Konstruktive Kartofffeln

Ich finde die Nachrichten am Morgen zusehends unangenehm, fast schon körperlich unangenehm. Dieses fortwährende Fremdschämen ob all der Dummheiten, Frechheiten und Schrecklichkeiten. Dabei finde ich mich selbst ausreichend peinlich und unerträglich und habe mit eigenen Problemen genug zu tun. Aber all diese zusätzlichen, entsetzlich abstoßenden Menschen, diese furchtbaren, belastenden Themen und Ereignisse, die ich lieber nicht zur Kenntnis nehmen möchte, sie aber doch immer wieder alle beflissen und teils sogar in der Tiefe studiere. Als sei es die erste und wichtigste Bürgerinnenpflicht, sich mit der FDP zu befassen, mit den Ansichten von Merz, von Trump, auch mit Nazis, mit grauenvollen Kriegen, mit der Klimakrise und der Apokalypse und immer so fort. Dabei immer den Poisel im Ohr, wie soll ein Mensch das ertragen.

Aber nur ironisch, versteht sich, denn andere ertragen doch viel mehr, viel Schlimmeres, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Sich immer gleich zurückpfeifen und relativieren. Das ist allerdings auch so ein Pflichtding, und am Ende ist es eng verwandt mit der protestantischen Arbeitsethik, Hauptsache, man macht sich nieder und klein und funktional.

Lindner hat gesagt … Um Gottes willen, was ist das für ein Niveau, worüber reden wir da. Lieber vom Bildschirm hochsehen und den Blick ins Regal vor mir lenken, da keimen Kartoffeln in Eierkartons vor, sie kommen demnächst ins Beet. Bizarre Triebe tastend in den Raum gestreckt. Das ist etwas Konstruktives, das ist der Zukunft zugewandt und gleichzeitig dermaßen traditionsverbunden. Gartenbau als geteilter Wert quer durch die Generationen, meine Großmutter hätte diese Kartoffelsache sicher gemocht. Kartoffeln ansehen und weiteratmen, Kartoffeln sind okay.

Gleich neben den Kartoffeln steht der Lehmann, das Bukolische Tagebuch 1927 – 1932. Der Herr hat auch woanders hingesehen, wie konsequent er das gemacht hat, und es war keine Biedermeier-Attitüde bei ihm. Ich habe mich eine Weile mit Nature Writing befasst, dieses Buch blieb mir aus der Zeit in Erinnerung und steht für mich zum gelegentlichen Wiederlesen bereit. Wie ich überhaupt meine Bücher nach und nach auf die reduziere, bei denen ein Wiederlesen noch in Betracht kommt.

Im Sommer wird das Buch in die Laube gestellt, um im Garten verfügbar zu sein, es ist passende Draußenlektüre. Wenn Sie in der Richtung Interesse haben, ich empfehle es erneut, wie schon vor längerer Zeit einmal.

Aber unterm Strich, das wollte ich eigentlich nur sagen, und Sie wissen eh schon, dass es mich beschäftigt, ist die Themenwahl, unsere Themenwahl, selbst ein großes, ein immenses und manchmal tagesfüllendes Thema.

Womit vergeht die Zeit, die mir auf Erden gegeben ist, kleiner muss man es nicht denken.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Kafka, Schiller etc.

Vorweg noch einmal ein herzlicher Dank – es kamen die weiteren beiden Bände von Reiner Stachs Opus über Kafka. Das Trio der dicken Bände sieht auf dem Nachttisch ganz hervorragend aus, ich freue mich.

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Ein Sohn räumt sein Zimmer um, nur wenige Wochen nachdem der andere Sohn das in seinem Raum gemacht hat. Bei ihm sieht es jetzt ebenfalls deutlich weniger nach Kinderzimmer aus, auch wenn noch ein paar Gegenstände, Spiele, Deko etc. aus früheren Zeiten in den Regalen stehen, einfach nur, weil niemand das alles spontan wegwerfen will und auf den ersten Blick nirgendwo ein anderer Platz frei ist. Man könnte das Zeug vielleicht später verkaufen, doch noch einmal benutzen, an die etwaigen und höchst theoretischen Enkelinnen weitergeben, verschenken, was auch immer.

