Beifang vom 24.03.2017

Eine sehr kurze Ausgabe, es gab überhaupt wenig Links in dieser Woche, ich finde gerade nichts. Aber ich muss ja auch Gerhard Henschel lesen, damit ist das dann entschuldigt, nehme ich an.

Hier dann doch eine Liebesgeschichte ohne Liebe

Und ein Interview mit der Mezzosopranistin Christa Ludwig, das fand ich auch ohne großes Interesse an der Oper lesenswert (zwei weitere interessante Interviews habe ich drüben im Wirtschaftsteil für die GLS Bank verlinkt).

Nur noch schnell etwas frühlingsoptimierte Musik, dann ist auch fast schon Wochenende.

Kleine Anmerkung zu Storm

Als ich neulich bei einem meiner quartalsweise vorkommenden Versuche, mich doch noch mit dem Medium Hörbuch anzufreunden, den Anfang von Storms Schimmelreiter nachgehört habe, hat sich ein Verdacht bestätigt, den ich schon länger hatte, den zu verifizieren ich aber in den letzten Wochen nie Zeit oder Gelegenheit hatte. Es ist nämlich tatsächlich so, dass die Geschichte vom Schimmelreiter einen immerhin dreifach gestaffelten Erzählrahmen hat. Ein Erzähler erzählt einem Erzähler, was ihm ein Erzähler erzählt hat. Oder nein, genau genommen erzählt der Erzähler, wie er als Kind ein längeres Stück in einer Art Zeitschrift gelesen hat, in dem jemand erzählt, wie ihm etwas in einer Sturmnacht in einem Wirtshaus an der Nordsee erzählt wurde, wobei übrigens nicht einmal endgültig klar wird, ob der Erzähler auf der dritten Stufe die Geschichte im Dorf selbst mitbekommen oder womöglich auch nur erzählt bekommen hat, von wem auch immer.

Und man merkt das als Leser gar nicht, wenn man nicht sehr genau aufpasst, man sitzt da wie in einer Zaubershow und bekommt den Trick nicht mit, obwohl man doch weiß, dass gleich getrickst wird. Man gleitet so in den Bericht hinein und ist nach wenigen Minuten ganz auf der Höhe des Geschehens, im Scheinwerferlicht nur noch Hauke Haien, der Deiche modelliert und darüber nachsinnt. Die Erzähler treten alle drei zurück ins Dunkel, bis man sie schnell ganz vergessen hat, obwohl doch zumindest einer von ihnen durch seine Begegnung mit dem Schimmelreiter erheblich zum Wahrheitsgehalt der Geschichte beiträgt. Das hat er schon verdammt gut gemacht, der olle Storm, so ein kompliziertes Konstrukt erst auf der Bühne zu inszenieren und dann umgehend wieder verschwinden zu lassen, das ist äußerst gekonnt eingefädelt.

Oder, wie es die Berufsschüler ausdrücken würden, die vormittags kiffend vor unserer Haustür herumlungern: “Respekt, Digger. “

Beifang vom 21.03.2017

“Wer ist eigentlich meine verrückte Nachbarin?”

Pottwal-Gangs überfallen Fischkutter.” Enthält die bemerkenswerte Formulierung “… und dann ziehen die Pottwale die Fischer ab.”

Noch eine Rezension zu Gerhard Henschels “Arbeiterroman”. Ich lese gerade den vorvorigen Band (“Abenteuerroman), habe dann noch den Bildungsroman vor mir und lande erst später im neuen Band, der hier aber schon bereitliegt. Ich möchte die Lektüre aller Martin-Schlosser-Romane noch einmal nachdrücklich empfehlen, es ist ein einzigartiges literarisches Projekt, es sind Bücher zum Reinlegen, gefährliche Suchtmittel und dazu ein Vergnügen erster Klasse. Besonders für (westdeutsche) Menschen, deren Geburtsjahr nicht dramatisch weit von dem Gerhard Henschels entfernt ist, ergibt das Lesen außerdem manchmal geradezu unheimliche Zeitreisen. Mir sind plötzlich Lehrernamen wieder eingefallen, die ich vor vielen Jahren gut wegsortiert hatte, das sind doch ganz erstaunliche Nebenwirkungen eines Romans. Was man alles vergessen und verdrängt hat! Hier kommen Details zurück, man macht sich keinen Begriff. So viele Kleinigkeiten, man denkt zwischendurch unwillkürlich an Kempowski, und da wundert es dann auch nicht mehr, wenn der in den Büchern später vorkommt. Eine Kulturgeschichte meiner Generation, oder doch ungefähr meiner Generation.

