Oh, wie schön ist Kanada

Aufgrund hier nicht näher zu erläuternder Umstände hagelte es gestern förmlich Termine und die Herzdame und ich haben strebsam und fleißig alle Vorhaben, alle großen und kleinen Projekte, sämtliche Pflicht- und auch Wunschveranstaltungen jeder nur denkbaren Art und so weiter und so weiter in die diversen Kalender übertragen, abgestimmt und durchpriorisiert. Dann bin ich angesichts der beträchtlichen Fülle innerlich etwas eingeknickt, das ist allerdings ein wiederkehrender Effekt, routiniert abgelegt unter “August, normal”.  Und ein Knick ist ja kein Bruch, ne. Läuft.

Ebenfalls ein wiederkehrender August-Effekt – ich stelle nach dem Urlaub überrascht fest, dass man morgens wieder Licht anmachen muss und finde das irgendwie auch ganz gemütlich. Mit etwas Glück hält das bis etwa Neujahr an, dann nervt es wieder.

Ferner stelle ich fest, dass hier gerade zwei Umstände zusammentreffen, denn erstens habe ich im Urlaub immer weiter daran gearbeitet, die Sache mit den Notizen zu perfektionieren, zweitens habe ich nach wie vor verblüffend wenig ruhige Stunden für längere Texte, was auch daran liegt, dass die Söhne entgegen aller geradezu lächerlich falschen Voraussagen immer weiter ins Grobe hineinkommen, um Ihnen nebenbei kurz alle Hoffnung zu nehmen, falls Sie gerade ein Kleinkind herumtragen – aber vielleicht reichen ja auf diese Art die Notizen aus dem Urlaub bis Weihnachten oder so, und das ist doch irgendwie auch ganz nett, es ist so etwas wie ein gut gefülltes Kontor, da lacht der Hanseat. Wobei ich gerade gestern wieder intellektuell an meinen eigenen Notizen grandios gescheitert bin, weil ich entschieden zu lange darüber nachgedacht habe, was ich denn bloß vor vier Wochen mit der einigermaßen kryptischen Zeile: “Fisch und Eisberg” gemeint haben könnte. Es dauerte mehrere Minuten, bis ich darauf kam, dass es sich hierbei lediglich um ein Stück Einkaufszettel handelte, Fisch und Eisbergsalat, meine Güte. Und dann wieder diese inneren Stimmen, die eine sagt: “Das ergibt doch keinen Text!”, und die andere sagt “Dohoch!”

Passend dazu lese ich gerade “Selbstgespräche” von Charles Fernyhough, “Von der Wissenschaft und Geschichte unserer inneren Stimmen”, übersetzt von Theresia Übelhör. Es geht um die Art, wie wir denken, wie und ob wir dabei verbalisieren etc., ein faszinierendes Thema.

Um aber heute wenigstens noch eine Urlaubsnotiz abzuarbeiten, es folgt noch schnell mein allerliebster im Vorübergehen gehörter Dialog aus den Urlaubswochen, es ist vollkommen egal, wo das war, ein Pärchendialog, aufgeführt in leicht gereizter Stimmung:

“Oh, wie schön ist Kanada.”

“Das heißt Panama.”

“Das ist doch wohl scheißegal.”

Und damit verabsentiere ich mich ins Büro. Vor unserer Haustür übrigens stand neulich ein Lieferwagen, der trug die überaus seltsame Aufschrift “Bürobedarf für Fröhliche.” Und nachdem ich jetzt schon seit ein paar Tagen ohne Erleuchtung darüber nachdenke, ich reiche die Frage mal an den hier vielleicht ab und zu mitlesenden Freundeskreis Dysphorie weiter – was zum Teufel mag das sein?

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Trinkgeld Juli, Ergebnisbericht

Die Anfahrt zur Ostsee mit der Bahn, die Rückfahrt, das Essen zwischendurch und der Campingplatz, das Eis und der Kaffee und auch ein Sudokuheft und zwei gedruckte (!) Zeitungen, die ganzen Spesen bei der Wanderung also, die wurden aus den Trinkgeldern bezahlt, wobei ein ganz besonderer Dank den Spenderinnen aus dem letzten Jahr gilt, denn das Geld lag sozusagen in der Warteschleife, da hier ja alles strikt zweckgebunden ausgegeben wird, was einen entsprechenden Betreff mitgeliefert bekommt. Und wenn der Betreff erst in etlichen Monaten zu bedienen ist, dann ist das eben so, ich kann warten.

Ferner haben wir in Südtirol sämtliche Pizzen, das ist immerhin Italien dort, und auch sämtliches Eis von den Trinkgeldern bezahlt, wofür vor allem die Söhne gut versorgt danken. Es gab auch Geld für “gentrifiziertesEis”, dazu bin ich noch nicht gekommen, das war auch in Südtirol nicht zu finden. Das dann im August, ich suche wieder irgendwas mit ansprechender Exzentrik.

