Und noch ein Dank…

… an die Leserin C.M., die den Jungs zwei Puzzles geschickt hat, welche die beiden nach dem Aufreißen des Pakets in Sekundenschnelle komplett miteinander vermischt haben. Das ist sehr, sehr gut, denn sie werden jetzt sehr, sehr lange sortieren.

Ich erwarte einen ganz ungewöhnlich entspannten Nachmittag. Vielen Dank!

Das Dienstags-Update

Man kommt zu nix, nicht einmal zu den Update-Meldungen. Auch gestern gab es aber eine neue Folge bei „Was machen die da“. Wir haben uns angesehen, mit welchen Leuten die Herzdame einen erheblichen Teil ihrer Freizeit verbringt, es geht also um Lindy hop, bzw. um Swing. Hier geht es zum Interview mit ihren Tanzlehrern.

Marei und Ole

Und wenn jetzt jemand rätselt, wann man Lindy Hop und wann man Swing sagt – das wird drüben natürlich auch erklärt.

Pasta mit Basilikumpesto, grünem Spargel und eingelegten Tomaten

(Es folgt ein weiterer Gastbeitrag von Micha, der zweite von vier Texten, ich hatte sie hier bereits vorgestelltIch denke noch darüber nach, wieso sie im neuen Rezept ausgerechnet bei mir Zeitangaben in Haareföhnen und Wimperntuschen ausdrückt. Habe ich das falsche Frisurimage? Wann habe ich mich überhaupt zum letzten Mal geföhnt? Das muss so um die Jahrtausendwende gewesen sein. Aber ich begrüße natürlich ihre Mengenangaben:“sehr variabel“. Das ist mal eine durch und durch vernünftige Ansage für ein Rezept, so kann ich arbeiten. Das Rezept ist mit Spargel, dafür hat man noch ein paar Tage entspannt Zeit – Spargelsilvester, ein Begriff, den verblüffend viele Menschen nicht zu kennen scheinen, ist erst am 24.6., an St. Johannis.) 

Pesto

*Neenee Kinners, es ist alles nicht ohne!* war der Standardspruch meiner Ex-Beinahe-Schwiegermutter. Weil sie damit zu 99 Prozent den Vogel vom Himmel holte, scheute sie sich nicht, ihn dann fallen zu lassen, wenn er angebracht war. Also ständig.

Und ja, es IST kompliziert. Vor allem wenn es um die Pflicht des Kochens geht und man eigentlich nur semi-motiviert ist.

Manchmal nimmts mich allerdings schon Wunder, für was man alles so Zeit findet, nur fürs Kochen reicht es irgendwie hinten und vorne nicht. Um eines mal festzustellen: Haareföhnen beispielsweise ist nicht existentiell. Im Gegensatz zum Essen. Und wenn man schon täglich Nahrung zu sich nehmen MUSS, dann sollte man sich das doch so schön wie möglich gestalten. Nicht nur das Essen, im Idealfall auch das Kochen. Soweit meine pragmatische Motivationshilfe. Aber bei allem Verständnis:

Gekauftes Pesto geht gar nicht. Bisschen Grün pürieren kann wirklich jeder, das dauert ungefähr so lange wie Wimperntuschen (schätzungsweise) und das selbstzerkleinerte Pesto enthält, im Gegensatz zu dem gekauften, tatsächlich überwiegend frische Kräuter. Womit wir bei Basilikum sind, einem der weltbesten frischen Kräutern überhaupt. Damit holt man sich den Garten direkt auf den Tisch! Ein paar Nudeln abkochen, frisches Pesto dazu, hey, das geht doch wirklich immer.

Ein weiterer Unterschied zum gekauften Basilikumpesto allerdings ist, dass sich die satte grüne Farbe nicht erhält, wenn sie sich um die heißen Nudeln schmiegt, sondern in eine eher unsexy Tarnfarbe abrutscht. Das nur vorneweg. Damit wir das ganze etwas saisonal pimpen, kommen noch grüner Spargel und eingelegte Tomaten dazu. Auf die richtig, richtig guten und frischen Tomaten muss man nämlich noch eine Wenigkeit warten. Beides bedeutet aber keinen tieferen Aufwand, das sollten auch Semi-Motivierte nebenher geschnippelt bekommen. Locker.

