Der Buddenbohm-Bot und Konfetti im Regen

Mittwoch, der 2. August, Hamburg, immer wird es jetzt wieder Hamburg sein, also gefühlt jedenfalls. Noch finde ich es auch in Ordnung so.

Hochwasserwarnungen gibt es am Morgen, ganz ohne dazugehörigen Sturm, das ist auch mal originell. Allerdings spielt Katwarn die Meldung alle paar Minuten aus, immer wieder, es nervt etwas und wird wohl eine Fehlfunktion sein. Oder wir gehen unter, noch bevor dieser Text erscheinen wird. Egal, immer weiterschreiben, bei angeblich schnell steigendem Pegel, Selbstbildnis des Autors als Titanic-Bordkapelle.

Später melden die lokalen Medien, dass die Meldung nicht nur zu oft kam, sondern auch noch inhaltlich falsch war, vollkommen sinnlos, es gab überhaupt kein Hochwasser, nirgends. Wie schlecht kann so etwas laufen? Man muss weiterhin fest davon ausgehen, dass wir mit Ernstfällen aller Art überhaupt nicht umgehen können.

Vor einem Hauseingang auf dem Weg zur Bäckerei liegt eine zerdellte Clownsnase auf dem Gehweg, daneben verstreutes Konfetti im Regen, auch die zertretenen Reste einer Tröte. Geschichten, die niemand erzählt. In einem „Zu verschenken“-Karton ein paar Meter weiter sitzt ein ausgesetzter Stoff-Elefant, der traurig über den Papprand der Kiste guckt. Bilder wie aus einem Video für einen deutschen Song der melancholischen Art.

Im öffentlichen Bücherschrank steht immerhin Wolf Haas, Junger Mann, das nehme ich mit, das kenne ich noch nicht. Ich habe gesehen, dass es bald einen zweiten solchen Schrank im Stadtteil geben wird, der Nachschub scheint gesichert zu werden.

Ich lese den Briefwechsel Bachmann-Frisch, „Wir haben es nicht gut gemacht“, und gleich zu Anfang erwähnt sie da die Absicht, sich zu sonnen, um für ihn braun zu werden. Liest sich das für Sie auch schon ungewöhnlich, weil man das so nicht mehr sagt, weil sich niemand mehr sonnt, weil niemand mehr braun werden will, schon gar nicht für jemanden? Für mich klingt es wie ein Satz, der allmählich aus dem spontanen Verständnis fällt, und ich stelle mir vor, dass er auf so junge Menschen wie etwa die Söhne in Zukunft noch seltsamer wirken wird.

Die Herzdame meldet Halsschmerzen. Ich sage „Hühnersuppe“, sie sagt „Bester!“. Sprachliche Verkürzungen in Langzeitbeziehungen, Sie kennen das vielleicht. Ich gehe Zutaten kaufen.

Und übrigens, das ist wieder ein Fall für die Chronik, fällt uns erst spät, sehr spät ein, dass es auch Corona sein könnte und wir noch irgendwo Tests haben … Tatsächlich haben wir beide zuerst nicht daran gedacht, die allgemeine Verdrängung hat uns also mittlerweile auch ergriffen.

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Bei der Artifact-App, ich habe über sie schon einmal berichtet, kann man sich die Artikel jetzt vorlesen lassen, KI-gesteuert, versteht sich, unter anderem auch mit den Stimmen von Gwyneth Paltrow oder Snoop Dog, hier ein Artikel dazu. Die Funktion interessiert mich nicht weiter, ich nehme nur zur Kenntnis, wie sich der Medienkonsum weiterentwickelt. Man könnte sich künftig vermutlich auch dieses Blog jeden Tag mit meiner Stimme vorlesen lassen, ich müsste nur vorher ausreichend Samples aufnehmen, den Rest macht dann die Software. Und es gäbe nie hörbare Schwankungen in meiner Stimme, keine Launen, keine Probleme, keine Krankheiten, auch keinen Tod, es gäbe nicht einmal irgendwelche Hintergrundgeräusche, ich würde immer weiter auf Anfrage alles routiniert vortragen, auch fremde Texte, die ich nie gesehen habe, ein digitaler Zombie am Mikro.

Und eine andere Software, sagen wir ein Buddenbohm-Bot, würde vielleicht auch auf Verlangen immer weiter Texte in meinem Stil schreiben, vielleicht sogar besser als ich, pointierter und regelmäßiger, verlässlicher allemal. Ich stelle mir vor, dass man in der nahen Zukunft auch Jahre nach dem Ableben einer Bloggerin ihre tagesaktuellen Notizen noch imitieren können wird, täuschend echt sogar. Es wäre wohl größenwahnsinnig, das nicht für möglich zu halten. Die Bloggerin wird in der Zukunft immer weiter, bis in alle Ewigkeit gar, die Nachrichten kommentieren und ab und zu auch andere Texte verlinken, so wie es immer war, sie wird launige Anmerkungen schreiben und nach kaum spürbarem Algorithmus hier und da mal bessere und mal schlechtere Stimmung in den Texten verbreiten.

Und wenn es dann, etliche Jahre voraus gedacht, die Leserinnen ebenfalls nicht mehr geben wird, können Programme leicht auch deren Kommentare und Likes übernehmen, es braucht, wenn man es bis zum Ende durchdenkt, zu diesem ganzen Text-Klimbim überhaupt keine Menschen mehr. Fein, fein.

Vielleicht sollten wir uns vorher still und leise aus dem Zirkus entfernen und uns wieder Briefe mit dem Füller schreiben. Rundschreiben, so etwas.

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Ansonsten ist Erdüberlastungstag.

