauf, fährt los und beschleunigt sofort stark, und zwar macht er das alles in einer einzigen fließenden Bewegung, wie ein Sportler, bei dem genau diese Sequenz zur Disziplin gehört, wieder und wieder hat er das jahrelang trainiert, von der Tür zur Straße aufs Rad und um die Ecke, komm, wir machen jetzt noch zehnmal diesen Start, das muss einfach sitzen. Und wie das sitzt.

Ein anderer Mann entfernt gerade das Sicherheitsgitter vor dem Eingang zum sozialistischen Verlag. Er hat einen roten Fahrradhelm auf, und da weiß man dann nicht, ist der jetzt extra rot oder nicht.

Bei den thailändischen Massagedamen ein paar Meter weiter geht ein Schild im Fenster an, darauf leuchtet das Wort „Geöffnet“, das ist auch rot. Ja, dürfen die das denn? Fragt man sich doch. Das weiß ich aber nicht, das weiß vermutlich kein Mensch mehr auf Anhieb. Jeder darf irgendwas, aber im Prinzip darf man eher wenig, wir nennen es Lockdown.

Ich klappe mein Firmennotebook auf und verschwinde darin für sechs Stunden. Das darf ich.

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Von Mäusen und Menschen

Donnerstag also. Was macht die Maus am Donnerstag, einer dieser Sätze aus der Kindheit, die sich bis in alle Ewigkeit im Hirn festgefressen haben, dabei fand ich ihn damals schon doof. Im dazugehörigen Gedicht vom Herrn Guggenmoos aber, so sehe ich gerade, heißt es vielmehr: „Was denkt die Maus am Donnerstag.“ So ist das mit den Erinnerungen, sie sind unzuverlässiges Zeug, Scheinbilder, schwer zu deutende Schimären. Egal, das Folgende „Dasselbe wie an jedem Tag“, das haben wir in dieser Pandemie jedenfalls mit ganz neuer Bedeutung aufgeladen, so viel steht fest.

Am frühen Morgen sind nur das Rotkehlchen und ich wach. Es singt, ich tippe, ein jedes nach seiner Art.

Ich sehe im Wettbericht nach, in der nächsten Woche sollen die Temperaturen immerhin wieder zweistellig werden. Zack, schon wieder Hoffnung, that was easy, zu dieser Stunde habe ich schon das ganze seelische Wellnessprogramm durch. Villariba! Für einen kurzen Moment vergesse ich tatsächlich die Problemlage, die mir dann aber nach wenigen Minuten siedend heiß wieder einfällt, holy shit, da war ja etwas, und dieses, und jenes, und das auch und dann noch … dazu die Situation überhaupt und alles. Nun. Wir tragen alle Helm, wie es an Baustellen immer heißt.

Was macht der Max am Donnerstag, er macht etwas mit Home- davor. Er bringt der Herzdame Tee ans Bett, er weckt die Söhne („Aufstehen! Klassenarbeitsersatzleistung!“), er bloggt, er braucht mehr Kaffee.

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In Tonnen und Gehäusen

Der Freitag in der Mittwochausgabe also. Ich höre am sehr frühen Morgen ein Feature über schlechte Laune, danach grummelt es sich noch wesentlich besser: „Lob der schlechten Laune – Das Leben hat an und für sich nur Nachteile.“ Wer würde dem widersprechen wollen im Freundeskreis Dysphorie und Anhedonie, der gerade ganz gut Zulauf hat, wie man so hört. Die Stimmung in den Timelines zumindest, sie ist übel bis verzweifelt. Das kann man auch nur noch in gewissen Dosen zur Kenntnis nehmen und ansonsten lieber Bücher aus anderen Zeiten lesen. Das Konstruktive fehlt allenthalben, das Konstruktive fällt niemandem mehr ein. Wenn ich mit Leuten spreche, was situationsbedingt gar nicht allzu oft vorkommt, kommt die Rede irgendwann immer darauf, dass es noch dauernd wird, und dann werden so halb lachend und halb ernst Monate hingeworfen, bis Juni, bis Juli, bis September, bis Oktober, jeder und jede rät so herum. Vor Juni nennt schon niemand mehr etwas. Im Juni beginnen hier schon die Sommerferien, das klingt noch gar nicht vorstellbar.

Währenddessen ziehen alle Werte munter und flott in Richtung Rot und darüber hinaus, Hamburg hat die Hundert heute gerissen.