Im Deutschen Museum in München haben sich die Söhne nach nervenaufreibend langer Auswahl unter erheblichem Zeitdruck im Shop dort zwei dieser Spielzeugmetalllspiralen gekauft, bei denen mir gerade nicht einfällt, ob es für die überhaupt einen speziellen Titel gibt. Egal, so etwas haben wir jedenfalls alle einmal gehabt, nehme ich an.

Außerdem haben sich beide Kinder in einem Restaurant auf Eiderstedt jeweils Kiba bestellt, die Älteren erinnern sich, das ist eigentlich so eine Sache aus den Achtzigern, wenn ich mich recht erinnere, aber es ist auch wieder sehr begehrt bei heutigen Kindern. Kiba im Restaurant, das ist sozusagen posh. Und da es das dritte Getränk war, konnten sie das dann bitte selbst bezahlen.

Der jährlich obligatorische Besuch in der Dünen-Therme von Sankt Peter-Ording nebst Kurkarten (oder wie immer die gerade heißen), er wurde ebenfalls von Leserinnen finanziert, auch dafür danken speziell die Söhne, für die dieses Event im Sommer völlig unverzichtbar ist.

Es war auch noch Geld “gegen Schwerkraft” da, das habe ich im Juli äußerst sinnvoll für einen Sessellift in den Alpen ausgegeben, hoch oben schwebte der Buddenbohm wolkennah gen Gipfel, also wirklich, ein Volltreffer. Fast noch besser war aber, wie ich wieder herunterkam, die Geschichte folgt noch.

Wieder in Hamburg brauchte Sohn II dringend ein Kuscheltier, das liegt jetzt leserinnenfinanziert neben ihm, es handelt sich wegen überbordender Reitleidenschaft um ein Pferd.

Buchgeld wurde verwendet für Hartmut Rosa: “Unverfügbarkeit – Unruhe bewahren”, das ist die Kurzversion seiner Resonanztheorie, die er in anderen Werken in allzu epischer Breite geliefert hat. Hier kommt sie handlich daher und das Buch gefällt mir ganz außerordentlich gut. Ich lese es sogar gerade zum zweiten Mal und recherchiere den Literaturverzeichnisssen der Kapitel hinterher, das passiert mir auch nicht gerade oft.

Ebenfalls unter Buch fällt die Bestellung eines neuen Notizbuchs von der Büchergilde Gutenberg, also wieder ein selbst zu füllendes Buch. Das hat sich bewährt und ich mag die Notizbücher vom Bindewerk, nein, das ist keine bezahlte Werbung.

Wie immer: Ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und auch für jeden Cent, das Trinkgeld ist und bleibt meine allerliebste Einnahmequelle. Der die Ausgaben begleitende Content wird noch nachgereicht, die diversen Bemerknisse aus dem Urlaub werden hier erst nach und nach abgearbeitet, es sind einfach zu viele für einen Aufsatz à la “Mein schönstes Ferienerlebnis.” Den ich übrigens in dieser Form zu Schulzeiten nie schreiben musste, das Format ist ein Mythos.

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Re

Sie werden es geahnt haben, wir waren in Nordfriesland, da ist man offline. Also wirklich “man”, nicht nur wir, und durchaus nicht aus eigenem Beschluss, sondern weil es da eben in weiten Teilen nach wie vor keine Empfang gibt, kein Netz, kein Digitalien, kein Online. Die Kuh macht Muh, die Hähne krähen dazu, da lacht der Schlagerfreund und der Mensch mit dem Handy geht zur nächsten nicht nur sprichwörtlichen Milchkanne und sieht, dass nichts geladen werden kann, nichts, gar nichts. Das kennen wir gut, das geht uns dort jetzt seit fünf  Jahren so. Und allmählich finde ich die an dieser Stelle verlässlich eintrudelnden und sicher frommblickend erteilten Hinweise auf Digital Detox gar nicht mehr so witzig, sie machen mir eher mehr und mehr Lust, die Vertreter dieser Position ausufernd zu beleidigen.

Denn natürlich ist Digital Detox eine unter Umständen feine Sache, ich weiß es wohl, aber doch bitte nur nach eigener Beschlusslage, und nicht etwa weil gewisse Bundes- und Landesregierungen alles, aber auch alles verpennt haben, was die moderne Kommunikation und ihre Möglichkeiten ausmacht. Es ist fatal, es ist desaströs, es ist schlicht peinlich. Wir waren auch wieder in Südtirol, da kann man im letzten abgelegenen Bergwald unter einer märchenhaft flechtenbehangenen Lärche liken, da kann man im finstersten Tal auf einer Tenne twittern, das ist nie ein Problem, in Nordfriesland dagegen, überhaupt in der deutschen Provinz – ach, egal. Ich beruhige mich auch wieder. Immerhin wurden dennoch Notizen verfertigt, ja ja, das Offline stärkt die Handschrift, geschenkt.

Ich weiß noch nicht, wie ich hier wieder Struktur hineinbekomme, am Ende brauche ich eh gar keine Struktur, irgendwo anfangen und jeden Tag was ergänzen, quasi bewährtes Prinzip.