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Ticken und Tropfen

Dienstag, der 1. August. Nach der Sommerreise kommt noch eben und irgendwie unvermittelt der August, dann schon der Monat mit den Geburtstagen der Söhne und unserem Hochzeitstag. Der September vergeht meist ungewöhnlich schnell und in ihm wird sich der Herbst bereits deutlich abzeichnen, danach beginnt übergangslos die Vorweihnachtszeit und kommen auch schon die Vorbereitungen auf den Jahresschluss. So ist es bei uns immer, nach dem Urlaub kippt das Jahr auf einmal zur Seite weg und verkürzt sich seltsam, zieht sich zusammen und nimmt von Woche zu Woche Fahrt auf, es duckt sich und nimmt Anlauf. Plötzlich ist es dann weg, wie verpufft, und erst später im Januar, Februar bleibt die Zeit wieder stehen und die Monate werden langsamer, immer langsamer, und kurz vielleicht sogar langweilig. So in etwa wird es sein. Vermutlich.

Aber okay, erst einmal der August. Und auch den wickeln wir wie alle anderen Monate ab, nämlich Tag für Tag. Ich gehe heute zu einem Uhrmacher, um in die Armbanduhr meiner Mutter eine neue Batterie einsetzen zu lassen, sie schafft den Weg dorthin nicht mehr. Ich gehe durch den Regen, immer geht man jetzt durch viel Regen, auf jedem Weg, zu jeder Stunde. Ich gehe in den Laden des Uhrmachers, eine Frau springt auf, nimmt einen Schrubber mit Lappen und wischt direkt hinter mir auf, meine nassen Fußspuren müssen weg, sofort. „Was ist das denn für ein nasses Wetter“, sagt sie zu mir, und sie sieht mich dabei an, als würde sie meinen: „Was sind Sie denn für ein nasser Mensch.“

Die Batterie wird eben gewechselt, zehn Minuten dauert es, zehn Euro kostet es. In dem Laden laufen hundert Uhren und noch mehr, Standuhren, Wanduhren und Armbanduhren, und während ich kurz warte, höre ich leises Ticken und Tropfen, das eine von drinnen, das andere von draußen. Vor der offenen Tür gehen Passanten vorbei, die schon so nass sind, dass sie keinen Schirm mehr nehmen und auch die Jacken nicht schließen, sich nicht mehr vor dem Regen schützen, es ist alles egal geworden und es ist auch gar nicht so kühl wie gedacht. Geht doch. Die Uhren gehen, das Wetter geht, und ich gehe auch wieder weiter.

Es müssen auch noch Rezepte besorgt werden, ich gehe zum Hausarzt meiner Mutter. Die Praxistür steht ebenfalls offen, auf der Treppe davor sitzt eine Frau mit einem stark übergewichtigen Mops und wartet, vermutlich auf jemanden in der Praxis. Der Mops atmet rasselnd und keuchend, er hustet und japst, man hört es bis zur Anmeldung, an der ich stehe und ebenfalls warte. Neben mir ein Mann mit einem Problem der Atemwege, er atmet rasselnd und keuchend, er hustet und japst. Er sieht zu dem Hund, der genau so klingt wie er, der auch eine ähnliche Figur hat, er hört ihm kurz zu, er schüttelt missbilligend den Kopf: „Das ist doch kein Zustand, mit dem Hund da. Das geht doch so nicht!“

In der taz las ich einen Artikel über die Bleche und Kreuze vor unserer Haustür.

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Mein WLAN, mein Wetter

Montag, der 31. Juli, Hamburg. Mein WLAN, mein Wetter, meine Stunden allein am Morgen, mein Kaffee, mein korrekt ausgeleuchteter Badezimmerspiegel. Ach, ist das schön hier. Vielleicht ist es doch der wichtigster Reisegrund, dass hinterher zumindest kurz zuhause alles gut ist. All die kleinen Vorteile, die man sich so mühsam zusammengebastelt hat, in jahrelanger Arbeit.

Allerdings haben in der Nacht wieder Irre bei uns Sturm geklingelt, allerdings werde ich am Morgen schon um 04:14 geweckt, weil jemand die Mülltonnen vor dem Haus lautstark ausräumt, auf der Suche nach Ess- oder Verwertbarem, und dabei alles Unbrauchbare um sich wirft, auch zerklirrende Flaschen und dergleichen. Hamburg legt stets großen Wert darauf, uns angemessen großstädtisch in Empfang zu nehmen; es fällt doch allmählich sehr auf und wirkt vermutlich merkwürdig inszeniert, aber ich denke mir das nicht aus. Ich muss mir gar nichts ausdenken, und manchmal möchte ich ein „leider“ davorsetzen.

Ich gehe Brötchen holen, als sei es ein Sonntag, denn wir haben noch Urlaub. Ich werde auch sonst viel einkaufen im Laufe des Tages, wir haben überhaupt nichts mehr da. Dafür, dass es noch die ganze Woche fast durchgehend regnen soll, bin ich allerdings schon nach hundert Metern deutlich zu nass. Die Bäckereifachverkäuferin fragt mich: „Zehn Brötchen, wie immer?“ Nein, ich kaufe nie zehn Brötchen. Sie guckt irritiert. Beim Bezahlen fragt sie: „Mit Karte, wie immer?“ Nein, ich zahle nie mit Karte. Sie sieht mich genauer an, etwas misstrauisch, ob ich sie vielleicht veralbern will. Ich sollte heute ein anderer sein, merke ich, ich sollte einer sein, der seine zehn Brötchen stets mit Karte bezahlt, aber bei mir klappt dieses „Wie immer“ heute nicht so, wie sie es sich denkt. Vielleicht habe ich neuerdings einen Doppelgänger mit größerer Familie, wer weiß. Der Kunde hinter mir sagt vergnügt: „Aber für mich alles wie immer!“ Sie guckt ihn ratlos an, sie kennt ihn nicht. „Äh …“, sagt der Kunde. Sie hebt die Schultern, es ist beiden etwas peinlich.

Vielleicht wechsele ich bald mal die Bäckerei. Irgendwo neu anfangen, mit fünf, sieben oder zehn Brötchen. Wild und gefährlich leben, wahnsinnig spontan sein.

Ich gehe einkaufen. Ich gehe dann noch einmal einkaufen und später auch noch einmal, ich stelle dabei fest, dass sich im Stadtteil neue Seen bilden, womöglich regnet es wirklich enorm viel.