Ich sitze währenddessen in meiner Abstellkammer, Buddenbohm im Gehäuse, und arbeite und lese und schreibe. Und wissen Sie was, ich finde es ausgesprochen schön hier. Ausgedientes Familiengerümpel um mich herum, aber auch ein Sessel und ein Schreibtisch. Gemütliche Beleuchtung der irgendwann ausrangierten Art, lädierte Lampenschirme, funzelige Birnen. Bücher und Notizbücher. Kochzeitschriften jahrgangsweise. Keine Fenster, aber auch keine anderen Menschen. Ich glaube, ich bin vergleichsweise anspruchslos, und das immerhin ist eine Eigenschaft, die bewährt sich jetzt.

Ab und zu sieht die Herzdame herein und fragt ironisch: „Na, gemütlich?“ Und ich sage betont unironisch: „Ja, sehr.“ Ich habe mir schon als Kind die Mülltonne von Oskar immer ganz heimelig vorgestellt, so wirkt der frühkindliche Fernsehkonsum bis heute angenehm nach.

Und sonst: In den Foodblogs sprießt schon der Bärlauch, sehe ich gerade. Nehmen wir das einfach als Hoffnungszeichen des Tages.

Das Konstruktive nicht nur vermissen, immer auch suchen und finden.

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Abwinken, aussitzen, abperlen lassen

Der Dienstag ist ansonsten ein Tag ohne besondere Vorkommnisse. Es kommt nur eine mäßig schlechte Nachricht, etwa Kategorie mittleres Ärgernis, das ist keine Aufregung wert. Abwinken, aussitzen, abperlen lassen.

Ich lese am Abend weiter in Somerset Maugham, „Einzahl- erste Person“. Die Übersetzung ist von Mimi Zoff (klingt wie eine Figur bei Nick Knatterton, die Älteren erinnern sich) und enthält das wunderschöne Wort ausruhsam. Ein Hotel in Rom, so heißt es da, sei in der heißen Stadt kühl und „ausruhsam“. Ein besonders schönes Wort, da mal etwas darauf herumschmecken. Wenn man es übrigens googelt, das fand ich lustig, findet man einen Kammerjäger aus Ruhsam. Ich stelle mir ausruhsame Orte und Hotels vor und fange an zu träumen, das wirkt ein wenig.  Ich schreibe das Wort in mein Notizbuch, es schreibt sich auch schön. Ich nehme mir vor, das zu verbloggen, hiermit geschehen, sehen Sie, so kommt das immer. Jetzt kennen Sie das Wort auch und können etwa ihre Möbelstücke durchgehen, welche wohl die ausruhsamsten davon sind. Man braucht doch etwas Ausruhsames, in diesen Zeiten.

Direkt neben mir stehen die Eierkartons mit den Kartoffeln drin, die dort bitte vortreiben sollen. Die eine Sorte heißt Linda, die andere heißt Charlotte, das klingt zusammen wie ein Geschwisterpaar. Zwei wohlgeratene Töchter, Linda und Charlotte, gleich sieht man sie vor sich, ein Mehrteiler im ZDF über ihr Liebesleben. Und hätte man Zeit, hätte ich Zeit, es wäre doch auch eine hübsche Idee, ein Romänchen zu schreiben, in dem alle Figuren nach Kartoffelsorten benannt sind, es gibt definitiv genug Auswahl. Das dürfte man aber keinem sagen, nein. Listig verschweigen müsste man das und erst nach den Kritiken voller Genugtuung darauf hinweisen, dass niemand in den Feuilletons bei diesem besonders feinsinnigen Text über aktuelle Probleme in der deutschen Gesellschaft das allerkartoffeligste Merkmal darin entdeckt hat. Einmal im Leben so eine Pointe mitnehmen, ich sage es ja, man braucht Ziele, unbedingt braucht man die.

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Montag, Dienstag, Freitag

Montag, gefühlt Freitag. Ein Vogel weckt mich am Montag um 04:20, das ist selbst für meine Verhältnisse etwas früh, und so frühlingshaft hoffnungsfroh solch Gezwitscher auch oft wirkt, es überzeugt um diese Uhrzeit nicht recht, es nervt vielmehr etwas. Ich stehe stöhnend auf, ich mache mir Kaffee. Ich halte das Handy aus dem Dachfenster und checke die Birdnet-App, bzw. checkt diese App den Vogel. Ein Rotkehlchen, sagt das Ergebnis sofort. Aha, denke ich, wieder was gelernt! Was aber gar nicht stimmt. Ich habe nämlich beim ersten Schluck Kaffee schon wieder vergessen, wie der Vogel geklungen hat, zwitscher zwitscher eben, was weiß ich, so ein Geflöte und Getriller, wie Vögel eben machen, tirili. Nichts davon würde ich in zehn Minuten wiedererkennen, gar nichts, und nichts habe ich gelernt. So eine App ist gut und schön und kann tatsächlich etwas, viel sogar, aber ob sie mir etwas beibringt, ich weiß nicht recht. Da nochmal drüber nachdenken.

