Der Ausgang des Menschen und der Fliegen

Ich lese in Ralf Konersmanns „Die Unruhe der Welt“. Das ist nicht unbedingt die fluffigste Urlaubslektüre, denn der Herr ist hauptberuflicher Philosoph, ganz ähnlich wie bei Verwaltungsbeamten ist das ein Job, der wohl unweigerlich auf die Sprache durchschlägt. Es gibt da also eine gewisse Neigung, sich nicht allzu süffig auszudrücken, oder, um im sprachlichen Duktus Konermanns zu schreiben, wir werden in unserer Eigenschaft als Rezipient einer gewissen Gestelztheit des Ausdrucksgefüges gewahr. Macht aber nichts, interessant ist das dennoch. Das Buch ist kein Slow-Irgendwas Buch, kein Ratgeber, der zur Besinnung und zur Langsamkeit drängt, es ist ein Aufklärungsbuch. Und Aufklärung definiert er wunderschön zitierbar:

„Aufklärung heute heißt demjenigen nachzuforschen, was oft gesagt und tausendmal wiederholt worden ist, ohne jemals begründet worden zu sein – Überzeugungen, Erwartungen und Behauptungen, die nicht deshalb Bestand haben, weil sie in einem rationalen Verständnis des Wortes wahr wären, sondern weil sie den Zeitgenossen unbestreitbar erscheinen.“

Die altvertraute Definition von Kant ist natürlich auch okay, aber den Konersmann kann man doch dekorativ danebenstellen. Den guten alten Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, den musste ich im Geschichtsunterricht auf dem Gymnasium noch auswendig hersagen können, was damals genauso ging wie im neunzehnten Jahrhundert oder auch noch bei Thomas Mann, der überaus gefürchtete Herr Dr. S. bellte einen Namen, man sprang auf und ratterte los, unmündig wie ein Soldat in der Grundausbildung, aber egal. Selbstverständlich kann ich den Satz heute noch, das muss man immer dazusagen.

Haben wir das also ausdefiniert, fein. Soviel zum Bildungsfunk.

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Die Familie schläft noch, es ist unanständig früh. Ich kann wie immer nicht lange schlafen, ich sitze in der Küche einer Ferienwohnung auf einem Hof in Nordfriesland auf der Halbinsel Eiderstedt und bechere Kaffee. Fliegenumsummt, denn das gehört auf einem Bauernhof dazu, das geht hier allen so, den Menschen wie dem Vieh. Denke ich mir jedenfalls, denn sonst würde es ja an mir liegen, diesen Gedanken lehne ich ab.

Es gibt hier sogar ein wenig WLAN, mehr jedenfalls als im letzten Jahr, ich schreibe dennoch offline. Denn das Warten auf langsam ladende Seiten, es fühlt sich so dermaßen nach den Neunzigern an, so retro, ich möchte das nicht, Männer, die auf Ladebalken starren. Unterm Strich waren die Neunziger auch gar nicht mein Lieblingsjahrzehnt. Nein, ich verzichte einfach ganz auf das Internet und schreibe nur mit Word, wie so ein konzentrierter, bewusster Typ. Also wenn da nicht die Fliege zwischen mir und dem Bildschirm wäre, die lenkt schon etwas ab. Hat man kein Netz und kein Twitter, hat man eben etwas anderes, aus dem Zwitschern wird sofort ein Summen, die Lücke ist gefüllt, die Unruhe der Welt, da haben wir sie wieder.

„Jahrhundertelang hat der Mensch seelische Ruhe als Idealzustand empfunden“, erkläre ich der Fliege, denn ich lerne ja etwas aus dem Buch, ich lese das schließlich nicht aus Spaß. Die Fliege fasst sich dahin, wo vielleicht auch bei Fliegen der Arsch ist, ich weiß es aber nicht genau, denn in Bio mussten wir damals nicht so höllisch gut aufpassen, der Lehrer war jünger und netter als der in Geschichte. Das hat man nun davon.

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„Ursprünglich ist nichts in uns gewesen, was uns zu ständiger und schmerzhafter Anstrengung angestachelt hätte“, zitiert Konersmann den Soziologen Émile Durckheim. Auch ein Satz, den man sich merken könnte, denke ich und plane dann das Tagesprogramm für den Ferientag, man wird an den Strand müssen.

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Am zweiten Urlaubstag habe ich sieben Nickerchen gemacht. Aber satt war ich noch immer nicht.

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Ich gehe zwischendurch kurz in den Stall und streichele ein Lamm. Ich gucke kurz auf Instagram, da streichelt Angela Merkel ein Kalb. Was man eben so macht, wenn man im Sommer mal aufs Land fährt, es geht den Kanzlerinnen wie den Leuten.

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Ich lese außerdem „Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe“ von Uwe Kopf, bei dessen Namen ich natürlich an eine Zeit denken muss, in der man sich noch auf das Erscheinen von Zeitschriften gefreut hat, die Zeit von Tempo und Wiener. Wie gründlich etwas vorbei sein kann. Beim Lesen fehlt mir dann doch das Internet ein wenig, ich kann nicht alles sofort nachschlagen, wie ich es sonst immer mache. Der Protagonist hört etwa dauernd Rory Gallagher, ich müsste den jetzt auch hören, das geht aber nicht. Wie war nochmal Rory Gallagher? Egal, das Buch ist nicht recht mein Fall, ich lege es nach einem Viertel wieder weg. Ich frage die Herzdame, wie noch einmal Rory Gallagher war, sie fragt „Wer?“ So lange ist der also schon her, denke ich.

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Ich sitze in einem Strandkorb und gucke auf weidende Schafe, neben mir steht ein Dreijähriger, der sehr gerne redet. Ich hatte auch einmal dreijährige Kinder, das ist hundert Jahre her, es fühlt sich ganz fremd an, mit Dreijährigen zu reden.

„Ich wünsche mir einen Portosaurus, eine E-Gitarre und ein Motorrad. Aber alles in echt“, sagt der Kleine und guckt so verwegen, wie es nur Dreijährige können.

„Ich wünsche mir einen Bagger“, sagt die Herzdame, die neben mir sitzt, „aber auch in echt.“

„Das“, sagt der Dreijährige und guckt so ehrlich beeindruckt, wie es nur Dreijährige können, „ist auch nicht schlecht.“

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Sohn I ist jetzt das größte Kind auf dem Hof, das wollte er jahrelang sein, das hat er endlich geschafft. Jetzt folgen ihm all die kleinen Kinder wie eine Entenschar, himmeln ihn an und machen ihm alles nach, das ist aber auch wieder nicht recht, wenn ich seine irritierten Blicke richtig deute. Vorsicht vor Wünschen, die in Erfüllung gehen, das gilt auch für Zehnjährige.

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Das Land auf Eiderstedt ist trocken wie nie, die Entwässerungsgräben führen kein Wasser mehr. In einem steht noch ein Rinnsal, darauf dümpeln ein paar Enten, die aber schon mit den Füßen auf Grund kommen, wie der oben erwähnte Dreijährige im Nichtschwimmerbecken. Die Gräben um die Vennen, wie hier die Weiden heißen, sie trennen normalerweise wie Zäune, da stehen Schafe, da stehen Kühe, da Bullen, da Pferde. Die Tiere bleiben weiter brav auf ihren Vennen stehen, obwohl sie eine einigermaßen spektakuläre Wanderung anfangen könnten, denn durch die Gräben könnten sie jetzt einfach durchgehen. Aber das machen sie nicht, weil da ja immer Gräben waren, sie merken das nicht einmal, das da etwas anders ist, dass da die große Freiheit ist. Die Freiheit kann nicht da sein, wo immer ein Graben war, Kafka und die Nutzviehhaltung, wer käme nicht darauf.