Die Herzdame backt: Apfelpizza

Ein Kuchen, gebacken von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, aufgegessen hauptsächlich von den Söhnen. (Der Text ist auch von Maret Buddenbohm)

Die Apfelpizza habe ich im Herbst in einer Zeitschrift für stylischeres Wohnen bei Freunden unter dem Namen „Apfelkuchen vom Blech“ abfotografiert und gleich ausprobiert. Als die Söhne den fertigen Kuchen sahen, fragten sie, was das für eine eigenartige Pizza sei und damit hatte der Kuchen einen neuen Namen. Viel schöner und kinderkompatibler, wie ich finde.

Weil wir da so ausgehungert waren, haben wir nicht lange gewartet und ihn gleich heiß aus dem Ofen gegessen. OBERKÖSTLICH, sage ich nur. Es geht gar nicht anders, man muss ihn unbedingt warm essen. Auch das spricht eher für Pizza als für Kuchen.

Irgendwann fragten die Freunde dann, ob ich ihnen das Rezept noch mal schicken könne, weil sie die Zeitung verlegt oder entsorgt hatten. Eigentlich wollte ich das Rezept dann auch gleich bloggen, damit sie es jetzt immer online nachlesen können. Und ich auch. Aber wie das immer so ist … man kommt zu nichts und es dauerte etwas.

Aber auch wenn jetzt nicht mehr so die klassische Apfelernte-Apfelkuchenzeit ist, passt das Rezept trotzdem gut, um die ganzen eingelagerten, schrumpeligen Äpfel endlich mal zu verarbeiten.

Das Rezept ist für zwei Bleche berechnet und wenn man Gäste hat, empfiehlt es sich auch zwei Bleche zu backen, da eine vierköpfige Familie schon locker eins alleine schafft.

Zutaten

  • 1 kg säuerliche Äpfel z.B. Boskop
  • 250 g Butter
  • 250 g Magerquark
  • 220 g Mehl
  • 1 Prise Salz
  • 7 EL Zucker
  • 1 TL Zimt

125 g Butter, Magerquark, Mehl, Salz und 2 EL Zucker verkneten und daraus zwei Kugeln formen. Die Kugeln in Folie wickeln und 1 Stunde kaltstellen.

Inzwischen die Äpfel waschen, vierteln, entkernen und in dünne Scheiben schneiden. Die Schale darf gern dranbleiben.

Den Backofen auf 200 Grad (Umluft 180 Grad) vorheizen. Dann Teig auf Backpapier zu zwei dünnen Böden ausrollen und auf zwei Backbleche ziehen.

Die Böden mit den Äpfeln belegen. Und die übrigen 125 g Butter als Flöckchen darauf verteilen.

Den Kuchen nacheinander im heißen Ofen ca. 20 Minuten backen.

Zum Schluss 5 EL Zucker mit dem Zimt mischen und den Kuchen damit bestreuen. Wobei ich finde, dass man das Gemisch auch schon zum Backen darauf streuen kann.

Und unbedingt aus dem Backofen auf den Teller und sofort essen!

Den Teig kann man gut im Kühlschrank aufbewahren, so dass man das zweite Blech ein, zwei Tage später backen kann.

Beifang vom 19.03.2017

Aufploppende Krokusfelder.

Lost places im Odenwald. Wenn man über den Kalten Krieg eine Weile nachdenkt, man könnte ja Sachen erzählen! Mit welcher Selbstverständlichkeit in den 60ern und 70ern alle Erwachsenen bei jedem herangrollenden Gewitter kurz dem Donner lauschten und dann nur halb scherzhaft “Der Russe kommt” sagten. Wie das Bedrohungsszenario langsam, langsam verblasste über die Jahre.  Wie irgendwann keine tieffliegenden Militärjets mehr alle paar Tage über einem Übungsrunden drehten und es erst nach Monaten auffiel, dass da ein Riesenstück Krach weg war. Das glaubt einem doch alles kein Kind mehr.