Ich fahre den Bürorechner hoch, ich weiß mein Passwort noch, dieser Urlaub konnte wirklich gar nichts. Der Rest des Tages entgleist dann gründlich, da decke ich den Mantel des Schweigens drüber, der allerdings etwas Übergröße haben darf, sonst guckt da verdammt leicht etwas raus.

Der öffentliche Bücherschrank, den hier jemand abgefackelt hat, ich erwähnte es gestern, er wurde wohl mittels Kaminholz in Brand gesteckt. Man sieht die angekokelten Scheite noch da liegen, so Feuerholz, wie man es aus ländlichen Wohnzimmern kennt. Was immer da für eine Geschichte dahintersteckt, gut wird sie nicht sein. Der Bücherschrank soll wieder aufgebaut werden, immerhin.

Dienstag, gefühlt Freitag, es ist endlos lange Freitag, immer wieder, und das Wochenende kommt nie. Die gestrige Nachrichtenlage lässt die Timelines verständlicherweise in heller Empörung, in Entsetzen und Entgeisterung zurück, es ist ein emotional ungemein aufgewirbelter Freitag, dieser Dienstag. Ich dagegen fühle mich bedrückt und seltsam unterkühlt, das kann alles nicht mehr gesund sein, das ist doch seelisch höchst bedenklich. Dann fällt mir wieder ein, dass ich in einer ungeheizten und fensterlosen Abstellkammer sitze, es könnte auch daran liegen. Der Blick fürs Wesentliche! So schwer. Ich setze mich in die Küche, ich brauche mehr heißen Kaffee. Viel mehr Kaffee.

Ich sehe aus dem Fenster runter auf den Spielplatz. Seit auf den Spielplätzen Maskenpflicht gilt, stehen da viel mehr Männer herum, ist das Zufall, ist das ein erwartbarer Effekt? Schon seit ein paar Tagen sehe ich immer wieder nach, dauern stehen da Männer, so viele Väter im Einsatz wie nie, es ist wirklich seltsam.

Home-School, der Konjunktiv. Hätte ich aufgepasst, ich könnte den Konjunktiv. Er sagte, er könne den Konjunktiv. In Mathe dagegen machen wir aus einer einfachen Zahl einen Term mit immer mehr und noch mehr Klammern, das Kind fragt völlig zu Recht: Warum? Es ist wie im Leben, sage ich, da ist irgendwas ganz einfach und überschaubar, dann spielt jemand etwas damit herum, schon ist es irre kompliziert. Alles spiegelt sich in allem und so. Das Kind fragt, ob es jetzt fertig sei. Nein, das ist es nicht, das ist es noch jahrelang nicht. Der Mensch als solcher wird nicht fertig. Schlimm.

Home-Office. Neulich bin ich zufällig mit dem Auto am Büro vorbeigefahren, also an dem Gebäude, in dem ich jahrelang gearbeitet habe. Unverkennbares Damals-Gefühl. Ach guck, den Stadtteil gibt es ja auch noch. Da haben früher viele Menschen gearbeitet, was war das mittags immer für ein Gedränge vor den Imbissen. Tempi passati.

Ich arbeite konzentriert, die Zeit vergeht. Im Grunde reicht es auch, finde ich dann, let’s call it a day, es ist auch alles ziemlich anstrengend. Ich sehe auf die Uhr, es ist erst 08:28. Hm. Ich sehe auf den Kalender, es ist immer noch Dienstag.

Es geht alles nicht mit rechten Dingen zu, so viel steht fest.

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Hier bitte klingen

Der Frühling wird uns eiskalt untergeschoben, fast an der Wahrnehmung vorbei. Hier und da sieht man im Vorbeihasten unter Schauern grüne Blättchen und fette Knospen, aber es graupelt, es schüttet, es stürmt, nirgendwo sieht man in Ruhe hin, alles nur nebenbei. Ein paar Narzissen auf vollgekackten Rasenstücken, frisch vom Platzregen verprügelt, taumelig auf den Stängeln. Krokuseinsprengsel im Park, verweht oder schon wieder zertreten.