Ach, und Mengen sind wie beim letzten Mal sehr variabel.

grain de sel 141

Zutaten:

Für das Pesto*:

1 dicker Bund Basilikum**

Olivenöl

5 EL Parmesan, gerieben

4 EL Pinienkerne

(m: halb geschälte, gemahlene Mandeln)

etwas Zitronenabrieb

Salz, Pfeffer

1 EL crème fraîche (optional und nicht klassisch)

 

400g Pasta (m: Castellane)

500g grüner Spargel

2 Knoblauchzehen

200g eingelegte Tomaten**

gewürfelter Käse (Mozarella, Ziegenfrischkäse, Comté…/ optional)

Zubereitung:

Den Basilikum zusammen mit den restlichen Zutaten pürieren, bis ein sämiges Pesto entsteht. Dafür soviel Olivenöl wie nötig angießen. In ein Glas umfüllen und die Oberfläche mit Olivenöl abdecken, um das Grünweg-Oxidieren zu verhindern.

Ofen auf 200° vorheizen. Das untere Drittel des Spargels schälen, Enden abschneiden. Eine Auflaufform ölen, Spargel ebenfalls leicht mit Öl bepinseln, salzen, pfeffern und je nach Größe ca. 15min im Ofen garen. Spargel etwas abkühlen lassen und in mundgerechte Stücke schneiden.

Knoblauch klein hacken, die Tomaten vierteln. Käse würfeln.

Pasta in reichlich Salzwasser al dente kochen. Beim Abschütten etwas Kochwasser auffangen. Nudeln mit dem Spargel, dem Knoblauch und den Tomaten mischen. Den Käse und das Pesto untermengen und mit Hilfe des Nudelwassers ein schöne cremige Konsistenz herstellen. Schmeckt warm als Pasta oder kalt als Nudelsalat.

Spargel

Anmerkung m: *das Pesto – die Oberfläche mit etwas Öl abgedeckt – hält sich gut fünf Tage im Kühlschrank

** ich habe halb Basilikum, halb Zitronenbasilikum verwendet – also wer hat…

*** die eingelegten Tomaten, im französischen tomates confites, sollte es in Deutschland beim türkischen Gemüsehändler geben

Micha

Michas Blog findet man hier. Prädikat sehr, sehr empfehlenswert.

Offline-Shopping

Man liest so viel von sterbenden Innenstädten, von Läden ohne Kundschaft. Alle bestellen immer mehr online, die Fußgängerzonen werden leerer, der Verkehr auf den Straßen besteht bald nur noch aus den Lieferautos der Paketdienste. Da muss man einmal ein kleines Loblied auf den Einzelhandel singen, wenn man denn einen Grund dafür findet.

Ich habe mir z.B. gerade einen neuen Anzug gekauft, das ist alle paar Jahre mal dran. Wenn man nicht gerade mit der allerneuesten Herrenmode geht, dann muss man das nicht öfter machen, ein Anzug hält im besten Fall eine Weile. Aber jetzt war es doch Zeit. Ich habe lange keinen Anzug getragen und bei Licht sah der alte etwas schäbig aus, als ich ihn mal wieder aus dem Schrank nahm. Das möchte man nicht. Aber statt mir irgendwo etwas zusammenzuklicken, was ich hätte zurückschicken müssen, wenn es wieder nicht gepasst hätte, bin ich in einen Laden gegangen. So wie früher. Und zwar in den Laden, in dem ich damals auch den letzten Anzug gekauft hatte. Der Verkäufer war derselbe wie damals, er begrüßte mich, als sei ich nur kurz um den Block gegangen, schon das war faszinierend.

