Es gibt Reis

Es gibt herumfliegende Reste und was weg muss, und zwar gebraten und mit Reis. Wer Reis auftischt, so steht es auf der Packung, die ich beim Kochen durchlese, als wären wir noch in der Zeit vor der Erfindung der Smartphones, die Älteren erinnern sich, wer Reis auftischt, so steht es da tatsächlich, der sorgt immer für strahlende Gesichter in der Runde.

Ich kann das nicht bestätigen.

Nebenbei fasse ich den ersten guten Vorsatz für 2023, was übrigens eine Jahreszahl ist, die irgendwie nicht so gelungen aussieht, aber das heißt hoffentlich nichts. 2022 sah sehr schön aus, war es dann aber gar nicht, also bitte. Im Jahr 2023, so nehme ich mir jedenfalls fest vor, werde ich weitere 12 Monate lang keinen eigenen Podcast starten. Man muss irgendwo anfangen mit den guten Absichten, nicht wahr. Irgendwie Ruhe reinbringen und Klarheit.

Ich höre weiter den Felix Krull, er tauscht gerade die Identität mit dem Marquis und der Witz, den Thomas Mann mit dem Tonfall im Roman angestrebt hat, hätte meiner Meinung nach vielleicht für ein Novellchen gereicht, nicht aber für einen Roman in unendlich epischer Erstreckung. Aber nun bin ich schon über der Hälfte, höre ich das jetzt bis zum Ende oder nicht, immer diese quälenden Konflikte. Man ist, wenn man das einmal ernsthaft durchdenkt, verblüffend schnell bei der Frage, warum man überhaupt irgendwas macht. Nur aus Spaß, nur aus Pflichtbewusstsein, weil man etwas erreichen oder haben will, aus Prinzip, weil man es immer schon so gemacht hat, weil halbe Sachen doof sind, weil man seiner Lust folgt, und der Erste, der das entsetzliche Wort Bauchgefühl sagt, wird sofort des Raumes verwiesen.

Wenn man das alles zurückverfolgt, dann landet man doch wieder bei Adam und Eva, die im Paradies lebten und nur ihren Instinkten folgten, happy go lucky. Dann die Frucht der Erkenntnis, die erste bewusste Entscheidung, gleich war sie grundfalsch, versteht sich, und von Stund an war von uns stets alles zu entscheiden, bewusst zu entscheiden, und wie gottverdammt unendlich mühsam ist das bis heute, was für ein elender Fluch ist das, was für eine überaus grausame Vertreibung aus dem Reich der dösenden Seligkeit, in dem jede Katze seit dem Anbeginn der Zeit und auch weiterhin 20 Stunden täglich und selig liegt, während wir irgendwelche Jobs, Essenspläne und Wartungstermine fürs Auto machen, Weihnachtsgeschenke suchen, Therapeuten googeln und dabei dauernd um die allerkleinsten Entscheidungen ringen wie mit dem Engel des Herrn. Egal.

Ich höre das jetzt bis zum Ende, weil ich ein ordentlicher Mensch sein möchte.

Ich höre das jetzt bis zum Ende, weil sonst auf meiner Liste der gehörten Bücher ein Titel stehen würde, den ich in Wahrheit gar nicht ganz gehört habe. Das wäre dann also ein Lügenwerk, ein trügerisches, ein hochstaplerisches gar, passend zum Krull. „Flunkerei“, wie eine frühere Kollegin von mir da gesagt hätte, „Flunkerei.“ Und dabei so ein neckisches Drohen mit dem Zeigefinger und ein Augenzwinkern, es schaudert mich noch bei der Erinnerung.

Nein, ich höre das jetzt bis zum Ende, weil ich zum Jahresende hin keine losen Fäden mag, bei einfach gar nichts. Schulden aller Art begleichen.

Nein.

Ich höre das jetzt bis zum Ende, weil ich nicht alle Latten am Zaun habe. Ja, das wird es sein. Immer realistisch bleiben.