Kurz nur zum Start der sozusagen zweiten Blogsaison des Jahres die Zusammenfassung und der Gesamtüberblick – wir waren eine Woche in Südtirol auf einem Obsthof, wir waren eine Woche im Garten, den wir für diesen Zweck noch etwas spaßorientiert aufgerüstet haben, dazu auch später mehr, ich war mit Sohn II kurz auf Wanderung, wir waren eine Woche in Nordfriesland. Und weil das jetzt ja alle erwähnen, die sich umweltmäßig irgendwie herausgefordert fühlen, erwähne ich es auch, das war für mich das fünfte Jahr ohne Flug. Wozu ich aber ergänzen muss, dass ich das Fliegen sowieso hasse, nicht wegen Flugangst, die habe ich nicht, sondern wegen der Umstände, die ich immer als entwürdigend empfunden habe. Das ist also kein Kunststück und kein schwerwiegender Verzicht für mich, nein, es ist überhaupt kein Verzicht, es ist geradezu ein Gewinn, gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen. Nachmachen können Sie es natürlich dennoch, ökologisch sinnvoll wird es schon sein.

Ich kann mir ja gottseidank fast alle Sinnfragen dramatisch leicht machen, weil ich mich immer fragen kann, ob etwas für die Kinder gut und/oder sinnvoll ist, und wenn ich den Urlaub vor diesem Hintergrund sehe, dann haben die beiden mit großer Sicherheit genug erlebt, genug Spaß gehabt, genug zu erzählen, zumal sie sogar noch eine Reise mehr hatten als wir Eltern, nämlich eine Woche im Zelt auf Sylt, also wirklich, da fehlt nichts ohne Flug.

Zum Rest später. Die Routinen setzen gerade erst wieder ein, die Alltagsmaschinen laufen langsam wieder an, die Badehosen müssen noch vom Wäschetrockner in die Schränke verräumt werden. Nächste Woche beginnt das neue Schuljahr, da ruckelt es kurz noch einmal, dann findet bald alles in einen Trott und die Stunden sortieren sich neu in Schreibzeit und Freizeit und dergleichen. Das läuft, das kennt man schon, und ja, der Sommer war sehr groß.

Im Grunde kann es Herbst werden, kann es nicht?

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Und diese Ruhe, die ist nicht schön

Die Fortsetzung zu diesem Artikel

Wir gingen durch die Schmidt-Rottluff-Allee und verließen Sierksdorf in Richtung Norden. Sohn II rannte einmal schnell zum Meer hinunter und verwarf dort sofort seine Badepläne, als er die zahllosen Quallen und die Algen sah. Mir erschloss sich nicht, was denn an Algen schlimm sein sollte, ich fand die als Kind nicht schlimm, wenn ich mich recht erinnere. Aber das sagte ich natürlich nicht, schon weil ich nicht dauernd “Als ich Kind war” sagen möchte, und das wiederum schon weil ich dabei immer “Als das Kind Kind war” denken muss und also unweigerlich bei Peter Handke lande, das ist auf Dauer unerfreulich. Bei den Quallen immerhin konnten wir uns einigen, die Angst vor den Feuerquallen trieb uns damals auch in den Travemünder Jahren um und ob da in dem Gewimmel der nur zögerlich schwappenden Brandung nun welche dabei waren und welche genau das waren – es ist mir heute noch so unklar wie damals. Der Sohn also hielt nur Zehen ins Wasser und entschied kategorisch: “Da gehe ich nicht rein.” Und das tat er dann auch wirklich nicht, den ganzen Tag nicht.

Andere machten das schon, alle paar Meter standen Menschen im Wasser und es wird sicher Zufall gewesen sein, dass die da alle gerade nicht schwammen, sondern tatsächlich einfach nur standen, bis zu den Hüften im Wasser, wie Spielfiguren oder Kunstwerke von Balkenhol standen sie da, unbewegt und gerade, die Blicke zum Horizont. Vielleicht standen sie auch alle nicht nur einfach dekorativ herum, sondern genau wie wir vor der Frage, welches denn nun zum Teufel die Feuerquallen waren, vielleicht scheiterte das fröhliche Planschen gerade allgemein an dieser Überlegung. Wir stapften noch ein Stück durch den Sand weiter, aber das war mir mit dem Rucksack zu schwer und wir gingen zum Weg zurück.

Der führte durch ein Villenviertel und allzu bescheiden wirkte das da alles nicht. Anziehend aber auch nicht, wie sowohl mein Wanderfreund T. im letzten Jahr als auch Sohn II in diesem Jahr feststellten. Ab und zu blieben wir stehen, in dem einen wie in dem anderen Jahr, und sahen uns diese Häuser an, diese Anwesen, die eine grundsolide Ruhe ausstrahlen. Und diese Ruhe, die ist nicht schön. Auf hundert Meter Abstand ist sie schon eher ungemütlich, man möchte beim Anblick spontan mit Tocotronic singen: “Aber hier leben, nein danke”. T. und ich schüttelten damals irritiert die Köpfe, Sohn II sagte: “Da möchte man aber nicht sein”, womit er Recht hatte, er hat sowieso oft Recht. Und wir kamen zu dem immer wieder interessanten Schluss, dass Reichtum vielleicht gar nichts nützt.