Ein Update zum Kaffeepappbecherproblem in Hamburg.

Noch einmal Hamburg, hier gibt es jetzt Coworking-Space auf der Seuten Deern. Die Idee finde ich gut. Morgens in aller Herrgottsfrühe und nach wüster Nacht durch den Hafenfrühnebel an Bord gehen, den Seesack über der Schulter, Akkordeon unterm Arm, Pfeife im Mund, unrasiert und gedankenlos die Liebe an Land zurücklassend. Dann aber nur ein schlankes Notebook auspacken, zwei, drei Onlineprojektchen brav abarbeiten und abends nach Hause gehen, um gemeinsam mit der Dame des Hauses regionale Lebensmittel zu kochen. Schon irgendwie schön, die Vorstellung.

Ein neues Buch über Erich Ohser/e.o. plauen.

Hier geht es um Barbara. Die Aufnahmen von Depardieu fand ich beim ersten Hören nicht umwerfend, aber manches braucht eine zweite, dritte und vierte Chance, mal sehen. Bis dahin doch lieber das Original, aber natürlich nicht mit dem ewigen Göttingen. Eher mit dem Lied, das die Dame singt, deren Mann am frühen Morgen durch den Hafenfrühnebel an Bord gegangen ist, den Seesack über der Schulter … na, und so weiter. Sag, wann kommst du wieder?

Die alten Geschichten

“Hört, ihr Lieben!” Ich scharte die Kinder um mich und hob sie auf meine Knie, wie man es tut, wenn es um wundersame Geschichten geht. “Hört, was euer Vater euch zu erzählen hat. Es ist eine Geschichte, wie sie sich die Alten immer wieder am Lagerfeuer erzählen, wobei die Alten in diesem Fall eure Mutter und ich sind, das Lagerfeuer aber durch unsere treufunzelnden Nachttischlampen dargestellt wird. Benutzt halt eure Vorstellungskraft, dann geht das. Es gibt, so geht diese althergebrachte Geschichte, nicht weit von hier, genaugenommen sogar noch innerhalb unseres Reichs, wollte sagen in unserer kleinen Wohnung, einen etwas versteckt gelegenen, abgetrennten Bereich. Der ist mit einer Tür versehen, zu der man keinen Schlüssel braucht, man kann frank und frei hindurchschreiten, drückt man nur die Klinke hinunter. Darinnen aber sind Fenster in den kunstvoll durchbrochenen Wänden, so dass Sonnenlicht lieblich hereinfällt, wann immer es tagt, und das Mondlicht schimmert in dem Gemach in jeglicher Nacht. Es stehen zwei kleine Bettchen darin und mehrere Truhen und Regale, die sind bis oben hin voll mit dem wunderbarsten Spielzeug, kindgerechten Büchern und allerlei Vergnügungszeug. Man nennt es das Kinderzimmer. Ob ihr danach einmal suchen wollt, meine fahrenden Rittersleut? So als kleine Quest am Morgen?”

“Kinderzimmer”, sagte Sohn I nachdenklich und schien sich schwach an etwas zu erinnern, “da war ich doch schon mal. Irgendwann.”

Und dann tollten sie wieder mit fröhlichem Lachen durch die weiten Fluren des Wohnzimmers und des Schlafzimmers, wobei sie alle nur denkbaren Formen des Landfriedensbruchs so heiter nachspielten, dass es eine helle Freude war. Also zumindest ihnen.

Beifang vom 17.03.2017

Es gibt also auch Menschen, die sich beruflich der Toilettenforschung widmen. Das hat überraschenderweise etwas mit Pflaumenmus zu tun. Nanu.

Eine neue Ausgabe der etwas anderen Tweetsammlung “Keiner davon ist witzig” von André Spiegel. Immer interessant.

Abendland! Untergang! Hurz! In der NZZ geht es wieder um das Verschwinden der Handschrift.

Vielleicht mal die Bücher durchsehen – die Papierfischchen kommen. Und dann, wie im Text vorgeschlagen, den Nachbarn daran die Schuld geben. Denen ein Haus weiter, eine Straße weiter, ein Land weiter, egal.

