Fahrplanmäßig durch die Viertel

Der Sturm heult und grollt am Mittwochnachmittag ums Haus, man müsste eigentlich frei haben und alte Schauerromane lesen, bei diesem Wetter. Regen prasselt an die Balkontür und irgendetwas zerklirrt unten auf der Straße, ein Blumentopf oder so etwas. Jedenfalls aber flog es nicht von unserem Balkon, da ist selbstverständlich alles gut gesichert, so viel Spießigkeit muss schon sein. Es wirbelt auch Zeug vor dem Fenster vorbei, sehe ich, sogar hier oben unterm Dach, Plastikfetzen, Papier und Pappe, was die unaufgeräumte Stadt alles so hergibt. Gestern erst haben sie mit Laubpüstern die Blätterberge unten auf dem Spielplatz verschoben, warum auch immer sie das im Januar machen, da werden die heute schon wieder vom Wind neu durchsortiert, diese Laubhaufen, und wie gründlich. Tand, Tand ist das Laubblasen von Menschenhand.

Ich schlage die Kaschnitz auf, ich lese: „Der Sturm schüttelt die Bäume, reißt ihnen Äste ab und schleudert die Äste auf den Gehsteig, kommt vom Atlantik, ist aber noch unverbraucht rüstig, durchaus imstande, Mauern einzustürzen, Kraftwagen von der Straße zu fegen.“ (Aus Tage, Tage, Jahre – Aufzeichnungen)

Die U-Bahnen fahren heute sicherheitshalber deutlich langsamer als sonst, die Autos stauen sich wie immer, die S-Bahnen fahren gar nicht mehr oder nur selten. Die Stadt wird ausgebremst und im Speckgürtel fallen die Zäune und Bäume um. Das macht mir alles nichts aus, ich gehe zu Fuß, ich gehe kühn gegen den Wind, ich werde nass. Na und! Trutz!

Wie ein stoischer Landmensch mit Hund auf den pflichtgemäßen Gassirunden um die immer gleichen Äcker, so schnüre ich hier fahrplanmäßig durch die Viertel und erledige Dinge.

Ich gehe zum Discounter. Es gibt nicht, was ich kochen will. Klaffende Lücken im Regal. Wo das Suppengrün lag, da blieb nur noch ein Möhrchen übrig, und das sieht nicht mehr gut aus. Ich koche etwas anderes, denke ich mir, ich kann mehr als ein Rezept, ich bin ein gestandener Hausmann. Aber das, was ich dafür brauche, das gibt es dann auch nicht, und so auch bei meiner dritten Idee. Liegt es am Bahnstreik, streikt noch irgendeine andere Branche, liegt es am Wetter oder an sonst etwas, ich weiß es nicht. Dieser Laden hat jedenfalls nichts, hilft nicht und löst heute keines meiner Probleme.

Ich aber habe ein volles Tiefkühlfach zuhause. Ich lebe im Widerstand gegen die Gemeinheiten des Alltags und komme irgendwie durch. Ich gehe nach Hause und mache alles dennoch, die Frisur sitzt. Ich lebe mit Gegenwind, das gehört hier so.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

In exponierter Lage

Die ganze Woche ist schon wieder zu voll, zu terminreich, zu überladen und ich gucke mir jeden Punkt, der zu erledigen ist, noch einmal an, ob er nicht doch vermeidbar gewesen wäre, aber das ist nicht der Fall. Es gibt Wochen, die sind einfach so, und ich hätte dann gerne einmal wieder eine von den anderen, die es angeblich auch geben soll.

Und auch wieder die amtlichen Sturmwarnungen am Morgen, alles findet hier in endlosen Schleifen statt. In exponierten Lagen soll es heute bis Beaufort 10 geben. Wenn ich vom Sofa aufstehe und ein paar Schritte weiter auf den Balkon gehe, bin ich schon in exponierter Lage, ich muss nur eine Tür aufmachen. Ich habe gestern in einem Podcast gehört, dass wir erst seit sechzig Generationen in Gebäuden leben, davor waren wir alle noch dauernd in exponierter Lage. Man müsste aber ziemlich oft Ururur … vor Oma oder Opa wiederholen, um jener Menschen zu gedenken, die diesen Zustand beendet haben. Dennoch ein Dank in die diffuse Vergangenheit, das habt ihr gut gemacht, das mit den Gebäuden, ich bin ganz gerne drinnen.