Auf den Wegen gehört: Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, gelesen von Winfried Frey. Gut zu hören, wenn man gerade seinen Pflichten nachgeht.

Der Wäscheständer ist voll, die Waschmaschine läuft schon wieder, all die sommerlichen Sachen. Man wird sie gar nicht brauchen in dieser Woche. Sie können langsam trocknen, es hat alles keine Eile.

Am Abend im Bett liegen und auf den Regen hören. Der Abfluss auf dem Balkon klingt heute wie ein Wildbach, gurgelnd, sprudelnd, plätschernd stürzt das Wasser in die Tiefe. Vor dem Balkon rauscht gerade der nächste schwere Schauer auf das Laub der Bäume am Spielplatz, über mir prasselt es auf das Dach und von etwas weiter weg kommt ein Geräusch, als würden zwei unten auf dem Spielplatz am späten Abend im Dauerregen und zwischen den mittlerweile teichtiefen Pfützen dort noch Tischtennis spielen. Aber es ist zu bequem im Bett, um vom Balkon aus nachzusehen, nein, hier steht keiner mehr auf.

Einfach die Klingel abstellen und mit den Gedanken dem Regen folgen, sie irgendwie abfließen lassen. Ich habe immer noch Urlaub.

„Kim Jong Un is testing again
Kim Kardashian is pregnant again
How come we’re not Facebook friends?
I was like „ugh“ and she was like „eh“

Fuck off world
Fuck off politics
I’m going in the woods with a stick
I’m going by the stream just to sit“

Im Text des Songs kommt noch Twitter vor, es ist ein Lied von damals.

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Sturzbäche waagerecht

Sonntag, der 30. Juli, Hamburg. Wir brechen früh aus Meran auf, denn die Stauvorhersage ist apokalyptisch. Es ist dann später aber gar nichts, wir kommen glatt durch wie nie, die Fahrt über den Brenner verläuft ungeahnt entspannt. In der anderen Richtung gab es am Tag vorher noch Aktionen der Letzten Generation, über die ich mich, so war der feste Vorsatz, nicht aufgeregt hätte, wenn sie uns betroffen hätten.

Auf der Fahrt aus dem Etschtal sehen wir einen Gipfel, der wie unverbunden mit der Erde weit oben aus den dichten Wolken ragt, ein riesiges Stück Fels, das wie im Himmel schwebend aussieht, es handelt sich dabei, so sagt ein Sohn, „um eine bodenlose Schönheit“, es ist unser Meraner Abschlussbild.

Wir verfahren uns dann gegen Mittag nicht einmal in München, das wir ungeahnt früh erreichen, obwohl das doch eine stabile Tradition bei uns hat. Heute läuft einfach alles.

Auf der Fahrt im Auto, die Herzdame steuerte diesmal, sehe ich noch in den Nachrichten, dass ein weiteres Unwetter uns am Vorabend verfehlt hat. Am anderen Ende des Etschtals ging es allerdings heftig zu, Gerölllawinen, verschüttete Autos und Straßen. Da, wo wir waren, hat es nur heftig geregnet. Okay, es hat sehr heftig geregnet. Es regnet jetzt oft so, dass man nicht recht weiß, ist das schon unwetterartiger Starkregen, ist es nur ein althergebrachter Platzregen, worauf gucke ich da eigentlich gerade. Man sieht die Auflösung dann am nächsten Tag in den Meldungen der örtlichen Medien.

Wir verlassen die Unwetterzone Südtirol, um wieder in die heimatliche Unwetterzone zu fahren. Die diversen Wetter-Apps schicken mir schon einmal Gewitterhinweise, Windwarnungen, Stark- und auch Dauerregenvoraussagen für den Hamburger Raum, da kann ich mich langsam ein- und umstimmen. Man müsste wohl etwas suchen, um in diesem Monat eine europäische Zone ohne Unwetter aller Art zu finden.

Der Zug ab München fährt pünktlich auf die Minute aus dem Nichtbahnhof ab. Man kann das Bauwerk da wohl erst in ein paar Jahren wieder im Normalzustand sehen, nach wüsten Bauarbeiten im und am Bahnhof, bis dahin ist das alles nicht recht vorzeigbar. Das wird uns in Hamburg auch irgendwann so gehen, aber es scheint doch in weiterer Zukunft zu liegen. Man liest bei uns immer nur von Plänen, Vorstellungen, Absichten, manchmal sieht man auch fantastisch anmutende Bauskizzen. Aber es kommen keine Bagger, noch lange nicht.

Wir haben im Zug ein Abteil nur für uns und hängen daher vergleichsweise entspannt herum, die ganzen sieben Stunden lang. Es ist am Ende doch immer ein langer Reisetag, wenn man alles ohne Zwischenstopp abwickelt. Man kann es so machen, aber mit Station unterwegs, mit Übernachtung irgendwo, ist es viel leichter. Das WLAN im Zug flackert, das WLAN fällt zwischendurch aus, aber das ist so üblich, das kennt man nicht anders, und es gibt sonst keine besonderen Vorkommnisse. Es gibt heute keine Personen im Gleis, keine liegengebliebenen Züge auf der Strecke, kein Fahrplanchaos, keine Umleitungen über Städte, in denen man noch nie war. Bahnfahren wie früher, denke ich mir und nicke rentnerhaft.

Allerdings fällt mir doch sehr auf, wie handlich die Söhne noch waren, als wir zuletzt auf diese Art gereist sind, damals vor Corona, wie leicht sie da noch in einem Abteil zu verstauen waren und wie gut sie an den kleinen Tisch darin passten. Heute steht überall etwas über und mir sind beim Lesen (A.I. Kennedy: Süßer Ernst, Deutsch von Ingo Herzke und Susanne Höbel) dauernd Beine und Arme im Weg, die gar nicht zu mir gehören.

Das war auch eine Erkenntnis im Urlaub, wir müssen, wenn wir wieder zusammen verreisen sollten, eine viel größere Unterkunft buchen. Diese war gerade groß genug für eine Familie mit zwei Kindern, nicht aber für eine mit zwei Teenagern. Da müssen wir definitiv umdenken.

