Beifang vom 19.02.2017

Patricia Cammarata über Computerspiele und das ewige Streitthema Medienzeit. Die großzügige Ausdehnung der Medienzeit scheitert bei uns übrigens nicht an pädagogischen Idealvorstellungen der antiquierten Art, die scheitert schlicht an der überhaupt zur Verfügung stehenden Freizeit der Ganztagsschulkinder. Da passt eben gar nicht mal so viel hinein. Von rein gar nichts.

“Wir hätten mehr Sex gewollt” – schreibt Isa über einen Abend mit mir. Wobei, zugegeben, die Überschrift auch von mir kommt. Es ist eine sehr gute Überschrift, alle sagen das (egal, was aus Trump wird, sprachlich wird er uns auf jeden Fall noch viele Jahre verfolgen). Man beachte in dem Text drüben bitte auch den letzten Satz, Isa und ich sprachen da am Abend noch drüber – wir haben beide so eine Art Grunddankbarkeit, wenn sich Menschen auf einer Bühne für uns abmühen.

Und, apropos Isa, mit der gehe ich wohl auch in diese Ausstellung, deren Konzept großartig klingt.

Ein Artikel, der auf den ersten Blick rein gar nichts mir mir zu tun hat, es geht um Gartenhäuschen für Frauen, um She-Sheds. Ich habe kein Gartenhäuschen und ich bin keine Frau. Aber man hat ja Blogs auch abonniert, um auch einmal auf andere Gedanken zu kommen, und ich nehme das übrigens ernst. Weswegen ich mich nach dem Lesen also fragte – wie würde denn eigentlich ein Max-Shed aussehen? Da habe ich nun schon länger drüber nachgedacht und ich habe noch keine Antwort, was auch faszinierend ist. Ich wüsste auf Anhieb also gar nicht, was ich da gerne hätte, in einem ganz privaten Reich, das ich in dieser Wohnung nicht habe, und zwar überhaupt nicht. Vermutlich wäre es gut, wenn dieses Reich ziemlich leer wäre, vermutlich hätte ich gerne eine mechanische Schreibmaschine darin, weil ich die Dinger nun einmal mag, vermutlich wären da viele Bücher. Aber sonst? Ein Kamin, ein Ofen, so etwas. Ich denke weiter nach. Interessante Aufgabe.

Und nun noch ein Lied zur guten Nacht. Bill Fay, kennt vermutlich kein Mensch. Was schade ist. Wenn man aber eventuell leicht angetrunken und leicht melancholisch ist – lieber nicht bei ihm weiterhören, schon gar nicht “The healing day.” Wirklich nicht.

Ralf Schlatter: Sagte Liesegang

Ich stelle zum wiederholten Male fest, dass ich meinen Timelines großartige Literaturhinweise entnehmen kann. Wer auch immer mir das Buch wann und wo empfohlen hat, ich weiß es natürlich wieder längst nicht mehr, das war ein wirklich guter und sinnvoller Hinweis. Ich hätte es vermutlich nicht gelesen, wenn ich irgendwo, in einer Werbung etwa, nur den Anriss der Geschichte gelesen hätte, ein Mann kommt in den Himmel und darf dann solange noch einmal auf die Erde zurück, wie er oben einem Engel sein Leben in epischer Breite erzählt, das klingt doch – na ja. Bestenfalls. Und dann dieser Titel, bei dem man immer unwillkürlich an “Erklärt Pereira” denkt, denkt man nicht? Und an Gantenbein vielleicht auch, letzteres ist dann aber schon eher eine seltsame assoziative Verknüpfung und jetzt gerade beim Schreiben fällt mir erst auf, dass Gantenbein auch aus der Schweiz kommt, da war mein Unterbewusstsein wieder schlauer und schneller als ich, das Luder.