Ich lese die Nachrichten nach, jemand redet wieder von irgendwas, das sich irgendwer, die Mittelschicht vermutlich, mit harter Arbeit verdient habe, immer wird das betont, diese harte Arbeit. Wenn ich eine Kolumne schreibe, was ich gleich zu tun haben werde, wie mache ich das denn hart? Ich will doch hinterher auch etwas verdient haben. Harte Arbeit ist nicht seelisch gemeint, nehme ich stark an, harte Arbeit klingt für mich eindeutig körperlich. Seelisch kann man kinderleicht jedes alberne To-Do, jede Tätigkeit hart finden, das wäre wohl zu einfach. Nein, das ist sicher nicht hart genug. Harte Arbeit muss wehtun, muss Gelenke und Muskeln und Schwielen und Blasen betreffen, Blohm & Voss, Bergbau, irgendwas mit Beton, dergleichen. Nach harter Arbeit darf man gar nichts anderes mehr machen können.

Das härteste Schreiben habe ich Anfang der Neunziger erlebt, als ein Kollege ein irrwitzig schweres Trumm vom Kugelkopfschreibmaschine hatte, auf der er einen unglaublich lauten Maschinengewehrsound hämmern konnte, den man im ganzen Bürohaus gehört hat, da gingen überall sofort die Türen zu, wenn der mit einem Brief anfing. Damals noch Einzelbüros, liebe Kinder, alle saßen wir in Einzelbüros und rauchten darin wie die Schlote, das war auch hart. Das kann ich aber nicht reproduzieren, diese bedrohliche Geräuschkulisse, ich würde hier ja alle wecken, bei meinen frühen Schreibzeiten.

Ich setze mich erst einmal unbequemer hin, auf einen harten Küchenstuhl. Ich will mitreden können bei diesem Arbeitsthema. Hinterher aufstehen und stöhnen, sich den schmerzenden Rücken halten, ach, die Arbeit, diese harte Arbeit, gottverdammt.

Man macht was mit.

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Lichtblicke und Abwechslung

Der Umgang mit der rechten Bedrohung ist auf Dauer auch nervtötend, versteht sich, man braucht hier und da einmal ein anderes Thema, einen Lichtblick vielleicht auch, wenn es sich denn überhaupt noch einrichten lässt, eine kleine Abwechslung. Die Herzdame und ich sortieren am Sonntag mehr oder weniger entspannt Papierkram, weil uns nichts Besseres einfällt und weil es auch sein muss, und wir stellen nebenbei noch einmal unsere regulären Renteneintrittsjahre fest: 33 bei mir, 45 bei ihr.

Nun ja. Man entkommt dem Thema Rechts manchmal, aber man schafft es doch nicht weit.

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Bei der fortgesetzten Kaschnitz-Lektüre habe ich einen dieser fantastischen Momente, in denen ein Stück früher Erinnerung plötzlich, ein Bild aus dem Nichts, freigelegt wird. Es ist nach wie vor das Beste am Altern, ich genieße das sehr. Im Text kommt eine Bücherei vor und ich sehe – und wie unfassbar deutlich! – das Kinderregal der Stadtteilbibliothek meiner Grundschulzeit. Für Sekunden nur, dann ist es schon wieder weg, aber wie präsent das in diesem Moment war. Es hat manchmal etwas von Trip, wenn es einen so zurückwirft, denn es ist eine umfassende Erinnerung, oder kann es zumindest sein, komplett mit Geruch, Haptik und geradezu körperlichem Stimmungsempfinden, in diesem Fall mit der Freude auf noch mehr Bücher. Es gab damals kaum eine andere Form der Unterhaltung, wir hatten ja nichts.