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Vollfett und verschwenderisch

Am Freitagmorgen um fünf Uhr höre ich die drei anderen Familienmitglieder in ihren Betten husten, es ist der Soundtrack dieses Winters. Ich versuche, an den Geräuschen schon zu erraten, wer heute wie fit sein wird, es ist besser als gar kein Unterhaltungsprogramm. Der Nachbar hustet hinter der Wand zwischen den Wohnungen, aber der spielt nicht mit.

Ich kann die beginnende Urlaubszeit beim Blick vom Balkon gut erkennen, es bleibt fast überall dunkel in den Fenstern. Kaum jemand steht noch früh auf und müht sich zeitig in den Tag; immer weniger Lichter gibt es in den Häusern gegenüber am frühen Morgen.

Ich werfe noch einmal das Home-Office an, die vorerst letzte Runde, bevor ich am 30.12. noch einmal nachsehen werde, ob alles weiterhin ordentlich, aufgeräumt und sortiert aussieht. So ist es in jedem Jahr, man hat seine Rituale, ob im Brot- oder im Kuchenberuf, also hier. Die Herzdame hat im Gegensatz zu mir schon frei und fühlt es nur noch nicht, es gibt da emotionale Verzögerungen im Betriebsablauf. Aber es soll jetzt ja alles etwas langsamer sein, es passt also gewissermaßen.

Ich sehe nebenbei schon einmal skeptisch nach, ob ich mir genug Bücher für den kurzen, den allzu kurzen Urlaub bereitgelegt habe. Es sind mehr als genug, es sind sogar viel mehr als genug, aber ich gehe dennoch lieber ein weiteres Mal zur Bücherei, um mir noch mehr zu holen. Das Angebot muss reich sein, überreich, vollfett und verschwenderisch. Am Ende dann doch wieder nur einen Band wirklich schaffen, aber egal. Man hat so seine Schrullen.

Wiedersehen mit Brideshead werde ich noch einmal lesen, so der Plan, und auch noch einmal sehen (die alte Version, den Elfteiler), ich freue mich sehr darauf. Was habe ich diese Serie damals geliebt, wann lief denn das im deutschen Fernsehen, Moment: 1983. Schon etwas länger her. Das mit dem Katholizismus fand ich damals sehr irritierend (bei der Kaltmamsell stand ähnliches, war es bezogen auf Graham Greene oder auf Waugh?), aber alles andere … was war das für ein Genuss.

Der Autor Evelyn Waugh war übrigens mit einer Evelyn Waugh verheiratet, man nannte sie zur Unterscheidung He-Evelyn und She-Evelyn, wenn das nicht großartig ist. Schönstes Sekundärliteraturwissen, wenn auch nur aus der Wikipedia. Egal.

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Nach neuen Untaten des Eigentümers reden in den diversen sozialen Medien alle wieder, nachdem es zwischendurch doch etwas ruhiger war, über Twitter und wie es da war, wie es jetzt ist und was künftig wo auch immer noch werden wird. Es ist wie bei Trennungen nach langjährigen Beziehungen, man findet einfach kein anderes Thema, siehe hier unten bei Element of Crime. Die Liebe war eben groß, lang und prägend.

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Ein sauberer Schnitt durch unsere Geschichte

Am Mittwoch dann das letzte Mal in diesem Jahr im Büro gewesen, also vor Ort. Der Rest der üblichen Aufräumarbeiten zum Jahresende findet im Home-Office statt, ein nur noch virtuelles Zusammenfegen. Einerseits muss ich morgens nicht mehr in die Kälte, andererseits fehlen mir die Schritte und die Hörbuchzeit. Ich weiß nicht recht, so komme ich nicht in akzeptabler Zeit durch den Felix Krull. Ich kann Hörbücher weiterhin unmöglich im Sitzen oder Liegen konsumieren, ich schlafe sofort ein dabei. Irgendwas ist immer.

