Blüten und Erinnerungen

Zahllose Leserinnen wurden in tiefe Verwirrung gestürzt, weil ich das mit den Schnittlauchblüten hier nicht exakt durchdefiniert habe, pardon. Okay, nachweislich waren es nur zwei Leserinnen, aber es reagieren bekanntlich immer nur höchstens 2% aller Leserinnen überhaupt irgendwie auf einen Artikel, der Rest liest einfach nur, was ja auch vollkommen in Ordnung ist. Um- und hochgerechnet waren das dann aber sehr viele Leserinnen, und nein, das war jetzt nicht wirklich logisch, egal. Ihnen kann man ja nichts vormachen!

Man kann, um das also eben aufzuklären, die Blüten tatsächlich oben abpflücken und essen, gleich so, als Salatdeko, im Kräuterquark, als Snack beim Gartenrundgang, Blüte to go, wie auch immer. Den Stängel aber, auf dem die übrigens niedliche Blüte sitzt, den sollte man eher nicht essen, denn der schmeckt nicht recht. Alle anderen Halme dagegen, also die ohne Blüten – super wie immer. Haben wir das geklärt. Und nun gehet hin und pflücket die Blüten.

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Der Istanbul-Grill.

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Madame meditiert. Wie neulich bereits angemerkt – das betrachte ich auch als große Herausforderung. Eines Tages!

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Habe ich jemals von der alten Dame erzählt, die ich im Gartenverein getroffen habe, sie jätete gerade Unkraut am Rand ihrer Parzelle. Bückte sich mit leichtem Stöhnen, der Rollator stand nur einen Meter weiter.

“Junger Mann, wissen Sie nicht vielleicht jemanden, der mir im Garten helfen kann? Ein paar Stunden die Woche?”

“Da muss ich mal überlegen.”

“Überlegen Sie mal. Ich bin 93, allmählich wird es doch schwieriger.”

Und dann jätete sie stoisch weiter, wobei sie mit den Händen bei durchgedrückten Knien deutlich weiter runterkam als ich. Gartenarbeit, so sagt man, soll ja auch gesund sein.

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An einem U-Bahngleis unter dem Hamburger Hauptbahnhof sitzt ein junger Mann auf einer Bank und unterhält sich mit einem Kumpel. Würde man abfällig urteilen wollen, wozu es allerdings keinen Anlass gibt, man könnte ihn als fortgeschritten dick bezeichnen. Man könnte aber auch sagen, er sieht eindeutig nach Genussmensch aus. Er streckt sich gerade und sieht dabei nicht so aus, als sei mit seinem Körper irgendwas falsch, das passt alles schon, das gehört so. Er hat die Augen geschlossen und wiederholt gerade schon zum dritten Mal ein Wort, das ihm vielleicht gerade in den Sinn kam oder das irgendwo stand, auf dem Werbebildschirm oder sonstwo, ein Wort jedenfalls, das schönste Erinnerungen in ihm weckt. Würde man abfällig urteilen wollen, wozu es nach wie vor keinen Anlass gibt, man könnte sicher sagen, es sind Erinnerungen an die übelsten Partyabstürze seines Lebens. Man könnte aber auch sagen, es handelt sich vermutlich um Erinnerungen an die wenigen richtig guten Abende, an die legendären Abende. Und so viele sind das ja bei uns allen nicht, wenn man die Jahre einmal Revue passieren lässt.

“Scheunenfete”, sagt der junge Mann und er spricht das Wort so aus, wie andere vielleicht “Paris” sagen oder irgendeinen Berliner Club benennen, in dem sie mal durch einen wilden Zufall zum genau richtigen Zeitpunkt waren, also als alle da waren, was weiß ich, auch David Bowie und Iggy Pop und so, wovon sie dann später noch gebetsmühlenartig im Seniorenheim erzählen werden, in dieser Art spricht er es aus, in seliger Erinnerung, et in Arcadio ego. “Scheunenfete”, sagt der junge Mann und er betont das Wort fast schmatzend, so gut gefällt ihm das, “Scheunenfete. Das ist doch das wahre Leben, Alter.”

Sein Kumpel nickt wissend.

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Die Söhne verwenden neuerdings einen Ausdruck, den ich so nicht kannte, und ich bin da ja lernbereit und übernehme gerne, Sprache lebt von der Bereicherung an anderen. Wenn sie etwas nicht gerne machen, dann lassen sie es sein, denn: “Es bockwurstet nicht.”

Und dann immer diese drängende Versuchung, solche Ausdrücke demnächst in einem Meeting unterzubringen!

“Wisst Ihr was, ich verlasse jetzt diesen Call.”

“Bitte was?!”

“Das bockwurstet hier einfach nicht.“

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Admingeraffel, Schnittlauch und Smartphones für Kinder

Martin Parr’s day at the Chelsea Flower Show – a photo essay.

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Wir haben auf der Blogfamilia in Berlin etwas über Contententwicklung in (Eltern-)Blogs geredet, da ging es in einem Punkt auch um das ganze Admingeraffel. Ein naheliegender Aspekt in Zeiten der DSGVO, mit der wir Bloggerinnen uns vermutlich alle viele, viele Stunden oder gar Tage beschäftigt haben. Meine These war, dass man sich auch als Bloggerin – ganz ähnlich wie ein großer Konzern – in Adminkram verstricken und sich damit ziemlich erfolgreich lahmlegen kann. Wenn man zu viel Zeit damit zubringt, im Backend herumzuwühlen, Streams in sozialen Medien zu optimieren, Einstellungen zu verstehen, Reichweiten zu verbessern, Followerinnen zu gewinnen, SEO zu kapieren, Plug-Ins anzupassen, Statistiken zu lesen, Datenschutzerklärungen zu kopieren, Mediakits zu erstellen und so weiter, dann ist es am Ende ganz egal, wie sinnvoll und zielführend das alles ist – kreativ war man in der Zeit jedenfalls nicht. Ich habe nun kein übertragbares Patentrezept, wie man das grässliche Admingeraffel wieder loswird, aber ich überlege mir mittlerweile gut und auch oft, wieviel Zeit ich wofür verwende. Denn unterm Strich ist es ja so: Ich möchte hier einfach nur schreiben. Alles andere ist Ballast und Klimbim. 

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Ich habe zum ersten Mal im Leben Schnittlauchblüten gegessen. Das hätte mir ja auch längst schon mal jemand sagen können, dass man die sehr gut essen kann, also wirklich.