Es kommen nach und nach weitere Unwetterwarnungen auf meinem Handy an und es wird draußen langsam doppelt dunkler. Zum einen neigt sich der Tag, zum anderen wird der Himmel immer schwärzer bewölkt, je weiter wir nach Norden fahren. Zwischendurch klatscht schon reichlich Regen an die Scheiben, um uns auf die kommende Woche einzustimmen. Sturzbäche verwehen waagerecht im Fahrtwind.

Ich bereite herbstliche Musik für das Blog vor, ich aktualisiere Playlists und suche passende Titel. Es ist eine ausgesprochen besinnliche Beschäftigung und ich habe es lange nicht mehr konzentriert gemacht. Der Herbst findet in Hamburg schon in den nächsten zwei Wochen statt, es wird eher kühl sein, es wird regnen, es wird Übergangsjackenwetter sein und das schreckt mich gerade alles nicht. Vielleicht kommt der Sommer danach noch einmal wieder, vielleicht auch nicht, von heute aus betrachte ist das sehr gelassen und finde es ausgesprochen kuschelig, im Zugabteil melancholische Musik zu sortieren.

Nebenbei noch eben die Meran-App vom Handy gelöscht. Seilbahnrabatte kommen nun eine Weile nicht mehr in Betracht.

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Währenddessen in den Blogs

Ich habe für das Goethe-Institut eine neue Monatskolumne geschrieben. Etwas deprimierend, zugegeben, aber die Lage eskaliert bezogen auf die beschriebenen Zustände hier in diesen Monaten in furchtbarer Geschwindigkeit.

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Eine wichtige Ergänzung zum in der letzten Ausgabe verlinkten Text zum Thema Kirchenasyl.

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Frau Büüsker über die Diskussionen zum Klimawandel

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Heiko über die imaginäre Zukunft des gewendeten Verkehrs. Auf Mastodon machte er mich außerdem auf Napflix aufmerksam, die Plattform für einschläfernde Videos. Fand ich schön.

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Die Kaltmamsell über kleine Kulturunterschiede beim Kaffee und mit einer treffenden Anmerkung zu Ballspielen.

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Nehmen wir es als Hinweis zum Zeitgeschehen, dass die Frage, wohin auszuwandern sein, in noch scherzhafter Form hier auftaucht. Und nicht beantwortet wird. Auf Mastodon fällt dann gleich zweimal das Wort Dänemark, ich werde das beobachten und berichten.

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Weitere Links in nun schon liebgewonnener Tradition bei Kiki.

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Am Mustersee

Sonnabend, der 29. Juli, Meran. Der letzte Tag in Südtirol. Wir fahren an den Montiggler See, aus Traditionsgründen, denn es ist für uns der See schlechthin, der Mustersee. Exakt so gehört ein schöner See, mit Bäumen, die halb gestürzt ins Wasser ragen, mit Felsen, von denen man in das sensationell klare Wasser hineinspringen kann, mit ein, zwei sandigen Stellen am Ufer, mit Wald ringsherum, mit Schatten auf den Wegen und dabei so abgelegen, dass es nie zu voll dort ist. Ein wahrer Traumsee.

Die beiden Söhne, man sieht sie von hinten, am Ufer des Montiggler Sees

Beim letzten Besuch kamen die Söhne dort enorm schnell aus dem Wasser, in dem sie gerade herumtollten, als neben ihnen eine Schlange elegant ins Wasser glitt, dieses Mal stellt sich mir beim Rundgang eine Misteldrossel in den Weg, kühnen Blicks und mit vorgereckter Brust, als wollte sie uns die weitere Passage verwehren. Misteldrosseln aus der Nähe sind großartig und sehr schön, um sie herum flogen Libellen in Hubschraubergröße, also fast jedenfalls. Doch, das ist eine feine Gegend da, mit interessanter Tierwelt.

Auf dem Rückweg gab es dann noch eine neue und originelle Fehlermeldung im Mietwagen, wie hart kann so ein Gerät nerven.

Am Abend unser Abschlussspaziergang durch Meran, noch einmal über die beiden Promenaden. Hier und da, selten nur, etwas Politik an den Laternenmasten und Bänken, Edding-Inschriften für oder gegen die Regierung, Anmerkungen zur speziellen Südtiroler Lage, alles dezent und zurückhaltend, wie um die Touristen nicht zu stören. Viel häufiger als Politik sehe ich Vornamen und Herzchen, man verewigt sich hier gerne als Pärchen, auch auf die altmodische Art, also geschnitzt, geritzt.

Die Herzdame und Sohn II; man sieht beide von hinte, spazieren durch Meran, an der Passer entlang

Es würde viel zu lange dauern, bis ich unsere Vornamen irgendwo ins Holz gearbeitet hätte, besonders mein Name ist bei so etwas herausfordernd. Das mal auf die Zeit als Rentner verschieben und vielleicht vorher an Frühstücksbrettchen üben.

Wie auch bei den vorherigen Besuchen haben wir in der Woche besondere Schwierigkeiten mit den Öffnungszeiten gehabt, mit den Ruhetagen, den Mittagspausen, den Nachmittagsschließzeiten und was es da noch alles in Südtirol gibt, man macht hier generell gerne zu. Das ist selbstverständlich auch in Ordnung, wir kommen nur aus einer Stadt, in der alles etwas länger und durchgehender geöffnet ist, und das passt nicht immer einfach zusammen.

„Wollen wir heute dies oder das machen?“

„Egal, es wird sowieso beides geschlossen sein.“

Ich denke, ich habe viel Verständnis für diese Öffnungszeiten hier, vielleicht sind sie mir sogar sympathisch. Ich bin nur vollkommen anders geprägt.

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In den Nachrichten geht es währenddessen weiter um eine rechtsextreme Partei in Deutschland. Ich bin mit der Art der Berichterstattung ohne sinnige Einordnung ganz und gar nicht einverstanden, ich bin ausdrücklich altmodisch demokratisch, und ich finde die Fehler der Medien, die eher Klicks und Abschreiberei als Werten verpflichtet sind und etliche Aussagen vollkommen unreflektiert wiedergeben, immer unübersehbarer und drastischer.