Das ist dann aber schon nach wenigen Seiten eine sehr feine Vater-Sohn-Geschichte, eine bittere und ganz beiläufig erzählte Familiengeschichte, eine irre Liebesgeschichte, eine geradezu mystische Fledermausgeschichte und noch einiges mehr. Es ist auf eine schwer zu beschreibende Art auch sehr viel Schweiz im Buch, womit ich nicht die ausdrückliche Schweiz meine, in der das Buch nun einmal spielt, sondern die geistige Schweiz zwischen den Zeilen. Ich fragte mich zwischendurch, was denn das Schweizerische in der Literatur eigentlich ist, wenn es das überhaupt gibt, eine Frage, die ich bei Capus auch schon hatte. Ein ganzes Leben in einer eher kleinen Welt – und man merkt den Bedarf an mehr Welt nicht, vielleicht ist es genau das. Da fehlt nichts, da erwartet man nicht mehr. Vielleicht hat Beständigkeit in der Schweiz einen ganz anderen Klang und Wert als bei uns, das wäre ja historisch auch nicht ganz unlogisch. Dass etwas reicht oder reichen kann, genau das ist vielleicht ziemlich Schweiz. Der Umkehrschluss würde dann vielleicht etwas über die Literatur aus Deutschland aussagen, das ist nach ein paar Minuten Nachdenkens gar nicht so irreführend. Jetzt müsste nur noch bitte jemand ergänzen, wo und wie da denn Österreich bleibt.

Es geht im Buch tatsächlich auch um die Frage, ob und wann eigentlich ein Leben reicht, die Antwort kann ich hier nicht vorwegnehmen. Es geht daneben um Geologen und Seismologen und Erdplatten und Höhlen. Ich bin ja immer erfreut, wenn Hauptfiguren echte Berufe haben. Und was Schlatter da bildlich wunderbar durchdacht auffährt, das führt wiederum zur Frage, ob nicht am Ende jeder Beruf, wirklich jeder, aus sich und seiner Fachsprache und seinen darin enthaltenen Metaphern und Bildern heraus zu geeigneten Romanen oder Geschichten führen müsste, noch bevor man überhaupt irgendeine Handlungsidee oder eine Hauptfigur hat? Das habe ich so pauschal noch gar nicht betrachtet, dabei arbeite ich doch als Controller. Nanu.  

Jedenfalls ein lesenswertes Buch, ich habe es mit Genuss gelesen, war angenehm überrascht und habe viel nachgedacht. Hier noch eine Rezension in der NZZ.

 

Beifang vom 17.02.2017

Die Antworten von Hannes Wader in diesem Interview gemocht.

Hier geht es um Halldór Laxness und Isa empfiehlt ein Buch von Susann Pásztor, das klingt auch so, als würde man das lesen wollen.

Das fand ich interessant und bedenkenswert – warum Papier-Journalismus besser ist. Was mir übrigens Online-Journalismus tatsächlich verleidet, das sind diese furchtbaren Pop-Up-Banner auf News-Seiten, die mich bereits zehn Sekunden nach Aufruf der Seite anflehen, sofort noch einmal zu laden, denn es gibt doch schon wieder noch neuere Neuigkeiten, wichtige, dringende, bunte, klick mich, Du willst es doch auch, Du könntest was verpassen, los, klick, mach es einfach und wir legen noch einen ganzen Räucheraal obendrauf, da fühlt man sich nämlich als User wie auf dem Hamburger Fischmarkt, über den man sonntagmorgens verkatert zieht und alle paar Meter von seltsam wachen Marktschreiern angebrüllt wird. Da sitze ich dann vor diesen Aufrufen und denke mir: Von wegen. Ohne mich. Da kriege ich viel eher Lust auf ein Buch, möglichst eines aus einem vergangenen Jahrhundert sogar, denn ich bin ja noch nicht einmal mit den Informationen aus der Gründerzeit fertig, da wird irgendeine dämliche Panorama-Meldung von heute wohl noch ein paar Stunden auf mich warten können, echtjetztmal. Und obwohl es vollkommen albern ist, auf Pop-Ups emotional zu reagieren, finde ich diese Kober-Dinger auf News-Seiten tatsächlich geradezu beleidigend. Beleidigend dämlich. Dicht gefolgt von ungefragt startenden Videos, auch so ein Grund, fluchtartig weiterzuklicken oder gar das Medium zu wechseln, hin zu ruhiger Schrift, die nicht blinkt und nicht animiert wird, ohne Soundtrack daherkommt und einfach nur da ist. Selbststartende Videos gehören verboten, wer selbststartende Video in Umlauf bringt … ach, egal.

Im Blog der GLS Bank habe ich vier Links zum Thema Autoverkehr, wobei ich mich beim ersten Link gewundert habe, dass man da nicht schon längst drauf gekommen ist und beim dritten Link, wie wenig ich von Technikgeschichte weiß. Schlimm.

Und nun noch ein Lied zur guten Nacht und zum Wochenende. Ein Stück wie kaltes, klares Wasser. Dida Pelled, kann man sich auch mehr von anhören, lohnt sich.