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Seit Wochen lese ich sehr wenig oder gar nichts, das ist auch mal erholsam. Wenn ich abends irgendwo herumliege, also auf dem Bett oder auf dem Sofa meine ich natürlich, dann denke ich über Gartengestaltung und den Erwerb von Pflanzen und meinen Gemüseanbau nach, und das reicht, da brauche ich gerade keinen Roman, keine Geschichte, kein Buch. Ich vermisse gar nichts, gleichzeitig steigt aber die Schreiblust, ein interessanter Nebeneffekt. Am Ende ist eine Lesediät womöglich irgendwie sinnvoll und ich habe auch das nur wieder nicht gewusst? Ich sage es ja, kein Tag ohne Demütigung. Aber hier, Idee! Ich schreibe ein flottes Sachbuch zum Thema Lesediät und all die phänomenalen, lebensverändernden Folgen, die ein bewusster Verzicht auf Bücher haben kann – und wenn Sie das dann lesen, dann machen Sie damit schon alles falsch. Finsterer Plan!

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Sohn I hat seit ein paar Wochen ein Handy, dazu ist auch noch etwas anzumerken. Und da geht es ausnahmsweise nicht um die allzu erwartbare Frage, ob Smartphone oder nicht, es geht auch nicht um die Frage, welche Apps da drauf sein sollen oder dürfen oder müssen oder welche Verantwortung wer hat, welche Risiken es gibt, welche Chancen womöglich auch, ab wann man Whatsapp erlaubt, welcher Preis von wem zu zahlen ist, welcher Vertrag gewählt werden soll, welcher Tarif, welche Marke und so weiter und immer so weiter, es gibt da ja konservativ geschätzt an die tausend Fragen, die man sich als Elternteil erarbeiten und beantworten muss, bevor ein Kind das erste Handy bekommt, nein, darum geht es nicht. Anzumerken ist vielmehr, was für eine gottverdammt große Lebenserleichterung es ist, wenn man sich mit dem Kind endlich, endlich mal eben per Handy abstimmen kann, wenn man also mit einer Nachricht oder einem Anruf in einer Minute klären kann, wer wann wo ist und von wo was mitbringt und wie man sich wann und wo wieder trifft. Ist. das. schön.

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Mir geht seit Tagen dieses Lied nicht mehr aus dem Kopf, vielleicht ja, weil hier in den letzten Artikeln einige Male das Wort “Drogen” erwähnt wurde. Egal, es war eh ein super Auftritt, den kann man sich ruhig mal ansehen. Sensationell, immer wieder.


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Man kann hier Geld einwerfen, dann kaufe ich neuen Schnittlauch. Toll! Esst mehr Schnittlauch! Und esst die Blüten mit!

 

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Es gibt endlich Pellkartoffeln

Das Thema Plastikfreiheit und Nachhaltigkeit – heute mal beim Künstlerbedarf. Beruflich übrigens verbrauche ich kein Plastik und auch kein Papier. Ich drucke nichts aus, ich hefte nichts ab, ich benötige bei all meinen bezahlten Jobs nur einen PC, der aber natürlich aus Plastik besteht, schon klar. Ich trinke keinen To-Go-Kaffee mehr, ich habe keine Brote in Plastiktüten dabei, das ist alles ganz gut, mein Bürostuhl und der Tisch halten ziemlich lange. Wenn man nur kurz nachdenkt. Wenn man etwas länger nachdenkt, was oft fatale Folgen hat, dann arbeite ich ganz ohne Plastik für sämtliche Weltkonzerne, die das mit dem Plastik um uns herum anrichten. Ganz toll.

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Apropos plastikfrei, ich bin jetzt endlich dazu gekommen, die vor 14 Tagen angedachten Pellkartoffeln mit Kräuterquark zu machen, mit selbstgepflückten Kräutern versteht sich, Streifzug durch den Garten und guck, das kann man ja auch essen. Knoblauchsrauke, Radieschengrün, Dill, Schnittlauch, Löwenzahn, Gänseblümchen, Petersilie, Giersch, ja, auch Giersch, ich habe es der Herzdame erst hinterher gesagt, sie ging dann kurz hinter die Laube, egal. Ein grandioses Essen jedenfalls, ohne Plastik, wenn man den Quark im Glas bekommt, was nicht ganz so einfach ist, zugegeben.

Ich könnte meine Ernährung jetzt umstellen, wenn das Wetter so bleibt, mehr brauche ich nämlich gar nicht. Pellkartoffel mit Kräuterquark zum Abendessen, tagsüber Melone und Erdbeeren, die gibt es auch unverpackt oder in Pappe. Herrlich.

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In Hamburg gelten jetzt irgendwelche Fahrverbote auf ein paar Metern in bestimmten Straßen und mit tausend Ausnahmen, es gibt da eine lustige Verbindung zur ebenfalls jetzt gültigen DSGVO: Niemand kann auf Anhieb erklären, was da wie geregelt wurde. Und insofern isses egal, ne. Wie sangen wir damals so schön: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Das war die Gruppe Fehlfarben, liebe Kinder, die war gar nicht mal so unwichtig oder, wie die Söhne sagen würden: “Die waren gut? Und sind die denn auch schon tot, wie alle, die du magst?”

 

 

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Lunken und Platten

Ich habe für die GLS Bank Links zum Thema Innovation zusammengestellt. Mit ziemlich abgefahrenem Zeug.

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Vielen Dank an Daniela und Heiko vom Teekesselchen-Blog, die uns anlässlich der Plastikfreidiskussion reichlich Schokolade geschickt haben. Die Variante “Dunkle Nougat” ist zum Kaffee auf jeden Fall schon einmal eine hervorragende Wahl, ich möchte fast sagen, die beste seit langer Zeit.

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Ich habe im Garten einen Schacht von ein paar Metern Länge für das Stromkabel zur Laube gebuddelt, und nachdem das Stromkabel darin lag, habe ich ihn gleich wieder zugebuddelt. Reichlich Arbeit für kein sichtbares Ergebnis, das war also fast wie im Büro, auch die Steine, die mir da jemand in den Weg gelegt hatte, passten ganz gut. Der Elektriker stand kaffeetrinkend neben mir und guckte kritisch, ob da hinterher auch keine Lunke mehr im Boden sei. Eine Lunke, eine Absenkung im Boden. Das Wort kannte ich in diesem Sinne, das scheint aber sonst kaum jemand zu kennen, da hilft auch Google vergleichsweise wenig. Gehört habe ich es sicher seit vielen Jahren nicht. Aber woher kann ich das denn bloß kennen? Aus dem Sprachgebrauch norddeutscher Handwerker, den ich aus meiner Kindheit kenne? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ich habe da sozusagen eine Lunke im Wissen um den eigenen Wortschatz.

Eine Lunke. Gefällt mir jedenfalls, das Wort.

“Einen schönen Garten haben Sie da.”

“Ja, wenn man sich die Lunken wegdenkt.”

