Außerdem bin ich im Reden nicht gut

Dienstag, 18. Juli, in Nordostwestfalen. „Amtsärzte fordern Siesta“, lese ich am Morgen in den Nachrichten, und es geht da selbstverständlich schon wieder um die Hitze. Es ist sicher eine dieser Schlagzeilen, die aus der Sicht der letzten Jahrzehnte grotesker ist, als es einem zunächst auffällt. Siesta. In Deutschland. Man muss etwas zurückdenken, um es ganz zu verstehen, wie vollkommen absurd der Gedanke ist, denn er ist es eben mit jedem Tag weniger, wir nehmen das alles mittlerweile so hin. Es kommt einem schon fast plausibel vor. Reden wir eben über Siesta, warum auch nicht. Stunden später werden in den Medien überall die Meinungen und Gegenmeinungen diskutiert. Und in dieser Diskussion, ich halte es für eine bemerkenswerte Entwicklung, wird oft nicht mehr erwähnt, wie absurd es eigentlich ist, worüber man hier neuerdings spricht, sondern es werden nur innerhalb der Absurdität vollkommen gewöhnliche Argumente ausgetauscht. So eben läuft Normalitätseintritt.

Im Guardian lese ich ein Live-Blog zur Hitzewelle. Es gibt Rekordwerte überall, die Höhe der Temperaturen, die Länge der Hitzewelle, Todesfälle, Ausfälle, Störungen, dauernd kommen neue Meldungen dazu. Ich lese diese Aktualisierungen allerdings bei frischen 13 Grad am Morgen, Vorteil Nordostwestfalen. Auch mal Glück mit der Lage haben! Oder mit der Woche.

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Es gab gestern noch Waffeln, Schwiegermutter machet sie mit einem historisch anmutenden Gerät, deutsche Designgeschichte, es läuft noch tadellos. An den Kommentaren auf Instagram sehe ich, dass sowohl Muster als auch Gerät stark verbreitet waren – oder sogar noch sind.

Ein 70er-Jahre Waffeleisen in orangelastigem Dekor

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Gesehen: Diese Doku auf arte über Jane Birkin, mit einer sehr sympathischen Schlussszene, aber auch sonst fand ich es sehr anziehend.

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Gehört: Gestern weiter im Fallada, Der Alpdruck. Er beschreibt in den ersten Kapiteln ausführlich einen Trinker und seine Schleichwege zum Alkohol, damit kannte er sich leider gut aus. In den folgenden Kapiteln geht er dann, bei anderen Figuren, zum Morphium über, ein weiteres seiner Fachgebiete.

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Gelesen: Weiter in „Schreibtisch mit Aussicht“. Ich zitiere aus dem Text „Ich schreibe nur“ von der geschätzten Anne Tyler darin: „Eine Zeit lang lebte ich in New York, wurde süchtig danach, mit dem Zug oder mit der Subway zu fahren, und hatte beim Zugfahren oft das Gefühl, ich wäre ein riesiges Auge, das die Dinge wahrnahm, durchleuchtete und sortierte. Aber wem sollte ich sie nach dem Sortieren erzählen? Ich hatte nie mehr als drei oder vier enge Freunde, zu keiner Zeit in meinem Leben; außerdem bin ich im Reden nicht gut. Ich gehöre zu den Leuten, denen morgens um vier im Bett einfällt, was sie gestern beim Mittagessen hätten sagen sollen. Die Dinge aufzuschreiben war der einzige Weg für mich.“

Und auch sonst liest sich ihr Text so, dass man ihre Romane gleich noch einmal lesen möchte. Also ich jedenfalls.

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Gegen Mittag dann die Rückfahrt nach Hamburg. Ich stelle fest, dass ich Autofahrten selbst dann schwer stimmungsschädlich finde, wenn alles glatt geht. Ich bin der Motor-Bartleby, ich möchte lieber nicht. Dummerweise werde ich auf anderen Reisen in der nächsten Zeit auch wieder fahren müssen, das war nicht gut genug überlegt und muss im nächsten Jahr nach Möglichkeit anders organisiert werden. Umgehende Vorgespräche dazu mit der Herzdame, wenigstens sind wir uns darin zunächst einig. Was immer ein Trost ist.

Unsere Wohnung ist bei der Ankunft heiß, da tagelang ungelüftet. So holt uns die Hitze also ein, obwohl es in Hamburg bei 22 Grad friedlich und gut erträglich zugeht. Ich nehme aus dem Augenwinkel schon beim Auspacken wahr, dass sich hier in der kurzen Abwesenheit schon wieder Komplikationen aufgehäuft haben, organisatorischer, kniffeliger Kleinkram, für den ich um Gottes willen nicht zuständig sein möchte, es aber so etwas von bin. Der ewige Traum von der Nichtzuständigkeit! Ich habe mittlerweile den starken Verdacht, das Ziel wird in diesem Leben unerreichbar bleiben, man wird vermutlich noch am letzten Tag irgendwas organisieren müssen, die korrekte Berechnung der Todesgebühr oder dergleichen.

Egal, ich ignoriere alles standhaft und gehe erst einmal zur Bücherei, denn man muss sich doch hier und da geistig schonen. Denke ich mir.