Für Schafe gilt das übrigens nicht. Schafe sinken im modrigen Boden der Gräben ein, kommen dann nicht mehr raus und müssen mit Seilen mühsam gerettet werden. Schafe sind also entschuldigt. Der Bauer geht seine Vennen ab und guckt nach den Schafen, er geht sie alle ab, das sind mehr als 10 km. Vorsicht bei der Berufswahl!

Die Söhne helfen, Wasser zum Vieh zu bringen, sie fahren mit dem ganz großen Trecker mit und transportieren Wasser in riesigen Tonnen. Das Land ist nicht saftig grün, wie es gehört, das Land ist staubig gelb wie im spanischen Binnenland, das Wetter ist herrlich, sagen die Touristen am Strand.

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Ich lese außerdem „Die Erfindung der Leistung“ von Nina Verheyen, im Urlaub schafft man ja mal was.

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Im Freibad in Tönning fallen mir viele beschriftete Menschen auf, das sind die Tätowierten, von denen einige gar nicht so wenig Text auf der Brust, auf dem Rücken oder auf den Oberarmen haben. Bei einigen steht so viel Text, dass die Schrift recht klein ausfällt, das kann man dann im Vorbeigehen gar nicht mehr mal eben so lesen, sehr unangenehm. Man kann ja schlecht stehenbleiben, näher rangehen, die Gleitsichtbrille zurechtruckeln und „Moment“ sagen, „ich habe Sie noch nicht durch.“

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Ich lese außerdem „Ein fauler Gottt“ von Stephan Lohse, das ist sehr gut geschrieben und sehr schwer, denn es geht um ein Kind, dessen Bruder gestorben ist. So etwas kann ich, wie unlängst schon einmal erwähnt, nicht gut ab. Das lese ich aber weiter, weil es wirklich gut ist. Der Autor gehört zu meiner Generation, die dort beschriebene Kindheit passt zu meiner Kindheit, also von Kulisse und Requisite her. Beim Lesen stellt sich ein unerwartetes Gefühl der Zugehörigkeit ein, das ist die in der heutigen Öffentlichkeit empörend wenig vorkommende Westdeutschlandnostalgie. In einem Land vor unserer Zeit.

Ich lese das Buch unter anderem in der Dünentherme, dem Schwimmbad von Sankt Peter-Ording, wo ich mich kurz freue, dass die Söhne in einem Alter sind, in dem man ihnen nicht mehr dauernd hinterherrennen muss, auch nicht im Schwimmbad. Bis mir einfällt, dass ich gerade ein Buch lese, dessen Initialzündung der Tod eines Kindes ist, der wiederum durch einen Krampfanfall in einem Freibad eingeleitet wird. Gehe dann doch mal gucken, was die Jungs so machen.

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Am Hof fährt ein seltsamer LKW vorbei, der hinten einen riesigen silbernen Kasten als Aufbau hat, dessen Zweck wir uns zunächst nicht erklären können. Ein Wassertank? Sind Tanks nicht immer rund? Der LKW hält abrupt und wendet staubumwölkt in der Hofeinfahrt, dann bleibt er stehen. Der Fahrer steigt aus, der Motor läuft weiter. Der Fahrer geht um den Wagen herum und betätigt Schalter, da fährt ein Greifarm aus dem Heck des Fahrzeugs und der riesige silberne Kasten öffnet sich oben. Ein infernalischer Gestank weht heraus und heran, brechreizerregend, schwer und schlimm. Der Fahrer drückt an den Hebeln, der Greifarm schnappt sich ein totes Schaf, das am Straßenrand gelegen hat, seltsam, dass es keiner von uns dort gesehen hat. Das Schaf wird an einem Bein hochgezogen, der Greifarm dreht über den geöffneten Kasten und lässt es fallen, es fällt wie ein nasses Tuch, wie ein nasses Lammfell vielmehr, und man muss wohl vermuten, dass es auf etliche andere tote Tiere fällt. Der Kasten geht wieder zu, der Fahrer springt auf seinen Sitz und braust weiter, der hat es eilig, noch viel zu tun. Wo das Schaf gelegen hat, da liegen Wollreste im Gras, große Flocken, die im Laufe des Nachmittages allmählich verwehen. Stunden später sehen wir den LKW ein paar Dörfer weiter, er hält da gerade am Straßenrand, der Fahrer steigt aus. Wir fahren an ihm vorbei, wir haben wegen der Hitze alle Fenster auf, der atemraubende Geruch füllt sofort unser Auto. Wir halten die Luft an, solange wir können, und lange genug ist das nicht.

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Mein Bruder schickt mir Ergebnisse aus seiner Ahnenforschung, ich kann die angehängten Dateien allerdings nicht öffnen, es gibt nicht genug Netz. Ich entnehme seiner Mail immerhin, dass wir von der Abstammung her auch Verbindungen zu den britischen Inseln haben.

Ich muss schon sagen, das ist ein starkes Stück, ist es nicht? Gute Güte. Plötzlich Lust auf Tee.

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Ich lese außerdem in Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“, das haben natürlich alle schon gelesen, nur ich wieder nicht. Unterm Strich, denke ich zwischendurch, habe ich da unwillkürlich durch die Bank recht unfrohe Lektüre eingepackt. Was will mir mein Unterbewusstsein damit sagen? Dass ich etwas unfroh bin? Und wie flach ist das denn, bitte? Andere haben ein Unterbewusstsein, das unentwegt total subtile Botschaften sendet, kunstvoll verschlüsselt und durch elegante Symbolik ausgedrückt, daraus kann man Romane machen, die große Preise gewinnen. Und mein Unterbewusstsein so: „Batsch, nimm das, hier guckstu, alles Großbuchstaben. Du Trottel.“

Na, vielen Dank.

In der Nacht träume ich von Toten, die ich einmal gut gekannt habe, die sagen mir sogar Botschaften auf und was soll ich sagen, stimmungsaufhellend ist es auch nicht gerade, von Toten zu träumen und mit ihnen ernsthaft zu reden. Für den nächsten Urlaub doch besser heitere Familienromane vormerken.

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Heiter weiter: In einer Fischbude in Sankt Peter-Ording stehen eine Verkäuferin und eine männliche Küchenhilfe einigermaßen schlechtgelaunt hinter der Theke und warten auf Kundschaft. Es ist unfassbar heiß, sogar für Nordfriesland gibt es heute Unwetterwarnungen wegen Hitze. Die Luft in dem Laden ist kompakt und backfischdick, wenn man länger als zehn Minuten da drin war, man fühlt sich selbst wie in siedendem Öl ausgebraten. Die Verkäuferin und die Küchenhilfe stehen und gucken ausdruckslos auf den endlosen Strom der Touristen, die draußen vorbeiziehen und Touristendinge machen, die also zum Strand hingehen oder vom Strand weggehen, die Strandzubehör kaufen oder nörgelnde Kinder auf bunte Plastikdelfine setzen, die für 50 Cent lustig hin- und herwackeln. Im Radio, das ziemlich laut läuft, kommt ein Lied, es ist eines dieser alten Lieder, die jeder kennt, denn da läuft ein Oldiesender. Opamusik, wie die Herzdame sagen würde, wobei sie mit Opa allerdings nicht ihren Vater oder ihren Großvater, sondern ausdrücklich mich meint, weil ich immer die ganzen Texte kann. Pardon, ich komme aus den Jahrzehnten, die da immer wieder abgespult werden. Die Verkäuferin und die Küchenhilfe lächeln plötzlich beide als hätte man auch bei ihnen 50 Cent eingeworfen, sie singen gemeinsam die ersten Zeilen mit und sie schunkeln sogar ein ganz wenig, wobei sich ihren Schultern kurz berühren. Sie singen: „You talk like Marlene Dietrich and you dance like Zizi Jeanmaire …“ aber weiter kommen sie nicht, denn da kommt ein Kunde in den Laden und bestellt zwei Kräutermatjesbrötchen und zwei Bier.