In den Nachrichten gab es dieser Tage diverse neue Zahlen zu den Home-Office-Quoten in Deutschland. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass jeden Tag etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Büroangestellten eher nicht mehr vor Ort in den Firmen sein wird, und zwar dauerhaft. Das ist jetzt so, das bleibt auch so. Mit selbstverständlich weitreichenden Folgen für den Kiosk neben dem Bürogebäude, für den Imbiss um die Ecke, das Restaurant mit dem schnellen Mittagstisch, auch für den Mann, der an der S-Bahnstation morgens bettelt, für den kleinen Wochenmarkt neben den Verwaltungszentralen. Es wird sich vieles verschieben und verlagern, und da es nicht ruckartig geschehen wird, wird es uns vermutlich kaum auffallen oder erst viel später, wenn es bei den „Weißt du noch“-Gesprächen um die graue Vorzeit, damals vor dem März 2020 gehen wird. Dieser März als Wasserscheide der Erinnerungen. So wird es sein, alles wird der trennen, der lange März, ein sauberer Schnitt durch unsere Geschichte, durch die Kindheit der Söhne auch.

Im Büro ein Gespräch über den Wandel der Imbisskultur durch die Jahrzehnte seit den Siebzigern. Das Verschwinden des Schaschliks und der halben Hähnchen, die man hier kaum noch irgendwo bekommt, die es früher aber überall gab, an jeder Ecke fast. So ein Wandel ist schwer zu bemerken, während er geschieht.

Da mal als Chronist stets bemüht bleiben.

Ein Sohn wacht am Donnerstag mit neuem Husten und frischen Halsschmerzen auf, geht zur Schule und dreht doch gleich wieder um, rien ne va plus. Das Virenkarussell dreht sich weiter, es ist auf Dauer gar nicht mal so unterhaltsam. Die Stundenpläne an den Schulen nur noch brüchiges Flickwerk, kaum belastbar. Meine Mutter wurde währenddessen erfolgreich operiert, sie gibt mir einen neuen Einkaufszettel durch. Sie braucht Kekse, Kartoffeln und Kaffee, am Ende ist die Vorliebe für Alliterationen auch erblich, wer weiß. Was man alles so mit auf den Weg bekommt.

Und hier noch einmal Daniel Herskedal, Wintermusik. Sogar das kleine Bahnhofsviertel war gestern dezent angeweißt, die kleineren Kinder auf dem Spielplatz standen verblüfft und die Eltern machten ihnen Schneebälle vor, guck mal, so. Oben drüber die Rabenkrähe mit schiefgelegtem Kopf in der Eiche, was machen die Spinner da unten jetzt wieder.

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Minus sieben Grad

Minus sieben Grad am Mittwochmorgen, es ist schnatterkalt. Alles aber, wie bereits beschrieben, findet hier abseits der weihnachtlich geschmückten Schaufenster ohne jede winterliche Deko statt, nur das Grau da draußen vereist. In den sozialen Medien überall die Schneebilder, es liegen Bächlein und Seen unterm Eise, weiße Bilderbuchwelten überall. Aber wir hier, wir haben ja nichts. Wir haben nur diese Art von Kälte, bei der den Leuten ihr Aussehen egal wird, es fällt auf den Straßen und Wegen auf. Die morgendliche Frage vor dem Kleiderschrank, was man denn heute wohl tragen möchte, sie wird jetzt gerne mit „Alles!“ beantwortet, und das sieht man auch. Einmummeln, ein ausgesprochen schönes Wort ist das. Kommst Du noch mit rauf, wir mummeln uns ein.

Apropos schönes Wort, im Felix Krull kam es im Hotel zum wiederholten Sex, was Thomas Mann mit „Wir einten uns erneut“ beschreibt, auch interessant. Das mal bei Gelegenheit als Frage umformulieren und privat anwenden: „Einen wir erneut?“ So kommt man durch die Literatur auch zu kleinen Zielen, denn die Bücher, sie wirken eben auf uns.

Die Minuten, bis der erste Kaffee am Morgen fertig ist, sie ziehen sich. Hüpfen und Klappern in der kalten Küche. Unwillige Familienmitglieder wecken, verschiedene Heißgetränke zureichen, Heizungen andrehen, Socken darauf fürsorglich anwärmen. Schulbrote schmieren, Dominosteine dazu legen, „weil das Leben ist doch hart genug“, wie wir damals gesungen haben. Die letzten Tage ziehen sich bei allen, ob in den Büros oder in den Schulen. Nächste Woche noch die letzten Klassenarbeiten. Man hat es als Kind schon gehasst, man findet es als Elternteil kaum lustiger.