Kinderzeitreste also, auf unbestimmte Zeit zwischengelagert, und dann wahrscheinlich auf lange Zeit nicht mehr angerührt. Wir hatten alle oder fast alle einmal solche Zimmer mit solchen Regalen, nehme ich an. Dicker Staub auf Brettspielschachteln und Stofftierglasaugen.

Der Schreibtisch steht jetzt anders im Raum, weswegen ich, der ich in den Kinderzimmern Home-Office mache, während sie in der Schule sind, also hoffentlich in der Schule sind, weil mir hier sonst Raum und Tisch fehlen, mich fühle, als hätte ich ein neues Büro bekommen.

Sehr nett, eine Abwechslung, und ich musste gar nichts dafür tun.

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Am Montagabend weiter in der Kafka-Biografie gelesen, weiter zufrieden gewesen. Wenn ich in der Geschwindigkeit von gestern weiterlese, brauche ich allerdings eine Ewigkeit für das Buch, ich werde die Lektüre nicht mehr jeden Tag erwähnen. Setzen Sie bitte einfach Kafka als Grundnote meiner Abende in der nächsten Zeit voraus, es passt schon. Er wurde im aktuellen Kapitel gerade erst geboren, es musste auch erst ein paar Seiten lang Wallenstein abgehandelt werden, der Prag-Hintergrund etc.; es entwickelt sich angenehm langsam, das Werk.

Ich bin etwas in Versuchung, von diesem Buch aus alles Mögliche nebenbei zu lesen, so erinnere ich mich etwa an Schillers Wallenstein nur vage, da könnte man doch noch einmal hineinsehen, wenn das Stichwort schon fällt … Na, mal sehen.

Dicker Staub übrigens liegt hier nicht nur auf den Brettspielschachteln, sondern auch auf der Schiller-Gesamtausgabe, sehe ich gerade. Auch eines der Werke, die ich damals in der Antiquariatszeit statt Lohn mitgenommen habe.

„Spät kommt Ihr – doch Ihr kommt!“ Gleich der erste Satz ein bekanntes Zitat. Verlockend.

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Den Meisen nacheifern

Vorweg ein herzlicher Dank in die Schweiz, es kamen per Post die Aufzeichnungen der Kaschnitz in antiquarischer Ausgabe – wunderbar!

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Schnatterkalt geht es am Dienstagmorgen weiter, auch der Regen auf den Dachfenstern fehlt nicht, ebenso wenig der schneidende Wind ums Haus. Unbill aller Art da draußen. Mit Murren und Knurren in den Tag. Die Vögel allerdings singen vom Wetter gänzlich unbeeindruckt, als sei es ein herrlicher, strahlender Frühlingsmorgen mit allen Möglichkeiten des milden Monats Mai. In Bezug auf die morgendliche Stimmung vielleicht doch mehr den Meisen nacheifern, sie haben den Menschen da eindeutig etwas voraus.

Versuchsweise vor dem Badezimmerspiegel sich selbst eins pfeifen. Na ja.

Wobei ich zu den Menschen gehöre, die ausgesprochen gerne aufstehen, auch früh. Ich bin dabei aber nicht zwingend gut gelaunt. Gute Laune wird doch etwas überschätzt, glaube ich, man kann auch suboptimal gelaunt reibungslos funktionieren und, nur als Beispiel, Texte schreiben wie immer oder anders tätig werden. Ich wache ausgesprochen arbeitsam auf, nicht unbedingt vergnügt. Und es ist auch in Ordnung so.

Zum wilden Herumflirten, wie es mir die Meisen vorleben, neige ich am frühen Morgen gewiss nicht. Das ist bei Menschen generell keine gute Uhrzeit für die Partnerinnenwahl, glaube ich, und außerdem habe ich schon eine. Was ein Glück.

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Dann ein Vormittag im Home-Office ohne blogbare Highlights. Nur der Buntspecht besucht immerhin zwischendurch den Balkon. Er hält sich dort sogar länger direkt vor mir auf und lässt sich bestaunen, das ist nicht nichts. Ich kann vom Balkon aus, Moment, ich zähle eben im Geiste nach, etwa 25 Vogelarten identifizieren, die hier regelmäßig zu Besuch kommen oder vorbeifliegen. Im Garten werden es einige mehr, werden es etwa 35 sein und ich weiß gar nicht, ob das für Stadtmitteverhältnisse nun viel oder wenig sind. Man müsste etwas vergleichen, Sie können ja auch einmal zählen.