Auf Twitter fragte heute jemand nach dem Begriff “Apulic”, ich habe vor Jahren einmal darüber geschrieben. Die Frage war, ob wir jemals herausgefunden haben, wo das Wort nun herkommt und was es bedeutet. Also ein Update dazu: Wir haben es nie herausgefunden, ich habe aber gerade neulich erst mitbekommen, dass es in der Kita tatsächlich immer noch im Umlauf ist, es wird von Gruppe zu Gruppe weitergegeben. In der gleichen Bedeutung wie damals. Es bleibt faszinierend.

Und weil der Busch am Rand des Spielplatzes vor dem Küchenfenster gestern erste Spuren von Grün zeigte, weil die Söhne den ganzen Tag unbedingt draußen sein wollten, so sehr sogar, dass sie auch etliche Botengänge freiwillig übernommen haben, weil der Himmel so blau war, als könne es heute unmöglich regnen, weil es in der Sonne plötzlich so dermaßen Frühling war, gibt es jetzt noch satte sieben Minuten Süden. Daniel Melingo y la Orquesta Linyera mit „La canción del linyera”.

Über elterliches Denken

Hier erscheinen kaum noch lustige Familientexte wie in früheren Jahren, manche werden es vielleicht bedauern. Aber das geht nicht mehr so leicht, weil die Söhne mittlerweile ein Alter erreicht haben, in dem ihre Mitschülerinnen und Mitschüler möglicherweise manchmal mitlesen, das müsste dann bei jedem Satz, bei jeder Formulierung sorgsam bedacht werden. Außerdem kann ich generell nicht mehr über sie schreiben, ohne sie vorher zu fragen, diese Abstimmung würde uns aber endlos Zeit kosten, ich schaffe das ja mit der Herzdame schon kaum. Viele Pointen landen deswegen mittlerweile eher auf Twitter als im Blog, weil man einen knappen Satz sehr wohl zwischen Tür und Angel abstimmen kann, einen langen Text aber nicht.

Vielleicht muss ich jetzt ein wenig umdenken, vielleicht sollte ich mehr und deutlicher aus der Elternperspektive heraus schreiben, wobei die Kinder dann nur noch Stichwortgeber und Nebenfiguren sind. Ich probiere das einmal an einem zwar wahren, aber auch furchtbar albernen Beispiel, bitte, ich habe Sie gewarnt. Ich seziere kurz eine abendliche Situation um ein Stichwort herum, es geht mir im Grunde nur darum, was man als Elternteil alles in welch kurzer Zeit denken kann, der Rest ist bloßes Beiwerk.

Was das Kind gesagt hat:

Die Familie sitzt beim Abendessen, es ist laut und wuselig, alle reden durcheinander, Gläser kippen, Geschirr klirrt, Besteck klappert, es ist alles wie immer, als mich Sohn I ohne jeden Zusammenhang mit irgendwas fragt: “Papa, darf ich Schaben?”

Was ich gedacht habe:

Man hat als Vater natürlich nur begrenzt Zeit, eine Kinderfrage zu durchdenken und ebenso sinnvoll wie pädagogisch wertvoll zu beantworten, man hat etwa drei Sekunden, wenn überhaupt. Danach denken Kinder schon, man würde nichts sagen wollen, dann wird es aber brandgefährlich, denn in der Erziehung gilt Schweigen bekanntlich als Zustimmung: “Du hast nicht nein gesagt!” Drei Sekunden also. Maximal. In diesen drei Sekunden ratterte in meinem Kopf in etwa Folgendes durch, und es liest sich nur so, als könne das nicht in diese Zeitspanne passen, das geht sehr wohl: “Schaben sind Kakerlaken, warum sagt der jetzt aber Schaben, wie im Biolehrbuch? Da steckt doch bestimmt wieder die Schule dahinter, das ist womöglich Sachkunde und die haben da Schaben im Terrarium oder so etwas, das würde mich überhaupt nicht wundern bei den ambitionierten Grundschulen heutzutage, kleine Forscher und so, das kennt man ja. Schaben sind doch Kakerlaken, sind sie nicht? Oder gibt es am Ende fundamentale Unterschiede, Schnittmengen, Teilmengen, was weiß ich? Was man alles nicht weiß! Später mal googeln, das! Oder hat jemand aus seinem Freundeskreis Schaben, manche züchten die vielleicht als Futter für andere Tierchen, Chamäleönner etwa, deren richtiger Plural natürlich anders lautet, aber ich kann ja wohl immer noch denken, was ich will. Oder ist die Sehnsucht nach einem Haustier mittlerweile so groß, verzehrt sich das arme Kind schon so sehr nach einem kleinen und von mir und der Herzdame stets verweigerten Freund, dass jetzt sogar schon Insekten in Betracht kommen? Kann man Schaben zähmen, gibt es possierliche Sorten? Und was braucht man für die, so einen großen Glaskasten? Da könnten wir nach Lübeck fahren und bei meinem Bruder einen erwerben, das wäre eigentlich sogar nett, hurra, ein Ausflug. Und dann hat man nach drei Wochen 500 Schaben, wie bei Hamstern, na super. Dann braucht man plötzlich dringend ein Chamäleon. Oder ist das mit den Schaben bei den Jungs in den dritten Klassen gerade in und ich bekomme wieder nichts mit, weil ich nie irgendwem zuhöre, sondern dauernd über Blogbeiträge nachdenke? Wir hatten damals ja noch Urzeitkrebse, das fanden unsere Eltern vielleicht auch absurd, das weiß ich gar nicht mehr. Oder sammeln die Kinder jetzt vielleicht Schaben, nicht mehr Pokémonkarten? Und wo überhaupt gibt es Schaben, die kann man doch nicht in der Zoohandlung kaufen? Wobei, was weiß ich schon von Zoohandlungen? Ich wüsste nicht einmal, wo eine ist. Keine Ahnung. Früher gab es mehr Zoohandlungen. Und bessere Butter.“ 

Was ich nach diesem blitzartigen und doch einigermaßen gründlichen Nachdenken in routinierter Eloquenz geantwortet habe:

“Hä?”

Was das Kind gemeint hat:

“Papa, darf ich schaben?”

Denn es ist ja so, man hört Groß- und Kleinschreibung einfach nicht. Das gute Kind wollte nicht Schaben, sondern schaben. Mit dem Ceranfeldschaber auf dem Herd, den ich bei der Zubereitung des Essens prächtig eingesaut hatte. Worauf beide Kinder übrigens ab und zu hoffen, denn das anschließende Schaben, witzigerweise jetzt wieder großgeschrieben, gilt hier, warum auch immer, als Hauptspaß für den vergnügungssüchtigen Nachwuchs. Was man vermutlich nur mit der berühmten Tomsawyeranstreichlogik erklären kann, yeah, ich darf schaben, jetzt wieder kleingeschrieben, es ist wirklich kompliziert. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass mich jemals ein Kind um Erlaubnis gefragt hat. Bisher haben sie immer einfach gemacht, also nachdem sie sich um den Schaber geprügelt haben, versteht sich.

Und dann durfte der Sohn jedenfalls schaben, eh klar. Ich ging aus prinzipiellen Gründen googeln und weiß jetzt sehr viel über Schaben. Warum auch nicht. Man wird eben nicht dümmer durch Kinder. Im Gegenteil, man weiß mit den Jahren immer mehr und denkt immer schneller.

Kurz und klein

Die Herzdame liest: Schlaf gut, Baby!

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die gerade ein Schlafbuch für Eltern von Kindern von 0-6 Jahren gelesen hat (keine bezahlte Werbung)

Wie einige hier vielleicht wissen, gebe ich unter anderem auch Babykurse, genauer gesagt DELFI® Kurse. Eigentlich mache ich beruflich was ganz Anderes, bin da aber in der Elternzeit mit Sohn 2 so reingeschlittert. Ich habe ein Jahr Weiterbildung gemacht, seitdem bin ich montagsnachmittags glückliche Kursleiterin, während der Gatte sich um unsere Kinder kümmert. Ein großes Thema, wenn nicht das größte Thema überhaupt, ist da immer wieder das Thema „Schlafen“. Es gibt kaum eine Woche, in der nicht wenigstens eine übermüdete Mutter über das nicht ein- oder durchschlafende Kind berichtet.