Er brachte mir einen Anzug in der Größe, mit und in der ich früher gut gelebt habe und half mir in die Jacke. Ich zog den Bauch ein, machte die Knöpfe zu und stellte mich vor den Spiegel. Hätte ich eingeatmet, die Knöpfe wären wie Projektile durch den Laden geschossen. Ich stand, sah und atmete nicht. Der Verkäufer sah mich an und sagte, ohne das Gesicht zu verziehen: „Das Sakko sitzt etwas sportiv, ihnen würde eine lässigere Größe jetzt doch besser stehen.“

Dann holte er mir einen Anzug, der besser zu mir und meinem Bauch passte. Eine deutlich lässigere Größe. Doch, man kann es so nennen. Wenn man gut ausgebildet ist. Und man kann so großartige Sätze hören. Wenn man mal wieder in einen Laden geht.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Zwischendurch ein Dank…

… an die Leserin N.L., die den Jungs ein Buch geschickt hat – demnächst in der Vorleserunde! Und noch ein Dank, jetzt wird es etwas peinlich, an den netten Menschen, der mir neulich ein Kinderbuch aus dem Selbstverlag geschickt hat, dem ein sehr, sehr freundlicher Brief beilag, den ich seit Tagen nicht mehr finden kann. Pardon! Auch das Buch ist natürlich in der abendlichen Vorleserunde.

Und überhaupt

Hier war es in den letzten Tagen verblüffend ruhig, das hat natürlich Gründe. Genau genommen hat es hauptsächlich einen Grund, noch genauer liegt es an einer dieser Telekommunikationsfirmen, ich werde keinen Namen nennen. Die Herzdame hatte in den letzten Tagen mit dem sogenannten Kundenservice dieser Firma so viel Kontakt, dass sie mittlerweile selbst für nordostwestfälische Verhältnisse nervlich zerrüttet wirkt. Ob sie jemals wieder aufhören wird, den Kopf zu schütteln – man weiß es noch nicht, ich habe mich aber auch schon an die permanente Bewegung gewöhnt. Stellen Sie sich eine auffallend blasse Herzdame vor, die mit mahlenden Kiefern, zuckenden Muskeln im Gesicht und leiser, geradezu fauchender Stimme im „Ich geh da jetzt raus“-Tonfall murmelt: „Ich ruf da jetzt an“ – und die dann wieder einmal das Telefon nimmt, als würde sie nach einer Giftschlange greifen. Dann zieht sie sich für den Rest des Nachmittages ins Wohnzimmer zurück, niemand wagt es, sie dabei zu stören. Das geht schon seit über drei Wochen so. Die Kinder haben sich längst darauf eingestellt, nur noch von mir versorgt zu werden. Der Mensch ist so herrlich anpassungsfähig.

Wegen dieser Konflikte waren wir jedenfalls zeitlich etwas blockiert und teilweise offline. Natürlich kann man auf Umwegen dennoch online sein, wenn der Hauptanschluss offline ist, aber das ist sehr langsam und macht auf Dauer keinen rechten Spaß. Bestimmt gibt es sich auch wieder. Bestimmt drückt irgendwann irgendeine Knallcharge aus dem sogenannten Kundenservice den richtigen Knopf – und sei es aus Versehen. Und dann geht es hier auch wieder normal weiter.

Davon abgesehen brauchen wir aber alle sonstigen verfügbaren Zeitfenster für die Schulranzenauswahl, denn Sohn I kommt im August in die Schule. Nach Meinung der Mütter im Umfeld wird das arg knapp, der Ranzen muss jetzt gekauft werden, jetzt sofort, noch an diesem Wochenende, denn in Kürze lösen sich alle Ranzenreserven Deutschlands vermutlich in Luft auf und das Kind bekommt dann womöglich keinen mehr und wird natürlich schon im ersten Schuljahr depressiv. Das will keiner! Deswegen sind die Eltern des Stadtteils in einer Art kollektiven Schulranzenauswahlhysterie. Falls Sie keine Kinder haben, werden Sie es gar nicht wissen, aber die Schulranzenauswahl ist eine komplexere Aufgabe, als man zunächst meint. Neuwagenkauf Kinderspiel dagegen.