Es sei denn, Sie sind passionierter Vogelbeobachterin und wohnen im Naturschutzgebiet, dann würde mich Ihr Ergebnis vermutlich nur frustrieren.

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Gelesen: Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland gibt es einen Newsletter „Demokratie-Radar“. Ich nehme an, er könnte auch einige der Leserinnen interessieren.

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Fast final hinweggefegt

Gesehen: Die Landlebenbloggerin verlinkte hier im Text das folgende Video über ihre Arbeit für den SWR, und wer sie schon länger liest, erkennt zwei, drei Sachen wieder:

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Gehört: Eine Folge von Radiowissen über Romeo und Julia. Nicht nur über die Shakespeare-Version, auch über die Vorlagen (22 Minuten).

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Gelesen: Angefangen mit dem Reiner Stach, Kafkas frühe Jahre. Es ist wie erwartet hervorragend erzählt, es ist ein überaus anziehendes Buch, und der Abend ist zu früh zu Ende. Ich hätte gerne noch mehr Zeit dafür gehabt, aber Nachtschichten mache ich nicht mehr. Demnächst weiter.

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Am Montag Home-Office bei bescheidenen vier Grad am Morgen, dann doch mit etwas Heizbedarf, bei allem Geiz. Die Weltlage ist schlecht, der Wetterbericht ist schlecht, es ist sehr Montag und auf dem Weg zum Bäcker motzen mich zwei Amseln an, als würde ich mit jedem Schritt etwas falsch machen. Empörtes Gezeter begleitet mich in die Woche.

Dennoch Brot holen. Alles immer dennoch machen. An der Ampel wäre ich dann fast von einer Kehrmaschine überfahren worden. Es wäre ein Tod mit feiner Pointe gewesen, so final hinweggefegt zu werden, es hätte auch etwas gehabt. Man hätte das einerseits gut verbloggen können, hätte es andererseits aber nicht mehr gekonnt. Letzte Pointen sind oft ein spezielles Problem, glaube ich. So etwas vielleicht lieber nicht anstreben, es ist zu kompliziert.

Nachmittags, nach dem montäglichen Großeinkauf, endlich den Kühlschrank saubergemacht. Ich möchte nicht darüber reden, jedenfalls nicht ohne seelsorgerischen Beistand. Aber ich gehe jetzt jedenfalls gerne wie zufällig in die Küche, mache die Kühlschranktür auf und sehe einen Moment hinein. Es sind die kleinen Freuden.

Die Herzdame fuhr währenddessen erst zur Werkstatt und dann in den Garten. Sie übte sich dort im sportlichen Rasenmähen bei heranrauschendem Regen, die letzten Meter bei den ersten Tropfen. Viel Gras, wenig Zeit. Wir scheinen beide gerade keinen Sport zu brauchen, der Alltag gibt ausreichend Betätigung und Bewegung her. Schön, schön.

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Weißes Wirbeln

Gelesen: Es gibt eine neue Monatsnotiz von Nicola. Immer lesenswert.

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Gesehen: Diese Dokumentation auf arte über Simone Signoret. „Das ist Luxus: Nichts zu tun, was mich langweilt.“ Es sind mehr, es sind viele Sätze darin, die man zitieren möchte, zu viele, und es gibt dazu noch großartiges Bildmaterial. Sie werden es selbst ansehen müssen und es wird sich lohnen. Nehme ich an. Mit großem Interesse gesehen.

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Manchmal ist es interessant, wenn man bei irgendetwas richtig lag –so schrieb ich neulich in dem Text „Spiegelungen des Verfalls“ über Schlaglöcher und Schäden an der Infrastruktur, jetzt sehe ich beim NDR: „Deutlich mehr Unfälle durch Schlaglöcher in Hamburg.

Denn, wie immer wieder festzustellen ist, es ist aufgrund der eingeschränkten Stichprobe eben nicht selbstverständlich, dass man richtig liegt.