Was schön war

Ich bin oft in der Hamburger Zentralbücherei, meistens aber nur in der riesigen Kinderabteilung im Erdgeschoss. Neulich war ich auch einmal in den oberen Etagen, weil Sohn II einen Regalmeter Hundertwasser zu Studienzwecken benötigte, er malt gerade kleinteilig. So etwas macht man als bildungsbürgerlich sein wollender Vater natürlich gerne. Ich gehe also durch die oberen Stockwerke, ich suche die Kunstabteilung. Die Zeiten, in denen ich mich in der Zentralbücherei wirklich gut auskannte, sie sind lange vorbei, das war damals im Studium, da habe ich da auch kurz gearbeitet. Ich bin etwas überrascht, wie voll das Haus ist, das merkt man gar nicht, wenn man immer nur unten durchgeht. Überall sitzen Menschen vor Notebooks, Büchern, Magazinen, Zeitungen, Noten, Tablets, Smartphones. Oder vor anderen Menschen. Da werden Vokabelkärtchen geschrieben und abgefragt, da werden Präsentationen zusammengeklickt, Lerngespräche geführt, da wird Deutsch gelernt. Und zwei unterhalten sich im Treppenhaus unangemessen laut über irgendwelche Drachen aus einer Fantasy-Reihe, völlig absurdes Fachwissen. Sie werden immer noch lauter, denn beide wissen besser, sie stehen mit erhobenen Zeigefingern voreinander und erklären sich irgendwelche Mischwesen. “Doch” , sagt der eine gerade, “dohoch! Kannste ja nachlesen! Unten Menschenkörper!”

In der Kunstabteilung steht ein älterer Herr am Regal vor Hundertwasser, grauer Pullunder, dürre Gestalt, silbergefasste Brille, eisgraue Haare, er hat so eine Ausstrahlung, die mich an einen meiner Lateinlehrer erinnert. Das ist genau der Typ, der mich gleich nach der ACI-Konstruktion in diesem Satz im Lehrbuch fragen wird. Und er wird mich dann durchdringend über die Brille hinweg ansehen, immer weiter ansehen und dann irgendwann den Kopf bedauernd schütteln und den nächsten aufrufen. Ich gehe schnell weiter und gucke erst einmal bei Klimt, der malte auch so kleinteilig, das passt schon. Ich weiß das mit dem ACI eh nicht mehr, wenn ich es überhaupt je gewusst habe, so sicher bin ich mir da nicht, meine Lateinnoten waren nie überragend. Ich mochte immer nur die Vokabeln, aber die Grammatik, meine Güte. Ich treffe dauernd solche Typen, dünne, graue und ältere Herren mit Brille, und immer denke ich: “Oh verdammt, die ACI-Konstruktion”, so wirkt Schule nach. Vielleicht sollte ich sie einfach mal lernen, diese Konstruktion, so schwer kann das doch nicht sein, mit dreißig Jahren Abstand. In der Wikipedia sieht das übrigens gar nicht so schwer aus, sehe ich gerade. Manchmal möchte man sein jüngeres Ich am liebsten kurz beiseite nehmen und fragen: “Mensch, was hast du denn?”

Eine Dame mit Perlenkette und dunkelblauem Kostüm fragt eine Bibliothekarin, ob das gewaltig dicke Buch in ihrer Hand denn auch wirklich DAS Buch über die Geschichte der Porträtmalerei sei. Die Bibliothekarin sagt leise: “Ja, das ist DAS Buch.”

An einem Tisch sitzt ein Mann, bei dem ich zweimal hinsehe. Auf den ersten Blick einer der Obdachlosen vom Hauptbahnhofsvorplatz, auf den zweiten Blick dann vielleicht doch nicht, er hat diese Art der Verwahrlosung, bei der man nicht recht weiß, ob sie auf Genie und Kreativität oder auf Alkoholismus und Nächte auf der Straße hinweist. Wirres und ziemlich langes Haar, struppiger Bart, ein Mantel, der schon bessere Jahre erlebt hat. Aber er ist doch noch halbwegs in Ordnung, der Mantel. Da sind einfach ein paar Flecken mehr drauf, als man sich selbst auf seiner Kleidung durchgehen lassen würde, aber das muss ja nichts beweisen. Harry Rowohlt konnte so aussehen, so auf der Grenze zwischen den Zuständen, vielleicht nur etwas seltsam und exzentrisch, vielleicht schon im Problembereich. Vielleicht ein Professor, ein Philosoph, ein Künstler, schlauer als wir alle. Vielleicht aber auch gleich auf dem Weg zum Kiosk, mehr billigen Schnaps kaufen. Man weiß es nicht.