Solche Momente können selbstverständlich auch furchtbar sein, wie ich etwa von den belastenden oder verstörenden Kriegserinnerungen meiner Eltern weiß (Geburtsjahre 33 und 38, da haben wir es schon wieder), aber ich hatte bisher Glück und mindestens akzeptable oder sogar gute Backflashs.

Eine Art internes Entertainmentprogramm, und man braucht gar nichts dafür, überhaupt kein Equipment, nur ein paar zurückliegende Jahrzehnte, die von selbst anfallen. Stark.

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Am Nachmittag der Einkauf noch in der gewohnten Winterbekleidung. Es ist allerdings nennenswert zu warm dafür, wie mir zu spät auffällt, es ist Pulloverwetter, ich hätte mir vorm Discounter alles vom Leib reißen mögen. Aber Contenance, versteht sich.

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Abends noch weiter in der Kaschnitz, sie schreibt über Wählerstimmen für die radikalen Rechten. Es ist ein Text aus den Sechzigern des letzten Jahrhunderts, vermutlich aus meinem Geburtsjahr.

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Achten Sie auf herabfallende Gegenstände

Sieben Grad, Regen und aufbrausender Wind, das Wetter hält sich an den Plan und kippt erwartungsgemäß über Nacht aus dem winterlichen Szenario. In der Regenrinne vor den Dachfenstern kein Eis mehr, sondern Wellengang. Achten Sie auf herabfallende Gegenstände, heißt es in der frischen Sturmwarnung am Morgen, und ich sitze am Schreibtisch und verhalte mich anweisungsgemäß. Ich behalte das ganze Zeug hier um mich herum permanent im Auge.

Gestern am Abend noch weiter und gerne in der Kaschnitz gelesen. Ich finde da auch schöne Begriffe, die längst aus unserem Sprachraum verschwunden sind. So bezeichnet sie etwa Menschen, die während des Krieges in Frankfurt arbeiten, aber viel weiter draußen wohnen, als Fernschläfer, wie schön ist das denn. Pendler (männliche Form hier korrekt und historisch angebracht) ist im Prinzip auch nett und bildhaft, aber Fernschläfer – wunderbar. „Wohnen Sie hier in der Nähe? „Nein, ich bin Fernschläferin.“

Wäre ich etwas Anständiges, also z.B. irgendetwas mit Germanistik geworden, ich würde den sprachlichen Wandel in den Sechzigern/Siebzigern des letzten Jahrhunderts vermutlich überaus interessant finden, da die arrivierten Autorinnen in jener Zeit noch eindeutig und von Herzen einem Sprachgebrauch, Vokabular und Satzbau aus alter Zeit verbunden waren, die Moderne aber doch eindeutig vorkam, dafür also Wege gefunden werden mussten. Bei der Kaschnitz etwa auch eine Passage, aus der das Wort „Supermarkt“ merkwürdig herausragt, es gehört nicht recht in dieses Umfeld. Noch nicht.

Und, sehen Sie, jetzt brauche ich eigentlich wieder eine Woche Sonderurlaub, um diverse Themen in Ruhe nachlesen zu können. Schlimm.

Aber wie gesagt, Fernschläferinnen und Fernschläfer. Das vielleicht doch hier und da einmal anwenden. Diskussionen über die Fernschläferinnenpauschale führen. Toll, nicht wahr.

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Im Allgemeinbildungsspurt 24 gab es einen Vortrag über die Gründung des modernen Griechenlands – Die erträumte Nation. 22 Minuten, ich wäre bei dem Thema nicht durchgehend sattelfest gewesen, denn als die Griechen unter den Türken die Römer waren – Geschichte wird schnell kompliziert. Jetzt etwas gebessert.