Und wie immer, wenn wir vom Land oder von der Küste nach Hause kommen, fällt mir auf, was mir im werktäglichen Alltag sonst oft entgeht: Die Stadt stinkt und ist dreckig, meine Güte, was fliegt hier überall für ein Dreck herum, was für eine Riesensauerei ist das alles. Unvergesslich, wie die Urgroßmutter der Söhne, die ihr Haus und Grundstück im Heimatdorf viele Jahre kaum je verlassen hat, sich bei ihrem einzigen Besuch bei uns – zur Hochzeit damals war das – sich vollkommen entgeistert in den Straßen unseres Viertels umsah und dann staunend fragte: „Aber warum fegt denn niemand mal?“

Ja, warum eigentlich nicht. Darüber könnte man vermutlich auch ganze Abhandlungen schreiben. Währenddessen liegt hier ein Dreck vor der Haustür – ich schüttele den Kopf heute ganz urgroßmütterlich und fühle mich entsprechend alt. Die Stadtreinigung, falls Sie sich das gerade fragen, fegt selbstverständlich und ist auch sonst sehr bemüht, aber es ist niemals oft und gründlich genug, kann es wohl auch gar nicht sein. Wie viele Menschen müssten sie dafür nonstop beschäftigen.

Ein Schriftzug auf dem Geländer der Ernst-Merck-Brücke am Hauptbahnhof: Hamburg meine Perle. Im Hintergrund Züge.

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Es waren Greifvögel in der Luft

Montag, der 17. Jul, in Nordostwestfalen. Die Herzdame arbeitet dank Home-Office-Möglichkeit von hier aus, ich dagegen nur so halb, also immerhin nicht in meinem Brotjob, sondern nur in den beiden Kuchenjobs, das ist auch entspannt, wenn es schon kein hundertprozentiger Urlaub ist. Vorsicht bei der Berufswahl!

In den Nachrichten wieder die Hitzemeldungen, aber wo wir sind, da ist gerade alles erträglich. Etwas Regen und viel Wind, man muss sich darüber freuen, und ich freue mich tatsächlich, denn Hitze ist mir das Schlimmste. Ich prüfe den Wetterbericht für die demnächst anstehende Reise in noch südlichere Gegenden, es sieht auch dort nach Regen aus, nach Gewittern. Ein, zwei Stunden Regen am Tag, das würde ich gut finden, glaube ich. Der Rest der Familie aber sieht das anders, etwas konventioneller sozusagen.

Ich sehe auf meinen Spaziergängen durch die Gegend hier mehr Greifvögel und mehr Störche als sonst, über jedem Acker und über jedem Stoppelfeld kreist diesmal ein großer Vogel, manchmal auch mehrere, einmal sogar eine Eule. Das ist meine erste Sichtung dieser Art hier, ich kann aber leider keine der Arten genauer bestimmen, ich habe zu wenig Greifvogelerfahrung. Es sind auch nicht nur ein paar mehr Greifvögel als sonst, denke ich nach einer Weile, es sind viel mehr Greifvögel, und auch das kann ich mir wieder nicht erklären. Aber was versteht man schon von Natur-´- zu wenig, immer viel zu wenig.

Blauer Himmel mit weißen Wolken über Nordostwestfalen, Bauernhäuser und Getreidefelder

Die Gartenbesitzerinnen und Gärtnerinnen im Ort winken im Smalltalk ab, wenn es um die Erträge in diesem Jahr geht, um die Früchte: „Alles viel zu trocken.“ Und es ändert nichts, dass es gerade regnet, während wir reden.

Ein Feldrand mit Mohn- und Kornblumen

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Ich habe überlegt, welches Hörbuch wohl hinter Golo Manns Nazistaat passen könnte, und es gibt einen Roman, der tatsächlich direkt anschließt: Der Alpdruck von Hans Fallada, gelesen von Ulrich Noethen. Das Buch beginnt mit einem betont resignativen Vorwort, es wird die Apathie der Nachkriegszeit beschrieben, hier gemeint direkt im Jahr 1945. Es ist eine Apathie, die etwa bei Golo Mann überhaupt nicht vorkommt, er hat in seinen Analysen mehr auf die Bewegungen nach vorne geachtet, auf den geschichtlichen Pfeil Richtung Gegenwart. Auch so etwas ist bemerkenswert. Wie verschieden wahrgenommen wurde und wird, es wird für unsere Zeit auch gelten.

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Gesehen: Diese Doku über Milan Kundera auf arte. Auch darin kommt wieder viel Nachkriegszeit vor, diesmal in der tschechischen Ausprägung.

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Wind in Kraft

Sonntag, der 16. Juli, in Nordostwestfalen. Am Morgen gelesen: Über die Hitze in Phoenix, Arizona.

Mein Notebook zeigt in der unteren linken Ecke des Bildschirms aktuelle Hinweise zum Verkehr oder zum Wetter an, im Moment steht dort die etwas seltsame Formulierung: „Wind in Kraft.“ Ein Satz, den der christliche Gott bei der Schöpfung gemurmelt haben könnte, als er die Sache mit dem Wetter in Betrieb gesetzt hat: „Wind in Kraft.“

Dieser in Kraft getretene Wind rüttelt am Morgen sogar am Fenster, hat also schon etwas zu bieten, woraus ich ableite, dass es heute nicht heiß sein wird. Ich finde das zufriedenstellend. Es ist ein beachtlicher Wind, stark wie an der Küste, er sorgt hier für wogenden Wellengang in den Maisfeldern, er biegt den üppigen Wiesen-Pippau, den Mohn und die Kornblumen am Feldrand und er ist warm dabei, überaus seltsam warm. Ich bin so norddeutsch, ich finde warmen Wind hochgradig irritierend.

Ein Schmetterling flattert an mir vorbei dem Wind entgegen. Es ist unerfindlich, wie er das hinbekommen kann, mit so viel Segelfläche und so wenig Gewicht, wie überaus trickreich das eingerichtet ist. Schmetterlinge in Kraft.