Man muss bei Ranzen Größe, Gewicht, Regendurchlässigkeit, Stabilität, Verarbeitung, Umfang, Farbe, Muster, Sitz, Material, Preis etc. vergleichen. Wenn man das in Excel darstellt, wird einem schwindelig, und das schreibe ich als Controller in einem Konzern. Ich manövriere mich bei dem Ranzenthema übrigens gerade ins soziale Abseits, denn mir will einfach nicht aus dem Kopf, dass der Schulweg von Sohn I in entspannten fünf Minuten zu bewältigen ist und der Ranzen meist leer sein wird. Da kommt nämlich nur ein Frühstücksbrot rein, der Ranzen ist reine Symbolik, in Ganztagsschulen werden überhaupt keine Bücher mehr hin- und hergetragen. Wissen Sie, warum die Kinder überhaupt noch Ranzen haben? Die Kinder haben Ranzen, weil die Kinder vor ihnen auch Ranzen hatten. Die Schuldirektorin lacht seit Jahren darüber. Da mal drüber nachdenken! Und dann überlegen, seit wann wir eigentlich keine Keulen mehr dabei haben, obwohl die Vorfahren die doch auch immer dabei hatten. Was ist da passiert? Egal. Der Sohn trägt da also bald ein potemkinsches Gepäckstück durch die Gegend, das so ausgewählt wird, als müsste es eine Mount-Everest-Besteigung bei schlechtem Wetter aushalten können. Es leuchtet mir einfach nicht ein. Wenn man aber in Schulranzenauswahldiskussionen leise etwas murmelt wie etwa: „Kauft doch einfach irgendwas, ist doch eh egal“, rücken alle anwesenden Eltern ein Stück ab und sehen einen an, als hätte man den Verstand verloren. Oder, noch schlimmer, sein Kind nicht lieb.

 Man kauft übrigens, wenn man einen Ranzen kauft, nicht etwa EIN Produkt, nein, man kauft etwa sieben Produkte, vielleicht auch acht oder neun. Denn zu einem Ranzen gehört heute, ich habe das gar nicht gewusst, ein wundertütenähnlicher Beigabenwahnsinn. Zu einem Ranzen gehört eine Federtasche, ein Turnbeutel, ein Stundenplan, ein Sonderdings für Ordner und Hefte, ein Frisbee, ein Flummi, ein Brustbeutel und so weiter. Wenn Faltboote, Notfallsignalraketen oder lebende Hamster beigelegt werden, es wundert mich alles nicht mehr. Und das kann und muss man dann natürlich auch alles vergleichen, was da so beiliegt. Das ist der Konzentration auf das Wesentliche und auf den Preis zwar eher abträglich, aber es erzeugt so eine Art Kaffeefahrtverwirrung. Wenn sie dieses Topfset nehmen, bekommen Sie die Matratze da noch oben drauf und 500 Gramm Schinken für den halben Preis und außerdem ein Abo der Brigitte für ein halbes Jahr mit zehn Prozent Rabatt in den ungeraden Monaten. Man versteht nichts, man bekommt aber auf jeden Fall sehr viel, das versteht man dann doch. Und viel ist natürlich immer super, eh klar.

 Ich sitze hier also höchst verstimmt in meiner kleinen sozialen Nische der Schulranzenauswahlnichtteilnehmer offline und unrasiert herum und warte auf bessere Zeiten. Irgendwann wird alles wieder gut. Irgendwann sind wir wieder online, im Familienverbund entspannt und im Besitz eines Ranzens mit den attraktiven Beigaben der Saison, versteht sich. Wir haben das Kind ja lieb. Und bald auch einen anderen Telefonvertrag.

 

Das Dienstags-Update

Antje Flemming macht die Presse-Arbeit für das Literaturhaus Hamburg. Ein Beruf, bei dem man ein wenig neidisch werden kann, weil er so offensichtlich und durch und durch sinnvoll ist. Und weil ein nettes Café im Haus ist, das den meisten Kantinen in Sachen Kuchenqualität etwas voraus sein dürfte. Und eine Buchhandlung gibt es da auch noch, wo man sein Gehalt sofort wieder ausgeben kann. Toll!

Der Text und die Bilder finden sich hier.