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Ich habe außerdem tatsächlich eigenhändig einen Zaun gebaut, der steht sogar schon mehrere Tage und ist bisher nicht umgefallen. Das betrachte ich also als Erfolg. Ein schöner Zaun, gebaut aus den Resten der Paletten, auf denen die Laube geliefert worden ist, ein kostenloser Zaun also, das ist ja auch erstrebenswert. Ein Zaun in vernünftiger Höhe, gerade und anständig. Vielleicht ist er nicht ganz schrebergartentypisch, das kann sein. Das könnte jedenfalls erklären, warum mich während der Bauzeit etliche vorbeigehenden Menschen gefragt haben, ob wir da denn jetzt Kühe oder Pferde halten wollen.

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Ferner habe ich, das ist hier heute ein Arbeitsbericht, Gehwegplatten verlegt. Das habe ich neulich schon einmal gemacht, aber da habe ich sie schnell, schnell und provisorisch verlegt, das war natürlich krumm und schief und holperig. Diesmal habe ich mir aber richtig Mühe gegeben und mich auch vorher gefragt, wie das denn wohl geht, wenn man es richtig macht. Auch das Verlegen von Gehwegplatten erfordert nämlich Geschick und Gedanken. Mein innerer Jean Pütz hat mir nach etwas Besinnung kluge Ratschläge gegeben, ich habe den Boden dann also korrekt etwas ausgehoben und sorgsam vorbereitet. Ich habe ihn mit Bedacht glattgezogen, ich habe die verlegten Platten geradezu mit Genuss eingepasst und mit einem ungeheuer schweren Stampfer vom Nachbarn nachdrücklich festgedengelt. Ich habe die ebenso ungeheuer schweren Platten so verlegt und mit Hingabe zurechtgeruckelt, dass jetzt keine Briefmarke mehr in die Fugen passt, fand ich jedenfalls. Das war ein Tag Arbeit, nachdem mir so ziemlich jeder Muskel wehtat.

Danach stand ich mit einem Feierabendbier sinnend vor den Platten, es waren gar nicht so wenig, über die ganze Laubenfront. Ich betrachtete hochzufrieden mein Werk und fuhr mit dem Fuß wohlwollend die exakt ausgerichteten Ritzen entlang. Was man alles schafft, wenn man sich nur genug Mühe gibt! Immer wieder beeindruckend.

Und die Nachbarin, die abends mal unseren Fortschritt begucken kam, warf im Vorbeigehen einen Blick auf diese herrlich ordentlich daliegenden Platten und fragte nebenbei:

“Die machste dann noch mal gerade, hm?”

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Hier gibt es neuerdings immer einen Trinkgeldlink. Warum auch nicht.

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Mit Bob an der Bille

Wenn hier schon für Gartenzwecke gespendet wird, dann will ich das auch mit Geschichten aus dem Garten beantworten. Und da sich gar nicht alle für Gartenthemen interessieren, nehme ich den Rasen da einfach als Assoziationswiese, die es abzugrasen gilt, bitte sehr, bitte gleich, dann kommen auch genug andere Themen vor. Das bleibt hier ja serviceorientiert und Geschichten wollen Sie wohl haben. Na, was man so Geschichten nennt.

Der Artikel “Rotkehlchenretro”, das sei noch kurz festgehalten, war übrigens der erste je in unserem Garten geschriebene Text. Offline! Wie son Typ mit Schreibmaschine, und da fällt mir jetzt plötzlich der Melcher ein, Saltkrokan. Wissen Sie noch? “Dieser Tag – ein Leben.” Saltkrokan, da war ich – wie vielleicht alle? – irgendwann schwer irritiert, dass sich die titelgebende Insel im Original gar nicht so ausspricht, wie ich es beim Lesen als Kind immer im Kopf gehört habe, es spricht sich ganz anders, vom Klang her eher unangenehm. Das war nicht schön, wie es überhaupt nicht schön ist, wenn die Wirklichkeit sich danebenbenimmt und Kindervorstellungen beschädigt. Aber wo es mir gerade so in den Sinn kommt – das könnte ich glatt noch einmal lesen, das mit den Ferien auf Saltkrokan, das habe ich in angenehmer Erinnerung.

Die Parzelle ist auf einer Insel, darauf wollte ich heute hinaus, und man sieht zwar von unserem Garten aus kein Wasser, aber wenn man kommt oder geht, dann muss man über eine Brücke und ein Stück am Wasser entlang, nämlich an der Bille, an jenem in die Elbe mündenden Hamburger Fluss, den üblicherweise kein Schwein kennt. Also außerhalb von Hamburg jedenfalls nicht. Nur die Hardcore-Schlagerpartei, die kennt den Fluß vielleicht noch aus dem schönen Lied von Heidi Kabel: “An der Alster, an der Elbe, an der Bill’, dor kann jeder eener moken, wat he will.” Hanseatische Toleranz und so. Das Lied wiederum kennen allerdings selbst in Hamburg nicht viele Menschen.

Man geht oder fährt am Rand der Insel entlang und sieht runter zum Wasser, denn der Inselrücken liegt dank des dort aufgehäuften Schutts aus dem Zweiten Weltkrieg und wohl auch von Natur aus recht hoch, das Wasser fließt ja aber immer unten herum. Am Ufer überall steile Treppchen den Hang hinunter, unten winkelig verbaute Lauben und Schuppen, viele mit kleinen Booten davor, an Stegen und Anlegern oder einfach an Bäumen vertäut. Enten auf dem Wasser, Möwen in der Luft, Rotkehlchen in den Hecken, das kann man schon romantisch finden, wie es da stellenweise aussieht. Wenn man über den Fluss blickt, sieht man am anderen Ufer gleich die nächste Gartenanlage und alte Weiden mit den Zweigen im Wasser, noch mehr Lauben und Schuppen mit Booten davor, die sachte schaukeln und jetzt im Mai generalüberholt funkeln, jede Farbe neu und brillant, blauer als blau, weißer als weiß.

Im Vorbeigehen guckt man da unwillkürlich immer runter, auf dieses Uferidyll. Ich sehe vor einer Laube eine Gruppe um einen Gartentisch, es gibt vermutlich Kaffee und Kuchen, das würde zur Tageszeit passen, aber so genau gucke ich gar nicht, man starrt da nicht so hin. Einer sitzt in der Runde, spielt auf seiner Gitarre und singt dazu, man kann es sogar ein paar Gärten weit hören. Ich höre allerdings nicht genau, welches Lied es ist, ich gehe zu schnell und höre nur ein paar Töne, die mir aber immerhin bekannt vorkommen. Vermutlich ist es eine dieser Tonfolgen, die jeder mit Oldies assoziiert, mit NDR 1, mit den Sechzigern, den Siebzigern, mit Liedermachern und Songwritern. Irgendwas, was man nach zwei Takten mitsingen könnte, wenn man denn wollte. Weil man es tausendmal gehört hat, in Joanbaezhäufigkeit, in Dylanfrequenz oder in Reinhardmeyendlosschleife. Eines dieser Lieder, die Menschen mit Gitarre halt singen, wenn sie vor Gruppen sitzen, ob da in der Mitte der Szene nun ein Lagerfeuer brennt oder eine Kaffeetafel steht. Und das erinnert mich wieder an den Hundestrand in Travemünde, ich habe über die Studenten mit Gitarre dort in “Es fehlt mir nicht, am Meer zu sein” schon geschrieben, aber ich habe heute ein anderes Ziel im Sinn, daher berichte ich sozusagen aus anderer Richtung und erzähle das einfach anders als damals.