Und wäre dieser Kunde nicht gekommen, genauso hätte ein Musical anfangen können, mit diesem singenden, schunkelnden Verkaufspersonal in einer Fischbude am Strand. Ich hatte mich schon gefreut, denn ein Musical ist mir da draußen in der Wirklichkeit noch gar nicht begegnet, das hätte ich aber entschieden gut gefunden. Ich würde es ausdrücklich begrüßen, wenn die Menschen um mich herum zur Verdeutlichung ihrer Absichten und Stimmungen singen und tanzen würden.

„Where do you go to my lovely …“

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Ich spiele mit der Herzdame Tischtennis, was etwas schwierig ist, da sie Tischtennis nicht mag und aufgrund eines unkontrollierbaren Reflexes dauernd die Bälle fängt, statt sie mit dem Schläger zu treffen. Vielleicht liegt es daran, dass sie aus einer Handballgegend kommt? Die Herkunft wirkt sich eben auf alles aus, in diesem Lichte muss ich auch die Ahnenforschung meines Bruders noch einmal neu bedenken. Egal, wir spielen jedenfalls dennoch weiter. Nach ein paar Minuten und einigen äußerst seltsamen Ballwechseln wachsen neben der Herzdame drei Knirpse aus dem Boden, und meine sind das nicht. Irgendwelche Feriengastkinder, die uns fasziniert zusehen. „Ich bin für die Frau“, sagt einer, nachdem sie eine Weile stoisch beobachtet haben, welches Desaster sich da abspielt. „Ich auch“, sagt der nächste und „Ich auch“ schließt sich der Dritte an, der kaum über die Platte gucken kann. Sie stehen alle drei neben der Herzdame, so dass sie keine Rückhand mehr spielen kann, sie würde sonst einem Kind den Schläger um die Ohren hauen. „Das ist schön und recht von euch, dass ihr euch auf diese Art für die Schwachen und Chancenlosen einsetzt“, sage ich, denn soziales Engagement soll man immer früh fördern. Die drei Knirpse gucken mich böse an und machen Furzgeräusche mit dem Mund. Der größte von ihnen erklärt der Herzdame, dass sie jetzt einen Fanclub habe.

Ich lasse die Becker-Faust nach dem Spiel weg, junge Seelen darf man nie zu sehr erschüttern. Die Herzdame zieht geschlagen aber mit immerhin mit Fanclub ab. So kommt man auch im Urlaub zu kleinen Erfolgen und bewahrt sich das Leistungsdenken, womit ich wieder zu meinen Büchern zurückkehre.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, dann sehe ich mich demnächst in weiteren Fischbuden nach Musicals um. Wer weiß!

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Texte und Zeichen

Weltgeschichte am Rande: In englischen Gartenblogs geht es um Easy to grow vegetables for a hard brexit.

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Auch andere sehen beschriftete Menschen:

Und dann war da noch einer ohne Text, aber immerhin mit Zeichen, das will ich auch gelten lassen. Im Hamburger Stadtteil Hamm war das, wo ein äußerst vergnügter und schwer angetrunkener Mann mittleren Alters fröhlich falsch und beeindruckend laut pfeifend über eine rote Ampel ging. In der rechten Hand hielt er eine Flasche Schnaps, die war etwa halb leer, mit der linken Hand winkte er freundlich Passanten und Autofahrern zu. Er sah nicht aus wie ein gewohnheitsmäßiger Trinker, nicht heruntergekommen, nicht verwahrlost, weder das Gesicht noch die Kleidung entsprachen den üblichen Klischees. Vielleicht hatte er einfach nur ungewöhnlich früh am Tag mit hervorragendem Anlass und guten Freunden gebechert, vielleicht kam er direkt von einer leicht eskalierten Feier. Er sah geradezu sympathisch besoffen aus, wie in Fernsehkomödien, wenn der freundliche Protagonist sich einmal gehen lässt und dabei immer noch anziehend wirkt. Der Mann trug ein weißes T-Shirt, auf dem etwas kugeligen Bauch konnte man gut Handabdrücke erkennen, Spuren von schwarzölig verschmierten Fingern, eine Hand links, eine Hand rechts. Ob er wohl das getan hat, was man eigentlich nur aus der Redewendung kennt, ob er sich den Bauch vor Lachen gehalten hat? Das macht nämlich eigentlich keiner, das sagt man immer nur so. Sie könnten jetzt zu Testzwecken mal eben lachen und sich dabei den Bauch halten, sehen Sie, das fühlt sich nicht echt an, eine ganz seltsame Geste ist das. Der Mann da auf der Straße hat ein Auto repariert, daher sicher die verschmierten Finger, so wird es angefangen haben. Und dann nahm der Tag eine sensationelle Wendung, eine, die dringend begossen werden musste, ja, so wird es gewesen sein.

Der Mann lachte mir zu und ging winkend weiter, verschwand pfeifend zwischen den rotgeziegelten Häuserblöcken, er war wirklich enorm gut gelaunt. Ich fuhr nach Hause an den Schreibtisch, es war noch nennenswert zu früh für Alkohol.

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Mir war gar nicht klar, wie viele Platanen wir in Hamburg haben, das fällt erst jetzt auf, wo sie alle ihre Rinde so rekordmäßig abwerfen, dass sogar die Zeitungen und Fernsehsender darüber berichten und sich jeder fragt, was das nun wieder ist. Klimawandel, Wetter, Katastrophe, Phänomen. Die ganze Stadt liegt voll mit Platanenrinde, große Stücke, ihr Zerbersten unter Füßen und Rädern ist das Geräusch des Sommers 2018, knackerack, der Trockensommer 2018, der Dürresommer. Viele Rindenstücke sind so groß, man könnte ganze Texte darauf schreiben, es sieht eigentlich verlockend aus, ein paar Zeilen im Vorbeigehen vielleicht, plane poetry.

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Ich habe ab sofort Urlaub, ich bin mal hier und mal da, wenn auch größtenteils in Hamburg, im Garten, im Beet, in der Hollywoodschaukel. Zwischendurch bin ich auch mal auf Eiderstedt, da gibt es dann wieder kein Netz, nehme ich an. Wenn hier also mal nichts erscheint, dann dichte ich gerade aufm Deich, wobei das Verb natürlich nur der Alliteration halber gewählt wurde, nicht wegen des damit verbundenen Anspruchs. Wenn Sie auch an der Nordsee sind, dann winken Sie ruhig, ich bin der, auf dessen T-Shirt nichts steht.

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Und ich wär hier so gerne zuhause,

denn die Erde ist mein Lieblingsplanet

Doch ich werde hier nie so zuhause sein

Wie die Freunde der Realität.

(Funny van Dannen, kann man auch mal wieder hören, schöne Sommerempfehlung)

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Noch etwas Drama. Benjamin Clementine, den würde ich ja auch einmal live sehen wollen. Sechs unwirkliche Minuten. 

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, dann gönne ich der Familie im Urlaub mal ein Eis. Oder ein Fischbrötchen.

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Vom Aufhängen der Lampions

Sohn II: “In vierzehn Jahren kannste in Rente, Papa. Dann wird alles ruhiger.”