Vor einem dieser Häuser stand ein Kind, das vor seiner Mutter zurückwich, die es mit Sonnenschutz eincremen wollte. Sie einen Schritt, das Kind einen Schritt, das konnte man weder der Mutter noch dem Kind anlasten, niemand mag Sonnencreme. Man kann aber angesichts des geradezu fanatisch aufgeräumten Gartens um die beiden herum doch die Frage von Sohn II verstehen, der die Situation immerhin als gleichaltriger Experte für sinnvolle Freizeitgestaltung beurteilen konnte, die wirklich naheliegende Frage: “Was macht man denn in dem Garten?” Denn da war sonst nichts.

Die naheliegendste Antwort sahen wir auf den Nachbargrundstücken, man parkt einfach mehrere teure Autos in den Gärten und ja, das ist ein Klischee, aber bitte, was soll man machen. Es war in diesem Viertel ansonsten kein Mensch zu sehen, nicht im letzten Jahr, nicht in diesem Jahr. Geschlossene Fensterläden, abweisende Fronten. Es sollen da auch Promis wohnen, habe ich hinterher gelesen. Vielleicht muss man das ja so haben, wenn man Promi ist und alle einen erkennen, vielleicht hat man dann richtig Sehnsucht nach einer abweisenden Fassade – und sitzt hinterm Haus und denkt den ganzen Tag grinsend und mit lässig hochgelegten Beinen: “Sie sehen mich nicht. Ha!” Wir wollen für die Promis hoffen, dass es so ist, es wäre immerhin ein Stück Sinnfindung.

Sierksdorf übrigens ist für Hamburger gut erreichbar und auch wenn ich über die Bilder am Weg nach Neustadt viel lästern werde, ich würde ihn auch ein drittes Mal gehen, weil er enorm interessant ist, ich möchte ihn auch ausdrücklich empfehlen, es ist ein gut machbarer Spazierweg von wenigen Kilometern. Für Menschen mit soziologischem Interesse, für Architekturfreunde, für Liebhaber des Absurden, für Menschen mit viel Kino im Kopf, für Naturliebhaber auch, dazu kommen wir noch.

Erst einmal kommt aber nach den Villen eine unaussprechlich traurige Betonbrache, die man auf den ersten Blick nicht recht einschätzen kann, überwuchertes Gelände mit flachen Bauten, die einmal eine Ferienanlage oder etwas in der Art waren. Sie ist heute abgezäunt und spukhaft verlassen, aufgerissener Asphalt, Bäume wachsen durch die Risse, Prypjat sieht auch so aus. Für Filme wäre das eine großartige Kulisse, ich könnte wetten, dass die Anlage bereits in einem Tatort oder dergleichen vorkam, und noch während ich das dachte, hörte ich Schreie.

Das machte aber nichts, die hört man da nämlich dauernd, weil ein großer Freizeitpark hinter den Büschen auf der anderen Straßenseite beginnt, da fahren sie Achterbahn oder was man da eben heute so fährt, dabei wird nun einmal viel und laut geschrien, das gehört so. Wenn der Wind richtig steht, dann hört man das ziemlich weit und ab und zu hört man auch die Geräusche der Bahnen, wenn sie mit Kawumm in die Kurven krachen. Links die Schreie, rechts die Brache, von oben dabei die sengende Sonne, das ist schon ein sehr spezielles Stück Weg da. T. und ich standen etwas fassungslos davor, Sohn II fand das da einfach nur traurig und wollte dringend weiter. Aber das ist an der Stelle ein recht heikler Plan, denn kurz darauf wird es noch viel deprimierender, kurz darauf kommt “Happy Bowling”, die vermutlich traurigste Bowlinganlage, die man sich nur vorstellen kann.

Mehr dazu in Kürze.

Fortsetzung hier

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Durch den abgeräumten Sommer

Das Wanderprojekt “Einmal um Schleswig-Holstein”, dieses betont langsame Projekt, es ist tatsächlich wieder etwas in Bewegung geraten. Es gab vor einiger Zeit ein kleines Zwischenspiel in Hamburg (der Text hieß “Krass mittel”), der korrekte Anschluss an den letzten Ostseeaufenthalt in Sierksdorf findet sich aber hier.

Es war natürlich Zufall, dass Sohn II und ich uns wieder einen der heißesten Tage des Jahres für die Wanderung ausgesucht haben, aber allmählich scheint es doch zu einem Muster zu werden. Wir stiegen morgens in Hamburg in den Zug, in einen reichlich überfüllten Zug voller Menschen mit dem Ziel Strand, es war an ihrem Gepäck eindeutig zu erkennen. Um uns herum saß eine große Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Betreuerinnen und Eltern, das wird so etwas wie die Ferienfahrt eines Jugendzentrums gewesen sein. Es wurden mindestens drei Sprachen gesprochen und oft wurden Sätze in der einen Sprache in einer der beiden anderen beantwortet, das war ganz normal, so etwas finde ich immer faszinierend. Eine junge Frau lief mit einem großen Plastikeimer voller Klumpen von einer Art Schmalzgebäck durch die Gänge und bot allen etwas an, der Zug roch auf einmal nach Rummelbude und Volksfest. Das kleine Mädchen neben uns hatte einen großen aufblasbaren Schwimmring mit Vogelkopf auf dem Schoß, ein Tukan war das wohl, wenn ich es recht gedeutet habe, jedenfalls küsste das Mädchen die ganze Fahrt über die Figur immer wieder auf den Schnabel, das war ein sehr geliebter Schwimmring, der auch sehr fest gehalten wurde. Die daneben sitzenden Kinder guckten das Spielzeug eher skeptisch an, auch weil es viel Platz beanspruchte.