DSC_0040_DxOFP

 

In der nächsten Woche geht es dann wieder um einen Beruf, in dem der Schreibtisch eher gar keine Rolle spielt. Es lebe die Abwechslung.

Kurz und klein

 

Nachdenken mit Sohn II

Wenn Vierjährige nachdenken, muss das nicht trivial sein. Denn auch in dem Alter kann man schon über große Fragen nachdenken – man kann es sogar erstaunlich gut, auch wenn man ganz und gar kein höherbegabtes Kind ist, kein Wunderkind, kein Genie. Und man kann auch ganz ohne jede Bildung denken, weil der Mensch an sich eben denken kann. Der Mensch kann es genau genommen so gut, dass man bei jedem Kind wieder versteht, wie aus manchen dieser kleinen Wesen irgendwann große Denker werden können, Mathematiker, Wissenschaftler, Philosophen. Kinder brauchen keine Anleitung, sie fangen an zu denken, richtig zu denken, tiefschürfend zu denken, sobald nur das Vokabular reicht, es fasziniert mich immer wieder. Jedes Kind treibt es zu anderen Themen, aber jedes Kind grübelt.

Aktuell entdeckt Sohn II seine Vorliebe für Zahlen und mathematische Phänomene, eine Leidenschaft, die ihm in diesem Haushalt ganz gewiss niemand vorlebt, ganz im Gegenteil. Er grübelt über Zahlen. Über deren Steigerungsfäigkeit, über Zahlenreihen und, ganz wichtig, über ihre Unendlichkeit. Er denkt schon seit Wochen verbissen auf der Unendlichkeit herum, die ihm bei Zahlen zum ersten Mal auffiel. Mittlerweile hat er sie auch für das All entdeckt, das scheint ihm vergleichbar, das nimmt er recht lässig hin. Zahlen hören nicht auf. Nie. Man könnte ein ganzes Leben lang zählen und käme an kein Ende, es gibt nämlich kein Ende, es gibt immer noch eine Zahl mehr. Das kann man sich ganz plastisch vorstellen, weil man ja immer eine Zahl mehr sagen kann. Und noch eine. Und noch eine. Es lässt ihm einfach keine Ruhe.

Er stellt sich vor, um die Erde zu gehen, einmal ganz herum. Das ist eine Kugel, die hat keinen Anfang, also hat sie auch kein Ende. Sie ist damit irgendwie auch unendlich, aber nicht so wie die Zahlen, nicht so wie das All. Man ist ja irgendwann herum, um die Kugel, man kann sie gewissermaßen komplett begreifen, die Unendlichkeit aber nicht. “Man kann ganz herumgehen, also mit einem Schiff zwischendurch. Dann lebt man hinterher noch, nur nicht mehr so lange.” Er denkt und denkt, schließlich kommt er darauf – die Erde kann man von allen Seiten antippen, wie einen Ball, sie hat eben doch ein Ende. Die Fläche ist das Ende. Eine Kugel ist begrenzt, sie hat nur keinen Eckpunkt, keinen Start. Er tastet auf einem Ball herum und denkt und denkt. Er kann das sprachlich noch nicht richtig ausdrücken, was er gerade herausfindet, aber seine Finger kreisen und tippen. Kein Ende ist nicht unendlich. Das ist schwer, aber man kann doch darauf kommen. Und wenn die Kugel einen Anfang hätte, dann wäre sie eine Spirale. Sagt er, springt auf, holt einen Zettel und malt: “Wie bei einer Schnecke!”

Er fragt immer wieder, ob tausend mehr als hundert ist. Wieviel eine Million ist, wieviel eine Milliarde, wieviel Zigtrilliarden. Und ob diese Zahlen näher an der Unendlichkeit sind als, sagen wir, zehn. Er fragt Multiplikationen ab, hundert mal hundert, tausend mal tausend. Kommt man dann näher? Oder mit einer Million plus eine Trilliarde? Nein. Nichts kommt an unendlich heran, gar nichts. Er fragt nach unendlich plus tausend, stellt dann aber, noch bevor ich antworten kann, fest, dass Rechenaufgaben mit unendlich gar keinen Sinn haben. Weil man unendlich ja nicht erreicht, kommt man auch nicht zur anderen Zahl, die man adddieren möchte, das kann man vergessen, sagt er.