Ich: “Wieso weißt du denn sowas nun wieder? In deinem Alter wusste ich nicht einmal, was Rente überhaupt ist!”

Sohn II: “Ist eben so.”

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Urlaubsreif.

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Der Erfolg der neuen Rechten ist nicht alternativlos. Ach? Am Ende werden die Linken noch wirkungsgleich? (Ich muss aufhören mit dem Lesen von Nachrichten. Dringend.)

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Isidor Eisenstein.

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Heute habe ich wenig beschriftete Menschen gesehen, aber einen dann doch. Der hängte gerade vor einem Lokal eine Lampiongirlande auf, gespannt zwischen Straßenbaum und Hauswand, und wie gewissenhaft er das tat! Er stand auf einer Leiter und zuppelte an der Strippe, stieg wieder runter, besah sich kritisch sein Werk, stieg gleich wieder rauf. Zog noch einmal, dass die Leine mit den Lämpchen etwas weniger durchhing, stieg wieder runter, besah sich sein Werk. Stieg dann noch einmal auf die Leiter, fummelte etwas, stieg wieder ab – und so ging das noch eine ganze Weile. Eine dieser ganz normalen Lampionleinen war das, wie man sie auch in Gärten aufhängt. Und ganz müde und zerknittert sah der Mann aus, er sah genauso aus, wie ich mich gerade fühlte, verbraucht, urlaubsreif, überfordert und lustlos. Aber er gab sich dennoch nicht so leicht zufrieden, das musste schon perfekt sein, dieses Lämpchendings da oben.

Dabei sah man gar keinen Unterschied. Wenn er wieder auf die Leiter stieg und etwas zog, das machte überhaupt nichts aus, dieses Ziehen, da hingen eben Lampions, wie auch immer, vorher wie nachher. Niemand wird je darunter sitzen und sich mit einem Blick nach oben denken: “Es wäre noch schöner hier. wenn sie ein klein wenig anders hingen, diese Laternen da.” Nein, es ist tatsächlich völlig wurscht wie sie hängen, am Ende sind es eh nur kaum beachtete Lichtklunker in der Dunkelheit einer Großstadtnebenstraße.

Aber der Mann da hatte eben seinen eigenen Ehrgeiz, der sah etwas, was ich nicht sah, was vielleicht auch keiner jemals sehen wird. Ich verstand im Vorbeigehen seine Mühe nicht, er hätte wiederum vermutlich meine Ignoranz nicht verstanden, denn für ihn war es ja sicher klar, was seine Mühe da ausmachte. Ratlosigkeit also auf beiden Seiten, Grundprobleme der Menschheit, wohin man auch blickt, es ist im Grunde ein Wunder, dass wir uns überhaupt ab und zu verstehen.

Am Ende überspannte die Lichterkette sachte schaukelnd ein winziges Stück Fußweg. Auf dem T-Shirt des Mannes stand: Street Style.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Das folgende Stück würde Ende Dezember sicher noch besser passen, aber der Refrain sprach mich gerade an, und wie der mich ansprach: “Pass the wine, fuck the government, I love you.”

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen. Bitte, danke, hurra. Mögen Lampions Ihren Abend erleuchten! Und mögen sie völlig richtig hängen!

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Love and laugh

Endlich mal eine Stellenausschreibung, die mich anspricht. Warum auch immer man da teamorientiert sein soll, warum muss man überhaupt kategorisch teamorientiert sein? Wörter, die einem auf den Geist gehen können.

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Ich habe mir zwei Bücher besorgt, einfach weil mir die Titel gefielen, dann fiel mir erst auf, dass es zwischen ihnen einen Zusammenhang geben könnte. Zum einen Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt. Zum anderen, und es empfiehlt sich vielleicht wirklich, das dann direkt danach zu lesen, Fredrik Sjöberg: Wozu macht man das alles? Deutsch von Paul Berf.

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Neues von der Plastikfront: Beim Edeka hängt jetzt ein Hinweisschild, dass sie da an der Frischetheke gerne auch mitgebrachte Behälter befüllen. So etwas sehe ich zum ersten Mal, das sei hier also festgehalten.

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Auf dem Fußweg in unserem kleinen Bahnhofsviertel steht eine Dame fortgeschrittenen Alters, sie raucht mit einiger Grandezza aus einer Zigarettenspitze, das sieht man heute kaum noch. Sie trägt eine übergroße Sonnenbrille, sie sieht überhaupt aus wie eine alternde Filmdiva aus den Siebzigern. Sie wirft den Kopf zurück, sieht sich um und fragt Passanten, in einem Tonfall, dem man anmerkt, wie wahnsinnig lästig es ihr ist, irgendwelche dahergelaufenen Leute ansprechen zu müssen: “Pardon, wo ist denn hier heute der Bahnhof?” Wobei sie mit der Zigarettenspitze vage in der Gegend herumwedelt. Irgendwo da muss er sein, der Hamburger Hauptbahnhof.

Es ist natürlich nicht so, dass sie ihn nicht gefunden hat, nein. Man wird ihn wieder irgendwohin verschoben haben, was wirklich ungemein enervierend ist, wer würde das nicht verstehen.

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Aus einem Supermarkt kommt mir eine junge Frau entgegen, die ein Sixpack mit großen Plastikwasserflaschen auf dem Kopf trägt. Also freihändig und einfach so, als sei das gar kein besonderes Kunststück. Selbstverständlich geht sie dabei ungemein gerade, es sieht dennoch entspannt und natürlich aus, und man fragt sich sofort, warum nicht alle ihre Einkäufe so wunderschön nach Hause tragen. Es sieht entschieden besser aus als die sonst übliche Methode, dieses schiefe Schleppen, das bei vielen Menschen wie auf orthopädischen Warntafeln anmutet. Warum machen wir das denn nicht auch auf die elegante Art? Natürlich weil uns alles sofort und immer wieder runterfallen würde – aber das ist als Antwort vielleicht doch etwas kurz gegriffen, denn man könnte ja üben. Man könnte schon Kinder üben lassen, dann würden das bald alle können, das dauert doch nur ein, zwei Generationen. Früher, als ich noch viel ferngesehen habe, da haben in Reisereportagen irgendwo aus Afrika Frauen das Wasser vom Brunnen so ins Dorf getragen, und das Kleid, das die Frau mit dem Sixpack auf dem Kopf da vor mir trägt, das passt übrigens hervorragend zu diesen vage erinnerten Bildern. Ob es in unserer Weltgegend überhaupt jemals üblich war, Gegenstände so zu tragen? Ich habe keine Ahnung, das kam in Geschichte nicht vor.

Und ob wohl in Afrika jemals jemand denkt, dass er einmal in irgendeinem Reisebericht im Fernsehen gesehen hat, wie Menschen irgendwo in Europa total malerisch vor einem Brunnen am Dorfrand standen … so ganz ohne auch nur ansatzweise das richtige Land parat zu haben, weil die Länder da oben im Norden doch eh keiner unterscheiden kann? Mazedonien, Dänemark, Portugal, irgendwas? Europa eben. Reicht doch.

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Aus der Reihe words of the prophets: In einer Bäckerei in Eppendorf steht eine Frau vor der Theke mit den Brötchen und Kuchenstücken, sie guckt akut verstimmt und geht die Reihen der Auslage wieder und wieder durch, der Blick geht von links nach rechts und von oben nach unten, sie liest Kuchen, aber es gefällt ihr alles nicht. Sie schüttelt energisch den Kopf, verzieht leicht angewidert den Mund und sagt, als sie endlich drankommt: “Das ist ja jetzt nicht so einfach!” Sie sagt es scharf und ganz so, als könne die Verkäuferin etwas dafür und müsse daher erst einmal zusammengefaltet werden. Auf dem T-Shirt dieser Kundin steht: love and laugh.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Was noch? Musik! Luftgitarren raus!