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The ingredients in the Laugenstange

Ich lese, wie unlängst eingeplant, die Prosa der Kaschnitz, etwa die hervorragende Geschichte „Das dicke Kind“ oder ihre höchst seltsamen und empfehlenswerten Aufzeichnungen „Tage, Tage, Jahre“, in denen alle Texte eine typische Blogartikellänge haben. Eine gemächlich mäandernde Angelegenheit aus Rückblicken, Kriegserinnerungen, Assoziationen und etwas entrückten Gedankengespinsten ist das, gut geeignet für einen Sonntag mit nur mittelinteressantem Wetter und eher geringer To-Do-Dichte. Das Buch wird immer besser, je weiter man kommt, und nach einem Drittel bin ich geradezu begeistert. So ein schöner Fund,und ich glaube sogar, ich möchte es besitzen, nicht nur als Büchereiexemplar lesen. Bei mir quasi höchste Auszeichnung.

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Am Sonnabend beim Edeka sprachen um mich herum alle Englisch, heute beim Bäcker sprechen auch alle Englisch and they discuss the ingredients in the Laugenstange. Es geht verwirrend schnell, dass die Sprache um mich herum durchgetauscht wird. Ich dachte bisher, das sei nur in Berlin so umfassend, aber jetzt wird hier mit Dringlichkeit aufgeholt. Well.

„Anything else?“

„Yes, einen Cappuccino“, und da höre ich also drei Sprachen in einem Satz, wie weltoffen ist das denn. Na, wenigstens verstehen sich alle, zumindest ungefähr. Ich erlebe hier die meisten Menschen als recht bemüht, wenn es um derartige Dialoge geht, betont entgegenkommend und manchmal für Hamburger Verhältnisse geradezu gut gelaunt, wenn eine etwas schwierige Verständigung am Ende doch noch klappt.

Über die Jahre, die ich hier wohne, allerdings eine stark abnehmende Frequenz von Situationen, in denen ich von Menschen aus aller Welt radebrechend nach dem Weg gefragt werde. Von dauernd (vor zwanzig Jahren) bis zu etwa nur noch einmal im Jahr (heute), weil nun alle für die Navigation durch die Stadt auf ihr Handy sehen. Das vielleicht auch nennenswert verlässlicher ist als die windigen Einheimischen, mag sein.

Neulich eine Frau vor der Kirche, weit im Rentenalter, die auf ihrem xfach gefalteten Stadtplan mit Kugelschreiber emsig Markierungen machte und auch bereits Erläuterungen dazugeschrieben hatte, das sichtbare Stück der Karte war schon ausführlich annotiert, ein Netz von filigranen Anmerkungen über dem Netz der Straßen. So etwas stirbt aus.

Als ich damals nach Hamburg kam, da hing in meinem Zimmer auch ein Stadtplan an der Wand, und ich nahm als selbstverständlich an, das weiß ich noch, dass ich das ganze Wirrwarr der Viertel und Wege einmal, bald wohl, gut kennenlernen würde. Das ist nicht einmal annähernd eingetreten.

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Jochen schreibt über das Tänzchen von Distanz und Nähe. Wo wir schon dabei sind, Frau Novemberregen schreibt über Heiratsanträge.

Und hier noch ein Text über Selbstbedienungskassen und die dazugehörenden Kontrollprozesse, man beachte die Stelle mit den Croissants, da wird es interessant und auch schon wieder abgründig.

Im Bildungsfunk gab es schließlich eine Folge für den Freundeskreis Insel, Nordsee und Marschland, es ging um den Forschungsstand zu Rungholt: „Auf den Spuren histoorischer Schätzte im Watt.“ 27 Minuten, eine bündige Zusammenfassung ist das, ich fand sie gut und erhellend.

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Vergleichsweise vergnüglich

Die Timelines bestehen nahezu ausschließlich aus Demobildern, auch aus kleinen Städten, auch aus ganz kleinen Städten, auch von einer Insel (Grüße nach Sylt), und auch aus den ostdeutschen Bundesländern. Es ist ein vergleichsweise vergnügliches Scrollen durch diese Fotos, es wird überall von großen Zahlen berichtet. Manchmal sind sie absolut groß, manchmal in Relation zur Größe der Stadt, und es ist beides gleich erfreulich.

Nils Minkmar schreibt auch über die Demos.