Ich fange ein neues Buch an, es wurde mit auf Mastodon empfohlen: Schreibtisch mit Aussicht – Schriftstellerinnen über ihr Schreiben, herausgegeben von Ilka Piepgras. Der einleitende Text von Anne Tyler spricht mich an, sicher auch wegen meines hausfraulich geprägten Tagesablaufs. Ich habe die entsprechende Rolle hier deutlich mehr inne als die Herzdame, die dafür z.B. die Sache mit den Autoreparaturen regelt. Hauptsache, es ist alles verteilt.

Ich sehe abends „Friends“, weil ich eigentlich Lust habe, eine Serie zu sehen, was bei mir selten genug vorkommt, mich die neuen Serien aber nach Check der Kritiken und der Handlungen gerade alle eher nicht ansprechen. Ich suche also in der Vergangenheit herum. Ich habe Friends damals nie gesehen, fand aber die Video-Schnipsel, die mir in letzter Zeit auf Tiktok und Instagram begegneten, allmählich immer ansprechender, so dass mir per Algorithmus dort immer noch mehr davon gezeigt wurden und ich jetzt, bevor ich auch nur eine einzige Folge durchgehend gesehen habe, halbwegs fit in Handlung und Charakteren bin. Eine seltsame zeitgemäße Art, so etwas kennenzulernen, aber es hat jedenfalls funktioniert. Auf die gleiche verrückte Art kenne ich bald auch den ganzen Titanic-Film, der mich allerdings überhaupt nicht interessiert, und der dennoch immer wieder in meinen Timelines auftaucht.

Es erinnert ein wenig an die unfassbar häufigen popkulturellen Spiegelungen der Star-Wars-Saga damals, die sie von Anfang an begleitet haben – ich habe auch diese Filme alle nie gesehen, „kenne“ sie aber doch. Dito Harry Potter und Herr der Ringe. Die Filme zu Tolkien habe ich immerhin einmal angefangen, fand sie aber unzumutbar langweilig. Und bitte, ich meine auch das nicht aus einer Haltung der Arroganz heraus, das Problem liegt sicher eher bei mir.

Egal. Ich sehe also die ersten Folgen Friends von damals, 1994 erstmal gesendet. Wie schlecht diese New Yorker Wohnung, in der fast alle Szenen spielen, gealtert ist. Wie ausgesprochen unschön sie aus heutiger Sicht ist, wie ungestylt sie auch wirkt, obwohl sie doch gestylter als jede echte Wohnung ist, das ist vermutlich kulturgeschichtlich auch hochinteressant. Es stehen da Möbel und Gegenstände herum, die habe ich allerdings in verdächtig ähnlicher Ausführung auch gehabt.

Womöglich haben wir alle in diesem Jahrzehnt eher unschön gewohnt und es gar nicht gemerkt? Welche Erkenntnisse kommen da noch, waren wir etwa auch gar nicht gut angezogen, obwohl wir doch dachten, uns nach den Achtzigern und Siebzigern so deutlich gesteigert zu haben? Vielleicht doch lieber nicht weiter gucken.

Die Lacher vom Band sind jedenfalls schier unerträglich für mich, wie soll man das aushalten?

Ein Sohn sieht die Serie auch gerade, er ist mir weit voraus. Ab und zu sieht er nach, wie weit ich schon bin. Es kommt hier sonst ausgesprochen selten zu medialen Überschneidungen.

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Und hier einmal interessant angewandte KI: Frank Sinatra singt Gangsta’s Paradise. Seltsam überzeugend. Es gibt auch “Johnny Cash singt Barbie Girl“, ich weiß, es gibt noch viel mehr, ich fand dieses Beispiel hier am ansprechendsten.

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In den Nachrichten geht es in den Kommentaren heute wieder um Gendersternchen und andere Formen, denn der Rat für Rechtschreibung, oder wie immer der genau heißt, er hat getagt und kam erneut zu keinen Beschlüssen. Ich neige immer mehr dazu, in meinen Texten nur die weibliche Form zu verwenden, ich rede also von Bloggerinnen und Leserinnen. Und ich gebe gerne zu: Das ist vielleicht auf dem Niveau von Kindergartengerechtigkeitsvorstellungen – aber wenn doch die männliche Form so dermaßen lange alles dominiert hat, unser Denken, unsere Handlungen, sogar unsere Gesellschaftsordnungen, dann kann es die weibliche doch auch einmal eine Weile lang?

Aber das sind nur so Urlauberinnengedanken. Ich mache Ferien, ich bemühe mich heute nicht ernsthaft um Tiefe, pardon.

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Ferner gibt es die Meldungen zum frühen Tod von Jane Birkin, hier singt sie im Duett mit einer ebenso bemerkenswerten Kollegin.


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Außerdem gibt Herr Linnemann Dummheiten von sich. Es sind Dummheiten, die ich nicht nur aus meiner viel weiter links zu verortenden politischen Position ablehnen muss, sie sind auch für seine Partei und Richtung die recht eindeutig falsche Strategie und ich wundere mich – wie vermutlich mittlerweile viele – warum sich diese Partei strategisch dermaßen blöd anstellt, sich so seltsam zügig entwertet und aus vollkommen freien Stücken den noch etwas radikaleren Rechten zum Fraß vorwirft. Es ist unbegreiflich.

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Meterweise den Elbbrücken zu

Sonnabend, der 15. Juli. Gestern war irgendeine Triathlon-Großveranstaltung in der Stadt, ich bin da nicht interessiert und weiß also nichts Genaueres. Ich weiß nur, dass dafür wieder etliche wichtige Straßen ringsum gesperrt wurden, was dazu führte, dass die halbe Stadt umleitungshalber durch die Tempo-30-Zone vor unserer Haustür wollte und dort dann prompt im Stau stand. Und also unentwegt hupte, denn das hilft ja in solchen Situationen. Vielleicht klingt es noch lustig, nach ein paar Stunden war es das für die Anwohnerinnen allerdings definitiv nicht mehr, es ist auf Dauer doch eher nervenzersetzend.