Sohn II und ich überlegten während der Fahrt, wie weit wir eigentlich wandern wollten und wie müde wir waren, denn es war am Abend vorher dummerweise etwas spät geworden und wir waren  früh unterwegs. Selbstverständlich hatte der Sohn große Pläne, wie es sich für etwa Zehnjährige gehört, selbstverständlich rechnete ich mit etwas weniger Strecke, wie es sich für mein Alter gehört. Man wird mit den Jahren etwas konservativer, auch in den Schätzungen. Wir besprachen, wie müde wir genau waren, denn so einfach ist das ja gar nicht. Man steht dabei immer vor der Frage, wie weit man sich und seinen Zuständen eigentlich glaubt, auch das verändert sich im Laufe des Lebens und seiner Phasen erheblich. Wenn man nicht mehr kann, dann hat man noch ein Drittel seiner Kraft übrig, so heißt es im Sport und beim Militär, das ist das eine Extrem. Wenn man als Kind auch nur ansatzweise nicht mehr kann, dann geht man keinen einzigen Schritt mehr, das ist das andere Extrem, und irgendwo dazwischen muss man immer wieder seine eigene Wahrheit finden. Auf den Körper hören, Bedürfnisse erkennen und richtig bewerten, simpel ist das nicht, auch nicht für Erwachsene, die schon viele Meinungen dazu konsumiert und versucht haben.

Wir nahmen uns jedenfalls vor, am Vormittag dem ersten und am Nachmittag dem zweiten Extrem zuzuneigen, das passte auch gut zum Wetter, so dachten wir.

Die Jugendgruppe hatte einen Fahrradanhänger für den Kindertransport dabei, so ein riesiges Ding mit Deichselstange und Überbreite und recht großen Rädern. Beim Versuch, dieses Ungetüm irgendwie sinnig im Zug unterzubringen, konnten wir beobachten, wie mehr und mehr Menschen die Nerven verloren, Betreuerinnen, andere Fahrgäste, Kinder und Zugbegleitung, es kam zu Gebrüll und Gekeife, die Rede war mehrmals von dem “gottverdammten Ding”, wobei man zur Entschuldigung aller darauf hinweisen muss, dass die Deutsche Bahn in vielen Zügen bemerkenswert schlecht darauf eingerichtet ist, dass ihre Gäste eventuell Gepäck, Fahrräder oder Kinderwagen dabei haben, am besten fährt man nur mit einem kleinen Notizbuch oder einem Smartphone.

Jemand ging mit einer Checkliste herum und fragte, zu welchen Gruppen die Kindern gehörten, der Junge neben mir verstand die Frage nicht. “Na, wozu gehörst du, woher kommst du?” Und der Junge sagte ganz ernsthaft: “Aus Jugoslawien.” Es hat sich nicht aufgeklärt, wie ein Kind heute aus Jugoslawien kommen kann, vielleicht wurden die Gruppen da nach untergegangenen Ländern benannt, Jugoslawien, Trapezunt und Babylon oder so, wir werden es nicht erfahren. Der Mensch mit der Checkliste machte jedenfalls einen Haken und alles war in Ordnung, dabei müssen wir es belassen. Sohn II wollte wissen, was ich an Jugoslawien denn so seltsam fand, das war dann nicht so einfach zu erklären.

Im Gang stand ein telefonierender Mann, der wiederholt und deutlich sagte: “Mein Bruder existiert nicht.” Ich besprach wieder mit dem Sohn, wie viele angefangene Geschichten man überall hört und sieht.

Dann sahen wir aus dem Fenster. Es verbot sich, auf dem Handy zu spielen oder zu lesen, wir mussten Akku sparen. Wir hatten auch keine Bücher dabei, denn wir haben an jedem Gramm Gepäck gespart. So kamen wir einmal dazu, eine ganze Zugstrecke zu sehen, es war ein wenig wie früher, als alle beim Reisen aus dem Fenster gesehen haben. Als wir Hamburg vollständig hinter uns hatten, sagte der Sohn: “Jetzt kommen endlich diese Häuser aus alten roten Steinen”, er beobachtet nämlich genau. Wir sahen auf ein Bild, bei dem ich nicht anders kann als innerlich “gelb die Stohoppelfelder” zu singen, es war ein Augustanblick. Ein bereits abgeräumter Sommer mit staubigen Feldern unter knallblauem Himmel in noch voller und brütender Hitze, wir fuhren durch ein glühendes Schleswig-Holstein.