Ich beschließe ansonsten, einen Tag Pause zu haben und mache so gut wie nichts, abgesehen von Mittagsschlaf und Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Ein schneidend kalter Wind treibt mich zwischendurch zum Einkauf und zurück, später auch noch kurz zur Bücherei, mehr findet nicht statt. Im Gegenwind fühlt es sich an wie bei minus zehn Grad, aber der Schnee schwindet währenddessen schon. Auf den Dächern liegt bereits keiner mehr, und die weiße Fläche auf dem Spielplatz wird mit jedem Kinderschritt etwas dunkler durchsetzt, gestapfte Spurmuster in wirren Linien. Am Bahnhof sehe ich noch Schnee zwischen den Schienen, in der Ferne ausdünnend. Das Eis in der Regenrinne vor den Dachfenstern taut und die nächste Woche wird seltsam warm werden.

Aus dem Hauptbahnhof in Richtung Berliner Tor herausführende Schienen, Schnee dazwischen

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Weil ich das Buch in der Schule nicht als Pflichtlektüre hatte, wie ansonsten wohl das halbe Land, lese ich „Sansibar oder der letzte Grund“ von Alfred Andersch wie ein normales Buch, vollkommen unbelastet von quälenden Deutschunterrichterinnerungen. Ich habe das Buch gerade bei mir im Regal gefunden, ich habe gar nicht gewusst, dass ich es besitze. Vermutlich irgendwann aus dem öffentlichen Bücherschrank mitgenommen. Es gehörte einmal, so sehe ich, einer Laura aus einer 10b, sie hat es vorne mit Kuli reingeschrieben, in kulleriger Handschrift.

In den Zeiten, in denen wir leben, ist es schon wieder interessant, wie der Herr Andersch seine verfolgten oder gefährdeten Hauptfiguren mit denen umgehen lässt, die er nur „die Anderen“ nennt. Eine Bezeichnung übrigens, die durchaus etwas hat, es sind auch die Anderen, gegen die wir demonstrieren.

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Ansonsten drei Podcasts im Bildungsprogramm gehört. Zum einen anderthalb gründliche Stunden über den Untergang der Batavia im Jahr 1629, diese Geschichte war mir vollkommen unbekannt. Achtung, die Episode enthält drastische Gewaltszenen und ist eher schwer verdaulich. Meine Güte, Menschen.

Dann eine Reportage (25 Min) über die europäische Kulturhauptstadt Tartu in Estland, und es verhält sich so wie mit der Batavia – mir gleichfalls vollkommen unbekannt, nicht einmal den Namen der Stadt habe ich jemals vorher gehört, fürchte ich. Aber was die da mit dem Küssen vorhaben, das finde ich gut. Reportagen sind auch so ein hervorragend hörbares Format, wie ausgesprochen nett, dass andere Menschen für einen irgendwo herumreisen und davon dann kundig erzählen. Finde ich gut.

Schließlich noch eine Doku, 49 Minuten, über Tafeln, Foodbanks und Suppenküchen, eine Bestandsaufnahme der Almosenwirtschaft, auch mit ausführlicher Kritik am System. Für mich besonders interessant, da ich eine Suppenküche vor der Haustür habe und die Entwicklung sehe, jede Woche wieder. Ich habe den regen Betrieb dort und die Zunahme an Kundschaft in den letzten Jahren live mitbekommen.

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Bis zum nächsten Mal

Noch einmal nasstriefender Neuschnee auf den Fenstern am Morgen, aber es wird jetzt doch etwas langweilig. Der Winter kann meinetwegen weg, der wirkt mittlerweile uninspiriert, womit er allerdings zu mir passt, zugegeben.

Home-Office im Dämmerzustand jedenfalls, selbstverständlich nur auf die Tageslichtmenge im Raum bezogen. Zwischendurch ein Telefonat mit einem Menschen auf Helgoland. Ich war noch nie im Winter auf Helgoland, ich habe massive Neidprobleme. Außerdem arbeite ich den ganzen restlichen Vormittag an einigermaßen wirren Problemen und stelle mir vor, ich würde vom Helgoländer Oberland aus klarer sehen. So über die Nordsee weg und auf den Grund der Dinge. Dann mit Kolleginnen telefonieren und leichthin sagen: „Also von hier aus ist es einfach.“ Vielleicht doch mal Workation dort anpeilen.

