Donnerstag, 9. November. Gestern am Abend gelesen und gemocht: Das Brot der frühen Jahre, Heinrich Böll. Eine kurze Nachkriegsgeschichte. Dabei wieder gemerkt, dass mir die Zwanziger, Dreißiger und auch Vierziger des letzten Jahrhunderts vorstellbarer und im Geiste besser zu bebildern sind als die Fünfziger, das ist ein deutliches Ergebnis des schulischen und auch selbstgewählten Bildungsschwerpunktes, all der gelesenen Bücher und der gesehenen Filme. Es ging oft eher darum, wie es alles kam und wie es dann war, nicht so sehr darum, wie es direkt danach weiterging. In dem Bereich blieben Lücken.
In meiner Familie wurde auch aus dieser Zeit nichts oder kaum etwas erzählt, so wenig wie aus dem Dritten Reich, es wurde nur immer die Arbeit betont, der Fleiß, die Leistung. Der Satz meiner Großmutter: „Butter ist mein Lebenselixier“, er wird aber auch keine zufällige Äußerung gewesen sein. Es war kein leichter, fröhlicher Satz, und die seltsame Dringlichkeit, mit der sie uns Enkel stets zum Essen aufforderte, wir haben sie als Kinder nicht recht verstanden.
Plötzlich Lust auf Frankfurter Kranz und Bienenstich. Schlimm.
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Ein grauer Home-Office-Tag ansonsten, an dem sich die Hoffnung hauptsächlich darauf richtet, dass bitte keine neuen historischen Ereignisse in den nebenbei laufenden Newsstreams auftreten mögen. Das muss man an diesem Datum stets bis Mitternacht durchgehend denken, denn man weiß nie. Diesem Land ist entschieden zu viel zuzutrauen, der Weltgeschichte sowieso.
Gegenüber der Kirche wird nun der Weihnachtsmarkt aufgebaut, es entstehen die üblichen Holzbuden, Glühwein, gebrannte Mandeln, Wurstverkaufsstände. Es ist ein schwullesbischer Weihnachtsmarkt, „Winterpride“ heißt er und hat eine schon lange Tradition, die Erlöse gehen teils an diverse Hilfsorganisationen, die dort abwechselnd das Personal stellen und ausschenken. Die Musik bleibt, so viel steht fest, frei von Last Christmas etc. und es ist ein zuverlässiger Stadtteiltreff.
Man stellt sich da abends hin und trifft die und den, der Markt ist so gelegen, dass irgendwann alle vorbeikommen, und das immerhin kann nett sein, auch abseits der weihnachtlichen Anmutung.
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Ansonsten in der Bücherei gewesen und weitere Nachkriegslektüre besorgt, Böll, Lenz, Eich, Richter. Mir ist gerade so, der Ernst der Werke spricht mich an, er passt auch in den Monat und zur Lage. Und irgendwo, fällt mir ein, muss hier auch noch ein ungelesener Roman von der Haushofer herumstehen. Den auch mal hervorsuchen, der passt mir jetzt gut ins Konzept.
Ich mochte schon bei der damaligen Schullektüre das Gedicht „Inventur“ vom Eich. Heute gibt es etwa 10.000 Gegenstände in einem Durchschnittshaushalt, lese ich, die Inventur von 2023 wäre unweigerlich ein Vers-Epos und irgendwo darin könnte ich unterbringen: Dies ist mein Günter-Eich-Lesebuch.
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Im Bild heute kein Rettungsring, aber doch etwas Rettendes, nämlich Regenschirme. Man braucht sie hier ab und zu, deswegen hängt die Stadt größere Mengen davon über den Straßen auf.
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