In Sierksdorf stiegen wir aus und dort folgte dann die erste Wanderetappe, die ich zweimal gegangen bin. Im letzten Jahr wanderte ich da bereits in erwachsener Begleitung, ich bin nie dazu gekommen, darüber zu schreiben. In diesem Jahr nun in Kinderbegleitung und auch noch etwas weiter. Und obwohl sich die beiden Begleiter im Alter um mehrere Jahrzehnte unterschieden, kamen wir doch zu ganz ähnlichen Beobachtungen und blieben wir staunend vor den gleichen Panoramen stehen.

Zu dieser sozusagen doppelt belichteten Etappe dann im nächsten Eintrag mehr.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Der Zug war pünktlich

Was schön war

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Autokauf. Es ist kompliziert.

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Die Arktis beschneien.

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Das große Wegwerfen.

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Eine kleine Meldung nur zwischendurch, im Zug geschrieben, irgendwo in Bayern, nehme ich jedenfalls an, Höhe Augsburg vielleicht, man saust ja so durch. Der Zug war pünktlich. Er fuhr am richtigen Gleis los, die Reservierungen hatten alle Gültigkeit und passten auch noch zu den Sitznummern. Der Lokführer war rechtzeitig da, das ganze Zugpersonal war anwesend und dienstbereit und auf die Sekunde rollte der Zug also los, raus aus München, die Söhne konnten es gar nicht fassen.

Denn das kann man ja zwischendurch auch einmal zur Kenntnis nehmen, für die Kinder ist die Bahn in diesem Land mittlerweile ein Symbol für Chaos und Unzuverlässigkeit geworden, weil bei unseren Reisen mit Zügen in den letzten Jahren vieles nicht funktioniert hat, sehr eindrücklich nicht funktioniert hat. In meiner Kindheit galt noch “Pünktlich wie die Bundesbahn”, und es war gar kein Witz. Heute haben die Kinder keinen ähnlichen Satz für die Deutsche Bahn parat, auch nicht als Scherz, aber für ein tolles Verkehrsmittel halten sie die Bahn ganz sicher nicht.

Einen Bahnhof weiter dann eine Durchsage, eher eine Durchfrage, ob ein Arzt an Bord sei, ein Sanitäter, jemand mit Medizinkenntnissen, ein Notfall, der Stimmlage konnte man schon entnehmen, das ist ernst, das ist richtig ernst, dann fiel auch schon das Wort Herzstillstand. Zehn Minuten dauerte es, bis ein Krankenwagen kam, das kann man gut oder schlecht finden, ich weiß da keine Benchmarks. Zwischendurch sagten hörbar gestresste Menschen mit bebender Stimme Zwischenstände durch, noch ein paar Minuten, noch eine Viertelstunde. Niemand stöhnte genervt, niemand beschwerte sich, alles saß ganz ruhig und wartete ab, es sah nicht einmal jemand auf seine Uhr und rechnete nach, man saß und hoffte vehement für einen Menschen, von dem man nichts wusste, überhaupt nichts. Zumindest den Teil darf man vielleicht sogar  erfreulich finden an dem Vorfall, zumindest erfreulicher als die allgemeine Gehässigkeit, die sich überall gerade so reich ergießt.

Als der Zug schließlich wieder losfuhr, gab es noch eine Durchsage, in der auf einmal ein förmliches Sie fehlte: “Einen herzlichen Dank an die Ärzte, die an Bord waren und geholfen haben – das habt ihr gut gemacht.” Es muss natürlich nicht stimmen, aber wir haben das als gutes Zeichen gedeutet.

Der Zug hat dreiundvierzig Minuten Verspätung und es ist völlig in Ordnung, wie auch die Söhne sagen.

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Wo ist das alles hin

Ich habe hier eine neue Kolumne beim Goethe-Institut geschrieben: Ganz gechillt. Passend dazu wurde ich gestern von den Söhnen gefragt, ob denn eine Clique – das Wort ist mittlerweile bei Kindern ungebräuchlich – so etwas wie ein Chillkreis sein. Ein Chillkreis! Ist das nicht ein wundervoller Begriff? Man möchte ab sofort zu gar keinen Partys mehr, man möchte bitte künftig nur noch in Chillkreise gehen, nicht wahr, gerne auch ohne Nudelsalat.

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Verknautschung

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Und es wird mal wieder Zeit.

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Über das Bahnfahren in Deutschland, der Schweiz und in Japan.

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Die Arktis brennt.

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Ein Dorf muss dem Meer weichen.

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Nachzutragen ist noch eine kleine Begebenheit aus einer Hamburger U-Bahn, an der zwei ältere Damen beteiligt waren, von denen die eine ganz der Typ Heidi Kabel war. Die kamen da so ins Gespräch, die beiden Damen, und sie sprachen über dies und das und wohin des Wegs und dass ja früher alles besser gewesen und wie heute alles so schlecht – und wie so teuer der Kaffee und wie so rar das Geld, um wieder einmal Heine zu zitieren, das war also eines dieser  Gespräche unter älteren Damen, wie es sie seit Generationen und Jahrhunderten gibt, und allmählich kamen sie sich näher. So nahe kamen sie sich, wie man sich als völlig Fremde zwischen ein paar Stationen in einer Bahn in der großen Stadt nur kommen kann.