Aber das Licht ist doch anders, die Helligkeit ist eine andere geworden, da sind jetzt Töne drin, die gibt es im Winter überhaupt nicht. So eine pastellige Ahnung. An den Kulissen wird also geschraubt, aber man bekommt es nicht recht mit. Man mag auch nicht rausgehen, es ist einfach nicht schön da.

Auf der Eiche vor dem Küchenfenster sitzt die Ringeltaube im quer herantreibenden Regen und gurrt, dass das Wetter früher besser gewesen sei, alles andere übrigens auch. Sie hat einen Ausdruck verstetigter Empörung um die Augen.

An der Fensterscheibe eines Restaurants hängt ein Zettel mit einem handgemalten Pfeil, über dem steht: „Hier bitte klingen“. Da hat man das zweite L vergessen, im „klingeln“. Ich stelle mir vor, wie die Kunden vor der Scheibe stehen und irgendwie klingen. Was man so macht, wenn man sich nicht mehr zu erheitern weiß. Es hilft heute nicht recht.

An einigen Geschäften steht jetzt etwas von neuen Öffnungszeiten und wie viele Kunden auf einmal, an einigen steht, dass man bitte einen Termin vereinbaren solle, dann große Telefonnummern. An einigen Geschäften steht gar nichts, die sind seit November einfach dunkel und still und das ist schon die ganze Geschichte, also von Kundenseite aus betrachtet. Es gibt Restaurants, die werben auf Zetteln in den Fenstern immer noch für den Grünkohl aus dem Dezember.

Aus einem Fenster höre ich Flötentöne, da übt jemand etwas. Es könnte etwas Irisches sein, keine ganz einfache Sache, das klingt jedenfalls nicht wie ein übendes Kind. Eine tanzbare Melodie ist das, jetzt noch eine Trommel und irgendwas mit Saiten und ab in den Irish Pub. Nein, das ist so ein Gedanke von früher. Die Flöte wird überlagert durch ein Martinshorn am Ende der Straße und das wieder geht unter im Klang der Kirchenglocken, gestapelte Töne, Großstadtmusik.

Ich gehe am Morgen Brötchen holen. Brötchen holen ist angenehm einfach und fast wie früher. Ich gehe durch den Bahnhof, der Zug nach Zürich fährt gerade ein, aber Zürich, das wissen wir längst, ist auch keine tiefere Stadt, da müssen wir nicht hin. Maskierte Menschen steigen aus und ein. Auf dem Bahnsteig stehen zwei, die ziehen die Masken runter und küssen sich sehr und nass und zum Abschied. Dann schmiegt sie sich an ihn und sieht, er ist erheblich größer als sie, selig lächelnd zu ihm hoch und sieht dabei dermaßen glücklich aus, das sieht man gar nicht jeden Tag. Dann steigt sie ein und er nicht.

Auf dem Weg zurück bricht die Sonne durch, ein jähes Aufgleißen der nassen Dächer, wie ein abgespritzter Modellbausatz stehen die Häuser blank, frisch und neuwertig da, ein Musterstadtteil mit kahlen Architektenbäumchen. Figürchen auf dem Gehweg, ich. Mit Brötchentüte.

Ich lese nach dem Frühstück Schulmails. Ich möchte bitte keine Schulmails mehr lesen, ich habe fürs ganze Leben genug Schulmails gelesen.

Wir müssten da noch etwas vorbereiten, wenn es hier nach den Ferien morgen wieder losgeht mit der Home-School, wir müssten auf diese Lernplattformen gucken und Termine sortieren. Wir müssten Konferenzen planen und Arbeiten und Tests. In mir ist ein lähmender innerer Widerstand, der ist noch größer als der bei den Kindern, und das will etwas heißen. Wenn das alles einmal Geschichte ist und in den verschiedenen Wissenschaften aufgearbeitet wird, ich hoffe es wird allgemein als einer der großen Fehler anerkannt, dass die Lehrpläne weiter durchgezogen wurden, dass der Druck blieb, dass die Arbeiten und Bewertungen blieben, dass Zensuren wichtiger waren als alles, dass es überhaupt immer um Noten ging. Ich halte das nach wie vor für eine absurde Fehlentscheidung. Ich verstehe die geschlossenen Schulen, sehr gut verstehe ich die, den Rest verstehe ich nicht. Den Rest will ich auch nicht verstehen.