Wenn es am kurtaxenpflichtigen Strand an Sommerabenden allmählich leer wurde, wenn alle Strandkörbe verriegelt und verrammelt waren und alle Kurkartenverkaufshäuschen abgeschlossen, wenn alle Tretboote wieder an der Kette waren und die jungen Leute aus den DLRG-Türmen wieder runtergeklettert waren und die Touristen sämtlich zeitgleich in den Restaurants der Hotels saßen, dann war an diesem leeren Strand nichts Unterhaltsames mehr zu erwarten. An der Promenade gingen einige Rentner mit Hunden bedächtig hin und her, hinten fuhren die Fährschiffe nach Skandinavien hin und her, oben flogen die Möwen hin und her – und mehr kam da dann nicht mehr.

Man konnte aber den Ort in Richtung Norden verlassen und zum Hundestrand gehen, zum ungepflegten Strand also, wo Findlinge in endloser Reihe vor der Brandung lagen und kein Bagger den gammelnden Tang davor morgens zusammenfuhr und entsorgte, wo sich die Touristen daher nie ganz sicher waren, ob es noch würzig oder doch schon faulig roch, ob man also bewusst ganz tief oder lieber gar nicht einatmen sollte. Wo bald das Steilufer begann und halb herabgestürzte Bäume malerisch quer über den Strand hingen oder auch schon unten lagen. Auf den Bäumen konnten man sitzen, neben ihnen konnte man grillen, um die herum konnte man sich lagern. Da saßen die Studenten aus Hamburg, von denen man zwar nach Augenschein weder eindeutig sagen konnte, dass es Studenten waren, noch dass sie aus Hamburg waren, und doch war das eben so, daran war überhaupt nicht zu zweifeln, das waren die Studenten aus Hamburg, das wussten wir eben, das wussten alle. Das waren für uns die Großen, das waren die, die schon zuhause ausgezogen waren, vor Jahren schon. Die hatten es geschafft, die hatten ein eigenes Leben mit kaum vorstellbaren, atemberaubenden Freiheiten und Möglichkeiten, deswegen saßen die da ja auch am Strand und grillten spät abends und tranken Dosenbier dazu, weil sie es konnten nämlich. Die mussten nirgendwohin, wenn es dunkel oder zehn Uhr wurde, die konnten da bleiben und neben den jungen Frauen sitzen, die ganze Nacht sogar, wobei sie sich dann irgendwann gemeinsam hinlegen würden, eine geradezu wahnsinnige Vorstellung, zumal einige schon nackt waren, das war gar nicht unüblich. Sie konnten interessante Drogen konsumieren und seltsam anrührende Lieder singen, die noch aus der Hippiezeit waren. Die hatten sich ganz gut gehalten, die Lieder, die kamen noch gut an und klangen auch noch recht frisch. Kein Wunder, einige von denen waren keine zehn Jahre alt, das war doch kein Alter für ein Lied. Und es konnte überhaupt auch schon mal eine Weile dauern, bis ein popkultureller Trend in westdeutschen Ostseekurbädern ankam.

Ich konnte auf der Gitarre dank Peter Bursch genau zwei Akkorde, das reichte nur für “Get back” von den Beatles. Ich war damit noch lange nicht lagerfeuertauglich und außerdem so dermaßen im Stimmbruch, an Gesang war ohnehin nicht zu denken. Aber schon das abendliche Vorbeigehen an diesen Grüppchen zwischen den querliegenden Bäumen hatte mir gezeigt, was ich werden wollte, was ich so schnell wie möglich und ganz dringend werden wollte: Student in Hamburg. Mit allen Freiheiten dieser Welt, mit sehr viel mehr als zwei Akkorden, mit reichlich interessanten Frauen. Und der ganze Rest, der war mir erst einmal ziemlich egal. Irgendwas mit Geisteswissenschaft studieren, es würde schon passen, wer interessiert sich schon für Details, Soziologie, Germanistik, was machte das aus. Nur Hamburg sollte es unbedingt sein, Hamburg schien mir richtig, denn aus Hamburg kamen ja die richtigen Leute, die mit dem Sinn für Lagerfeuer und guten Songs und Liebe unter freiem Himmel, was konnte an dem Ziel schon falsch sein, echt jetzt mal. Hamburg sollte es sein, Frauen sollten es sein, zwischendurch auch gerne ein Lagerfeuer an der Küste, und dazu bitte ein melancholischer, gitarrenlastiger Soundtrack. Ich wollte nichts Besonders, ich wollte doch nur, was alle wollten. Dachte ich.

Und man muss sich dann Jahre später auch mal der Frage stellen, warum man eigentlich ausgerechnet dazu niemals gekommen ist. Ich bin tatsächlich nie von Hamburg nach Travemünde gefahren, um dort mit Freunden Lagerfeuer zu machen, geschweige denn mit Freundinnen, nicht ein einziges Mal. Ich habe auch nie mehr als zwei Akkorde auf der Gitarre gelernt oder irgendwo öffentlich gesungen, nicht an Lagerfeuern, nicht sonstwo, Gott bewahre. Nur zum Hippie habe ich es nach all den Jahren doch noch gebracht, also zumindest was die Frisur betrifft und das ist ja schon einmal ein Anfang, ein ausbaufähiger – und am Rest arbeite ich ebe noch

Die Studenten von damals sind mittlerweile sechzig Jahre alt oder so, die haben ihre Berufslaufbahn schon fast hinter sich, die haben es wieder bald geschafft und mir also schon wieder etwas voraus. Die sind natürlich längst wer weiß wie arriviert und verkehren vermutlich in genau den konventionellen Kreisen, in die sie damals nie wollten, gegen die sie nachts bekifft angesungen haben. Die haben längst große Kinder, die abends irgendwo an den Strand fahren und da Gott weiß was machen, das wollen sie gar nicht so genau wissen. Die Studenten von damals sind in der Politik, in den Medien und in den Büros der Konzerne, in denen sie seit ein paar Jahren schnell altern. So ist es auch den Generationen vor ihnen ergangen, nichts daran ist ungewöhnlich. Manchmal treffen sie abends noch Freunde, mit denen sie damals schon zusammen gesessen haben, in Travemünde nachts am Strand, aber das ist natürlich längst kein Thema mehr, das ist ja hundert Jahre her und dass das Wasser seitdem gestiegen ist, das haben sie nicht gesehen.