Sie entdeckten Gemeinsamkeiten bei der Wahl der Bekleidungsgeschäfte und beide hatten früher einmal viel mit jenem Stadtteil zu tun, in den diese Fahrt gerade ging, da war es früher aber auch schöner, also viel schöner sogar, wo das alles bloß hin sei, das fragten sie sich und erwarteten voneinander keine Antworten. Die eine beugte sich vor und fragte vorsichtig nach, ob sie denn die paar Andeutungen in den letzten Sätzen so verstehen dürfe, dass die andere ihren Gatten bereits verloren habe, sehr freundlich und fürsorglich fragte sie das, trostbereit und warm. Die zweite Dame bejahte das und wehrte dann energisch die sofort aufbrandenden Beileidsbekundungen ab, das sei ja nun schon viele Jahre her und sie sei auch viel zu beschäftigt, um noch groß zu trauern. Man hatte es sich damals alles anders vorgestellt, so sei es nun eben nicht gekommen. Aber es sei doch ihr Leben und, um ganz ehrlich zu sein, das rutschte ihr so heraus, als sei die andere schon jahrelang ihre beste Freundin, der größte Sympath sei der Mann ja nun auch nicht gerade gewesen.

Sie sagte es ohne jede Bosheit, das darf man sich nicht falsch vorstellen, es war eher eine rein sachliche Feststellung, eine notwendige Erklärung der Umstände. Die Dame ihr gegenüber erwiderte mit einem ganz leichten, mit einem wirklich nur hauchdünnen Lächeln, das weit davon entfernt war, ein Grinsen zu sein, dass sie das auch selbst kenne und für eine Sekunde sahen sie sich dann verständnisinnig an und nickten stumm. Es war kein Triumph in ihren Blicken, auch keine Schadenfreude, es war nur der für ein paar Meter geteilte Gedanke, es hätte alles auch wesentlich schlimmer kommen können.

Dann sprachen sie über das Wetter und die Wochenendplanung, es wurden Enkel und Neffen erwartet, die Tage waren und sind wohl randvoll. Und es könnte jetzt bald auch wieder richtiges Sommerwetter werden, so hörte ich.

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Musik! Ins Bett mit Ben Caplan.

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Kurz und klein

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Apfel und Stamm vor Bagger

Die Ökologie der Digitalisierung

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Und nebenbei ist die Rita zuständig für alle komplett aussichtslosen Anliegen und Unterfangen, das macht sie mir mindestens so sympathisch wie die Sache mit der Wurst.

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Böse Jugend ist gemein zu älteren Headhuntern. Schlimm. (Ich habe den Link am Morgen auf Twitter geteilt, wo es eine geradezu unfassbare Reaktionswelle gab, die nicht gerade zugunsten des Headhunters und seines Weltbildes ausfiel.)

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Ein Thema , das mich mehr und mehr beschäftigt, Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen: Wie Eltern zu Hilfslehrern werden.

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Ich habe – schon wieder eine Bildungslücke – gemeinsam mit Kollegen nachgegrübelt, wie eigentlich “Freut euch des Lebens” weitergeht. Und dann guckten wir etwas verblüfft auf den Vers: “Weil noch das Lämpchen glüht”, das hatten wir so nicht in Erinnerung. Wie auch immer, jetzt kann ich jedenfalls kein nächtliches Stand-By-Licht mehr sehen, ohne “Freut euch des Lebens” zu denken, so kommt man also auch zu einer positiven Grundstimmung. That was easy!

Ja, Stand-by ist böse, schon klar. Es ist also doch wieder kompliziert.

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Apropos positive Grundstimmung. Auf einem Werbeplakat im Hauptbahnhof, es warb für eine Firma, deren Namen mir schon wieder entfallen ist, von wegen Werbung wirkt und so, stand: “Muschelschmuck bringt das ultimative Urlaubsfeeling zum Ausdruck”. Was vielleicht der Grund ist, warum ich bisher nie so der euphorische Reisende war, warum Urlaub mich nie leicht zum Reden und Schreiben über das Glück verleitet hat, manchmal sogar eher im Gegenteil – ich habe einfach nie Muschelschmuck getragen, da konnte das ja auch nie richtig zur Geltung kommen, das wahre und ultimative Urlaubsfeeling, welches gewiss ein ganz besonders schönes Feeling ist.

Wollen wir doch mal sehen, ob ich vor der Abreise noch schnell ein Miesmuscheldiadem oder etwas in der Art bekomme, oder was man eben so trägt in dieser Saison, ich bin noch ganz ahnungslos.