Eine Beobachtung kann ich ergänzen, wenn auch noch nicht recht deuten. Hier wurde gerade an einer Straßenecke etwas gearbeitet, die Verkehrsführung leicht geändert, und die Qualität und Ausführung dieser Arbeit ist im Ergebnis seltsam. Sie ist eher so, wie man es per Klischee früher südlicheren Ländern zugeordnet hätte, merkwürdig improvisiert und ungenau, etwas unbeholfen und unfertig aussehend. Vielleicht gehört das zu diesem Infrastrukturthema dazu, dass wir, also wir als Gesellschaft, auch die Reparaturen jetzt nicht mehr so können und ausführen, wie wir es früher einmal konnten. Vielleicht ist es aber auch nur Zufall, was ich da sehe.

Und vielleicht gibt es in ein paar Wochen einen Bericht im NDR dazu. Ich kann nicht mehr tun, als das zu beobachten, was vor der Haustür passiert, und das ist merkwürdig genug.

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Am Sonntagmittag fahren wir in den Garten, nachdem ich mit einem Sohn noch etwas über das Grundgesetzt gesprochen habe, für die Schule. Dabei immer die alte Degenhardt-Zeile im Ohr: „Ja, Grundgesetz, ja, Grundgesetz, ja, GrundgesetzSie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz – Sagen sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?“ Aus der Befragung eines Kriegsdienstverweigerers war das, sehr damals. Ich halte an mich, den Sohn nicht mit Geschichten aus grauer Vorzeit zu belästigen, aber es ist nicht einfach.

Im Garten (was dann übrigens ein Liedtitel von Hannes Wader ist, aber das nur am Rande). Alle Obstbäume blühen, die Tulpen auch, sogar schöner denn je, die Magnolie gerade eben noch, dazu einige frühe Blumen in den Beeten, Beinwell, Vergissmeinnicht und andere. Das Gras steht üppig hoch, denn der Rasenmäher ist zur Reparatur, und das saftige Gras ist geradezu unglaubwürdig grün im Mittagslicht. Die Sonne scheint und der Garten sieht fantastisch aus, maien- und märchenhaft, aber während wir noch begeistert hinsehen, kommt mehr und mehr Wind auf, und der wird kälter und kälter. Bald fliegt es um uns weiß wie Schnee wirbelnd durch die Luft, es sind die ersten abgefetzten Apfelbaumblüten, die Kirschbaumblüten. Die Kaltfront rollt schon heran und wird zehn Tage oder länger bleiben, ein ungebetener Gast. Fisch und Besuch riechen nach drei Tagen, pflegte meine Mutter zu sagen, aber was kümmert das eine ausgewachsene Kaltfront.

Nur in der Laube ist es noch warm, zu warm sogar, es wird einem heiß beim Schreiben am Tisch. Noch etwa zwei, drei Stunden lang wird es so sein, dann wird sich auch das für eine Weile erledigt haben.

Auf dem Weg zurück zur U-Bahn später sportliches Gehen, sonst wird es schon zu frisch.

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Es geht immer noch etwas

Am Sonnabendmorgen frühes und allgemeines Aufstehen, es gibt Gemeinschaftsarbeit im Schrebergarten, eine jährliche Pflicht. Außerdem ist ein Sohn, wiederum dank Deutschlandticket, ausflugsorientiert und reist zeitig los, ein ungewohnter Schnellstart ins Wochenende für alle.

Für die Gemeinschaftsarbeit, einige Stunden Unkrautbeseitigung vor dem Vereinsheim, können die Herzdame und ich uns, wir man an dem Wortteil Gemeinschaft schon sieht, einen Demokratiepunkt vergeben, von denen man als Grundgesetzultra im Laufe des Jahres nach Möglichkeit einige sammeln sollte, wie ich finde. Zwei haben wir uns in den letzten Monaten schon für Elternabende gegeben, denn auch die zählen, da sind sogar Wahlen dabei. Wobei ich mir praktischerweise die Regeln für dieses Spiel selbst mache und allein entscheide, was zählt, das ist manchmal ein Vorteil.

Nach der Gartenarbeit, wie immer nach der ersten Großaktion im Grünen im Frühling, ein überwältigendes Erschöpfungsgefühl, wie nach einem gerade gelaufenen Marathon, vollkommen unangemessen für ein wenig Herumwühlen in der Erde. Die Herzdame und ich hängen stöhnend und ächzend in den Seilen, und ich gehe im Geiste schon die mir bekannten Orthopäden durch, welchen nehme ich denn diesmal.

So ist es allerdings stets, wenn die Saison beginnt, nach den ersten Stunden denkt man, dass man in diesem Jahr vielleicht einfach nicht mehr kann, aber das gibt sich bald. Ein Garten ist ein äußerst effektives Fitnessstudio.