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, Sie müssen aber nicht. Aber wenn Sie wollen und auch können – nichts möge Sie aufhalten, Sie feiner Mensch.

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Like a Ninja

Ich gucke mir am frühen Morgen Landkarten an, denke über Unterkünfte nach und bespreche mit der Herzdame organisatorische Fragen, dabei wird die erste Etappe der Wanderung denkbar unspektakulär und eher kurz sein, aber es ist eben so – dieses Vorbereitungsdings macht mir Spaß. Selbstverständlich ist meine Idee völlig bekloppt und äußerst unpraktisch umzusetzen, aber egal. Nach neuestem Kenntnisstand kommen übrigens doch beide Söhne mit. Was soll’s, Planung mit Familie, l’art pour l’art, Sie kennen das. Im Kern wird es am Ende darum gehen, dass ich gehe, die Familie kann gerne in wechselnder Besetzung dabei sein.

Ich kaufe in Kürze mal eine Wanderkarte, obwohl ich die eigentlich gar nicht brauchen werde, der Weg wird leicht zu finden sein.

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Ein Mann und ein Wörterbuch.

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Der Duft nach nassem Asphalt.

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Bitte beachten Sie in diesem Text das wunderbare Wort “Impressionsmeisterschaft”.

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Weil der Mensch nun einmal etwas doof ist, kauft er immer noch mehr SUVs. Wobei man hier in unserem kleinen Bahnhofsviertel mittlerweile den Eindruck hat, dass noch mehr SUVs gar nicht in den Stadtteil passen, es ist eben doch irgendwie physikalisch begrenzt, was da geht. Was da fährt. Steht. Egal.

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Vor zwei, drei Wochen dachte ich, es wäre nett und interessant, mehr auf das zu achten, was an den Wänden steht. Die erschütternde Erkenntnis ist leider, dass da echt wenig steht. The words of the prophets are not written on the walls anymore. Aber da mir gerade gestern die Frau mit dem Text auf dem T-Shirt auffiel, achte ich jetzt eben auf diese Texte, vielleicht haben die etwas zu sagen. Immer der Spur folgen, dem weißen Kaninchen, den Hinweisen! Und wenn man erst einmal darauf achtet, dann ist es jedenfalls verblüffend, wie viele Menschen beschriftet herumlaufen. Heute im Fang:

Vor der Kirche steht ein Jogger mit grauen Haaren, ein schlanker Mann im Rentenalter. Er steht da einfach nur in entspannter Grundhaltung und guckt unbestimmt geradeaus. Er hat Sportkleidung an, neu aussehende Laufschuhe, eine kurze Sporthose, er sieht ziemlich einsatzbereit aus, aber er steht eben nur. Er läuft nicht, er schwitzt nicht, er atmet nicht heftig, er sieht auch nicht so aus, als würde er in den nächsten Sekunden losrennen. Auf seinem T-Shirt steht: Unterschätze nie einen alten Mann.

Auf einer Rolltreppe in einer S-Bahnstation kommt mir ein kleiner Junge an der Hand seiner Mutter entgegen, ich fahre nach unten, er fährt nach oben. Er kapriolt etwas herum und der allergeschickteste Rolltreppenturner ist er nicht, das sieht man gleich auf den ersten Blick. Er schwankt, er stolpert, er balanciert mit wedelnden Armen auf der Kante einer Stufe, da reißt ihn die rettende Mutterhand abrupt nach oben, so dass er eine Weile hampelnd in der Luft herumbaumelt wie eine schlecht gespielte Marionette. Auf seinem T-Shirt steht: Like a Ninja.

An einer roten Ampel steht ein junger Mann neben mir, der eine verspiegelte Sonnenbrille trägt und mich durch sie ansieht, also nehme ich jedenfalls an, man erkennt das dann ja nicht. Seine Mundwinkel weisen unerbittlich nach unten, das erkenne ich immerhin zweifelsfrei. In der Hand hält er ein Smartphone, auf dem er die ganze Zeit herumtippt ohne auch nur einmal hinzusehen. Auf seinem T-Shirt steht: I’m not a human being.

Ich überlege gerade, ich selbst besitze gar keine Kleidung mit Botschaft drauf, nur ein paar T-Shirts mit dem Aufdruck Barcamp. Die Herzdame hat immerhin ein Oberteil, auf dem Swingtanzen verboten steht, dass zieht sie ab und zu zum Swingtanzen an. Logisch.

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Ich lese weiter in Henning Sußebachs “Deutschland ab vom Wege”, und ich glaube, ich sehe da etwas anders als der Autor. Er trifft auf seiner Wandertour nämlich – wie nicht anders zu erwarten – ganz normale Leute, also Leute, die bisher in seiner Journalisten-Bubble nicht so prominent vorkamen. Und er fragt sich dann, ob sich die Medien und ihre Vertreter zu weit von diesen normalen Leuten entfernt haben. Das ist eine gängige Annahme, das liest man in letzter Zeit öfter. Der linksliberale Journalist aus der Großstadt versteht den rechtsaußen wählenden Landwirt in Brandenburg nicht, der wiederum versteht die von den Medien auch nicht und redet irgendwann empört von der bösen Lügenpresse, wie konnte es nur so kommen, die gespaltene Gesellschaft.

Ich glaube, dass es keine Entfremdung gab. Es kann auch gar keine gegeben haben, weil es doch überhaupt nie Nähe gab. Es gab kein ideales Zeitalter der Medien, in dem sich alle glücklich verstanden haben, wir wollten sein ein einig Volk von Zeitleserinnen und -lesern. Jede Lektüre eines Romans aus dem Neunzehnten Jahrhundert weist doch nach, dass es auch da schon diese Distanz gab, dass es auch da schon die Blasen gab, dass die in den Städten auch da schon abgehoben über die Provinzblätter und die Trampel vom Lande gelacht haben.

Und immer schon, seit ich Leser bin, gab es in den großen Zeitungen vereinzelt, drei- viermal im Jahr oder so, großartige Reportagen von außerhalb der Bubble, ganz nahe an den anderen Lebenswirklichkeiten. Und die gewannen dann die ganzen Preise, diese Reportagen, die wurden herumgereicht und geshared und als Buch gedruckt, die wurden immer wieder lobend erwähnt, verbunden mit dem Ausdruck “Empathie”. Da hat also mal wer den Bauern verstanden, den Schuhverkäufer, die Krankenschwester.

Aber wirklich und wie nebenbei verstehen – das können oder konnten vielleicht immer nur Lokaljournalisten, also die mit den bis heute vielverspotteten Karnickelzüchterjahreshauptsersammlungsberichten. Vielleicht ist es auch einfach deren Beruf, dieses Verständnis zu haben, während der Feuilletonist bei einem Blatt (meine Söhne würden jetzt sagen: wieso heißt das denn Blatt?) in der Millionenstadt schlichtweg einen ganz anderen Beruf hat. Könnte ja sein.

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Der Musiktipp kommt heute wieder von Sohn I, es handelt sich um ein Video, dass seine Klasse im Kunstunterricht gesehen hat. Nanu!

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, es ist ein wenig wie bei einer Jukebox. Nur kommt eben Text raus, keine Musik. Na gut, es kommt auch jeden Tag ein anderer Text, nicht immer wieder eine exakte Kopie. Na gut, es kommt auch Text, wenn Sie gar nichts einwerfen. Na gut, es ist wohl nicht wie bei einer Jukebox. War ein Versuch.