Stundenlanges Dauergehupe, dazu aggressives Brüllen und Toben, weil bei so etwas immer irgendwer annimmt, der Fahrer vor ihm sei schuldig an allem, die männliche Form habe ich hier nicht zufällig gewählt. Außerdem etwa alle zehn Minuten Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen, die sich auch noch mit Tatütata durch die verknäuelten Blechmassen drängten, ferner die ganze Zeit Hubschrauber überm Haus und allgemein eine Stimmung in der Stadtmitte wie in einem Ameisenhaufen, in den man plötzlich einen Stock gerammt hat, hektisches Gewimmel – es war wieder ein Tag, um sich nach anderen Wohnlagen umzusehen. Anstrengend.

Am Abend kam einer der Hubschrauber sogar runter, immer weiter runter, wir sahen es vom Wohnzimmerfenster aus … siehe diese Meldung dazu. In einigen Medien stand abweichend „Notarzt seilte sich ab“, und es ist ein gutes Beispiel, an dem man merkt, dass man Frauen bei dieser Wortewahl tatsächlich nicht mitdenkt. Ich zumindest würde das spontane Mitdenken von Notärztinnen an dieser Stelle für reichlich unwahrscheinlich halten. Aber es war eben eine.

Wir sind immer erleichtert, vielleicht versteht man das, wenn die Kette der sommerlichen Groß- und Spaßveranstaltungen ein herbstliches Ende findet, um die nächste Jahreszeit in dieser Sommersaison erstmalig zu erwähnen.

Sonnabend, der 16. Juli, auch mal einen Tag aufholen. Wir fahren nach Nordostwestfalen, wofür wir allerdings erst einmal bis zur Autobahn kommen müssen, noch so ein größeres Problem. Die Stadt feiert schon wieder oder immer noch den Stau, was weiß ich, die Stadt steht jedenfalls komplett. Dummerweise machen wir diesmal auch noch mit, es gefällt mir ganz und gar nicht. Ich sehe in den anderen Autos wieder die tobenden Menschen, wie sie unbeherrscht auf Lenkräder schlagen und herumschreien, ich denke an meine Theorie und finden sie ringsum umfänglich bestätigt.

Wir schieben uns meterweise langsam den Elbbrücken zu, in einer gigantischen Blechinstallation voller durchknallender Menschen, s‘ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein, wie Matthias Claudius geschrieben hat, als es im damals sicher idyllischen Wandsbek noch gar keine Hauptverkehrsstraßen gab.

Ab der Autobahn und südelbisch geht es dann besser, viel besser, wir sehen aber in der Gegenrichtung, zum Meer hin, die Mutter aller Staus, unfassbar lang ist die Schlange der Autos. Die Menschen dort werden Stunden auf der Autobahn stehen, in glühender Hitze, es ist alles falsch so.

Aber, wie gesagt, wir fahren auch. Kein Grund zur Selbstgerechtigkeit also, man ist so weit Mensch, man hängt fast unweigerlich mit drin. Ich verhalte mich selbst keineswegs vorbildlich, was solche Fragen angeht, ich kriege es in dieser Hinsicht nur hin, nicht zu fliegen. Das allerdings finde ich auch nicht schwer. Nicht einmal ansatzweise.

In Nordostwestfalen hat es geregnet, kurz bevor wir dort ankommen, aber die Temperatur steigt schon wieder, als wir aussteigen, die Wolken reißen auf, es fühlt sich an, als würde jemand gerade eine gigantische Heizung aufdrehen, es geht schnell und es ist dann heiß, schwül, drückend, tropisch.

Ich gehe kurz nach der Ankunft mit einem Sohn rüber zur Schule und an die Tischtennisplatte auf dem Hof dort, wir haben so eine Tradition. Auf der Platte liegen noch drei Sektkorken, vermutlich von der letzten Dorffeierlichkeit. Drei Sektkorken auf nasser, grauer Tischtennisplatte. In einem deutschen Kinofilm könnte es das Einstiegsbild sein, denke ich, eine Großaufnahme, wie die Plastikkorken da im Wind noch leicht ruckeln und letzte Tropfen von ihnen abperlen, dahinter das leere Schulgebäude, der verlassene Schulhof, der Basketballkorb, das Netz noch in leichter Bewegung von der letzten Gewitterbö, nur dezent. Dahinter dann gleich die Felder bis zum Horizont, Mais und Kartoffeln natürlich, abziehende Regenwolken darüber, dunkel und tief, ganz hinten noch ein Trecker, auf die Landstraße einbiegend.

Mit dem anderen Sohn gehe ich später über den Friedhof, auch bei seinem verstorbenen Opa vorbei. Wir stellen fest, dass wir die meisten Grabstätten nicht mögen. Es gibt einen unübersehbaren Trend, Gräber betont pflegeleicht zu gestalten, das entspricht dann im Ergebnis den Schottergärten vor den Häusern in den Straßen ein paar Meter weiter. Es sind Miniaturausgaben davon, seltsame Spiegelungen.

Schön finden wir dagegen einige Grabsteine, die über hundert Jahre alt sind. Sie werden gerade abgeräumt und liegen am Rande des Friedhofs durcheinander. Eine Weile stehen wir auch vor den Kreuzen, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Wir staunen über die Häufigkeit der gleichen Vornamen. Wilhelm, Wilhelm, Wilhelm, Heinrich, Heinrich, Heinrich. Diese Namen gibt es auch in unserer Familie, bis heute sogar oder doch bis vor kurzer Zeit noch.