Auch wir hatten mit unseren Kindern und vor allem mit Sohn 1 viele schlaflose Nächte. Rückblickend habe ich den Eindruck, dass wir uns da viel zu sehr haben von anderen Meinungen verunsichern lassen. Vor bald 10 Jahren gab es noch zu viele Eltern und Ratgeber aus der „Jedes Kind kann schlafen lernen“-Fraktion um uns herum. Für die Leser, denen das nichts sagt, es geht da um einen Ratgeber, der empfiehlt, die Kinder abends und nachts so lange schreien zu lassen, bis sie vor Verzweiflung und Erschöpfung einschlafen (die Methode ist vor allem auch hervorragend geeignet für eine gestörte Eltern-Kind-Bindung, echte und dauerhafte Schlafstörungen und den Geldbeutel der späteren Psychiater.)

Ich habe mich ständig als Versagerin gefühlt, weil mein Kind lange nicht im eigenen Bett ein- und vor allem nicht durchschlief. Gleichzeitig sagte mir mein Gefühl aber auch, dass mein Kind sich gerade nachts geborgen fühlen soll. Und dass es richtig ist, ihm die Zuwendung und den Körperkontakt zu geben, den es offensichtlich braucht. Am einfachsten war das im Familienbett, da musste ich nicht zum Stillen und Trösten ständig aufstehen. Wie viele von uns Erwachsenen schlafen wirklich gerne allein? Also ich nicht! Aber warum soll mein Baby das dann gerne tun? Vor allem wenn es am Anfang noch so hilflos ist, dass es sich nicht mal den Schnuller alleine in den Mund stecken kann? (Ja, es gibt Ausnahmen, bei Kindern wie bei Erwachsenen.)

Ich war also lange Zeit zerrissen zwischen meinem Gefühl und den Ansichten meiner Umwelt. Mit großer Freude stelle ich jetzt aber immer wieder fest, dass die Schreien-lassen-Fraktion auf dem Rückzug ist und sich der bindungsorientierte Kinderschlaf durchsetzt, zumindest in meinem Umfeld. In meinen ersten DELFI-Kursen hatte ich noch Mütter, die den anderen diese fürchterlichen Schlaflernprogramme ernsthaft empfohlen haben. Inzwischen habe ich keine einzige mehr. Im Gegenteil, mir hat eine Mutter gerade ein relativ neu erschienenes Buch empfohlen, welches sich eher mit dem Verständnis des kindlichen Schlafes und sanften Strategien beschäftigt.

Es handelt sich um das Buch „Schlaf gut, Baby! – Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten“ von Nora Imlau und Dr. med. Herbert Renz-Polster.

Nora Imlau habe ich schon damals gerne gelesen, als ich noch die Zeitschrift „Eltern“ regelmäßig gekauft habe. Und von Herbert Renz-Polster kann ich den dicken Wälzer „Kinder verstehen. Born to be wild. Wie die Evolution unsere Kinder prägt“ nur empfehlen (auch wenn ich ihn nie zu Ende gelesen habe, weil er einfach kein Handtaschenformat hatte und ich ihn daher nicht mitnehmen konnte).

„Warum Kinder anders schlafen“

Am Anfang geht es erstmal darum, den kindlichen Schlaf zu verstehen: Fakten, Schlafzyklen, vor allem aus evolutionärer Sicht. Die Autoren werfen einen Blick zurück in die Geschichte der Menschheit, als der Schlaf noch eine gefährliche Sache war und Gefahr bestand, im Schlaf in der Höhle zu erfrieren oder vom Säbelzahntiger gefressen zu werden. Welches Baby war da im Vorteil? Gewiss nicht das, welches friedlich und alleine ohne Körperkontakt in einer Ecke schlummerte (und erfror…). Leider haben es heutige Babys noch nicht kapiert, dass sie sicher und behütet sind, auch wenn die Eltern sich jetzt lieber nebenan um den Haushalt kümmern oder ihre Ruhe wollen. Ihr biologisches Programm ist immer noch auf Steinzeit gepolt.

Guter Schlaf funktioniert nur durch Entspannung, wie wir Erwachsenen aus eigener Erfahrung wissen. Die Autoren schreiben „Der Schlaf gehorcht nicht der Anspannung, sondern der Entspannung. Ihn beeindruckt nicht das Festhalten, sondern das Loslassen“. In der modernen, hektischen Welt, in der alles auf Effizienz und Produktivität ausgerichtet ist kommen Babys einfach noch nicht mit. Wer kann sich schon entspannen beim Gedanken an einen Säbelzahntiger vorm Höhleneingang? Da bleibt man lieber wach und sorgt durch Weinen und Schreien dafür, dass ein Erwachsener einen in den Arm nimmt und beschützt.