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Strom & Stil

Die Woche beginnt mit einer Reizstrombehandlung beim Orthopäden, unter uns seniorigen Bloggerinnen muss so eine Erwähnung der Randumstände auch mal erlaubt sein, wir erleben ja sonst nichts mehr. Eine Behandlung, die jedenfalls ganz lustig war, da ein Arm dabei wildes Muskelzucken bekam und ich unwillkürlich winkend da saß, wie in einem Sketch von Zucker, Abrahams & Zucker, die Älteren erinnern sich. Laut lachend in der Kabine gesessen und mir passende Drehbuchstellen dazu ausgedacht, mit Ideen reich beschenkt gegangen, jederzeit gerne wieder. Dabei schreibe ich gar keine Drehbücher, fällt mir gerade ein. Egal.

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Ein Artikel über die Schlabberigkeit der Mode. Ich bin da gerade meinungslos. Aber ich kenne ziemlich wenig Menschen, denen ich einen deutlich erkennbaren Modestil nachsagen könnte, sicher sind es im Laufe der letzten Jahre auch eher weniger als mehr geworden. Und von denen, die ich kenne, gelten einige genau wegen ihres Stils als mindestens leicht irre. Der Rest trägt, was in den üblichen Läden eben so hängt. Irgendwie geschmacklos – aber irgendwie auch recht demokratisch. Hm. Schlimmer als modische Verheerungen erscheint mir allerdings oft der Einfluss der Jahreszeiten, denn der gewöhnliche Nordeuropäer beiderlei Geschlechts, er sieht einfach nur in Herbstmode gut aus. Kategorisch.

Wobei mich die Stilfrage daran erinnert, dass ich vor vielen, vielen Jahren oft einen seltsamen Typen auf der Straße getroffen habe (Achtung, habe ich schon einmal erzählt, Stammleserinnen springen bitte weiter zum nächsten Absatz), der so schrecklich und unvorstellbar abwegig angezogen war, dass er mir schon leid tat. So ein Typ, durch dessen Anblick einem klar wird, dass man selbst noch halbwegs richtig tickt, der in diesem Sinne also immerhin auch nützlich war, man braucht doch ab und zu den sozialen Abgleich. Viel später habe ich erst gemerkt – das war Wigald Boning, und der war damals nicht ganz erfolglos mit seinem Stil. Man braucht ein paar solcher Begegnungen, um von jeglicher Arroganz geheilt zu werden.

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Am Nachmittag Smilla Dankert getroffen und mich mit ihr über Bilder und Blogs unterhalten. Darüber muss ich noch ein wenig nachdenken, denn zwischendurch kam mir kurz der Gedanke, dass wir uns vielleicht viel zu wenig austauschen, also wir, die wir mehr oder weniger im Internet arbeiten und leben, die wir mehr oder weniger freiberuflich arbeiten und mehr oder weniger kreativ sind. Es könnte sinnvoll sein, das öfter zu tun, auch metierübergreifend, ich habe da womöglich selbst Bedarf. Umwerfende Erkenntnis, ich weiß, aber ich brauche manchmal eben länger.

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Auf der Straße eine junge Frau gesehen, auf deren T-Shirt in Brusthöhe “Sexy but psycho” stand, im Grunde total praktisch, da weiß man doch Bescheid. Kommt aber zu spät, so etwas hätten die Damen vor 30 Jahren tragen sollen. Obwohl. Nein, hätte auch nichts genützt, wenn ich so drüber nachdenke. Die Frau stand jedenfalls neben einem Auto, es wird ein Zufall gewesen sei, dass es gerade dieses Auto war, auf dessen Heckscheibe ein Aufkleber verkündete: “Never fuck a fucker”. Und sehen Sie, da haben wir es wieder. Wenn das ein kurzer Kameraschwenk in einem Film wäre, so von T-Shirt-Text zu Auto-Text, alle würden laut stöhnen. Aber in der Wirklichkeit muss man jeden Quatsch einfach so hinnehmen. Schlimm.

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Ich habe mehrfach zu danken, nämlich erstens dafür, dass Menschen die gestrige Wanderankündigung sofort finanziell unterstützt haben, wirklich grandios. Wenn das so weitergeht – es werden hier noch Sachen möglich, die ich früher immer gleich wieder verworfen habe, kaum dass mir überhaupt die Idee kam. Sehr, sehr interessant!

Zweitens danke ich für die freundliche Zusendung von zwei Büchern und einer Säge, einer Japansäge genau genommen, die schwer nach Ninjazubehör aussieht und sehr gut sein soll. Alles ganz großartig.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, sie Gutmensch vom Dienst. Ja, hier dürfen Sie es noch sein!

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EIL: Neuer Blogeintrag

Die Kaltmamsell fragte nach dem Begriff “scheckheftgepflegt” im letzten Beitrag und traf damit gleich einen wunden Punkt bei mir, diesen Begriff konnte ich nämlich bisher auch nie korrekt ableiten. Das Scheckheft, die Erklärung ist leider banal und hat mt Schecks gar nichts zu tun, ist gleichbedeutend mit dem Wartungsheft, da sind also nur die erforderlichen Stempel drin. Diese Wartungen müssen nicht einmal teuer gewesen sein. Im Grunde meint “scheckheftgepflegt” also einfach nur “streberhaft gepflegt”, nicht “ungeachtet aller Kosten gepflegt”, wie ich immer dachte. Schade eigentlich. Ich könnte dieses Blog, das brav stets mit der neuesten WordPress-Version und jederzeit aktualisierten Plug-Ins läuft, jetzt immerhin als scheckheftgepflegt bezeichnen. Toll!

Ein reichlich wohlhabender Mann, den ich einst kannte, der hieß mit Nachnamen Scheck, ganz im Ernst. Das wäre für einen Roman wieder viel zu klischeehaft, das wäre allzu flach ausgedacht, plumpe Holzhammersymbolik, meine Güte, wie in Entenhausen. Und doch – der hieß einfach so und hatte Geld wie Heu. An den denke ich oft, wenn ich Figuren benamse. Was allerdings nicht mehr so oft vorkommt.

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Einem Kommentar unter dem letzten Beitrag entnehme ich, dass ich auf der Straße erkannt wurde, das kommt auch bei D-, E- F- oder G-Prominenz ab und zu vor, unter welche Kategorie ich da auch immer fallen mag, es geht ja immerhin bis Z. Und zwar bin ich erkannt worden als “der mit dem wallenden Haar und dem Frosch auf dem Arm”. Dazu stelle ich fest: Wenn ich schon auf der Straße erkannt werde, dann bitte genau so.

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Wie schräg es ist, der Nachricht vom Tod eines halbwegs angemessen betagten Menschen ein EIL vorwegzusetzen, wie es jetzt gerade wieder alle getan haben. Nichts daran eilt, der Mensch bleibt, soweit es uns bekannt ist, eine ganze Weile tot. Man muss auch als Empfänger der Nachricht nichts stehen- oder liegenlassen, es gibt keine dringende Handlung, die sich aus der Meldung ableitet, nicht einmal ansatzweise, vermutlich für überhaupt niemanden, sogar das Schreiben von Nachrufen könnte man entspannt angehen. Und wenn man betroffen sein möchte, dann eilt auch das nicht, es ist ja eine geradezu abartige Vorstellung, möglichst schnell betroffen sein zu müssen. Nichts eilt, wenn ältere Menschen sterben und ich würde es mir für mich verbitten, auch noch im Tod mit dem Begriff Eile verbunden zu werden.