Am Nachmittag die Demo. In den sozialen Medien sehe ich vorab mehrfach die Aufrufe, sich bloß lange Unterwäsche anzuziehen, die so fürsorglichen Timelines. Die Demo beginnt um 15.30, es ist schon ab 15:00 und schon ab kurz vor unserer Haustür voll auf dem Weg zum Jungfernstieg, die Leute strömen herbei. Eine stark überfüllte U-Bahn voller Menschen mit Pappschildern und Fahnen. Der Rückstau unten in der Station Jungfernstieg dann schon so, dass es für klaustrophobe Menschen sicher zur Umkehr gereicht hat. Oben dann die erstaunlichen Massen, die Sie mittlerweile vermutlich irgendwo auf Bildern gesehen haben.

In welcher Gesamtzahl auch immer die Menschen da erscheinen, es sind verdammt viele, wir sind alle da. Wir sind gefühlt vollzählig angetreten, von den längst ergrauten Demo-Veteraninnen bis zu den frisch aufgebrachten Schülerinnen.

Wir stehen vor dem Alsterhaus, und mehr können wir auch gar nicht machen. Man kommt nicht vor oder zurück, man kann keinen Schritt mehr gehen. Man versteht auch nichts, falls überhaupt irgendwo geredet wird, es wird uns gar nicht klar. Wir bekommen nichts mit, wir stehen da einfach nur gegen Rechts und es wird immer noch voller und voller. Nach einer Stunde wird es dann doch langsam arg kalt von unten und ich lobpreise mein früheres Ich, das in kompetenter Voraussicht zuhause in der Küche die Zutaten für die rettende Suppe schon bereitgelegt hat, das sinnigste Mise en place seit längerer Zeit.

„Einhörner gegen Rassismus“ steht auf einem Plakat nicht weit von uns, es ist eine betont inklusive Veranstaltung. Grüße auch an die geschätzten Strickerinnen gegen Rechts. Viele Gruppen sind qua Pappschild gegen Nazis, gegen Rassismus, gegen jene Partei, auch WeBü. Was aber ist WeBü? Weltbürger? Ich frage nach, es ist Wellingsbüttel. So kommt man auch einmal in Kontakt mit Menschen aus Vierteln, die man nur dem Hörensagen nach kennt.

Ich mache keine Fotos, ich bin zu klein, ich kann das Handy nicht über die Massen halten. Größere neben mir machen das aber und zeigen dann die Bilder herum – es sind immer noch mehr Menschen, als wir ohnehin schon denken, deutlich mehr.

Auf dem Rückweg merken wir es dann noch einmal, denn wir gehen über den Neuen Jungfernstieg und ganz um die Binnenalster herum zurück ins Bahnhofsviertel, und es ist dabei durchgehend und überall weiterhin voll, den ganzen Weg entlang. Menschen halten einfach weiter ihre Schilder hoch, die Demo ergießt sich bei der Auflösung in die Viertel.

Ich denke, es hat uns alles sehr gutgetan, und vielleicht ja auch der Sache. Aber die Verabschiedung „Bis zum nächsten Mal“ höre ich auch nicht nur einmal und sehe dann später am Computer, dass die Grundgesetz-Ultras aus anderen Städten den Nachmittag in Hamburg mit sportlichem Interesse zur Kenntnis nehmen, wir winken in Richtung München.

Im Bild noch eben das, was ich aus der Hüfte und mit sehr kalten Fingern auf dem Heimweg geschossen habe. Die immer noch auf dem Jungfernstieg stehende Menschenmenge muss man sich einfach dazudenken. Es war ein schöner Demoabend, wie man sieht, auch recht ansprechend beleuchtet.