Man darf aber nicht vergessen, dass der Schlaf bei Kindern wie Erwachsenen verschiedene Phasen durchläuft und während des REM-Schlafes (Rapid Eye Movement) Erlebnisse und Eindrücke des Tages verarbeitet werden. In der Regel werden hier alle kurz wach, Erwachsene haben aber gelernt schnell wieder einzuschlafen und erinnern sich am nächsten Tag meist nicht mehr daran. Babys müssen den Übergang von einer Schlafphase in die nächste noch lernen. Schlafen lernen ist wie Laufen lernen. Es braucht seine Zeit und man muss akzeptieren, dass es schnellere und langsamere Kinder gibt.

Mir ist es sehr wichtig, „meinen“ Müttern dieses Verständnis mit auf den Weg zugeben. Weil ich finde, dass es einen großen Unterschied macht, ob sie das Gefühl haben, das Kind schreit und will nur nicht schlafen, weil es seinen Willen durchsetzen will – oder ob sie denken, es kann einfach noch nicht alleine schlafen und will seinen Eltern seine Bedürfnisse mitteilen.

„Eine Begegnung mit Ängsten, Mythen – und uns selbst“ und „Was uns Mut machen kann“

Im weiteren Verlauf des Buchs geht es darum, den gemeinsamen Schlafstress zu reduzieren, sich frei zu machen, von den Ansichten anderer Leute oder von fremden Erziehungsidealen, was am Ende nur zu Beziehungsstress mit den Kindern führt. Gut finde ich immer wieder den Blick auf andere, ursprünglichere Kulturen. Die können z.B. mit dem Begriff „ins Bett bringen“ gar nichts anfangen, da ihre Kinder einfach einschlafen, wann und wo sie wollen. Auf dem Schoß am Feuer, an der Brust oder im Tragetuch auf dem Feld. Auch bei uns war das Jahrtausende so. Wir in den modernen Kulturen sind die einzigen, die den Knall haben, die Kinder „bettfertig“ zu machen und sie dann alleine, abgeschoben im Kinderzimmer in ihr Bett zu legen, um dann endlich Erwachsenenzeit zu haben.

Letzten Endes gehen die meisten Schlafprobleme von Eltern aus. Die Kinder wollen einfach nur geborgen schlafen. Wir sind diejenigen, die da ein Ding draus machen. Die Kinder haben keine Probleme, wir haben sie.

Die Autoren plädieren dafür, die Schuld nicht beim Kind oder sich selbst zu suchen, oft stimmen einfach nur die Bedingungen nicht und daran lässt sich arbeiten. Schuld, dass es mit dem Schlafen nicht klappt, ist niemand.

„Warum wir gegen Schlaftrainings sind“

Einfach sind die Methoden, die Programme, das Sich-bedienen-lassen aus den Bauchläden der Kenner und Experten. Der eigene Weg fordert uns ganz schön was ab, und er ist mal so, mal so, mal auf, mal ab, lebendig eben, aber paradiesisch gewiss nicht.“ So heißt es im Buch. Und genau das ist auch meiner Meinung nach das Problem. Es ist viel schwieriger, auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder einzugehen und tragfähige Kompromisse zu finden, als die elterliche Macht auszuspielen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen durchzusetzen. Das gilt auch bei allen anderen Erziehungsfragen. Aus diesem Grund sterben Ratgeber und Methoden à la „Jedes Kind kann schlafen lernen“ auch nicht ganz aus: einfach macht das Leben leichter. Aber auf Kosten der Kinder.