Zu dieser Gemeinschaftsarbeit gehört auch verlässlich die Erkenntnis, dass es ältere, auch viel ältere Menschen gibt, die deutlich fitter sind als man selbst. Man sieht aus dem Augenwinkel etwa, wie sie sich nach einem Gartengerät bücken, als sei Bücken ganz einfach. Machen die seit dreißig Jahren Yoga oder was, sie sind gar nicht der Typ dafür.

Man kann es, mit etwas Fantasie jedenfalls, motivierend finden. Es geht immer noch etwas.

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Nachmittags Treffen mit Menschen aus dem Internet. Wie damals, vor achtzehn Jahren oder so, als dieses Online noch ziemlich neu war und wir uns alle kennenlernten, auch genau so erfreulich, nur dass wir jetzt eben zu dem Tisch gehören, an dem die Truppe mit den grauen Haaren sitzt.

Und dass wir einen ausgesprochen lauen Sommerabend in der Außengastro im April haben – es erwähnt niemand, aber wir hätten es selbstverständlich mehrfach betonen können, dass es das früher so nicht gab, dass früher alles anders war. Aber wir haben uns alle so weit im Griff.

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Kleine Sonnen für den Hausgebrauch

Ich werde mir als neues Lieblingsspezialwissen merken, dass die Wehrmacht Spalier stand, als die ersten Waschbären 1934 in Deutschland ausgewildert wurden (Audio, 5 Minuten). Im Grunde Braunbären.

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Beim Einkauf etwas über die Geschichte der Mode gehört, genauer über die Mode des Empire, bzw. des Directoire (23 Minuten). Dass die Frauen ihre hauchdünnen Musselinkleider damals auch im Winter trugen und deswegen reihenweise krank wurden – in der Kulturgeschichte der Mode könnte ich mich gerne auch längere Zeit verlieren, ein so anziehend abgründiges Thema.

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Weiße, etwas abstoßend leichenhaft wirkende und trostlos hinsinkende Tulpen entsorgt und stattdessen stramme, sattgelbe Ranunkeln gekauft. Mehr Farbe auf dem Wohnzimmertisch. Leuchtfeuer vor Raufaser, kleine Sonnen für den Hausgebrauch.

Und falls Sie auch immer wieder darüber stolpern – man kann auch Rauhfaser schreiben. Rechtschreibreform und so. Wikipedia-Ergänzung: „Die Raufasertapete gilt auch in England als Inbegriff des Kleinbürgertums und zieht sich leitmotivisch durch die 1995 erschienene Single Disco 2000 der englischen Popband Pulp (Your house was very small / With woodchip on the wall).“

Woodchip, die Vokabel hätte ich nicht gewusst. Nun gründlich abgespeichert.

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Mit einem Sohn über eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert gesprochen, zur Vorbereitung auf eine Deutscharbeit. Die Küchenuhr heißt die Geschichte, bestimmt vielen aus der Schulzeit bekannt, es geht um das, was bleibt, wenn ein Haus in Trümmern liegt, zerbombt wurde, mit den Menschen darin, es geht um einen Überlebenden, was er noch hat und was es ihm bedeutet, nämlich einzig die titelgebende Küchenuhr, aus dem Schutt geborgen.

Man müsste kein einziges Wort ändern, um diese Geschichte heute in der Ukraine oder einem anderen Kriegsgebiet spielen zu lassen, kein einziges Wort. Die Geschichte ist durch Zeiten und über Grenzen hinweg gültig.

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Abends im Bett dann noch mehrere Liebesgeschichten von Adolf Muschg gelesen und gut gefunden. Texte aus den frühen Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Ich bilde mir ein, dass man in denen noch eine Ruhe des Nachdenkens und Schreibens liest, die wir mittlerweile beim Lesen und Verfassen von Texten verloren haben. Das auch schon so bei der Kaschnitz neulich gedacht. Man kann es anhand der Grammatik nicht oder kaum beweisen, aber die Sätze hatten damals entschieden mehr Zeit, sich Wort für Wort aufzubauen.

Vielleicht lässt es sich auch schlicht mit der Entwicklung der Schreibgeräte erklären. Wahrscheinlich wird es so sein. Die Hast der huschenden Finger auf Computertastaturen, es ist etwas Grundsätzliches.