Einen Sohn wecke ich versehentlich zwei Stunden zu früh . Es liest sich so lapidar, die shakespearesche Dramatik muss man sich bitte dazu denken. Irgendwas mit nächtlichen Erscheinungen, Entzweiung vom Vater und dessen Flucht in die eisige Kälte.

Im Büro bei manchen die langsam aufkommende Unsicherheit, ob man jetzt schon frohe Weihnachten wünschen soll oder nicht. Sieht man sich noch einmal, spricht man sich noch einmal, ab wann bist du eigentlich weg. Am Ende wünscht man sich das Jahreszeitliche doch wieder zehnmal, wie immer. Dir auch, dir auch, dir auch, ja, dir auch. Allgemeines Abbröckeln in die Urlaube, in die Feiertagsruhe. Abwesenheitsnotizen verweisen schon auf 2023. Ab sofort zu sämtlichen Anforderungen „Aber nicht mehr in diesem Jahr!“ sagen. Als ob es einem viel Raum verschaffen würde. Zeitillusionen hat man, wenn nicht schon Wahnvorstellungen.

Wenn man sich dick eingemummelt hat, wenn man Zeit hat und wenn sogar die Heizung funktioniert, wenn das Heißgetränk noch dampft und ausreichend Herzensternebrezeln noch im klug versteckten Vorrat liegen, dann hat man es kommodig, so sagt man es im Plattdeutschen.

Auch das ein sehr schönes Wort: Nächste Woche wollen wir es aber mal kommodig haben. Ja, mach nur einen Plan.

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Froh und munter muss man sein

Vorweg und außer der Reihe ein besonderer und herzlicher Dank an diejenigen, die in vermutlich dezembriger Motivation so etwas wie Jahrestrinkgelder an Bloggerinnen, Autorinnen und andere Klein- und Scheinkunsttreibende wie mich vergeben, das hat mich in dieser Woche doch enorm gefreut.

Wo sind wir, wir sind schon beim Mittwoch, was war? Ich war beim Elternrat in der Schule der Söhne. Ich weiß, dass man in den sozialen Medien routinemäßig nur Hohn und Spott für so etwas übrighat, ich habe das nie recht verstanden. Man kann in Schulen gar nicht so wenig mitbestimmen, es können sinnvolle Veranstaltungen sein, und irgendwo fängt Demokratie eben an – unter anderem dort. Ich bin Schulthemen keineswegs begeistert zugewandt, mir steht das alles bis sonst wo und ich bin gottfroh, wenn wir damit endlich, endlich durch sind, aber richtig ist die Teilnahme doch.

Die anstehende Operation meiner Mutter wurde gestern verschoben, sie schaffen es im Krankenhaus gerade nicht. Vielleicht klappt es morgen, vielleicht auch nicht, sie hangeln sich so durch. Die Schule der Söhne ist weiterhin rekordmäßig entvölkert, und ein Medikament eines Sohnes ist in der Apotheke gerade nicht lieferbar. Ich bekomme am Rande auf Mastodon und Twitter mit, dass andere Eltern gerade das Gleiche erfahren, auch in ganz anderen Gegenden Deutschlands, es gibt schon Fragen über Bundeslandgrenzen hinweg, quer durch die Republik, habt ihr das, bekommt ihr das, gibt es Geheimtipps. Man muss also weiter froh sein, wenn es alles nicht zu wild ist, die diversen Gebrechen, Bedarfe und Operationsanlässe. Froh und munter man sein, saisonal passend sozusagen, und sich recht von Herzen freuen, oder wie das dort heißt. Schon lange habe ich keine deutschen Weihnachtslieder mehr gehört, fällt mir gerade auf.