Immerhin fällt mir nebenbei aber eine historische Pointe ein, die mich eine Weile still amüsiert: Wenn die Rechten an die Macht kommen, werden sie Blogs nicht wie damals die Bücher verbrennen können. Blogs muss man löschen, und das eben ist die Weiterentwicklung, mehr haben wir gar nicht erreicht. Wir haben wohl nur gedacht, etwas erreicht zu haben.

In einer Broschüre für die Touristen hier wird die Zeit unter dem Duce sehr kurz als die „Leidenszeit Südtirols“ abgehandelt, zu allen anderen geschichtlichen Phasen gibt es wesentlich mehr Inhalt, und ich lese diesen Text, während neofaschistische Politikerinnen schon wieder das Land regieren. Was soll man noch sagen oder schreiben.

Abendlicht an der Promenade an Meran, eine erleichtete Laterne vor den Bergen im Hintergrund der Stadt, blaue Stunde

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Badetag

Freitag, der 28. Juli, Meran. “Heute wird ein Badetag“, sagt die Herzdame, kaum dass sie das Bett verlassen und aus dem Fenster gesehen hat, es wird sonnig. Ich sage „Moment“, ich sage „Ich bin noch nicht ganz fertig“, denn was ich in all den Jahren nie geschafft habe, das ist gleichzeitiger Urlaub in meinen verschiedenen Jobs. Die Aufträge und Deadlines reisen daher stets bei uns mit, und besonders schlimm ist das in der Regel nicht, so eine Reise wirft normalerweise nebenbei reichlich Content ab und Schreiben würde ich doch eh, ob ich nun Abgabetermine habe oder nicht. Also ist es eher kein Grund, sich den Kopf darüber zu zerbrechen oder zu jammern, denke ich mir. Vielleicht will ich es aber auch unbedingt denken, es ist immerhin einfacher so.

Wer schreibt, der sitzt außerdem still, stört nicht und hat keine Sonderwünsche, was das Tagesprogramm betrifft, das ist für andere aus der Familie manchmal auch praktisch.

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Gestern habe ich in den Pausenzeiten verschiedene Hörbücher angefangen und alle gleich wieder verworfen, es sind Zeiten der Ungnade. Ich hörte dann den Landarzt von Kafka, gelesen von Sven Regener. Ich komme ab und zu auf Kafka zurück, aber ich weiß auch nach vielen Jahren immer noch nicht, ob ich ihn nun gut finde oder nicht. Also abgesehen vom Schloss, das zumindest gefiel mir sehr. Beim Rest ist mir zu viel Deutungsaufwand dabei, das ist nicht meine Art zu denken oder zu schreiben. Ich bin vermutlich geistig viel zu schlicht und habe daher eine Aversion gegen literarische Rätselaufgaben.

Schließlich habe ich wieder in Katrin Seddigs Nadine gelesen und den Roman weiter gut gefunden.

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Ich reiche noch eben eine Szene der Zugfahrt von Hamburg nach München nach, sie fällt mit gerade wieder ein. Neben uns saß eine Gruppe junger Männer, die sich laut auf Englisch unterhielten, sie kamen wohl, wenn ich es richtig mitbekommen habe, aus verschiedenen europäischen Ländern. Es ging bei ihrem Gespräch auch um komplizierte philosophische Fragen, um Religion, sie hatten verschiedene Vorstellungen und Konstrukte im Kopf. Es kam schließlich die Frage auf, was mit dem Hirn nach dem Tod passiere, mit diesem fantastischen Wunderwerk, welches pausenlos unser Ich reproduziert, und einer sagte nach einigen Überlegungen: „I think it restarts.“

Was ich jetzt als Gruselvorstellung erst einmal mühsam wieder loswerden muss.


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Wir machen ansonsten nichts, gar nichts. Die Herzdame beschlagnahmt am Morgen eine muschelähnliche Konstruktion von Pool-Liege und verlässt diese dann für etliche Stunden nicht mehr, sie verweilt in ihrer Mupfel. Die Söhne sind mal in, mal am Pool und ich liege durchgehend im schattigen Zimmer auf dem Bett. Es werden Romane durchgelesen und Serien geguckt und Nickerchen gemacht, irgendwelche Ausflüge interessieren heute niemanden und ich finde, es ist ein sehr guter Tag.

Wir bestellen am Abend Pizza. Wir haben uns seit Ewigkeiten nichts liefern lassen, das gehört im Alltag nicht zu unserem Programm. Es klappt hervorragend, ist aber wegen des Müllbergs nach dem Mahl immer noch so abstoßend, wie ich es in Erinnerung hatte. Nein, das ist eher nichts für mich, beschließe ich erneut.

Die Herzdame und ich gehen am Abend, nach den Stunden der Sommerhitze, noch runter in die Stadt, an die Sommerpromenade, an die Winterpromenade und zum steinernen Steg (und da es gerade so zeitgemäß ist, man kann auch am kleinen Beispiel dieser Brücke lernen, was Faschisten so machen). Mir gefällt Meran weiterhin gut, eine sympathische Stadt in handlicher Größe. Da mal irgendwann Urlaub im Hotel machen und ein paar Tage entspannt nur so ziellos herumgehen, ohne Vorhaben und Pläne und Ausflüge, das wäre auch fein.

Vielleicht später einmal.

Blick auf den steinernen Steg in Meran von der Sommerpromenade aus

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Dahinten wird es heller

Donnerstag, der 27. Juli, Meran. Ich sehe zwischendurch den Wetterbericht für Hamburg, der aus Sicht der Urlauberinnen, die an die Strände im Norden Deutschlands gefahren sind, sicher grauenvoll ist. 18 Grad und Regen, da möchte man nicht unbedingt an der Nord- oder Ostsee sein und sich in einem aus dem Wind gedrehten Strandkorb in klammen Klamotten fragen, ob es vielleicht bald irgendwo heller wird, nur um sich dann doch wieder den ollen Brettspielen mit der Familie oder Freunden in der Ferienwohnung widmen zu müssen. Ich erinnere mich gut an solche Jahre, an solche Wochen, auch an solche Sommerferien. Aber einfach denken: „Nächstes Jahr in den Süden!“, das geht wohl auch nicht mehr. Oder es geht zumindest nicht ohne ein erhebliches Risiko, natürlich werden es dennoch viele Menschen so planen, es ist keine Frage.