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Eine Kurzgeschichte von William Trevor gelesen. Ich glaube, der ist mir bisher komplett entgangen. Im Urlaub gleich mal Bildungslücken schließen!

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Im Garten sind Buschbohnen reif, Tomaten und Karotten, Mangold, Salat und Frühlingszwiebeln, die Stachelbeeren legen überraschend auch noch nach. Alles in kleinen Mengen, aber alles auch sehr gut. Süße Karotten, viel süßer als die im Handel. Die rote Melde ist mittlerweile größer als ich, blüht und ist damit nicht mehr genießbar, aber mir ist sie als Deko-Pflanze genauso willkommen wie als Gemüse. Im nächsten Jahr viel mehr davon.

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Die von Sohn II gewünschte Wanderung (ich berichtete) nimmt allmählich Projektcharakter an. Ich kombiniere seinen aktuellen und einigermaßen vehementen Wunsch kurzerhand mit einem lange – ganz, ganz lange – gehegten und immer wieder aufgeschobenen Wunsch von mir und entferne nebenbei noch den unseligen und nach Orthopäde klingenden Begriff “Zelt” aus dem Konstrukt, trickse etwas altersgemäß herum (also bezogen auf mich) et voilà – es nimmt wirklich Gestalt an. Auf Eiderstedt machen wir in Kürze eine Testwanderung um uns warmzuspielen, und dann legen wir los, aber weiter östlich, denn das Kind möchte dort wandern, wo es noch nicht war, um etwas von der Welt zu sehen. Eventuell zweigen wir ein paar Euro aus dem Hut hier unten für die Wanderungen und Übernachtungen ab, aber das müsste ja passen, denn die Wandertage werden in jedem Fall für Content sorgen, selbst dann, wenn wir grandios scheitern. Wie Sohn II sagt: “Wir können den ganzen Tag reden und nachdenken!” Sohn I überlegt noch, ob er mitkommt. So richtig chillig klingt Wandern ja nicht.

 

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Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Heute nur eine Gitarre für alle, wir müssen sparen.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, sie setzen Sohn II und mich diesmal damit quasi in Bewegung.

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Die kommt noch

Ein Leserbrief an die Zeit. Einer von vielen, hoffe ich.

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Beim morgendlichen Brötchenholen steht eine Frau vor mir in der Schlange. Wenn man ihre Kleidung als Zeichen für den Geisteszustand nimmt, hat sie ganz offensichtlich nicht alle Latten am Zaun. Sie bestellt aber ganz normal, sie hat sich also soweit im Griff, das freut mich für sie. Es ist ja immer schön, wenn ein selbständiges Leben noch möglich ist. Auf der Straße vor der Bäckerei laufen dann allerdings noch mehr Menschen herum, die seltsam gut zu der Frau vor mir passen, da kombiniere ich die Indizien blitzschnell und mit gewohnt hellwachem Verstand, Sherlock Holmes nichts dagegen: Es ist wieder Schlagermove in Hamburg. Mit anderen Worten, es bleiben mir also nur noch etwa drei Stunden, bis mir überall Besoffene vor die Füße torkeln und dabei lauthals Lieder aus der Vergangenheit singen.

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Ich: “Die Platanen sehen jetzt ohne Rinde so seltsam nackig aus – als wären sie gerade aus den Klamotten gesprungen.”

Die Herzdame: “Das sagst du nur, weil du das bloggen willst. Das hältst du wieder für einen tollen Satz, da machste nachher nen Text draus. Oder?”

Ich: “Wir kennen uns irgendwie schon zu lange, Schatz.”

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Am Ufer der Billerhuder Insel liegen Motorboote, ziemlich viele sogar, denn da gibt es einige Clubs für die Liebhaber solcher Schiffchen. Einige der Boote sind fast yachtartig groß, andere sind winzig, Nussschalen mit Motörchen. Einige sind verfallen und sehen aus, als würden sie in Kürze sinken, ohne dass sie jemals jemand vermissen wird, andere sind  scheckheftgepflegt und alles an ihnen glänzt und blitzt, ist frisch gestrichen und geputzt.

Eines der ganz kleinen Boote liegt am Rand eines Anlegers herum, es sieht ein wenig so aus, als hätten die größeren Exemplare es weggeschubst, mach mal Platz da, Kleines. Vorne am Bug, also da, wo bei Schiffen normalerweise der Name steht, da steht in schwarzen Buchstaben: “Kommt noch”. In einer vorgelesenen Geschichte könnte man mit diesem Namen die Grammatik ruinieren: “Die Kommt noch schaukelte sanft auf den Wellen der Bille.”

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Wir waren essen, am Nachbartisch saßen Autohändler, alles junge Männer natürlich, weil Klischees eben immer hinkommen. Fast immer. Vielleicht kannten sie sich alle von der Berufsschule. Die arbeiteten für verschiedene Automarken und unterhielten sich natürlich sich über ihre Jobs. Begriffe, die in ihrem Gespräch nicht vorkamen: Verkehrswende, E-Auto, Dieselkandal, Fahrverbote, Verbrauchswerte, Mobilitätskonzepte.

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Falls jemand Accounts kennt, die besonders gelungene, besonders schöne oder sonstwie auffällige Instagram-Stories posten, ich bin gerade für Hinweise dankbar. Es darf gerne um Food, Deko, Garten, Kultur gehen. Ich finde es ja manchmal seltsam entspannend, mich im Social-Media-Bereich mit bisher ignorierten Möglichkeiten zu beschäftigen, deswegen habe ich nur aus Spaß gerade etwas mit diesen Stories herumgespielt und war überrascht, dass man da reichlich Rückmeldung bekommt. Ungewöhnlich viele Rückmeldungen sogar. Nanu! Aber okay, als Sommerspielzeug ist das vielleicht wirklich ganz nett.

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Wir haben die Söhne heute vom Bahnhof abgeholt, nachdem sie eine Woche ohne uns an der Nordsee im Zeltlager waren. Sie haben uns vermisst, sagen sie, die heimische Toilette aber noch mehr.

Nun ja. Wer würde sich nicht über einen guten zweiten Platz freuen.

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Was noch? Melancholie!

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Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, Sie müssen aber überhaupt nichts. Toller Deal, ne.

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Kleinkram

Am Abend William Faulkner gelesen (“Eine Rose für Emily”), das war natürlich eine Schnapsidee, wenn man gerade genug vom Rassismus hat. Heute weiter mit James Joyce (immer noch in der Anthologie “Der Spatz meiner Herrin ist tot”).

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Beim morgendlichen Linkfischen das Sommerloch gefunden, es erscheinen deutlich weniger Blogartikel als ohnehin schon, die Meldungen in den Medien sind noch monothematischer als sonst, es ist einfach nichts los. Der Feedreader bei Ebbe, ein Bildschirm mit sehr viel Weißraum, sogar die Twittertimeline rückt langsamer nach unten und bei Nuzzel lohnt F5 nicht mehr. Auch mal schön.