Eventuell habe ich einen Ausdruck verstetigter Empörung um die Augen, das kann sein. Ich winke der Ringeltaube vor dem Küchenfenster solidarisch zu. Sie dreht sich unangenehm berührt um.

Im Mai gibt es wieder eine Woche Ferien. Komm, lieber Mai, und mache.

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Sukunft mit S

Heute ist der Tag, an dem vor einem Jahr Corona bei uns einschlug. Der Kalender im Büro blieb dann etliche Monate auf diesem Tag stehen und wäre, hätte ich das entscheiden können, in genau diesem Zustand auch im Firmenmuseum gelandet, das es aber leider gar nicht gibt. Ich wäre dort sonst gerne Kurator und beredter Hüter der Kugelkopf- und Typenradmaschinen, mit denen wir damals, also ganz damals, die Tage weggerattert haben.

Die Kinder sind sicher – und nicht nur meine Kinder – dass das alles schon viel länger als ein Jahr dauert, und sie sind sich nicht etwa spaßeshalber sicher, sondern ganz sicher. Ich dagegen fühle gar nichts bei der Zeitangabe „ein Jahr“, bei mir ist jedes Zeitgefühl gründlich im Eimer. Ich habe nur einen Instant-Ohrwurm mit „What’s another year“ von Johnny Logan, das ist einigermaßen unschön. Das gab es auch auf Deutsch, das Liedchen. Was ist schon ein Jahr, und es ging weiter mit: „für jemanden, der keine Sukunft mehr hat. Ja, mit S hat er das gesungen, oder ich erinnere es zumindest so, und er guckte dabei sehr blauäugig in die Kameras, so blauäugig, wie wir jetzt nicht mehr in die Sukunft sehen werden können.

Corona dauert ein Jahr oder einen ungeheuren März lang, Corona dauert, darauf werden wir uns einigen können, allmählich etwas zu lange. Fisch, Besuch und Pandemien stinken nach drei Tagen.

Corona dauert bis Mitte 2021 oder länger. What’s another month.

Ich lese weiter in Somerset Maugham, diesmal „Einzahl, erste Person“, so heißt das wirklich. Es beginnt mit einer arg durchsichtigen und eher nicht so guten Geschichte über einen Mann, der zu Betrugszwecken dauernd Frauen ehelicht, die etwas Geld haben, elf hat er schon. Es ist alles recht schlicht aufgebaut und nicht allzu glaubwürdig, aber es spielt in einem englischen Badeort außerhalb der Saison und da wäre man als Leser dann auch gerne. In so einer halbverlassenen Pension, auf diesem weitgehend menschenleeren Strand bei bestenfalls mittlerem Wetter, und wenn man da Menschen trifft, andere einsame Spaziergänger, dann sind die eben die Geschichte. Das ist übersichtlich und klar, das ist einladend.

Eigentlich wäre ich jetzt gerade auf Eiderstedt, fällt mir nebenbei ein, aber die Situation.

Den öffentlichen Bücherschrank, aus dem ich die Bücher von Somerset Maugham habe, den hat jemand angezündet. Die Brandstelle ist mit Flatterband von der Polizei abgesperrt und sieht erheblich nach Tatort aus. Es ist kein einziges Buch übrig, ich werde mir Lektüre jetzt wieder anders besorgen müssen, das ist schade. Wer zündet öffentliche Bücherschränke an? Das weiß bisher kein Mensch, aber in den Stadteilgruppen auf FB meint man, auch das genau zu wissen. Die jeweils anderen waren es natürlich, die muss man auch dafür hassen. Die Kommentarlage ist ekelhaft und warum ich da noch einen Account habe, es ist im Grunde unerfindlich und dringend wieder zu überdenken.

Ich höre Wilkie Collins, Die Traumfrau, und meine Güte, es war wirklich nicht alles gut von ihm. Eine Geistergruselgeschichte der zweitklassigen Art, ich rate eher ab. Blasse Frau erscheint nachts mit erhobenem Messer und sticht unmotiviert in Matratzen, also wirklich.

Ich höre R.L. Stevenson, Markheim und die krumme Janet und es ist ja so, wer kann, der kann. Stevenson kann.

Nächste Woche, ich bin heute vollkommen zusammenhanglos, pardon, wieder Home-School und Home-Office. Ob ich das noch kann?


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