Abendblick von der Kennedy-Brücke in Richtung Jungfernstieg

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Das Jahr kommt voran

Mir fehlt Schlaf, also friere ich, das gehört so zusammen. Ich klappere durch den Tag, ich zittere ins Büro und zurück und bin auf dem Heimweg in der S-Bahn schwer in Versuchung, kurz einzuschlafen, was aber strategisch unklug erscheint, wenn man nur eine Station zu fahren hat. Sich wachhalten und durchhalten, versteht sich, aber unterm Strich ist Schlafmangel doch kategorisch abzulehnen, wie man mit jedem Lebensjahr deutlicher merkt. Vermüdung und Zerschöpfung, aber das gibt sich wieder.

Der Wetterbericht verheißt uns für die nächste Woche zweistellige Temperaturen, woanders blühen die Mimosen, das Jahr kommt voran. Schade allerdings, dass es schon so viele braune Stellen hat, wir haben es doch gerade erst angebrochen.

Nachher in Hamburg dann die Demo am Jungfernstieg, man sieht sich am Nachmittag (etwa 15:30), nicht wahr, und kann dann nach erfüllter Bürgerinnenpflicht als Grundgesetz-Ultra, wie es der Herr Krumbiegel einmal so treffend genannt hat, ins Wochenende fallen.

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In meiner kleinen Podcastbelehrungsreihe hörte ich „Intuition – Gefühltes Wissen aus dem Unterbewusstsein.“ Da geht es um Gigerenzer und Kahnemann, das kannte ich im Prinzip alles schon, da ich die Herren vor Jahren gelesen habe, wie sie alle damals gelesen haben, aber eine Wiederholung schadet auch nicht, eh klar. Und der Herr Gigerenzer hat eine überaus angenehme Stimme, das wiederum wusste ich nicht. Der könnte mir gerne noch mehr erklären, in dieser Tonlage.

Außerdem hörte ich beim morgendlichen Aufräumen der Küche diese Folge über Arbeitszeitmodelle, Von der Stechuhr zum Coworking-Space. Beim Hören habe ich immerhin ein schönes Erfolgserlebnis, denn im Podcast kommt das Stinnes-Legien-Abkommen vor, und das ist ein Stück Allgemeinbildung, das ich zufällig parat habe. Ha! Ein Fall von quiztauglichem Wissen, mit dem man bei einer Frage in der Endrunde richtig zuschlagen könnte.

Ich bin nicht in Versuchung, jemals an einem Quiz teilzunehmen, aber ich habe doch diese Gewissheit, und das ist nicht nichts.

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Im Tagesbild wieder ein Fleet in Hammerbrook. Wie man sieht, gab es einen Moment Sonne.

Blick über ein Fleet in Hammerbrook, Bürohäuser an den Ufern

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Der Stand der Weisheit

„Wir machen alles Stück für Stück“, sage ich am Morgen zur Herzdame, weil es schon wieder hundert Dinge zu regeln gibt, und ich spreche das Wort Stück dabei aus wie Helmut Schmidt, um trotz der wachsenden Ratlosigkeit ob der Fülle der Aufgaben etwas staatsmännischer und getragener rüberzukommen „es sind eben nur sehr viele Stücke.“

Das ist hier so der Stand der Weisheit, mehr ist da im Moment auch nicht erreichbar. Und im Gegensatz zu meinem sprachlichen Vorbild bin ich nicht in der Lage, kurzerhand Hubschrauber der Bundeswehr zur Unterstützung in der Krise anzufordern. Sie wären mir im Moment allerdings auch nicht einmal besonders nützlich, fürchte ich, und merke zudem gerade, Angehörige meiner Generation könnten nach diesem Absatz dummerweise einen schweren Foyer-Des-Arts-Ohrwurm davontragen. Es tut mir ausgesprochen leid.

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Abends Teamevent im Brotberuf, ein Kochkurs in einem Restaurant. Ich werde bei dieser Gelegenheit wieder in meiner Wahrnehmung gestärkt, dass thermomixbesitzende Menschen noch mehr Sendungsbewusstsein als vegan lebende Menschen haben. So ein Gerät macht etwas mit den Leuten. Und mit den Lebensmitteln, wie diese jetzt prompt und unweigerlich hinzufügen würden.