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Normalgestimmt in die Büros

Auch einmal eine gute Nachricht: Hamburger Schülerinnen bekommen ein kostenloses Deutschlandticket. Das finde ich richtig. Die Kinder früh anfüttern und abhängig machen, den ÖPNV als Droge sehen. So muss das.

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Am Mittwoch Office-Office in Hammerbrook. Auf dem Weg dorthin sehe ich am Morgen viele festlich gekleidete Menschen, die das Ende des Ramadans feiern, Eid al-Fitr. Teils zeigt man sich da bunt, glänzend und auffällig gewandet, golddurchwirkt und brokatbeladen. Kinder sehe ich, die ihre neuen Kleider oder Anzüge mit sichtlichem Stolz und Vergnügen tragen. Sie haben heute schulfrei, nach Bedarf, wenn die Eltern das möchten.

Auffällig sind, wie schon im letzten Jahr notiert, auch manche Familienverbände im generationenübergreifenden Partnerlook, alle Kleider aus einem Stoff geschneidert und vermutlich selbst gefertigt, aber das ist nur geraten. Die ganze Familie in einem einheitlichen Look jedenfalls. Dazu fällt mir keine norddeutsche Entsprechung ein, so eine Tradition haben wir nicht oder falls doch, etwa bei den Trachten, ist es zu lange her für mich.

Die Familien, die ich heute sehe, die mit ihrer Kleidung so auffallen, die machen das jedenfalls mit großer Freude, man sieht es ihnen an, wie überhaupt festzuhalten ist, dass diese Feierwilligen durchweg gut gelaunt aussehen. Besonders im Gegensatz zu den anderen Menschen, die lediglich normalgestimmt in die Büros ziehen, wo es vermutlich wieder nichts zu feiern gibt.

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Auf dem Fleet vor dem Büro schwimmen vier attraktive Brandgänse und zwei elegante Haubentaucher (Wikipedia: Zu den Balzelementen gehören ein heftiges Kopfschütteln mit gespreizter Federhaube sowie die sogenannte Pinguin-Pose, bei denen sich die Vögel durch rasches Paddeln der Füße fast senkrecht voreinander aus dem Wasser heben). Es versöhnt mich heute etwas mit Hammerbrook, diesen schön designten Vögeln zuzusehen, wie sie sich umkreisen, bebalzen und Manöver schwimmen.

Und die Pinguin-Pose! So etwas können wir Menschen nicht, wie man bedauernd feststellen muss, das muss man im Wasser gar nicht erst versuchen.

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Mittelmäßig bis mau

Ich danke sehr für die Zusendung von Reiner Stachs Kafka-Biografie, dem Band über die frühen Jahre (es ist dieses Buch). Es lag diesmal kein Zettel dabei, der Dank geht also vage in die Runde und wird die richtige Person hoffentlich treffen. Ich freue mich auf die Lektüre, es geht demnächst los.

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Am Dienstag fällt die Temperatur in wenigen Stunden in etwa vom leichten Polo-Shirt bis runter zum dicken Rollkragen, es ist ein spürbar steiler Abstieg. Die Balkontür also grummelnd doch wieder schließen und erneut zum Kleiderschrank gehen, die warmen Sachen noch einmal hervorholen, alles zurück auf 12-Grad-Normalbetrieb regeln. Nur an der Heizung kurz etwas zögern, als stets Sparsamkeit vorlebendes Elternteil. Man hat so seine Verpflichtungen.

Draußen sehe ich dann ab der Mittagszeit deutlich frierende Menschen auf den Straßen, die am noch warmen Morgen wohl dem Wetterbericht nicht recht geglaubt haben, die immer noch allzu leicht bekleidet sommerlich herumlaufen. Teils sehen sie bedauernswert aus, die so klar erkennbar unentspannten Fröstelgestalten, besonders im Regen, und ihre sinnlosen Sonnenbrillen machen es nicht besser.

Mit einer konservativen Schätzung des Verlaufs und der Ergebnisse macht man bei vielen Themen weniger falsch. Eine alte Controller-Weisheit, auch beim Wetter anwendbar.