Dazu die Häufigkeit der gleichen Nachnamen, eine ganze Dorfgeneration wurde da ausgelöscht, und wenn man überlegt, wie klein das Dorf ist – man kann sich den Wiederanfang nach dem Krieg einfach nicht vorstellen.

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Währenddessen in den Blogs

Das Cyberboomer-Manifest.

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Was schön war

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Frau Novemberregen findet Wellness ähnlich anziehend wie ich, also gar nicht, berichtet aber dennoch angenehm ausführlich aus erster Hand. Ich dagegen kann alles, was Wellness betrifft, kurz zusammenfassen mit: „Dann gehe ich doch lieber ins Büro.“

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In diesem Blogpost die Anekdote von Tante Anna. Es gab Zeiten, man kann das literarisch umfangreich belegen, in denen das Verhalten der Tante als ehrwürdig gegolten hätte. Für Heutige wirkt es nur noch verrückt, und ich bezweifle, dass es sich da um eine gesunde Entwicklung handelt. Im Artikel drüben auch Frau Herzbruch verlinkt, zum Elterngeld, bitte auch dort entlang lesen, es lohnt sich.

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Christian blickt zurück auf die langen Jahre der harten Bloggerey, so wir vor Zeiten erlebt haben auch gemeinsam, mit noch frischen Kräften und in jugendlichem Gepränge. Damals.

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Von Nietzsche und Omelettes.

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Drei schwarze Steine

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Weitere Links wieder bei Kiki

 

Kiki schreibt außerdem gallig über Emojis und ihre Anwenderinnen, was mir die Möglichkeit gibt, kurz bekennend dranzuhängen – ich verstehe Emojis manchmal nicht. Also die abseits der Klassiker, die sind mir manchmal unangemessen rätselhaft. Es ist wie Gesichtsblindheit, zu der ich allerdings auch mäßig neige, nur eben bezogen auf Piktogramme. Ich überlege viel zu lange und viel zu ernsthaft – was soll das jetzt wieder heißen, was mir da geschickt wird. Freut sich da jemand oder weint die, was ist das bloß für ein Ausdruck. Und ich weiß, ich bin auch mit dieser Unfähigkeit nicht alleine.

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Eine Rezension zu einem Buch über die Schreibtische von schreibenden Berühmtheiten, so etwas interessiert doch viele. Ich bin keine Berühmtheit, möchte aber doch ergänzen – ich habe gar keinen Schreibtisch. Ich wandere mit meinem Notebook vielmehr unstet und flüchtig durch die Wohnung oder den Garten, ich notiere in U-Bahnen, an Straßenecken und in Coffee-Shops. Wenn die Söhne eines Tages ausziehen, werde ich es vielleicht doch noch zu einem eigenen Schreibtisch bringen, das wird dann mein Trost beim Empty-Nest-Syndrome.

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Verschiedene Zustände um 04:30

Freitag, der 14. Juli. Ferien mit großen Kindern, mit Jugendlichen, das heißt auch manchmal, dass ich morgens aufstehe und andere Familienmitglieder noch gar nicht im Bett waren. Sehr verschiedene Zustände hier um 04:30.

Am Vormittag gibt es dann die schier endlosen letzten Home-Office-Stunden vor dem Urlaub für mich. Ich neige womöglich ein wenig zur Wehleidigkeit und Ungeduld auf den letzten Metern und finde mich selbst unerträglich.

In den nächsten drei Wochen kann es urlaubsbedingt im Blog zu einigen Unregelmäßigkeiten kommen. Ich bin vielleicht nicht immer dort, wo es WLAN gibt, ich komme vielleicht nicht immer zum Schreiben oder zum Posten, oder nicht zu gewohnten Zeiten. Vielleicht auch doch, aber wer weiß. Ich unterbreche äußerst ungern Routinen und bin besser seelisch darauf vorbereitet, was ich hiermit also dezent eingeleitet habe.

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Was mir beim Hören von Golo Mann auffällt, und angenehm auffällt, ist der Ernst, oder anders ausgedrückt, ist der völlige Mangel an Humor, Ironie, Spott und Häme in seinem Text. Er war ein konservativer Geist (zu einer Zeit, als das Wort noch nicht ansatzweise merzmäßig abgewertet war), und ich teile nicht alle seine Schlussfolgerungen, einige seiner Gedanken scheinen mir auch mittlerweile historisch überholt, selbst bei meinen bescheidenen Geschichtskenntnissen, aber der Ernst hinter allem, der prägt sich doch angenehm ein. Etwa in Bezug auf die Demokratie, er vertritt sie nämlich mit einem Ernst, den man vielleicht wieder mit Dringlichkeit in die öffentlichen Debatten einführen müsste – was allerdings sicher nicht in krawalligen Talkshows gelingen wird, die hauptsächlich auf die Profilierung der Teilnehmerinnen und Moderatorinnen ausgelegt sind. Große männliche Egos sind hier mitgemeint.

Golo Manns Haltung erinnert mich etwas an meinen Geschichtslehrer in der Oberstufe, den ich hier im Laufe der Jahre schon oft zitiert habe (der Mann, der ab und zu im Unterricht taumelnd nach einem Stuhl griff und sagte: „Gestatten Sie bitte, dass ich mich setze, ob Ihrer Dummheit“), der damals versucht hat, und ich kann es ihm aus heutiger Sicht erst hoch anrechnen, uns das Dritte Reich tatsächlich zu erklären, bis hin zur Faszination der Jugendorganisationen, die er selbst erlebt hatte. Er hatte dabei leider keine Chance, er drang nicht durch, und der geradezu heilige Ernst, mit dem er über die Wichtigkeit der Demokratie dozierte und ihre Bedeutung zu erklären suchte, er erreichte uns nicht, denn wir lebten ja in einem selbstverständlichen Paradies, was solche Themen betraf. Zumindest dachten wir das in unserer jugendlichen Naivität. Die Irrtümer der Geschichte lagen damals bekanntlich alle hinter, aber sicher nicht vor uns, so viel war uns klar, das war eine Tatsache.