Wie auch immer, das Lagerfeuer am Strand ist für mich ohnehin kein romantisches Ziel mehr. Man riecht nach Lagerfeuern auch immer so unangenehm nach Rauch, schön ist das eigentlich nicht. Die Lieder von damals singe ich heute bestenfalls morgens beim Duschen. Ich kann die Texte immer noch, was sitzt, das sitzt. Und ich gehe danach in mäßiger Stimmung ins Büro oder pfeifend in den Schrebergarten, wherever I roam. Das Büro und der Garten, sie sind immerhin beide in Hamburg,

Die Zeiten ändern sich, was soll man machen.

 

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Sie können hier ein Trinkgeld in den Hut werfen, sozusagen über den Gartenzaun. Sie müssen aber nicht, versteht sich.

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Rotkehlchenretro

Irgendwie haben wir’s vergeigt, aber wir kriegen das auch wieder hin. Good old DSGVO.

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Andere werden drastisch, wenn es um die DSGVO geht. Und nicht nur er, sie auch. No kidding. Oder doch? Das ist nämlich auch typisch DSGVO, dass man gar nicht mehr sofort erkennt, wer was wie ernst meint.

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Ich muss mich übrigens entschuldigen, denn ich sehe jetzt erst, dass die Menschen, die hier per Paypal Geld eingeworfen haben, da teilweise auch Botschaften mitgesendet haben – und ich bin mehr als nur ein wenig gerührt ob dieser Zeilen. Ich habe sehr großartige Leserinnen, Leser sind wie immer mitgemeint. Ich muss schon sagen, was ein Stück Glück!

Es gab weitere Wünsche nach speziellen Pflanzen, ich werde das nach und nach umsetzen, etwa die vor drei Tagen bestellten Kornblumen. Die wachsen bei uns zwar schon seit Wochen, aber von dem Geld kaufe ich dann eben die für das nächste Jahr und ja, ich werde da akribisch Buch führen und jeweils Bildbelege posten.

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Wenn der Mensch älter wird, erinnert er sich besser an Dinge, die weiter zurückliegen. Sagt man. Ich weiß nicht, ob ich in dem Sinne schon älter bin, aber ich habe gerade so eine vage Ahnung, was da kommen wird, und das wiederum hat sich ergeben, weil ich neuerdings einen Vogel habe.

Es handelt sich dabei um ein Rotkehlchen, das die Hecke direkt hinter unserer neuen Laube bewohnt, es ist ein ausgesprochen freundlicher, höflicher Nachbar. Es begrüßt uns, wenn wir kommen, es guckt uns nach, wenn wir gehen. Es wünscht im geschäftigen Vorbeiflug die Tageszeit, es singt zwischendurch auch mal spontan für uns, wenn die Situation zur Geselligkeit einlädt. Es beobachtet dauernd, was wir machen. Es ist an uns interessiert, nein, es ist in der Tat ein wenig neugierig, das kann man bei aller Freundlichkeit nicht verschweigen. Aber ich richte nicht über die Charakterschwächen von Rotkehlchen, wie sollte ich mir das anmaßen. Neugier ist mir selbst nicht ganz fremd, also bitte. Und so zutraulich guckt dieses Vögelchen! Das kenne ich von Rotkehlchen gar nicht, es guckt mehr so berlinerspatzenmäßig, also mit einer gewissen Vertraulichkeit, fast schon mit einer Ahnung von Kumpelhaftigkeit, na, wat machste da, biste wieder am malochen, so guckt es, und ohne jedenfalls auch nur die geringste Schüchternheit.

Ich sitze auf einer Bank im Garten und esse krümelnd Rhabarberkuchen, das ist nämlich auch sehr schön am Garten, man kann da alles enthemmt vollkrümeln und es macht nichts. Eine Madeleine wäre angesichts der folgenden Geschichte auch nicht unpassend gewesen, aber es war nun, wie es war, ich will hier ehrlich bleiben. Ganz banaler Rhabarberkuchen war das. Also banal im literarischen Sinne, versteht sich, geschmacklich dagegen – den müsste die Herzdame mal im Blog verbacken!

Da kommt das Rotkehlchen und setzt sich auf einen Zweig direkt neben den vollgekrümelten Schreiber dieser Zeilen. Ganz nah ist der Zweig, fast so nah, als würde das Rotkehlchen auf meiner Kuchengabel sitzen, was jetzt klingt, als würde ich da im Garten von feinem Silber speisen. Weit gefehlt! Das alte Plastikbesteck war das, welches mal zum Campen gedacht war, aber egal. Es flötet, das Rotkehlchen, es legt den Kopf schief. Kleine Vögel gucken ja überhaupt oft so, als würde man ihnen irgendwie leid tun, das kommt durch diesen schiefgelegten Kopf. So legen doch alle Mütter dieser Welt den Kopf schief, wenn der Nachwuchs sich die Knie aufgeschrammt hat und heulend ankommt, mit diesem gewissen mitleidig-skeptischen Lächeln, ach Gott, der arme Hase, aber wird schon so schlimm nicht sein, soll ich mal pusten, dieser Blick also, den kennt man. So wurden wir alle einmal angesehen, lange ist es her, und heute gucken wir vielleicht selbst die Kinder so an, ob wir nun Mütter oder Väter sind, denn die Väter gucken heute ganz anders als früher und pusten auch viel besser, aber ich schweife ab.

Die Brust des Vogels leuchtet ebenso artgemäß wie beeindruckend rot, die Sonne scheint da auch gerade äußerst wohlwollend hin, Beleuchtungseffekt im Theater nichts dagegen. Der Hintergrund des Vogels ist blattgrün, knallgrün, maigrün. Und für den Bruchteil einer Sekunde sitzt das Rotkehlchen exakt so, wie ein gemaltes Rotkehlchen in einem meiner Bilderbücher gesessen hat, als ich Kind war und noch ziemlich klein. Die Haltung, der Zweig, die Farben, die Richtung des Blickes, die Neigung des Kopfes, alles. Damals hatten wir Kinder nicht Unmengen Bücher, daher habe ich die Bücher, die wir hatten, wirklich oft betrachtet. So oft, wie ich vermutlich nie wieder andere Bücher im späteren Leben betrachtet habe. Lange und gründlich, immer wieder, bis mir beim besten Willen unmöglich noch irgendein Detail entgangen sein konnte.