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Ich habe den Eindruck, dass immer weniger Alltagsszenen in Blogs erscheinen, diese kleine Geschichten, die Beobachtungen. Das ist tatsächlich nur ein Eindruck, ich habe nichts gemessen oder gezählt, vielleicht sehen das andere ganz anders. Vielleicht hat auch mein Feedreader wieder eigenmächtig Blogs abbestellt, das macht er gerne mal, ich merke das dann immer erst nach Wochen, wenn mir auffällt, dass die Kaltmamsell oder wer auch immer schon wochenlang nichts mehr geschrieben hat und ob das denn wohl sein kann. Dann sehe ich nach, ärgere mich und lese rückwärts. Jedenfalls: Der Kleinkram fehlt mir, ich mag diese Form. Rausgehen und beobachten, na, was ich früher immer Blogsport nannte. Und wenn das keiner macht, dann mache ich das eben wieder mehr. Nehmen wir gestern:

An einer Bushaltestelle steht eine ältere Dame und wartet, als ich mich da auch hinstelle. Sie guckt auf die Uhr, sie guckt auf die Straße, sie stöhnt. “Wissen sie”, fragt sie, “ob der Bus Verspätung hat? Oder was mit dem ist?” Ich weiß überhaupt nichts. Die Dame sieht auf ihre Uhr und sieht auf die Straße. “Wo sind wir denn”, sagt sie, “also wo sind wir denn hier. Dass der nicht kommt.” Ich frage, wie lange sie da schon steht, ich sehe auf dem Plan, dass der Bus alle zehn Minuten kommt. “Fünf Minuten!” So unfassbar lange steht sie da schon. Sie sieht auf die Uhr und sie sieht auf die Straße, wo der Bus jetzt brav auftaucht. “Wo sind wir denn hier!” Sie schüttelt den Kopf, sie sieht beim Einsteigen den Busfahrer so strafend an, andere würden sofort alles zugeben. Aber Hamburger Busfahrer sind bekanntlich harte Hunde.

Wo sind wir denn hier. Wir sind in einem Land, das ins Chaos stürzt, wir sind in einem Land, mit dem es bergab geht, wir sind in einem Land, in dem Busse ganze fünf Minuten zu spät kommen, so sieht es doch aus. Es herrscht quasi schon Anarchie. Die Dame sitzt mir im Bus gegenüber, atmet schwer und empört sich still weiter.

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Der Bus hält vor einem Hotel, das kein Hotel mehr ist, das ist jetzt ein Haus, in dem Leute untergebracht sind. Die Zimmer sind etwas wild mit Möbeln vollgestellt, da wurden auch Bettlaken quer durch Räume gespannt, da wurden Schränke vor Fenster geschoben, ein guter Zustand geht anders. Im ersten Stock guckt ein Mädchen aus dem offenen Fenster. Die Kleine ist vielleicht drei Jahre alt und sie winkt den Leuten im Bus da unten mit vollem Einsatz, die schwarzen Locken fliegen nur so, das ganze Kind bebt vor lauter Winken. Und sie strahlt und ruft etwas, das man nicht verstehen kann, also ich jedenfalls nicht, die Umstände lege aber nahe, dass es so etwas wie “Hallo!” ist. Hallo in irgendeiner Sprache eben. Der Busfahrer guckt hoch, grinst und winkt zurück, so ein harter Hund ist das dann also doch nicht, guck an. Und das Mädchen freut sich wie ein Stint, dass da endlich jemand winkt, denn die Straße ist eher nicht so stark befahren und Fußgänger sind da leider auch kaum, das ist dort eher Industriegebiet. Ihre einzige Chance ist der Bus alle zehn Minuten, deswegen winkt sie auch mit vollem Einsatz und nicht nur nebenbei.

Ich nehme stark an, dass Mädchen ist neu in der Stadt, die Indizien sprechen dafür. Sie ist neu in einer Stadt, in der man sich, und das spricht doch sehr für die Stadt, in Frieden wie ein Stint freuen kann, wenn ein Busfahrer winkt. Im Rest des Landes geht das ja eher nicht, schon weil da diese Redewendung keiner kennt, da freut man sich nämlich anders, wie ein Schneekönig oder so. Ob das Mädchen aber überhaupt weiß, was Schnee ist? Und es soll auch Städte geben, da sind die Busfahrer noch härtere Hunde, ich grüße an dieser Stelle meine Berliner Leserinnen. 

Sich wie ein Stint freuen, norddeutsch für: Sich wie ein Schneekönig oder wie Bolle freuen. Man lernt hier ja was! Und wenn das Mädchen hier bleibt, dann kennt es diese Wendung vielleicht auch irgendwann.

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Was noch? Man müsste ein Instrument spielen können.

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Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, Sie müssen überhaupt nichts. Toller Deal, ne.

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Endlich alles, endlich nichts

Kleiner Nachtrag zum sonnen-krossen Laub. Nicht nur in Hamburg.

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Bei der GLS Bank habe ich zum Thema Klima gebloggt.

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Vorgestern fuhr ich nach der Arbeit direkt in den Garten und setzte mich in die Laube. Es war zu stürmisch, um draußen etwas zu machen, ich saß da also nur herum und guckte mir die Wände an. Das war enorm befriedigend, ich mag diese Wände und ich mag das Raumgefühl in der Laube. 24 Quadratmeter und aus Holz, das fühlt sich perfekt an, zumindest für eine Person, es fühlt sich an wie maßgeschneidert. Mit Toilette und Bad und Heizung wäre es natürlich noch netter, aber man kann im Kleingarten nicht alles haben. Die Laube bringt mich jedenfalls auf den Gedanken, dass ich mit einem Tiny House vermutlich gut klarkommen könnte, also theoretisch. Praktisch natürlich nicht, denn ich habe ja Familie. Aber so eine Hütte nur für mich – ein feiner Gedanke. Ich müsste mich auf Minimalismus nicht einmal umstellen, ich bin von Natur aus nicht besonders gut im Sammeln und Besitzen von Zeug.

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Die Söhne sind ohne uns auf Reisen, die Herzdame und ich sind also alleine und wieder hin- und hergerissen zwischen den beiden gleich einladenden Optionen, endlich einmal gar nichts zu machen oder endlich einmal alles zu machen, zu dem man sonst nie kommt. Und wenn wir uns schließlich auf ein Verfahren geeinigt haben, ist die Woche auch schon wieder vorbei und die Söhne wieder da. Same procedure as every year. Es gibt Themen, da sind wir einfach nicht lernfähig – aber immerhin teilen wir dieses Schicksal mit anderen Eltern. Nehme ich jedenfalls an.

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Heute zufällig in der Wikipedia drüber gestolpert – hier kommt also die Melodie von “Eisgekühlter Bommerlunder” her. Wieder was gelernt.


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Ich erwähnte es bereits, die Söhne haben Ferien, wir Eltern noch nicht, dennoch macht sich auch bei uns so etwas wie Ferienstimmung breit, ein allgemeines Nachlassen. Man könnte die Erschöpfung auch einmal zur Kenntnis nehmen und sich ihr etwas hingeben, das ist immerhin eine Option – es wird also etwas ruhiger hier zugehen in den nächsten fünf Wochen, fast wie in jedem Sommer. Vielleicht auch noch etwas ruhiger. Es gibt so Ideen, für die müsste ich erst einmal Schwung holen, ich weiß nur nicht woher, aber das ist vermutlich normal für die Jahreszeit. Ich brauche Pause von allem, auch und besonders dringend von den Nachrichten. Es ist unfassbar, wie die einen runterziehen, ein Energieverlust ohne Beispiel, einfach nur beim Lesen der Schlagzeilen. Ich muss länger Bäume angucken oder Vögel oder die Nordsee, so etwas in der Art. Wolken! 

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Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, die Herzdame braucht Lavendel vor der Laube. Und ich brauche den dann auch. Das ist übrigens ein Souvenir aus Südtirol, diese Lavendelsehnsucht, denn als wir zum ersten Mal da unten waren, schliefen wir eine Woche auf einem Obsthof, auf dem es überall durchdringend nach Lavendel duftete, es war berauschend und entrückend. Das war der Oberglunigerhof in Tscherms, den kann ich nach wie vor empfehlen. Nicht ganz billig, aber wirklich schön.

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