Vor ihm jedenfalls ein Bücherstapel, ich kann nicht erkennen, zu welchem Thema. Voluminöse Bücher, Nachschlagewerke oder so etwas. Auf den Büchern, an den Büchern, zwischen den Büchern, auf dem Tisch: gelbe Haftnotizen. Nicht nur ein paar Zettel, das ist eher schon eine Zettelarmee, die da den Tisch eingenommen hat. Alle sind sie randvoll mit Kuli beschrieben. Der Mann produziert gerade noch weitere von diesen Zetteln, den Kopf in die linke Hand gestützt, mit der rechten immer weiter schreibend. Dann klebt er den Zettel auf eine Seite, klappt das Buch zu, nimmt das nächste Buch und den nächsten Zettel. Hinten am Tisch fallen beim Verschieben der Bücher Zettel zu Boden, da liegen auch schon einige. Beschriebene Zettel sind das da auf dem Boden, die sich leicht bewegen, wenn jemand vorbeigeht. Vielleicht sammelt er sie später wieder ein, vielleicht sind sie abgearbeitet und egal. Vielleicht sind auch alle Zettel sofort egal, nachdem er sie beschrieben hat. Vielleicht steht überhaupt nur Unsinn drauf. Vielleicht sind es die Grundlagen seiner späten Doktorarbeit, vielleicht sind es Überlegungen zur Weltformel, zu Keynes, zu Epikur, zu Gott weiß was, genau, zu Gott womöglich auch, warum denn nicht, er sitzt da ja wie Hieronymus im Gehäus. Der Blick des Mannes kann als alttestamentarisch durchgehen, was auch immer er da macht, es ist definitiv eine ernste Angelegenheit. Und ich finde es schön, dass man das nicht deuten kann, was da vorgeht, das Bild bleibt unklar. Da sitzt eben einer und arbeitet. Irgendwie. Er ist zerstreut, irre oder nur ein wenig seltsam und ungepflegt, egal.

Der Mann greift jetzt wieder über den Tisch nach einem neuen Buch, mehrere Zettel werden dabei vom Ärmel des Mantels weggefegt und segeln zu Boden, es interessiert ihn nicht, er sieht nicht einmal hin. Er schlägt das Buch auf, blättert und schreibt schon den nächsten Zettel voll, murmelt lautlos und erklärt sich dabei womöglich irgendwas, die Lyrik der Romantik, die Liebe bei Shakespeare oder die Ausdehnung des Universums vielleicht. Oder die ACI-Konstruktion im Lateinischen. Ich bin ja sicher auch nicht der einzige Mensch mit Folgeschäden.

 

Bücher mit Liebe

Die Söhne haben oft Besuch, meistens von anderen Jungs. Wenn ich von Kindern rede, bezieht sich meine Erfahrung also auf eine Bande von etwa Sieben – bis Zehnjährigen, denn ich rechne die dann natürlich genauso hoch, wie es alle tun. Das sind für mich eben “die Kinder von heute”. Nur wenige dieser Kinder lesen rasend gerne. Sie lesen alle regelmäßig, das schon, aber meist mit überschaubarem Enthusiasmus. Ein wichtiges Thema in Schulhofgesprächen sind Bücher auch nicht gerade und nur Gregs Tagebücher von Jeff Kinney waren bisher ein klarer und allgemeiner Fall von “das muss man wirklich gelesen haben” – wozu man dem Autor unbedingt gratulieren muss, das ist eine Leistung. Da gab es dann auch etwas Wettbewerb, wer wohl wann zuerst die zehn oder elf Bände schafft. 

Ich frage ab und zu, was die Kinder interessiert, welche Bücher ihnen Spaß machen könnten, welche Themen gerade laufen, Agenten oder Zauberer, Mittelalter oder Zukunft, Sachbücher oder Geschichten, ich finde das spannend und helfe gerne bei der Suche. Weil ich mich als Buchmensch eben doch freue, wenn sie lesen, eh klar. Beim letzten Gespräch dieser Art gab es dann die Frage, auf die ich spontan keine Antwort wusste: “Gibt es denn auch irgendwas mit Liebe?” Also für diese Altersgruppe. In Romanen oder Geschichten. Und nach Möglichkeit natürlich für Jungs oder auch gerne für Jungs und Mädchen, nicht aber ausdrücklich für Mädchen.