Das Rotkehlchen sitzt da also exakt wie auf dem Bild und ganz kurz, nur einen Wimpernschlag lang, sehe ich nicht das Rotkehlchen, ich sehe das Buch von damals, aber ich sehe es jetzt, es ist da. Das Buch, von dem ich weder weiß, wie es hieß, noch wer es gezeichnet und geschrieben hat, ich sehe auch nur die eine Seite und habe keine Ahnung von der umgebenden Geschichte. Vielleicht war es ja die wichtigste Seite, das kann sein. Diese Buchseite sehe ich ganz genau und, was für mich noch umwerfender ist, ich weiß urplötzlich wieder, wie es sich anfühlt, nur ein laufender Meter zu sein, dieses Körpergefühl weht mich so überzeugend an wie eine wirklich abgefahrene Drogenhalluzination, und billiger Stoff war das nicht. Aber es kommt noch absurder und ist leider etwas schwer zu erklären, während ich nämlich das Buchseitenrotkehlchen da vor mir sehe, wie es den Kopf schieflegt und immer weiter guckt, weiß ich auf einmal auch um all die anderen Bücher, die ich in derselben Zeit immer wieder gelesen habe, ganz so, als könnte ich in den Stapel greifen, in dem sie lagen, ich müsste mich nur eben danach umdrehen.

Weder sehe ich die Illustrationen noch höre ich die Texte dieser Bücher, aber ich weiß doch um die Bilder und die Geschichten. Nein, es ist kein Wissen, es ist ein Gefühl, und zwar ein ganz sicheres Gefühl, für diesen kleinen Buchbestand. So, wie ich heute um die Bücher im Wohnzimmer oder auf dem Nachttisch weiß. Zwei, drei Namen von Hauptfiguren klickern durch mein Hirn, es würden wohl auch noch mehr kommen, zumindest fühlt es sich so an, aber dann ist der Vogel auch schon wieder weiter. So groß ist sein Interesse an Krümeln nicht, ich meine hallo, bin ick n Spatz oder wat. Vielleicht muss er noch andere Nachbarn begrüßen, wer weiß schon, was hinter der Hecke ist. Menschen wissen das meistens nicht, Rotkehlchen wissen das natürlich immer, vielleicht gucken sie auch deswegen oft so skeptisch.

Das Buchregal verschwindet jedenfalls sofort wieder, das Wissen um die Geschichten und Bilder auch, das seltsame Körpergefühl ist wieder viele, viele Jahre und Jahrzehnte entfernt. Die Zeichnungen und die Texte, sie sind alle wieder weg und es dauerte keinen einzigen Atemzug lang, dass ich sie gesehen habe, es dauerte nicht einmal einen halben, es dauerte so lange wie ein sirrender Rotkehlchenflügelschlag, wenn es davonflattert und weiter muss, ab durch die Hecke. Es war wie ein Loch in der Zeit, ich habe durch den Vogel hindurch deutlich über vierzig Jahre zurückgeguckt. Ein merkwürdiges Gefühl, etwas weh und doch auch schön.

Die Bilder und die Geschichten, sie sind alle wieder weg. Aber ich weiß jetzt immerhin, sie sind alle da. Irgendwo da drinnen.

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Sie können hier Geld für weitere Heckenpflanzen einwerfen. Aber sie müssen gar nix. Eh klar.

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Ich habe Pflanzen getragen

Ich danke sehr für die ersten Paypal-Zuwendungen, das war ein wirklich beeindruckender Anfang und ich glaube, das wird lustig. Am Ende schule ich noch auf Trinkgeldblogger um und mache überhaupt nix anderes mehr, auf die Visitenkarten freue ich mich jetzt schon, echtjetztmal. Eine der Spenderinnen, es handelt sich um eine große, vorbildhafte Bloggerin aus Berlin, möchte ausdrücklich eine Pflanze persönlich zugewiesen bekommen, das sind doch mal schöne Herausforderungen. Da werde ich auf dem nächsten Markt mit Gemüsejungpflanzen lange grübeln müssen, was ich da nehme. Herrlich.

Wobei das natürlich kompliziert ist, denn vielleicht sehe ich da prächtigen Rosenkohl, nehme den mit, grabe den ein, mache ein schickes Foto, blogge ganz stolz – und dann mag sie gar keinen Rosenkohl. Den mögen ja viele nicht, nein, den mögen sogar die meisten nicht. Sagen wir gleich: Nur ich mag den. Oder ich nehme Blumenkohl und den hält sie aber dann für langweilig, denn der hat ja ein eher betuliches Image unter den Gemüsen. Und betulich ist die Dame nun wirklich nicht. Andererseits darf man aber nicht zu lieblich werden, das wird dann auch wieder falsch verstanden, Blumen sind allgemein ganz schwer, die Jungfer im Grünen etwa ist heikel, nur als Beispiel. Darüber muss ich ich noch etwas nachdenken, aber was einem auch einfällt – es bleiben Risiken. “Wieso denkst du bei Süßkartoffeln an mich?”

Das Geld hat aber – ist es denn zu glauben! – bereits für vier Zwergobstbäume gereicht, noch einmal vielen Dank, ich kriege mich gar nicht mehr ein. Hanseaten-Ekstase! Prost! Es gibt jetzt also Blogbäume im Garten, Fotos folgen. An den Bäumchen kam ich beim Discounter vorbei. Nicht die beste Quelle für Bioqualität, ich weiß, aber der Laden lag auf meinem Weg und ich bin in diesem Jahr beim Thema Pflanzenkauf etwas unbeherrscht und da hing so eine Werbung, pardon. Ich kaufte also einen Braeburn, eine Süßkirsche Regina, eine Reineclaude, noch irgendeine andere Kirsche. Kordia, genau, es war eine Kordia. Stark!

Wobei es wieder äußerst merkwürdig war, mit diesen Bäumen durch die Stadtmitte zu gehen. Ist Ihnen mal aufgefallen, dass Nutzpflanzen außerhalb ihres normalen Kontextes erstaunlich verstörend auf andere Menschen wirken können? Ich trug da also Bäume. Es sind ziemlich kleine und nicht sehr schwere Bäume, aber es sind doch Bäume, man erkennt das. Ich bin auf dem kurzen Weg vom Discounter nach Hause viermal (!) von wildfremden Leuten angesprochen worden, das schafft man in Hamburg eigentlich nur, wenn man einen oberniedlichen Hundewelpen dabei hat. Viermal also, und zwar viermal freundlich, das ist hier wie ein Sechser im Lotto, nur in sozial. Freundlich, aber auch erstaunt, verwundert, irritiert. “Was tragen Sie denn da?” “Was wollen Sie denn damit?” “Wo haben Sie die denn her?” ”Und die kann man jetzt einfach so eingraben oder was?”

Das erinnerte mich wiederum daran, wie ich einmal auf einem Wochenmarkt in Hammerbrook eine Knolle Sellerie gekauft habe, eine ziemlich große. Ich habe sie dann in der Hand ins Büro getragen, weil ich nicht schon wieder eine Plastiktüte haben wollte. Ich trug sie also vor mir her wie damals Hamlet den Schädel, nur ohne ähnlich tiefsinnige Gedanken, versteht sich – und die Reaktionen im Großraumbüro waren sketchreif. Als hätte man kollektiv noch nie einen Sellerie gesehen, als wäre ein Sellerie superexotisch und auch irgendwie höchst unangebracht, als wäre ich jetzt völlig durchgedreht, geht der da doch glatt mit einem Sellerie durch, haste gesehen. Alter! Echt jetzt mal, der hat einen Sellerie getragen. Einfach so. Einen SELLERIE. Der Spinner.