Er liegt im Bett, ich liege neben ihm. Er sagt mir zum hundertsten Mal, dass niemand weiß, wann unendlich zu Ende ist, auch in der Zeit nicht. Er bittet mich zu schweigen und sieht angespannt in das Zimmer. Mit weit aufgerissenen Augen, er hält den Atem an, macht keinen Laut und starrt. Starrt in den Raum, in dem sich jetzt gar nichts mehr bewegt. Stille im Raum, Stille im Haus. Er sieht mit großen Augen zum Fenster, wo ein paar Schleierwolken gemächlich vor blassblauem Hintergrund vorbeiziehen. Ein Auto fährt irgendwo weiter weg vorbei, ganz leise, eine Möwe schreit jäh über dem Dach. Das Kind guckt und guckt und ich merke – er guckt die Zeit an. “Jetzt”, sagt er, als er doch Luft holen muss, “jetzt ist unendlich auch noch nicht vorbei.” Aber er hat immerhin doch ein Stück davon vorbeigehen sehen, das war wichtig. Ein Stück von den Stücken, aus denen sich die Unendlichkeit immer wieder neu vor uns aufstapelt.

Er grübelt über die Unendlichkeit der Zeit in beiden Richtungen, über seine Position darin. Er fragt: “Papa, sind eigentlich mehr Menschen schon gestorben oder mehr noch nicht geboren?”

Ich bin sprachlos. Ich denke selbst nach, ich verliere mich in Mutmaßungen. Wir nähern uns der Antwort gefühlsmäßig, nicht wissenschaftlich, ich bin kein Wissenschaftler. Den Anfang der Menschheit kann man bestimmen, irgendwann gab es uns noch nicht, oder nur als Affen. Über das Ende wissen wir weniger, auch wenn es sicher kommen wird, das ist klar. Aber wir waren sehr lange sehr wenig Menschen, wir sind jetzt sehr viele Menschen, wir raten daher beide, dass mehr Menschen noch geboren werden, als schon gestorben sind. Wenn die Welt nicht gerade morgen untergeht, versteht sich.

Ist Ihnen klar, was das für eine Konsequenz hat? Mir war das gar nicht klar, ich habe aber mit dem Sohn gemeinsam darüber nachgedacht. Das heißt nämlich, wir sind nur die Vorhut, die meisten kommen erst noch. The best is yet to come? Wir bereiten für andere vor, wir sind mitten in einer Geschichte, also in der Geschichte. Zumindest kann man es so sehen.  Andersherum wären wir schon mit der Abwicklung beschäftigt, wäre der Höhepunkt überschritten, après nous le déluge, wir gucken längst den Abspann. Das ändert schon etwas, finden Sie nicht? Dem Sohn ist das wichtig, dass das meiste vor uns liegt, das findet er gut und richtig. Geschichten sind am Anfang nämlich besser, das ist ja klar. Wenn man anfängt vorzulesen, die ersten Seiten – auf denen liegt doch der Genuss. Nach hinten hin hat man ja Angst vor dem Ende. Auch wenn es ein gutes Ende ist.

Da kann man mal drüber nachdenken. So etwa ab 4 anscheinend. Ich habe übrigens gemacht, was man als Vater heute eben macht, ich habe die Frage nach unserer Position in der hypothetischen Zeitreihe der Menschen , die mich dann doch leicht überforderte, an meine sozialen Netzwerke weitergereicht. Da bekommt man dann schlaue Antworten auf Teilaspekte – und das gute, das sehr gute Gefühl, dass andere Menschen mitdenken. Und etwas sagen, etwas fragen, etwas ergänzen. Ich lese dem Sohn einige Antworten vor. Andere Menschen freuen sich über seine Frage. Er wächst mit dem Gefühl auf, dass man immer auch gemeinsam denken kann. Auch mit 4 schon. Ist das nicht großartig?

Sage mir keiner was gegen soziale Netzwerke. Das muss so.