Nein, das stimmt so auch nicht ganz. Seine Botschaft erreichte mich später schon, wenn auch mit erheblicher Verzögerung. Vielleicht ging es anderen in der Klasse oder im Kurs auch so, fast finde ich es aus heutiger Sicht wahrscheinlich.

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Und gucken Sie mal bitte hier, das nächste Buch von Bov Bjerg kann man jetzt vorbestellen. Das ist eine sichere Sache und gewiss gut angelegtes Geld, ich weise einfach schon jetzt empfehlend darauf hin.

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Zusammenhangslos außerdem ein Brückenblick. So etwas hat man ja öfter in dieser Stadt.

Blick von der Kennedybrücke auf die Hamburger Innenstadt, Sommerhimmel, weiße Wolken, das Rathaus und Kirchtürme

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Inexistente Tagebücher, herbeibehauptete Essays

Donnerstag, der 13. Juli. Ich habe das Problem, dass mich Termine lahmlegen, wenn sie näher rücken. Wenn ich etwa um 11 Uhr ein Meeting habe, ist es für mich eher schwer, die Zeit von etwa 9 bis 11 noch sinnvoll zu füllen, ich bin dann geistig komplett auf dieses Meeting ausgerichtet – und auf nichts anderes mehr. Insbesondere ist es mir nur schwer möglich, vor einem Termin etwas thematisch Abweichendes anzufangen. Das kann manchmal sinnvoll sein, etwa wenn das Meeting wirklich wichtig ist und intensiv vorbereitet werden muss, es ist oft aber einfach nur hinderlich, ausbremsend und wahnsinnig lästig.

Ich habe heute noch zwei Werktage bis zum Urlaubseintritt. Der Urlaubsanfang ist ein weiterer Termin in meiner Wahrnehmung. Sie ahnen das Problem: Ich sitze vor dem Bildschirm, starre entschlusslos und möchte nichts mehr anfangen. Ein mühsamer Tag, hölzernes Arbeiten.

Die Herzdame bringt währenddessen das Auto zur Inspektion. Unser mittlerweile uraltes Auto, das schon wie aus der Zeit gefallen wirkt, quasi ein Oldtimer, zerbeult und verschrammt, aber wundersam funktionsfähig. Wenn wir im Urlaub manchmal ein Auto mieten, sind wir jedes Mal komplett von der modernen Technik des dann topaktuellen Fahrzeugs überfordert. Was diese Geräte alles von einem wollen! Wo man überall hinsehen muss! Was alles einzustellen ist! Entsetzlich. Ich möchte übrigens auch kein E-Auto haben, wenn unser Auto eines Tages nicht mehr sein sollte, ich möchte eher gar kein Auto haben. Ich möchte vor allem nicht mehr Auto fahren müssen, ich hasse es. Ich möchte bitte, wenn ich denn eine Wahl habe, kategorisch so befördert werden, dass ich dabei lesen kann.

Na, man wird sehen. Das Heimatdorf der Herzdame, in dem wir doch öfter sind, es ist ohne Auto nicht eben toll zu erreichen, der nächste Bahnhof ist entschieden zu weit weg und wir würden Mietwagen immer dann brauchen, wenn alle anderen auch einen haben wollen. Problem.

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Ich habe, und das passiert mir wohl zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren, keine rechte Idee für die Urlaubslektüre. Ich habe diesmal keine lange Vormerk- oder Wunschliste, abgesehen vom gestern notierten Kundera, und ich weiß gerade nicht genau, was ich möchte. Ich bitte eine KI um Hinweise auf Essaybände und Tagebücher, die in den letzten fünf Jahren erschienen und in Feuilletons positiv besprochen worden sind. Die Software listet mir prompt zwölf Bücher auf, zehn (!) davon gibt es nicht, eines ist ein Krimi, warum auch immer der genannt wurde, es erschließt sich mir nicht. Es gibt bei den anderen Büchern die Autorinnen, es gibt auch die Titel, aber nicht zusammenpassend. Es ist wild gemixt und wirklich erbärmlich schlecht, ich finde es faszinierend. Total unbrauchbar ist diese Antwort, und das ist doch nennenswert schlechter, als ich es erwartet hatte.

Ich gehe zum öffentlichen Bücherschrank, ich gehe in die Bücherei. Ich stehe ratlos sinnend vor Regalen, ich finde nichts, es ist etwas speziell gerade. Aber es macht auch nichts, denn dann, und ich meine es ohne jede Arroganz, schreibe ich eben selbst etwas. Vorteil Bloggerinnen, ne.

Und lese ansonsten erst einmal die Rodoreda durch, die ist immerhin eine sichere Sache.

Die Söhne bewegen sich währenddessen den größten Teil des Tages einfach gar nicht, sie fangen das mit den Ferien ausgesprochen konsequent und gründlich an. Den Eltern ein Vorbild!

Im Bild wieder Hammerbrook, eine der wenigen Stellen, an denen es fast nett aussieht.