Dann habe ich den Sellerie in meinen Rucksack getan, nach Hause gebracht, in die Küche gelegt – und er hat sich neben dem anderen Gemüse sofort von der bizarren Requisite eines strombergmäßigen Bürosketches zurück in eine höchst gewöhnliche Suppenzutat verwandelt. Es war magisch.

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“Ich habe jetzt eine datenschutzerklärung, die ich selbst nicht verstehe aber nach bestem wissen und gewissen irgendwie erstellt habe. ob das reicht – ich habe keine ahnung.” Der Satz beschreibt wohl die Lage bei vielen. Auch in meinem Feedreader werden also in Kürze ein paar Blogs fehlen oder nicht mehr kommentierbar sein, denn es geben jetzt Menschen tatsächlich auf, weil sie – was ich verstehen kann – nicht genug Zeit haben, sich so zu informieren und dann auch so zu handeln, dass sie sich sicher fühlen. Schlimm.

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Das Thema Plastik findet heute bei Sven statt. Folgen Sie mal dem Hashtag “passonplastic” auf Twitter, da staunt man! Dicke Empfehlung.

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Was diese schwarze Seife betrifft, die geht leider gar nicht, was aber nur ein höchst subjektives Geschmacksurteil ist. Wie die Herzdame sagte: “Die riecht nach alter Mann.” Wie gesagt, das ist höchst subjektiv und sollte niemanden davon abhalten, das Produkt zu testen, Geschmäcker sind verschieden. Vielleicht riecht es für Sie ganz anders, ganz toll oder ganz verführerisch. Oder nach alter Frau, was weiß ich. Ich finde es jedenfalls schade, denn das las sich alles sehr gut, dass mit den Produktionsbedingungen, den Inhaltsstoffen usw.

Ich bin aber jetzt darauf hingewiesen worden, dass es auch hier im Stadtteil einen Seifenladen gibt, dann gehe ich doch einfach da mal hin.

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Und hier, auch mal Blogs von sehr jungen Menschen lesen, Liva schreibt weiter aus Mexiko.

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Muss ich mal probieren: Radieschengrün Gremolata.

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Über Nestlé, Danone und die Babynahrung. Es ist einigermaßen widerlich.

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Und apropos widerlich,es gab etwas Wirbel um meinen hochgeschätzten Blogsponsor und das Konto einer rechtslastigen Stiftung. Hier das Ende der Geschichte.

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Sie können dieses Blog und seinen pflanzentragenden Betreiber unterstützen und hier Geld in den Hut werfen. Sie müssen aber gar nix. Logisch.

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Berichtslücken, Kompetenzlücken, Finanzierungslücken. Ein vergnügter Mängelbericht.

Vera Jourová zur DSGVO und zur Frage, ob sie eine Klagewelle auslösen wird: “Glücklicherweise sind die meisten Personen normal – sie haben andere Hobbys, als ihre Mitmenschen zu verklagen.” Woraufhin leider nicht nachgefragt wird, wie das denn dann mit den nicht ganz normalen Mitmenschen geregelt wird, dies es ja zweifellos gibt und die ebenso zweifellos Schaden anrichten wollen.

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Heute bei einer Arztpraxis anrufen, da lief eine automatische Ansage: “Wenn Sie gesetzlich versichert sind, drücken Sie bitte die 1.” Das habe ich bisher auch noch nicht erlebt. Und ich hätte fast noch einmal angerufen, um nochmal ganz genau hinzuhören, ob vor dem “gesetzlich” wirklich kein “nur” erwähnt wurde.

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Schwarze Seife gekauft, die probiere ich jetzt aus. Wobei man bei Seifen wohl generell (auch bei dieser?) mit Essigwasser nachspülen soll, wenn man sie als Shampoo benutzt, die Fachwelt spricht da von einer “sauren Rinse” und, mein lieber Schwan, klingt das wohl schrecklich? Gleich kommt die Mama mit der sauren Rinse! Und dann die Tränen. Ich weiß nicht, ob ich eine saure Rinse erleben möchte, das klingt doch wirklich schauderhaft. Und kann man überhaupt gut gelaunt in den Tag starten, wenn man schon eine saure Rinse hinter sich hat und leicht nach Essig riecht? Ich weiß ja nicht, ich versuche es lieber erst einmal ohne. So ein Stück schwarze Seife kostet 6 Euro irgendwas. Im Bioladen. Keine Werbekooperation, nix. Nur Neugier und Plastikaversion.

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Wieder einmal gedacht, dass mir hier so etwas wie Flattr fehlt. Das war eine zeitlang doch ein sehr netter Dienst und es hat mir Spaß gemacht, das dort in den Hut geworfene Geld in Familienausflüge und damit in neuen Content umzusetzen, ich fand diesen Straßenmusikaspekt beim Schreiben immer großartig. Leider hat sich kein Nachfolger richtig durchgesetzt und andere Micropayments sind ein eher undurchsichtiges Thema, sind sie nicht? Tipeee hat technisch leider nicht recht geklappt (aber danke für die Überweisungen! Ich kriege da immer noch ein bedingungsloses Trinkgeld, das ist ganz großartig, ich danke überhaupt auch für den Begriff bedingungsloses Trinkgeld, der ist sehr, sehr schön). Patreon? Paypalspenden? Ich weiß nicht recht, da muss man sich wieder überall erst hineindenken. Aber ich probiere demnächst mal herum. Ich könnte so in den Hut geworfenes Geld jetzt in Pflanzen investieren und diese auf der Parzelle einbuddeln, quasi solidarische Gartenwirtschaft, und dann natürlich darüber schreiben. “Die Levkojen der Leserinnen”, “Die Kresse der Kommentatoren”, “Die Funkien der Follower”, so in der Art? Na, mal sehen.

Wobei – große, vorbildhafte Bloggerinnen machen das ja schon, sehe ich, etwa hier, ganz unten in den letzten Zeilen. Dann mache ich das doch einfach mal nach und gucke, was passiert, dann ist das ja schon ein Trend, ein hipper. Wenn ich mich nicht allzu blöd anstelle, dann ist da also gleich so ein Link unterm Artikel.

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Über Pfingsten ist hier wieder mit desaströsen Berichtslücken zu rechnen, denn das Wetter soll über weite Strecken trocken sein, ich muss und will also in den Garten. Den Graben für das Stromkabel buddeln, einen Kühlschrank kaufen und ins Häuschen schleppen, mehr Rasen säen, noch mehr Tomaten pflanzen, die Laube streichen, einen Zaun bauen. Und jetzt alle: Nanu, seit wann kann der Herr Buddenbohm denn Zäune bauen? Er kann es nicht, er macht es trotzdem, das ist ja der Witz beim Schrebergärtnern.