Ich habe dann auf Facebook herumgefragt, und da andere Eltern vielleicht mit ähnlichen Fragen konfrontiert werden, liste ich hier einmal die Antworten, die da kamen. Vielleicht braucht sie gerade jemand, vielleicht kann jemand auch noch etwas anlegen, nur zu. Ich schreibe nicht dazu, wer was vorgeschlagen hat, ich müsste sonst alle Beteiligten erst fragen, daher einfach nur die Nennungen:

Peter Härtling: “Ben liebt Anna”. Das ist wohl der Klassiker zum Thema und in manchen vierten Klassen Schullektüre.

“Lola in geheimer Mission” von Isabel Abedi wurde vorgeschlagen, da kommt Liebe drin vor, hieß es.

“Krabat” von Otfried Preußler wurde genannt, da habe ich selbst eine Bildungslücke, nie gelesen. Den gleichen Stoff gibt es auch von Jurij Brezan: “Die schwarze Mühle”.

Astrid Lindgren: “Ronja Räubtertochter”, Deutsch von Anna-Liese Kornitzky, wurde mehrfach genannt, die Jungs hier scheinen das allerdings durch die Bank nicht interessant zu finden.

“Garmans Geheimnis” von Stian Hole, Deutsch von Ina Kronenberger.

Christine Nöstlinger mit “Olfi Obermeier” und “Luki-live”.

Andreas Steinhöfel: “Rico, Oskar und das Herzgebreche”. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können.

Lena Hach: “Ich, Tessa und das Erbsengeheimnis”. Schon reingelesen, fängt gut an.

“Berts gesammelte Katastrophen” von Anders Jacobsson und Sören Olsson, Deutsch von Anna L. Kornitzky.

Friedrich Ani: “Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb”.

Kurt Held: “Die rote Zora”. Das Buch habe ich als Kind verschlungen, das war endlich mal ein Roman von anständiger Dicke. Wegen des ungeheuer traurigen Anfangs war es eine eher verstörende, aber auf jeden Fall eine sehr gute Leseerfahrung. Den Liebesbezug erinnere ich auch.

William Goldman: “Die Brautprinzessin”. Deutsch von Wolfgang Krege. Ich weiß nicht recht, ob das in Bezug auf die Liebe hinkommt.

Manfred Mai: “Leonie ist verknallt”.

 

Und nun das Wetter

Ich lese weiter in Erich Mühsams Tagebüchern, mir fällt da zu Beginn des zweiten Bandes gerade etwas auf: Es gibt bei Mühsam kein Wetter. Fast nie steht da etwas von Kälte oder Wärme oder Regen, es gibt auch keine Feiertage und keine Saison für irgendwas. Man sieht den Einträgen kaum jemals an, in welchem Monat sie geschrieben wurden, nicht einmal im November, der doch alle Menschen so verlässlich deprimiert, nicht einmal im Dezember, der doch jeden irgendwie mit Weihnachten erwischt.

Es geht bei Mühsam immer nur um die Menschen und wer mit wem was unter Einbeziehung welcher Körperteile, in welcher Kneipe oder Wohnung und vielleicht noch zu welcher Uhrzeit. Er friert nicht, er schwitzt nicht, er wird in keinem Regen nass und geht durch keinen Nebel, er verzweifelt an keinem Grau und freut sich über kein Blau. Die letzten Seiten habe ich schon regelrecht lauernd gelesen, um ihn doch einmal bei einer Erwähnung der meteorologischen Umstände zu erwischen – nichts. Er trifft da gerade Heinrich und Thomas Mann, er hört Thomas lesen und vermerkt eine “gezierte lübeckische Art” des literarischen Superstars, dem er in der Lübecker Heimat schon dauernd auf dem Schulhof über den Weg gelaufen war. (Die beiden sprachen aber erst viele Jahre später in München zum ersten Mal miteinander, viel mehr muss man übrigens über die Kontaktfreudigkeit des Lübeckers an sich nicht wissen) Auch diese Begegnung jedenfalls findet ohne Wetter und überhaupt ohne jede Szenerie statt. Man ist mit X und Y bei Z, das reicht Mühsam aus.