Die Autoren erläutern die Methode, die dahintersteckt. Im Prinzip gehen alle Schlafprogramme auf Richard Ferber zurück. Man spricht hier deshalb auch von der Ferber-Methode, man „ferbert“ das Kind ein. Wobei der Herr Ferber seine eigenen früheren Aussagen heute selbstkritisch sieht. Die theoretische Grundlage basiert auf der Theorie des Behaviorismus, wodurch das Verhalten von Mensch und Tier durch die Verbindung positiven (Belohnung) und negativen (Bestrafung) Reizen verstärkt bzw. abgeschwächt oder gar ausgelöscht wird. Wer sich noch an seinen Biologieunterricht in der Schulzeit erinnert, dem werden gleich die Ratten von Skinner oder die Pawlowschen Hunde einfallen. Auf dieser Basis sollen wir unsere Kinder in einen sicheren, wohligen Schlaf begleiten und eine dauerhafte, positive Bindung zu ihnen entwickeln? Viel Erfolg!

Bevor ich mich in Rage schreibe, zurück zum Buch. Was lernen die Kinder wirklich? „Das beherrschende Motiv ist […] Stress – die Kinder werden so lange mit Frustration und ihren negativen Emotionen konfrontiert, bis sie einschlafen. […] Das Kind lernt nicht alleine zu schlafen, es wird gezwungen.“ Nun werfen die die Autoren die Frage auf: „Was bedeutet es für die Kinder, wenn ihre Eltern sie tagsüber verlässlich trösten und feinfühlig auf ihre Bedürfnisse eingehen, aber sie dann ganz anders behandeln, sobald der Zeiger der Uhr über die Acht geglitten ist?“ Kann so eine Ein-Aus-Behandlung förderlich sein? Das kann ich mir nicht vorstellen.

„Alles was wichtig ist“

Aber wenn Schlaftrainings nicht das Richtige sind, um Kinder geborgen durch die Nacht zu begleiten, was ist es dann? Nach dem Buch ist guter Schlaf vor allem eine Frage des Timings, des Settings und der Schlafqualität. Schlafen ist auch Typsache, wie bei Erwachsenen gibt es bei Kindern gute und schlechte Schläfer, Eulen und Lerchen. Das sollte man akzeptieren und individuell günstige Schlafbedingungen schaffen. Hier werden kleine Tipps gegeben, etwa das individuelle Schlaffenster auszunutzen, in dem es besonders leicht ist, in den Schlaf zu finden. Von festen Schlafenszeiten abzuweichen, wenn sie nicht zur inneren Uhr des Kindes passen und so weiter. Es muss nicht immer das eigene Bett sein. Kinder schlafen am besten da, wo sie sich wohlfühlen und nicht alleine sind. Wenn es sein muss, auch kuschelig zwischen den Eltern vor dem Fernseher. Hauptsache, es geht allen gut. Und ansonsten gerne auch tagsüber: kuscheln, kuscheln, kuscheln.

Die meisten Tipps sind kein Hexenwerk und jeder halbwegs normale Mensch könnte selbst draufkommen, man muss sich nur etwas zutrauen. Dann beschäftigen sich die Autoren noch mit dem Thema „Gewohnheiten liebevoll verändern“. Hierunter fällt auch der Dauerbrenner in meinen Kursen; das nächtliches Dauerstillen abgewöhnen. Es gibt den ein oder anderen Tipp, wie man hier schrittweise vorgehen kann und worauf man achten sollte. Zum Schluss widmen sie sich dem Familienbett, geben Ratschläge zur Sicherheit und gehen vor allem auf die Vorteile ein. In diesem Zusammenhang wird auch der plötzliche Kindstod (sudden infant death syndrome, kurz SIDS) behandelt und was man hierbei beachten sollte.

Mein Fazit

Ich finde das Buch sehr gelungen. Es sorgt für ein grundlegendes Verständnis der kindlichen Verhaltensweisen und räumt mit Mythen und Ängsten rund um den Babyschlaf auf. Außerdem macht es Mut, sich vom ewigen „Durchschlafstress“ zu befreien und liebevolle Wege zu gehen. An einigen Stellen habe ich gedacht, das habe ich doch schon mal hier und hier gelesen. Aber für Eltern, die noch unentschlossen sind, wie sie ihre Kinder in den Schlaf bringen wollen, kann man das wahrscheinlich nicht oft genug sagen. Und grundsätzliches scheint mir, gute Ratgeber zum Thema Schlafen geben keine konkreten Methoden vor, sondern versuchen, zu einer positiven Haltung gegenüber dem Kind anzuregen und für mehr Gelassenheit zu sorgen.

Ach, hätte es doch vor 10 Jahren schon mehr von diesen Büchern und Ratgebern gegeben.