Seit vielen Jahren schließe ich nach und nach drastische Kompetenzlücken, darüber habe ich eigentlich recht wenig geschrieben, merke ich gerade, nanu! Das resultiert sogar noch aus meiner astrologischen Phase, aber keine Angst, das kann man ganz ohne Esoterik angehen. Denn es hat sich für mich als interessant und weiterführend erwiesen, die Bereiche anzugehen, in denen ich gar nichts kann oder konnte, diese Pfui-Themen im Leben, die jede und jeder hat. Deswegen habe ich auch als dramatischer Matheversager einen Job als Controller, damit fing es sozusagen an, deswegen habe ich recht spät auch noch einmal neu das Autofahren erlernt, das ich vorher lange verweigert habe, deswegen habe ich mir jahrelang langsam selbst das Kochen beigebracht, deswegen habe ich auch schon mal programmiert und Kraftsport gemacht (Muskelmax! Jaha!), lauter solche Sachen. Ganz ohne Eile und Gedränge, fast wie nebenbei, immer nur ein Thema zur Zeit im Fokus.

Und, immer noch ohne Esoterik an Bord, das waren jedesmal hochinteressante Erfahrungen, das kann man sich auch küchenpsychologisch betrachtet leicht vorstellen. Ein paar Themen habe ich dabei und vor allem danach völlig neu bewertet und mag sie jetzt, etwa das Kochen. Ein paar kann ich jetzt einfach nur, mag sie aber nach wie vor nicht, etwa das Autofahren, das ist für mich verzichtbar. Aber es war doch befreiend, vom Nichtkönnen zum Nichtwollen überzugehen. Ein paar der so gewonnenen Themen würde ich gerne auch langsam wieder loswerden, aber hey, mein Arbeitgeber liest mit. Es ist kompliziert.

Und nun also Garten und Handwerk, irgendwas ist eben immer dran. In ein paar Jahren stelle ich mich der vermutlich fürchterlichsten aller Herausforderungen, Ruhe und Meditation. Aber erst einmal baue ich etwas, diese Kompetenzlücke ist nämlich auch größerer Art. Ich verlasse mich da jetzt aber einfach auf eine unvorstellbar lange Liste handwerklich tätiger Vorfahren, auf all die Generationen von Bauern, Glasern, Klempnern, Schlossern, Tischlern, Zimmerleuten, Böttchern, Stellmachern, Arbeitern, Tagelöhnern, ich stelle mich da also wild entschlossen mit dem Hammer und der Säge und den Nägeln vor das Holz und denke, dass ich doch zweifelsfrei die Gene all derer mir habe, die im Stammbaum vor mir mit den Händen erfolgreich gearbeitet haben und die sicher alles konnten, was man mit diesen gängigen Werkzeugen so anstellt; auch mein Vater trägt den Meistertitel, mein Großvater trug ihn, mein Urgroßvater etc. – und dann singe ich leise und entschlossen: “Ich hab Millionen Legionen hinter mir.” Denn etwas Pathos hilft bei großen Aufgaben, das weiß man.

Ich meine, der Zaun wird immerhin ungefähr sechs Meter lang.

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Und hier kann man nun also, wenn es denn funktioniert, via Paypal Geld einwerfen, Geld für Pflanzen, über die ich dann in epischer Breite berichten werde, Geld für den Buddelbohm. Man muss aber nicht. Logisch. 

Ein paar Links am Morgen

Bei der GLS Bank habe ich etwas zur Verkehrswende geschrieben. Mit Ninjas!

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Hier mal eine andere Meinung zur DSGVO. Von dem Minister mit der vermutlich besten Jobbezeichnung, nämlich “für Digitales und Draußen”, in Schleswig-Holstein. Interessanter Text von der anderen Seite, auch wenn mich die Erwähnung des Begriffs “kleine Blogger” immer mehr auf die Palme bringt. Was für ein Unsinn! Wie auch die Vorstellung, dass die lieben Behörden eher „Beratung statt Bestrafung“ machen, vielleicht ein klein wenig niedlich ist. 

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Plastiktüten für 480 Euro. Wir hams ja. Wir haben aber vor allem nicht mehr alle Latten am Zaun.

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Hamburg verkauft Kleingartengelände. Schlimm. Da gab es gerade Unwetter vor ein paar Tagen, bei denen Regenmassen ein paar beeindruckende Schäden in Hamburg angerichtet haben, und die haben ganz eventuell auch ein klein wenig mit Flächenversiegelung zu tun, haben sie nicht? Siehe auch Oberbillwerder.

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Wegen dieser Haarseifensache wurde ich übrigens auf Schwarze Seife hingewiesen. Die gibt es auch bei Manufactum (nein, keine Werbekooperation), da wird sie auch lang und breit erklärt. Und es gibt sie sogar hier im Bioladen mit ohne Plastik, nachher mal kaufen. “Ein klarer, erdender Geruch.” Na, wenn das nicht zu mir passt! Sagen Sie jetzt nichts.

Ein paar Links am Abend

Rolando denkt nun ebenfalls über seine Einkäufe nach, und da fällt sogar etwas Matheweiterbildung für uns alle ab. Toll! Apropos Einkaufen, diese Haarseife aus dem Bioladen habe ich dann doch nicht gekauft, die war nämlich bei näherer Betrachtung in Plastik verpackt. So ja nun nicht!

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Plastic debris found in the deepest part of the ocean.

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Patricia über das Nichtstun.

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Ein schönes Vorher-Nachher-Ding mit einem Garten.

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Und gartenbedingt frage ich mich neuerdings bei solchen Blogeinträgen wie dem hier, warum dort im letzten Absatz genau diese Pflanzen genannt werden. Sind die der Schreibenden so berichtet worden oder sind sie einfach assoziativ einladend, wenn man an Bauerngärten denkt? Ist es das Gartenbild in unseren Köpfen und gehört die Hagebutte dazu? Woran denkt man, wenn man Garten denkt? Ich denke bei Garten ja zuerst an Bohnen. Wo ein Bohnengestell ist, da ist ein Garten. Das kommt, weil ein Großonkel von mir in meiner Kindheit einen Garten bewirtschaftete, und die aus meiner Kindersicht riesengroßen Bohnengestelle, die weiß ich eben noch. Daneben die Erdbeeren, den Rest weiß ich nicht mehr. Bohnen und Erdbeeren. Auch eine komische Mischung. Habe ich jetzt aber auch so im Garten. Logisch.

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Was noch? Ein Video. Es ist zum Heulen. (Sohn I: “Das Video ist cool, gibt es noch mehr von denen?”)