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Ich hatte ein langes Gespräch mit Sohn II, es ging unter anderem um gegenseitige Hilfe. Denn ich möchte ihm gerne beim Lernen für die Schule helfen, und er überlegte, was er mir im Gegenzug anbieten kann. Das ist erstens ein überraschender und schöner Gedanke, das ist zweitens ein spannendes Thema, denn wenn man das ernst nimmt, was man im Falle von Sohn II unbedingt tun sollte, dann wird das auch in aller Gründlichkeit erörtert. Was hilft und wie hilft man sinnvoll, wer hilft wem und warum? Wir verblieben so, dass er mir beibringen kann, mehr Spaß zu haben, womit er sich tatsächlich vergleichsweise gut auskennt, vermutlich auch besser als ich. Außerdem wird er mir aber auch wieder mehr helfen, Szenen und Geschichten zu finden, wir haben da immerhin beide die gleiche Grundhaltung. Wir sehen etwas, das ins Blog passt, “weil wir da gleich ticken”, das haben wir schon oft bemerkt. Er weiß, was eine Szene ist, ich weiß es auch, glaube ich jedenfalls, und wir wissen es beide auch auf die gleiche Art, manchmal kommt das mit Apfel und Stamm ja doch hin. Und gemeinsam Geschichten jagen gehen, das gefällt uns gut.

“Aber ich sehe eben noch mehr als du, weil ich das ja alles als Kind sehe. Das ist anders.”  Und da hat er auch wieder Recht.

Das besprachen wir in einem Bus, der im Stau stand, und als wir das fertig verhandelt hatten, sahen wir aus dem Fenster. Da war eine große Baustelle, der Straßenbelag wurde erneuert, und einer der Bauarbeiter zog gerade seine Jacke aus und warf sie hinter sich auf den Boden. Es war tatsächlich recht ruckartig wieder warm geworden in Hamburg, auch die Menschen in dem Bus zogen nach und nach Jacken und Pullover aus. Der Mann auf der Baustelle arbeitet dann im T-Shirt weiter und sah nicht, wie der Bagger hinter ihm langsam heranrollte und bemerkte auch nicht, wie der Baggerfahrer kunstvoll und behutsam mit der großen Schaufel die Jacke aufnahm, den Bagger wendete, ein Stück fuhr und die Jacke dann mit einer nur minimalen Öffnung der Schaufel zielsicher und ordentlich über den Bauzaun legte, so selbstverständlich und lässig, wie alle Elternteile der Welt die in die Gegend geworfenen Jacken des Nachwuchses jeden Tag nach der Schule aufsammeln und an Haken hängen.

Sohn II und ich sahen uns an und klatschten uns grinsend ab.

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Vier weitere Wochen

Mein Handy klingelt im Büro, es ist Sohn II. Vermutlich ist er vom Orthopäden zurück und der verdammte Gips ist endlich ab, denke ich und gehe in fröhlicher Erwartung ran. Ich höre allerdings schon bei der Begrüßung das Beben der Unterlippe und ja, das kann man wirklich hören, wenn man Kinder hat, man lernt das im Laufe der Jahre. Es war nicht so gut, sagt der Sohn sehr leise, kaum zu verstehen, und vor meinem inneren Auge ziehen in einer Sekunde all die Bilder und Szenen aus den letzten Wochen vorbei, in denen er sich nicht weisungsgemäß geschont hat, eher im Gegenteil. Also die vielen Szenen, in denen er mit dem Gips auf Bäume geklettert und wieder heruntergesprungen ist, in denen er damit auf einem Trampolin war oder an Pollern Bockspringen mit Krücken geübt hat und danach auch Handstand an Krücken und Sprint über 100 Meter und all das, sehr schnell ziehen diese Bilder vorbei, sie flackern so durch. Und als er sagt, dass der Knochen jetzt leider ganz durch sei und keineswegs programmgemäß zusammengewachsen, da knicke ich innerlich doch etwas ein, obwohl es also keine völlig überraschende Nachricht ist. Ich gehe, noch bevor der Sohn die Sache weiter erklären kann, die nächsten Wochen durch, ich erweitere jeden Programmpunkt um das Feature “jetzt mit Gips”, und als er sehr kleinlaut sagt, dass er noch weitere ganze vier Wochen einen neuen Gips tragen muss, vielleicht sogar noch länger, da bin ich in meinen Gedanken und Plänen auch schon fast am Ende dieser vier Wochen angekommen. Ich atme auch schon fast wieder normal und halbwegs regelmäßig.

Und selbstverständlich verkneife ich mir jeden pädagogisch sein sollenden Hinweis, dieses Kind ist ganz klar schon fertig genug, denke ich mir. Ich komme aber sowieso auch mit höchster Konzentration auf gar keinen konstruktiven Satz, denn Sommerferien mit Gips am Fuß, wie doof ist das bitte, das möchte niemand erleben. Es ist aber auch gar nicht notwendig, auf konstruktive Sätze zu kommen. Denn der Sohn gibt jetzt wirklich erstaunliche Geräusche von sich, meine Güte, das sind ja Heulkrämpfe erster Klasse, denke ich noch, bevor ich darauf komme, dass er allmählich einfach nicht mehr kann vor Lachen.

Okay, Kapitel durch. Der Gips ist also ab und Sohn II hat einen erstaunlich treffsicheren Humor. Das eine ist gut, das andere ist manchmal etwas schwierig. Ich werde wohl noch einmal grundsätzlich klarstellen müssen, dass in dieser Familie nur ich für den Humor zuständig bin.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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