Das ist doch merkwürdig, ist es nicht? Ich schreibe dauernd über das Wetter. Wenn ich mich nicht beherrschen würde, ich würde sogar noch viel öfter über das Wetter und seine Wirkung schreiben. Ich hatte vor Jahren mal einen Plan für ein Gemeinschaftsblog “Und nun das Wetter”, in dem BloggerInnen einfach nur über das Wetter schreiben sollten, als Hausmittel gegen Schreibblockaden und Ideenlosigkeit aller Art, einfach Regen und Nebel und dergleichen auf tausend Arten. Vermutlich hätte das aber niemanden interessiert, also von mir einmal abgesehen. Ich lese ausgesprochen gerne gelungene Wetterschilderungen, Wetter geht immer, finde ich. Man guckt aus dem Fenster und da ist eines und es bedeutet auch immer irgendwas, denn es wirkt ja auf einen und auf alle anderen. Wetter ist immer auch eine Geschichte, ach was, es ist mindestens eine Geschichte, wenn nicht sogar viele.

Wetter wird mir nicht langweilig, was auch daran liegt, dass mein Gedächtnis wettergestützt funktioniert und ich habe erst spät verstanden, dass das nicht bei jedem so ist. Ich erinnere mich aber bei der Februarkälte am Morgen geradezu zwingend an vergangene Februartage und -szenen. Andere haben das eher bei bestimmten Liedern oder Bildern oder Landschaften, bei der Erwähnung von Namen, bei Kleingebäck. Ich brauche eine Temperatur und Wind und Licht. Erinnerungen hängen an so etwas wie der kleinen und unwillkürlichen Bewegung, mit der man die Schultern an einem Februarmorgen fröstelnd hochzieht, wenn eine Böe der heranstürmenden Kaltfront aus Russland um die Hausecke kommt. Erinnerungen hängen an der Schärfe der Luft bei fortgeschrittenen Minusgraden, am diesig-grauen Ausblick über eiskalt ruhendes Wasser, das in wenigen Stunden schon gefroren sein wird, an all diesen Kleinigkeiten, an klammen Fingern und kalten Füßen.

Der nächste Tag gleicht in Bezug auf das Wetter selten dem vorigen – aber je älter man wird, desto eher gleicht er einem Tag aus einem anderen Jahrzehnt. Und dann kann man durch das Wetter und seine Erscheinungen hindurch in die Vergangenheit sehen, in der man damals genau so an einer Hausecke stand und im gnadenlosen Ostwind fror. Am Hals fühlt man dann irgendwann wieder diese Jacke und den Schal von damals, den Schal, von dem man nicht mehr weiß, wo er geblieben ist. Dann wird das Bild immer vollständiger, bis man auch wieder weiß, warum man denn da so stand und erbärmlich fror, worauf man da gewartet hat und wie sie hieß. Bis man schließlich beides gleichzeitig fühlt, die alte und die neue Kälte – und dazwischen liegt eine Geschichte. Also bei mir ist das jedenfalls so.

Ich führe kein Tagebuch, ich führe nur ein Blog. Es ist voller Wetter, ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Aber wer weiß, vielleicht wäre das anders, wenn ich in so völlig unfassbarem Ausmaß wie Erich Mühsam jeden Tag wechselnde Damen küssen würde …

Na, man weiß es nicht. Am Ende spielt es doch auch eine Rolle, bei welchem Wetter man wen küsst.

Beifang vom 12.02.2017

In der SZ gibt es eine Rezension zum zweiten Teil vo Fifty Shades Of Grey, ich lachte. Sehr.

Frau Novemberregen auf dem Weg zur Villa mit Pool.

Frau Wortschnittchen macht einen erweiterten Ausflug und hat dafür ein neues Blog angelegt.

Hier geht es um eine Cover-Version. Die habe ich neulich im Auto auch gehört und erst gedacht, es sei ein Scherz. Das ist aber vollkommen ernst gemeint. Ich rege mich ja nicht über Cover-Versionen auf, sollen sie doch bitte alle alles versuchen, ich finde es aber lustig, wenn sich andere aufregen, etwas Krückstockgefuchtel kann schon spaßig sein. (Ich rege mich eher darüber auf, dass ich im Auto kaum noch nach Sendern suchen kann, ohne dass für Bruchteile von Sekunden Mark Forster zu hören ist, beide Söhne ihn sofort erkennen und dann unisono flehen, das Stück bitte bitte vollständig hören zu dürfen. Und dann muss ich diesen, wie heißt denn diese Stilrichtung überhaupt, Seichtbombast über mich ergehen lassen. Immer wieder. Schlimm! Wenn es so weitergeht, löst dieser Sänger in naher Zukunft bei mir noch Phil Collins als Autoradiohorror schlechthin ab, und das will etwas heißen.)