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Dann Home-Office und Haushalt. Es ist an diesem Tag alles etwas öde, unbefriedigend und nur mittelmäßig bis mau. Manchmal kann ich solche Tage entspannend und beruhigend finden, manchmal kann ich das nicht, Sie werden es vermutlich kennen. Die Frage, ob Routinen ein sicheres Geländer im heimeligen Alltag oder doch belastende Einschränkungen in der grauen Ödnis des ewigen Immerwieders sind, sie entscheidet sich jeweils nach der seelischen Tagesform, nicht etwa nach den Ereignissen und dem Verlauf der Stunden.

Man kann philosophisch Tiefgreifendes daraus ableiten oder man kann es bleiben lassen. Morgen ist auch noch ein Tag, allerdings vermutlich ein ähnlicher.

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Gehört beim Schnippel des Gemüses für eine Maultaschensuppe: Eine Folge Radiowissen über den Zoroastrismus. Sinngemäß wurde darin gesagt, dass man gar keine Religion brauche, wenn man gut denke, rede und handle, es sei dies der eigentliche Kern dieser Richtung. Das fand ich sympathisch, obwohl man es auch so deuten könnte, dass in diesem Fall mit großer Sicherheit alle eine Religion brauchen, schon klar. Danach vertiefend noch: Zarathustra und die Parsen. Jetzt wieder bereit für deutlich weltlichere Themen.

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Alles muss man neu singen

Am Montag Home-Office bei offener Balkontür und lauer Luft. Auch das Arbeitsgefühl ist jetzt jahreszeitlich irritiert, das passt hier alles nicht mehr recht zusammen. Ist es Sommer, ist es Frühling, laut Wetterbericht wird es ab morgen schon wieder herbstlich. Nur den Winter, den können wir allmählich ganz ausschließen.

Ein Sohn hat nach frühen Prüfungen frei und fährt schon am Vormittag in den Garten. Dezenter Neid, zumal er sich dort erfolgreich mit drei Stockenten anfreundet, die ihm dann traulich aus der Hand fressen. Es gibt Momente, da finde ich so etwas deutlich attraktiver als meine Arbeit, es ist ganz seltsam.

Währenddessen vor dem Balkon, ich gehe zwischendurch nachsehen: Der April ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Komm, lieber April, und mache den Spielplatz wieder grün.

Alles muss man neu singen, und es sind hier und da Textanpassungen erforderlich.

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Gehört: Eine Folge von Radiowissen über die DDR-Literatur: Rückkehr, Aufbau, Kritik. 23 Minuten. Ich habe bei der DDR-Literatur größere Bildungslücken, aber z.B. die Reimann-Tagebücher haben mich doch nachhaltig beeindruckt.

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Den Thomas Wolfe, „Schau heimwärts, Engel“, habe ich erfolgreich durchgelesen, der dickste Roman seit längerer Zeit war es, und ich habe ihn wieder zurück in den öffentlichen Bücherschrank gestellt. Dafür von dort einen Adolf Muschg mitgenommen, Liebesgeschichten aus der Schweiz im schmalen Suhrkamp-Band. Ein sicher etwas seltsamer Tausch, aber so geht dieses Spiel nun einmal. Man muss im Geiste flott hin- und herschalten können, zumal auch die Clarice Lispector noch hier herumliegt, die wiederum vollkommen anders schrieb.

Im Wikipedia-Artikel zu Muschg sehe ich, dass er extremer Hypochonder ist: „Mit Selbstironie erzählt er von seiner nachgeholten Hochzeitsreise 1968 auf einem Frachtschiff, wie er zum Schrecken des Kapitäns wurde, als er, einige Tage vom nächsten Hafen (und Krankenhaus) entfernt, behauptete, er habe einen vereiterten Blinddarm, der sofort operiert werden müsste. Der Erste Offizier liess sich die Symptome schildern, gab sie per Funk an eine Klinik in Danzig weiter und kam dann mit der beruhigenden Mitteilung zu Muschg, es sei kein Blinddarmdurchbruch, sondern ein Magenkrebs, und der liesse noch viel Zeit für eine Operation. Muschg aber war kerngesund.“

Immer schön, wenn andere in gewisser Hinsicht noch seltsamer sind als man selbst. Auch so etwas kann trostreich sein, auch an so etwas kann man sich manchmal etwas aufrichten.

Und apropos Aufrichten, ich danke für die Trinkgelder in den letzten Tagen, es war mir eine helle Freude.

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