Das Teamevent ist nett, bezogen auf die Tageszeit bzw. Abendzeit aber weit außerhalb meiner Komfortzone. Auf dem Rückweg lese ich zufällig das Wort Refugialraum, es kann das eigene Bett recht vornehm umschreiben.

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Gehört: Diese Podcastfolge über Marie Luise Kaschnitz. Ihre Werke also auch mal aus der Bücherei holen, da mal hineinsehen. Ich glaube, ich kenne so gut wie nichts von ihr, abgesehen von den bekanntesten Gedichten, alle Prosa der Kaschnitz ist mir dagegen unbekannt. Es sind Originaltöne enthalten, und ich fand den Tonfall dieser paar Sätze interessant. Diese Ernsthaftigkeit, dieser durchdachte Satzbau, diese Reflexion, die sich auch in der sprachlichen Sorgfalt ausdrückt. Hannah Arendt sprach ähnlich, wie auch weitere Intellektuelle in jener Zeit, es wird ein ausgestorbener Tonfall sein, der noch an die früheren Tonaufnahmen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erinnert. Niemand spricht noch so.

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Nur segelnd ist die Möwe schön

Dienstags-Home-Office in der schier endlosen Dunkelheit der verschneiten Dachfenster. Schneegepolsterte Verkehrsgeräusche von der Straße, allgemeine Januarstimmung und die immer noch schwächelnde Heizung; ich fühle mich auch seelisch etwas unterkühlt. Wie genervt von allem kann man sein und was kommt danach. Aber gut, das fragen sich nicht eben wenig Menschen zurzeit und die Antwort kennen wir auch, denn danach kommt der Februar, noch so ein Problemmonat.

Auf dem Balkon versucht am Vormittag eine riesige Möwe an die Meisenbälle zu kommen, unter völligem Verlust von Eleganz und Würde und in wilder Gier enthemmt in Kauf nehmend, auf das Niveau geradezu taubenartiger Tölpelhaftigkeit herabzusinken. Nur segelnd ist die Möwe schön, was auch wieder ein prima Titel für eine Kurzgeschichte wäre, in welcher der Autor herausarbeitet, wie kulturmindernd es sich auswirkt, Affekten und kleinkindhaften Gelüsten unkontrolliert nachzugeben. Die Bezüge zur Gegenwart füllen dabei wie von selbst den Platz zwischen den Zeilen.

Davon abgesehen zieht es sich hier aber auch terminlich zu, die Schreibzeit wird arg knapp und es gibt Grund zur Annahme, dass es morgen keinen Text geben wird. Ich werde wohl erst wieder aufholen müssen.

Aber dem Zeitdruck immer auch entschlossen entgegenwirken, deswegen treffe ich am Nachmittag eine hochgeschätzte Freundin und wir besprechen in einem Coffeeshop ausführlich die Weltlage, was diese, also die Lage, auch nicht besser macht, uns aber zu Topcheckerinnen. Immer die Vorteile sehen, überall.

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Noch ein Terminhinweis: Am Freitag um 15:30 auf dem Hamburger Rathausmarkt, eine vermutlich größer ausfallende Demo gegen die Nazis und ihre Machenschaften. Man sieht sich, ne, und dann kommt man ja auch mal raus. Wichtig.

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Gehört: Diesen Podcast über Lenins Tod und diesen über Proudhon. Geschichtsthemen gehen immer, Literatur auch, aktuelle Politik halte ich dagegen nur noch begrenzt aus, schon beim zweiten Beitrag über Trump werde ich seltsam lustlos.

Aus naheliegendem Interesse hörte ich dann noch den Podcast „Mit Sicherheit – Interessenskonflikte am Bahnhof.“ Die meisten der dort genannten Aspekte kamen in verschiedenen Erzählsituationen hier im Blog in den letzten Jahren mehrfach vor.

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Die Kaltmamsell zitiert Torberg. Ausführlich.

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