 

Ich wünsch dir was

“Er wirkte auf mich immer wie ein zufriedener Mann”, sagte der Pastor im Heimatdorf. Und das stimmte auch, das werde nicht nur ich, das werden viele der Gäste in der kleinen Kapelle gedacht haben, als wir heute Abschied vom Uropa der Söhne und also vom Opa der Herzdame genommen haben. Weil eben auch die beste Methode, wieder gesund zu werden, irgendwann nicht mehr funktioniert, und er hatte doch eine so verdammt wirksame Methode.

Ein zufriedener Mann, das mag er tatsächlich oft gewesen sein, und da kann man ruhig etwas länger drüber nachdenken, so unter uns Unzufriedenen. Ein hartes Leben in einfachen Verhältnissen hatte der Uropa. Das Berufsleben nach der Kriegsgefangenschaft fast als Kind noch damals als Knecht beim Bauern begonnen, dann im Stahlbau weitergemacht, auf dem Bau gearbeitet, zwischendurch war er auch einmal Fährmann auf der Weser, und das klingt vermutlich nur romantisch. Frau, Kind, Dorf. In der Freizeit Aale geangelt und geräuchert. Im Laufe des Lebens ist er dann zwei Dörfer weiter gelandet, viel mehr ist er wohl nie herumgekommen. Sommerurlaube in Büsum. Als die Herzdame und ich geheiratet haben, da war er schon alt und doch noch einmal in Hamburg, ging dort kopfschüttelnd durch die Straßen, der Dreck überall! Wieso macht denn da keiner was! Mal einen Besen nehmen!

Er selbst hielt die eigene Wohnung und den Hof als Rentner in tadelloser Ordnung, kein Gedanke daran, sich jemals gehen zu lassen oder irgendwie auszubrechen. Im Vergleich zur Wohnung von Uroma und Uropa leben wir in Hamburg tatsächlich in geradezu verkommenen oder zumindest höchst lässigen, hippiemäßigen Verhältnissen. Wenn wir im Heimatdorf ankamen, auf den Hof fuhren und ihn sahen, hatte er die Arbeitshose an und ein Werkzeug in der Hand, einen Besen, eine Harke, einen Schraubenzieher. Winkte kurz und machte weiter. Es war ja immer etwas zu tun. Das war ein einfacher Alltag, mit größter Regelmäßigkeit und ohne besonderen Vorkommnisse oder große Erwartungen, ich habe hier einmal eine kleine Szene über einen Besuch geschrieben. Das Leben ist anders auf dem Land, sein Leben war anders als unseres. Er machte einfach immer, was gemacht werden musste – und zwar wenn es gemacht werden musste. Kein Gejammer, kein Verschieben, keine Umwege, keine Eskapaden.

Zur Bundestagswahl hat er sich immer den guten Anzug angezogen, ist dann erst mal eben auf die andere Straßenseite ins Wahllokal gegangen: “Das ist ja nicht irgendwas!” Das mochte ich sehr.

In der Wohnung an jeder freien Wand Bilder der Urenkel, viele.

“Papa, da hängen ja nur Bilder von uns!”

“Ja, warum wohl?”

“Ich glaube, ich weiß warum.”

“Ich glaube auch.”

In den letzten Jahren hörte er nicht mehr gut, hatte auch oft sein Hörgerät gar nicht eingeschaltet. Saß in Gesellschaften nur noch am Rand dabei und war nicht mehr recht beteiligt. Konnte dabei aber Kinder und Katzen so schelmisch angrinsen, dass sie unweigerlich irgendwann zurückgrinsten. Bei gewissen Kindern und schon gar bei Katzen kann das auch nicht gerade jeder.

Am letzten Wochenende haben wir ihn noch einmal besucht, es sah nicht mehr so gut für ihn aus, sagten die Ärzte, da kam einiges zusammen. Wir haben Kaffee getrunken und Apfelkuchen gegessen und Fotos mit ihm gemacht. Er hat trotz beginnender Demenz alle erkannt und in die Kamera gegrinst, musste sich dann aber doch bald wieder hinlegen. “Ich wünsch dir was, Hamburger!” Das sagte er, als ich mich von ihm verabschiedete. “Ich dir auch”, sagte ich. Zwei Tage später ist er gestorben, mit 88 Jahren und in der eigenen Wohnung, umgeben von der engeren Familie und neben seiner Hilde, mit der er über sechzig Jahre verheiratet war. Da waren wir schon wieder in Hamburg, da waren wir wieder in der Schule und im Büro. Aber wir werden uns noch lange darüber freuen, dass wir einfach hingefahren sind und nichts verschoben haben. Obwohl es doch gerade gar nicht passte, weil es ja nie passt und weil man zu nichts kommt. Einfach gemacht, was gemacht werden musste, als es gemacht werden musste. Ohne große Erwartungen.