Nebenbei gibt es in den Medien die nächste Rekordmeldung, der heißeste Juli seit nahezu immer ist es in diesem Jahr, zumindest aber seit wir Menschen auf das Wetter starren und es aufzeichnen.

Ich habe sehr schlecht geträumt, ungewöhnlich schlecht. Auf eine spektakuläre Art schlecht, der man ein ganzes Kapitel in einem Psychologiebuch widmen könnte. Das passiert mir erfreulich selten. Die etwas seltsame Kombination aus Seneca und Sinéad O’Connor gestern bekam mir wohl nicht, und die paar Folgen Friends am Abend kamen dann nicht mehr aufheiternd dagegen an. Zumal sich in dieser Woche auch noch der Todestag eines Bloggers jährt, Johannes Korten, über den ich unweigerlich etwas nachdenke, wie in jedem Sommer. Damals habe ich am Leuchtturm von Westerhever von seinem Tod erfahren, und ich habe mich schon mehrfach im Sommer vor ähnlich malerischer Kulisse daran erinnert, diesmal also wieder im Urlaub, mit Blick auf das Tal von Meran.

Es ist ein merkwürdiges Ritual, aber es gehört auch dazu, wenn man im Internet altert.

Ferner gibt weitere und noch neue Scherereien mit dem Mietwagen, wir steigen jetzt schon misstrauisch ein und haben insgesamt kein gutes Verhältnis zum Fahrzeug, um es sehr nett auszudrücken, wozu ich eigentlich gar keinen Anlass habe, angesichts der elenden Karre, die sich dauernd per Display-Meldung über sich selbst beklagt wie ein depressiver Roboter. Ach, was tut mir heute wieder alles weh, ach, was ist mir mulmig ums Blech.

Meine Laune bleibt daher eher zweitklassig, mit diesem Urlaub komme ich nicht so gut zurecht wie erwartet, aber als Elternteil kann man sich im Kopf erfreulich leicht umorientieren und die Woche einem anderen Primärziel widmen, nämlich den Söhnen ein paar nette Erlebnisse zu verschaffen. Wir reden mit ihnen nebenbei lange über unsere vergangenen Reisen und Erlebnisse, und es sind, das überrascht mich etwas, viel mehr, als uns zunächst bewusst ist. Uns fällt im Laufe des Gesprächs immer noch ein Trip und noch einer ein, das haben wir gemacht, dort waren wir auch, da war es doch schön und damals noch dieser eine Ausflug – es klingt insgesamt doch ein wenig nach Erfolgsbilanz. Sowohl die Herzdame als auch ich hatten die Erlebnisdichte zunächst nicht so reich in Erinnerung, nicht einmal annähernd, und ich habe auch bei diesem Thema den Verdacht, dass die langanhaltende graue Leere der Coronajahre das Bild der Zeit davor etwas verzerrt hat. Vermutlich ist auch das nicht nur bei uns so, die Zeit vor Corona ist viel länger her, als sie her ist.

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Heute jedenfalls Bogenschießen. Sohn II erweist sich dabei als verblüffende Robin-Hood-Begabung, wir stehen daneben und staunen.

Wobei wir für diese Aktion allerdings gemsenhaft im Gebirg herumklettern müssen (Burg Hocheppan). Der Parcours ist am Hang, im Wald, ganz oben, und es fordert uns sehr. Berge sind schön, aber Steigungen sind lästig, wir kommen eindeutig auch von der Kondition her aus dem Flachland und hängen bald zu viert in den Seilen, sowohl metaphorisch als auch tatsächlich, denn die Wege sind teils mit rettenden Tauen abgespannt. Und gerade, als ich mich frage, wer diese Wahnsinnsstrecke denn bitte ohne direkt nachfolgenden Kurbedarf bewältigen soll, gerade als auch die so fitten Söhne sagen, dass es jetzt aber echt allmählich schwer und herausfordernd werde, gerade da überholt uns ausgesprochen leichtfüßig eine Frau, die ihr Kleinkind in einer Kraxe auf dem Rücken trägt, neben ihr eine hochschwangere Freundin.

Die alte Regel, kein Tag ohne Demütigung.

Blick von der Ruine der Burg Hochepppan in die Landschaft

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Kleine Gelage von Zeit zu Zeit

Mittwoch, der 26. Juli, Meran. Der Überblick über die Nachrichtenlage am Morgen, die Meerestemperaturen vor Florida ähneln mittlerweile einem Whirlpool, lese ich, wie entsetzlich ist das. Aber man sieht auch schon, dass Meldungen dieser Art auf den Startseiten jetzt teils weit nach hinten oder unten rücken, denn die Lage bleibt ja dummerweise dauerhaft so und wird daher zügig immer weniger berichtenswert. Der Mechanismus ist dermaßen simpel.

Andere Meldungen rücken entsprechend vor, Innenpolitisches etwa, Wirtschaftsmeldungen, Promimeldungen, auch die Eröffnung in Bayreuth, so etwas. Ich sehe mir vergleichend die Seiten großer Medien weltweit an, dank Übersetzungstools kann man alles lesen, aber es ist überall gleich, in England, in den USA, in Italien, Frankreich, Spanien, Österreich ….

Ich sehe außerdem in einigen deutschen Berichten über den Tourismus, der mich situationsbedingt gerade besonders interessiert, den Begriff Revenge-Travel, der war mir noch nicht begegnet. Gemeint sind damit die Reisen, mit denen die Einschränkungen der Corona-Jahre aufgeholt werden sollen, die also spektakulärer, weiter, teurer ausfallen. Vermutlich werden Fernreisen im nächsten Jahr noch mehr gebucht werden, zu all den vermeintlich schönen Zielen, die jetzt gerade keine Schlagzeilen verursachen, wo es in diesem Sommer nicht oder noch nicht brennt, wo es nicht wochenlang über vierzig Grad sind usw.