Hausboote in Hammerbrook

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Amselaugen

Mittwoch, der 12. Juli. Die Kinder haben heute noch einen albernen, im Grunde vollkommen sinnlosen halben Schultag, dann haben sie sechs Wochen Ferien. Ich dagegen habe wieder mein übliches Neidproblem und vermutlich einen leicht grünlichen Teint. Nun.

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Es gab Zeugnisse. Ein Sohn hat den Lehrkräften darauf mit Rot einen Ausdrucksfehler angestrichen, und falsch ist seine Korrektur nicht, ganz und gar nicht, es ist mehr ein Fall von „Treffer, versenkt.“ Es ist selbstverständlich dennoch ein absolut ungehöriges Benehmen und ich werde angemessen streng gucken. Sobald ich aufgehört habe, darüber zu lachen.

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Eine Meldung im Guardian über Krähen und Elstern, welche stachelige Vogelabwehrmaßnahmen zu ihrem Vorteil ausnutzen. Bei uns auf dem Balkon haben die Elstern währenddessen dem Nachwuchs beigebracht, wie das mit den Erdnüssen hier läuft. Szenen wie in einem Tierfilm gab es da direkt vor dem Fenster, das war großartig.

Neulich habe ich im Garten kurz auf einem Stuhl gesessen und einen Moment gar nichts gemacht, da kam eine Amsel über den Rasen gehüpft, ruhig und beschäftigt mit ernsthafter, emsiger Wurmsuche. Sie guckte kurz zu mir hoch, ob ich dabei irgendwie stören würde, fand mich dann aber wohl harmlos oder jedenfalls irrelevant und kam mir näher, als ich je eine Amsel erlebt habe. Sie saß dann wenige Zentimeter neben meinen Füßen und sah noch einmal prüfend hoch, mir in die Augen, und wissen Sie was, es ist merkwürdig bewegend, mit so einem kleinen Vogel längeren Augenkontakt zu haben. Ich habe „Guten Abend“ gesagt, aber die Amsel nickte nur und fand dann doch wieder Würmer interessanter als mich. Nachvollziehbar.

Ein weiterer Bürotag war es ansonsten, wenig bemerkenswert, immerhin mit Regen und frischer Luft zwischendurch, die schwallartig durchs Gebäude in Hammerbrook wehte, wenn irgendwo Fenster oder Türen aufgingen. Immer das Bedürfnis dabei, die Arme im Zugwind hochzureißen und „Schön!“ zu rufen. Es ging erfreulicherweise nicht nur mir so, man will ja nicht auffallen. Also jedenfalls nicht noch mehr als sonst.

Im Bild wieder die sanfte Schönheit Hammerbrooks.

Ein abgestellter, besprühter Container unter dem S-Bahn-Viadukt in Hammerbrook

An diesem Tag werden außerdem die Tode von Heide Simonis und Milan Kundera gemeldet. Ich habe, und es ist mir eigentlich unklar, warum das so ist, von ihm nichts gelesen, das könnte auch einmal nachgeholt werden, etwa im Urlaub. Das mal vormerken! Am Abend trinke ich in ehrender Absicht ein Glas auf Heide Simonis und lese einiges zu ihr nach, ich gehe dann nach dem Absingen der Schleswig-Holstein-Hymne ins Bett. Wahre treu, was schwer errungen, das gilt definitiv auch für Frauen in der Politik.

Auf den Einkaufswegen habe ich weiter Golo Manns Nazistaat gehört, die Erzählstimme von Claus Biederstaedt ist mir sehr angenehm.

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Home-Office, Haushalt, Hitze

Dienstag, der 11. Juli. Gestern sah ich auf Mastodon einen Hinweis zum Thema „nuclear semiotics“, das sagte mir nichts. Ich habe es nachgelesen, es ist interessant. Und weil KI doch so praktisch ist, habe ich mir mehr dazu durch eine KI erklären lassen, die dabei allerdings bald nach den ersten vernünftigen Absätzen in einen tödlichen Loop geriet, auf meine Bitte nach mehr Beispielen wurde immer wieder das Eingangsbeispiel wiederholt, nur dezent umformuliert. Die Software erklärte also ausweglos im Kreis, wozu man positiv nur sagen kann, dass man dieses eine Beispiel dann irgendwann ganz gut verstanden hat. Immerhin.

Nebenbei sehe ich, dass etliche (wenn nicht alle) Medien immer noch Twitterreaktionen als Meldungen posten, also Promi X etwa macht irgendwas, „Das Netz lacht“ kommt prompt danach als Schlagzeile, darunter dann zehn spöttische oder hämische Tweets – ganz so, als habe sich bei Twitter im letzten Jahr überhaupt nichts geändert und als würde „Das Netz“ dort unverändert stattfinden und es abbilden. Man staunt. Sicher ist das so, weil das Format schön einfach, billig und schnell war und ist, mal eben zusammengeklickt. Und es ist schon zu viel Aufwand, das noch eben mit Meldungen aus anderen sozialen Medien zu mixen.

Ich habe Twitter mittlerweile in keinem Tab mehr offen, auch nicht mehr die App auf dem Smartphone, ich bin jetzt so weit clean. Nach dem Schreiben dieses Absatzes, das ist wieder ein außerordentlich wunderbares Timing, sehe ich eine neue Meldung: „Elon Musk proposes dick measuring contest with Mark Zuckerberg on twitter.“

Okay. Weitermachen.

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Über die Hitzetoten im Jahr 22 in Europa.

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Es gibt heute stundenlange Onlinemeetings, bzw. -vorträge, ich mache nebenbei viel Haushalt. Ich glaube, ich höre tatsächlich besser zu, wenn ich dabei andere Dinge machen kann, so Nichtnachdenkdinge wie etwa Wäsche zusammenlegen oder den Geschirrspüler ausräumen oder Bügeln, ich muss mit der Unruhe etwas anfangen. Eines der unschlagbaren Argumente pro Home-Office ist das, im Büro ist so etwas schwer vorstellbar, da kann man nur im Stuhl vor- und zurückwippen und stört selbst damit vielleicht schon andere.