Denn man will ja auch etwas lernen von denen, die uns vorangehen.

Opa Heinrich

Opa Heinrich.

Beifang vom 09.02. 2017

In der Zeit geht es um die Lust an der Angst, ich denke, das sollte in diesem Jahr von möglichst vielen Menschen grundsätzlich verstanden werden. Der Artikel bezieht sich zwar zunächst auf die USA, aber wir haben hier bekanntlich auch ein paar Kandidaten, die mit der Angst politisch herumspielen, da ist es besser, ein paar Spielregeln zu durchschauen. Nebenbei geht es natürlich auch um die Rolle der Medien in dieser Show. Zufällig habe ich gerade in einem Jules-Verne-Hörbuch, das Sohn I auf einer Autofahrt hörte, ein passendes Zitat mitbekommen, es geht da um ein furchterregendes Himmelsphänomen, es ist aber eigentlich egal, worum es geht:

“Natürlich bemächtigten sich die Tagesblätter der vorliegenden Frage, behandelten sie unter allen Gesichtspunkten, beleuchteten oder verdunkelten dieselbe, berichteten falsche oder wahre Tatsachen, erregten oder beruhigten ihre Leser im Interesse der Höhe ihrer Auflage – und wiegelten endlich die schon halb verwirrten Massen nicht wenig auf. “ (Aus: Robur der Sieger, der Roman erschien 1886)

Und apropos Spielregeln – immer schön auf die großen Banken achten.

HONY ist gerade in Argentinien, das passt noch hinter die Sache mit der Angst. Ich hatte vor vielen Jahren einmal angeheiratete Verwandtschaft in Argentinien, durch sie habe ich erst wirklich verstanden, welchen unsagbaren Horror in den Familien dieses Verschwinden damals verursacht hat. Und welcher Horror auch blieb, wenn die Opfer wieder auftauchten und erzählten. Oder wenn sie nichts erzählten, kein Wort, gar nichts.

Völlig unpassend nach dem letzten Link, aber so kommt es eben manchmal: Hier ein Video, in dem Bruce Springsteen mit Band improvisiert. Das macht sehr viel Spaß. Gefunden via Kiki auf Twitter.

Ein anderes Lied noch schnell zur guten Nacht, eh klar, nicht ganz so spaßorientiert. Bei Andrew Bird lohnt übrigens auch weiteres Herumklicken.

Es ist nicht Donnerstag …

… dennoch gibt es drüben bei der GLS Bank einen neuen Wirtschaftsteil, einen ziemlich kurzen. Das ist die Ausgabe Nummer 200 und wir fanden, es wird allmählich Zeit, etwas am Format herumzuspielen. Der festgelegte Rhythmus war manchmal störend, weil großartige Links natürlich auch an allen anderen Tagen zu finden sind. Das pro Ausgabe festgelegte Thema war manchmal störend, weil manche Links beim Sammeln veraltet sind, um manche Texte war es dabei schade. Die vielen Links pro Ausgabe waren manchmal auch störend, es erforderte immer recht viel Zeit, das alles zu lesen.

Wir machen das jetzt also versuchsweise flexibler, fokussierter und fixer. Das passt womöglich sogar besonders gut in dieses Jahr, das allem Anschein nach ein spannendes wird, um es einmal ungewohnt neutral auszudrücken. Passend zu diesem Beschluss geht es heute erst einmal ums Machen und ums Andersmachen, man beachte bitte besonders das Beispiel aus Hamburg. Das ist hier bei uns um die Ecke, was da beschrieben wird, ich gucke mir das jeden Tag an und finde es wirklich großartig.

Wir versuchen weiterhin, gut lesbare, interessante und auch überraschende Artikel, Videoclips, Podcasts etc. in Blogs und Medien für den Wirtschaftsteil zu finden. Einmal im Monat übernimmt ein Gast mit Fachwissen. Es bleibt thematisch wie gewohnt bei Konsum, Nachhaltigkeit, Arbeitswelt, Lebensräumen, Gemeinwohl und Sozialem.

Nur muss ich mich jetzt nicht mehr jeden Morgen nach dem Aufwachen fragen, ob vielleicht gerade Donnerstag ist, und das hat natürlich auch etwas.

GLS Bank mit Sinn