Das Wetter klart währenddessen über Meran weiter auf, Sonne über den Bergen und nur noch einige dekorative, drollig-pummelige Wolken darüber, wandernde Schatten ziehen unter ihnen über die bewaldeten Hänge.

Wir fahren zum Gardasee, ein Sohn wollte ihn unbedingt einmal sehen. Riva del Garda, die nördlichste Station. Erwartungsgemäß pittoresk und erwartungsgemäß überlaufen. Ich denke lange über den Massentourismus nach und mache dabei mit, enthalte mich also aller Werturteile. Es gibt zwei Sichtweisen, ich habe beide schon schlüssig dargelegt gelesen und ich weiß nicht sicher, welche stimmiger ist. Man kann es so sehen, dass man an solche Orte wie die überrannten Städte am Gardasee auf keinen Fall mehr fahren sollte, um es dort nicht noch weiter zu verschlimmern; man kann es aber auch so sehen, dass man nur noch an solche Orte fahren sollte, um den Rest der Welt um Gottes willen in Ruhe zu lassen. Und man kann, versteht sich, auch zu dem sogar naheliegenden Schluss kommen, gar nicht mehr zu verreisen.

Ich weiß es nicht, was richtig ist und was am schlüssigsten durchdacht, aber die Masse an Menschen um mich herum legt zumindest mir die dritte Option an solchen Tagen nahe.

Die Altstadt von Riva del Garda am Hafen

Passend dazu zwei kurze Radiosendungen über Over-Tourism, einmal zu Barcelona, einmal zu Norderney.

Ich höre Seneca auf der Fahrt: Über die Kürze des Lebens. Es kommt das schöne Wort „Habsucht“ im Text vor, das ist leider aus der Mode gekommen, aber eigentlich ist es doch noch gut, man könnte es deutlich häufiger verwenden. Den Begriff „Gelage“ finde ich auch sympathisch. Seneca hat nichts gegen ein kleines Gelage von Zeit zu Zeit, er hat nichts gegen Gelage in Maßen.

Er kommt ansonsten zu dem Schluss, dass man sein Leben der Weisheit weihen sollte, dass nur das Streben danach keine verschwendete Zeit sei. Und ich habe es als eher unaufmerksamer Zuhörer vielleicht nicht mitbekommen, aber mir fehlte zum Schluss die Ableitung, warum denn diese Weisheit ein Wert in sich sein sollte. Was hat man denn von ihr? Wer weiser stirbt, ist durchdachter tot?

Aber wer bin ich, Seneca zu kritisieren. Vielleicht muss ich es bei Gelegenheit noch einmal hören, das gilt sicher auch für einige andere Hörbücher. Und man soll ohnehin, so sagt es Seneca, all den großen Weisen viel Zeit widmen, die uns vorausgegangen sind. Okay.

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Auf der Rückfahrt überrascht uns der Mietwagen mit unklaren Fehlermeldungen. Dabei nehmen wir doch extra einen Mietwagen, um einen fehlerfreien, topaktuellen Wagen zu fahren und unserem nun schon etwas gebrechlichen Auto keine Langstrecke zuzumuten. Der Plan ging also diesmal nicht auf, wir fluchen erheblich, lesen im Handbuch nach und fahren in wüster Stimmung besonders vorsichtig.

Mein Autohass wächst weiter vor sich hin, ich möchte mich definitiv um so etwas nicht kümmern müssen, das ist für mich alles komplett verkehrt so. Wir haben aber nur noch wenige Kilometer bis zur Pension, wir verschieben die Klärung der ominösen Vorkommnisse und Meldungen daher erst einmal auf den nächsten Tag. Ich sehe während der Fahrt dezent angespannt auf das Armaturenbrett, auf die Anzeige der Zeit bis zum Ziel und auf die Fehlermeldungen: Und noch 12 Minuten bis Buffalo.

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Kurz nachdem ich damals nach dem Abitur von Lübeck nach Hamburg gezogen bin, wohnte ich über zwei Frauen, Mutter und Tochter. Die Mutter hatte eine Ausstrahlung wie die Frau von Al Bundy, treffender kann ich es kaum schildern, die Tochter war ihr bemerkenswert ähnlich und eiferte ihr auch modisch nach, sie trugen beide viel Knappes und Glitzerndes. Sie feierten gemeinsam viele und vehemente Partys in ihrer kleinen Wohnung. An den Abenden, an denen nichts bei ihnen los war, keine Feier, kein Besuch, kein kleines Gelage, legten sie auch Musik auf und sangen die Songs dann zu später Stunde gemeinsam mit.

Besonders ein Lied, das sie, es waren leider nicht die begabtesten Sängerinnen, eher jaulten als sangen, lief damals in Endlosschleife. Es war als Nachbar einigermaßen schwer zu ertragen, obwohl es eigentlich ein gutes Lied war: Nothing compares 2 u. Ich habe es heute noch in der verheulten Version dieser oft angetrunkenen Nachbarinnen im Kopf, das ist ein wenig schade und wird der Sängerin der Originalversion sicher nicht gerecht.

Sie ist mir zuletzt auf Youtube zufällig begegnet, erinnere ich mich, als Backgroundsängerin, gemeinsam mit ihrer Tochter ist sie da aufgetreten. Sie sangen für den großen John Grant, bei einem seiner besten Songs: GMF, ich hatte schon einmal das Originalvideo im Blog. Einen hervorragenden Text hat das Lied, aber das nur nebenbei.


Und Kris Kristofferson, das denkt man wohl auch nicht sofort, hat ihr damals einen Song gewidmet, noch zu den heftigen Skandalzeiten: And maybe she‘s crazy and maybe she ain‘t, but so was Picasso and so were the saints.

Sie starb an diesem Mittwoch, sie war in meinem Alter.