Das alles mache ich heute in abgedunkelter Wohnung mit strikt verrammelten Fenstern, denn es ist schon wieder furchtbar heiß da draußen. Ich igele mich hier ein, mit Ventilator und kalten Getränken und Melonenbuffet, ich sehe mir am Nachmittag im Drittjob ausgesprochen kühl wirkende Nordseefotos an und verschlagworte sie. Auch mal Glück mit den Aufgaben haben! Wichtig.

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Später, als die Hitze etwas nachlässt, fahre ich noch einmal kurz in den Garten, weil die Herzdame dort wiederum etwas vergessen hat, das wird bei uns allmählich zur Routine. Aber ich gehe ja gerne.

Es gibt die ersten vier Heidelbeeren, ich pflücke sie im Vorbeigehen. Man muss vermutlich einen eigenen Garten haben, um sich über nur vier Heidelbeeren wie Bolle zu freuen, ich weiß. Es gibt auch zwei reife Tomaten, aber ich ernte sie noch nicht, ich mache heute nur einen flüchtigen Rundgang und fahre gleich wieder nach Hause, es wird mir zu spät. Ich habe auf diese Art immerhin auch heute wieder Sport gehabt, ohne irgendeinen Sport zu machen, es bleibt für mich die einzig anwendbare Methode.

Und ich habe auf den Wegen erneut viel Golo Mann gehört, das ist auch gut.

Im Bild die Bille an der Billerhuder Insel. Fast klingt es wie ein Zungenbrecher.

Die Bille an der Billerhuder Insel, zwei Paddler auf SUP-Boards sitzend darauf und Boote an Stegen

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Das Ich, der lästige Begleiter

Montag, der 10.Juli. Im Garten gestern haben wir länger gerätselt, wo ein gewisses Geräusch herkam, so eine Art Klicken aus einer Ecke der Beete, in der doch nichts zu klicken hatte. Ein schwer einzuordnendes Geräusch war es, eine Art Schnalzen, ein Klappern vielleicht, aber unregelmäßig, wenn auch durchgehend. Wir hörten es, wir grübelten, wir machten etwas anderes. Wir saßen still, und da war es prompt wieder, was war es denn bloß? Nichts in diesem Teil des Gartens hätte irgendein Geräusch machen können, dachten wir.

Es war der Ginster, wie wir dann später am Tag herausfanden. Seine Schoten platzten in der Hitze des glühenden Sommertages auf, mit einem satten, ploppenden Geräusch, erstaunlich laut. Ich stand beeindruckt davor, es war so ein Moment wie in einer Natur-Doku, ich hatte gleich die Erzählstimme im Kopf: „In der Gluthitze der Kalahari sind die Früchte nun herangereift …“ Und wie viele Schoten an den drei Sträuchern sind – den ganzen Tag hörten wir diese Geräusche. Aber in keinem der Vorjahre haben wir das jemals wahrgenommen, wie geht das nun wieder zu. Ich hatte bisher noch nicht einmal gesehen, dass Schoten am Ginster hängen, wobei Schoten so ein Wort ist, das nach dreimaligem Schreiben seltsam unglaubwürdig wird, gibt es das wirklich, heißt das so. In dem Wikipedia-Artikel darüber kommt das Diminutiv vor, Schötchen, das ist noch viel seltsamer.

So ein Garten bleibt jedenfalls eine immer wieder überraschende Angelegenheit. Man sieht ihn sich sechs Jahre lang an und kennt ihn nicht, hat nichts begriffen.

Eine Gartenszene, eine Terrasse, Tisch, Stuhl, Lampions, ein Sonnensegel darüber, ein sonniger Tag

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Hier ein Artikel über die Geistergleise im Hamburger Hauptbahnhof, die viele noch nie gesehen haben. Menschen meines Alters seufzen tief bei der Horten-Reklame.

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Auf den Wegen in den Garten und zurück habe ich während der letzten Tage mit erheblichem Vergnügen und gleich zweimal Seneca gehört: Von der Gemütsruhe, De tranquillitate animi, in der Wikipedia leider nur englisch vorkommend. „Das Ich geht überall mit hin, der lästige Begleiter. […] Weder bei uns selbst noch irgendwo anders halten wir es lange aus.“ Ja, ja, wer kennt es nicht.

Seneca, stets sehr um anwendbare Ratschläge bemüht, schrieb auch über Finanzen. Hier etwa einen Satz für die in wirtschaftlicher Hinsicht so berechtigt furchtsame Mittelschicht unserer Tage: „Nicht arm, aber doch nicht weit davon entfernt, das ist das günstigste Vermögensverhältnis.“ Aber bevor man nun lange überlegt, ob das wirklich tiefsinnig ist oder nicht, ob es womöglich sogar so etwas wie höhere Philosophie ist – der Herr Seneca hatte selbst Geld wie Heu, das muss man dabei auch bedenken.

Vermögende Menschen haben immer schon, quer durch alle Zeiten, Menschen mit wesentlich weniger Geld gerne nette Tipps gegeben, wie es sich bescheiden gut leben lässt. Die guten Seelen!

Der zitierte Satz kann allerdings dennoch stimmen, philosophisch betrachtet, so ist es nicht.

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Gehört: Golo Mann, Der Nazistaat, gelesen von Claus Biederstaedt. Vorbereitung ist alles, ne, und wie sonst, wenn nicht durch Nachbereitung.

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