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Wellen und Wehen

Dienstag, der 25. Juli, Meran. Um nicht noch weiter in der gebloggten Zeit zurückzufallen, poste ich hier und da etwas mehr, ich hänge sonst tatsächlich noch zu Weihnachten erst im Frühherbst und berichte von Pflaumenkuchen, während Sie schon in Lebkuchen beißen, das geht so nicht.

Im Schlafzimmer der Ferienwohnung hängt ein Bild an der Wand, auf dem seltsamerweise das Meer abgebildet ist, hoher Wellengang, ein schwerer Brecher. Ich sehe das ein paarmal im Vorbeigehen und wundere mich kurz, wieso denn das Meer, wieso hier, und erst beim sechsten oder siebten Hinsehen merke ich, dass da keine Welle zu sehen ist, sondern natürlich eine Schneewehe am Berg. Wenn Norddeutsche reisen! Die Herkunft bestimmt das Bewusstsein, da haben wir es also wieder.

Die Herzdame allerdings sagt, nachdem ich diesen Absatz geschrieben habe, das sei sehr wohl eine Welle, die Söhne sagen das auch und sehen mich wieder an, als sei ich nicht bei Verstand, und ich frage mich jetzt, ob ich nicht nur gesichts-, sondern neuerdings auch landschaftsbildblind sein könnte. Man macht was mit! Aber die Lehre ist am Ende wohl nur, dass man Hotelzimmerkunst besser gar nicht erst ansehen sollte, so wird es sein.

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Der Wetterbericht sagt uns einen weiteren Regentag voraus, aber das Wetter hält sich heute einfach nicht daran, es ist fast den ganzen Tag sonnig. Wir fahren mit einem Sessellift einen Berg hoch. Meine Höhenangst wird, warum auch immer, mit den Jahren wieder weniger. Ich kann so etwas jetzt also machen, ohne kurz vor der Panik zu sein. Mir bleibt nur das allerdings starke Gefühl, dass es vollkommen falsch ist, so etwas zu machen. Ich will da oben nicht in einer Gondel hängen; es ist etwas, das zwar geht – aber wenn es einfach zu vermeiden wäre, ich würde es auslassen.

Dem Rest der Familie macht es nichts aus, eh klar, und ich mache dann mit. Urlaubszeit immer auch Mitmachzeit, das gilt für alle.

Minigolf gespielt, souverän gewonnen. Nanu!

Wieder zurück am Pool der Pension ist neben uns eine Familie, deren Kinder dermaßen wohlerzogen sind und bei der die Eltern dermaßen pädagogisch perfekte, stets leicht belehrende Sätze von sich geben, dass es zunächst etwas loriothaft wirkt und dann bald aber so schlimm wird, dass ich lieber woanders hingehe. Es ist schwer zu beschreiben, aber es gibt eine Dimension der Artigkeit und Korrektheit, bei der ich umgehend zum Krawall-Punk werden möchte, obwohl ich gut weiß, wie konventionell und bürgerlich ich selbst bin und lebe. Aber es gibt so eine gewisse Eskalationsstufe der Streberhaftigkeit, die mich jedes Mal fertig macht, wenn ich ihr begegne.

Später steht ein kleines Mädchen vor der Tür einer anderen Ferienwohnung, sie klopft und will mit Dringlichkeit rein, denn sie war lange im Pool und nun ist sie also nass und erschöpft und friert ganz erbärmlich. Sie darf aber nicht rein, denn sie klopft etwas zu laut und die Eltern belehren streng von drinnen, dass sie sich gefälligst erst abregen müsse, bevor sie wieder hineindarf. Leise soll sie klopfen, dezent, was sie allerdings immer weiter aufregt, und ich flüchte auch vor dieser Szene und den weiteren Ausschreitungen.

Es ist schon klar, dass man das eigene Ich überall mit hinnimmt und seinen Problemen also auch im Urlaub nicht entkommen kann, allerdings kommen andere Menschen auch fast überall mit hin, und das ist manchmal das noch größere Problem.

Wolken über Bergen. gewittriges Licht

Später am Abend stehe ich mit den Söhnen auf dem Balkon und wir sehen zu, wie direkt vor uns, fast zum Greifen nah, grauschwarze Wolkenfetzen umgruppiert werden, wie sie zerfasern und sich umgehend wieder neu bilden, wie sie dünne Arme ausstrecken und diese wild herumschlenkern, wie sie sich von innen heraus komplett umstülpen, wie sie mit weißen, lichten Wolken aus anderer Richtung ineinanderjagen und sich tanzend vermischen – wir sind es nicht gewohnt, dass Wolken so etwas so schnell und schon gar nicht genau vor uns machen. Wie im Zeitraffer sieht es für uns aus, ein wenig allerdings auch wie in einem Horrorfilm, gleich bildet sich da oben sicher irgendetwas Unaussprechliches und greift dann womöglich langfingrig nach den staunenden Erdlingen aus dem Norden auf dem Balkon dort unten …das hört so leicht nicht auf, dass uns die Wolken hier faszinieren.

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Ich lese „Nadine“ von Katrin Seddig. Ich war auf einer Lesung, aus der sie daraus vorgetragen hat, ich fand es da schon sehr ansprechend und der Eindruck bestätigt sich jetzt. Es ist ein guter Roman, ich empfehle ihn ausdrücklich. Es ist gewiss nicht die leichteste Urlaubslektüre, was das Thema betrifft, aber so etwas suchen ja auch nicht alle. Wer etwas Härte in den Ferien verträgt, liest hier richtig.

Das Titelblatt des Romans Nadine von Katrin Seddig

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Auf Tiktok und Instagram sehe ich abends die Videos der Brände auf Sizilien, die Flammen vor Palermo, brennende Straßen, auch weiterhin die Horrorbilder von den griechischen Inseln, jetzt auch auf Kreta, Korfu und Euböa. Es brennt ebenfalls in der Türkei und in Algerien, darüber wird deutlich weniger berichtet, es gibt außerdem schwere Unwetter in Kroatien. Man muss nun nicht mehr doomscrollen, um in die entsprechende Stimmung zu kommen, es reichen schon zwei, drei Beiträge auf Tiktok oder wo auch immer.

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