Ich gehe herum und fülle Kühlschränke, unseren und den meiner Mutter, ich habe wieder reichlich Hörbuchzeit auf den Wegen von Station zu Station. Im Edeka sind die billigeren Weihnachtssüßwaren unterhalb der Edelmarken restlos ausverkauft, sehe ich, und es wird nichts mehr nachgelegt. Phase durch, aus, vorbei. Wo gestern noch Spekulatius und Herzensternebrezeln in hohen Stapeln standen, ist heute schon ein Papp-Aufsteller mit Knallbonbons und Silvesterzubehör zu finden. Zwei Verkäuferinnen laufen ohne jeden Sinn für korrektes Timing schon jetzt mit Partyhütchen durch die Regale und verräumen Bleigießzeug und Luftschlangen. So zerfällt jede Ordnung, die wir so lange gewohnt waren. Ich bin heute sehr wertkonservativ drauf, und warum auch nicht, das steht mit altersmäßig längst zu.

Im Felix Krull bin ich bei der Szene, in der er sich zum ersten Mal mit einer Dame in dem Hotel einlässt, in dem er zu Beginn seiner Karriere als Liftboy arbeitet. Oder sie lässt sich eher mit ihm ein, wenn man es genau nimmt. Sie lockt ihn ins Zimmer, sie bittet ihn, ihr den Mantel abzunehmen, wobei sich beide dann deutlich näherkommen, weit über das höfliche Maß hinaus, und sie bemerkt schließlich lasziv: „Du entkleidest mich, kühner Knecht!“ Vielleicht die amüsanteste Stelle im Buch, das kann sein. Kühner Knecht ist schon sehr, sehr schön, wobei man aber nicht mehr ganz nachfühlen kann, ob wir das heute noch auf der gleichen Ebene witzig finden, wie es Thomas Mann beim Schreiben vielleicht fand, der immerhin zu einer Zeit lebte, in der das Wort Knecht vollkommen gebräuchlich und vermutlich mit einem etwas anderen Bildinhalt verbunden war.

Wie auch immer, kühner Knecht – wer möchte nicht von attraktiven Damen so genannt werden. Ich würde vermutlich vor Lachen sterben, aber schön wäre es doch. Na, die Herzdame liest hier ja gelegentlich mit, wenn auch meist mit erheblichem Rückstand. Vielleicht ist sie im März hier angekommen, vielleicht erst im Frühjahr, es hat alles Zeit.

Welche deutschen Weihnachtslieder mochte ich denn überhaupt? Da mal drüber nachdenken.

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Unzusammenhängendes

Wo ich gestern gerade geänderte Nachnamen erwähnt – ich telefonierte mit einer Arztpraxis (zum Jahresende noch schnell Terminschulden klären), in der es traditionell nicht möglich ist, meinen Nachnamen korrekt auszusprechen. Ich bin dort, und zwar schon seit immer, der Herr Buddenblum. Mit einer solchen Selbstverständlichkeit werde ich dort so genannt, dass ich mich fast schon am Telefon mit diesem Namen melden möchte, um dem Personal dort entgegenzukommen und sie nicht unnötig zu verstören, wieso spricht der sich jetzt so komisch aus. Buddenblum. Eigentlich auch ganz schön. Vielleicht sollte ich die romantischeren, gefühlvollen und eher besinnlichen Texte kategorisch unter diesem Namen schreiben. Das -blum am Ende hat so etwas Friedvolles, Dekoratives, ausgesprochen Nettes, hat es nicht? Auch für Bilderbücher ist es gut geeignet, will mir scheinen.

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Ohne jeden erkennbaren Zusammenhang und nur im Bemühen, auch einmal wieder als hilfreicher Serviceteil daherzukommen (wie schreibe ich hier, ich muss mit dem Krull aufhören, um Gottes Willen, aber ich bin doch erst bei der Hälfte, wenn überhaupt), möchte ich darauf hinweisen, und zwar ohne Werbekooperation, dass ich meine Notizen gerade in einem Buch der Marke Waverley mache, es war einmal ein Leserinnengeschenk. Das sind Notizbücher mit schottischem Tartaneinband, wenn man sie in größerer Anzahl vollgeschrieben hat und aus nostalgischen Gründen in ein Regal stellt, ergibt das eine fortgeschritten attraktive Buchrückenreihe. Ich mag diese Bücher sehr, und gutes Papier haben sie auch noch, es ist füllergeeignet. Für den Freundeskreis Schreibwaren sicher nett. Um eine betont nüchterne Online-Rezension zu zitieren: „What can I say that hasn’t already been said? It’s a blank book that sits, willing and able, to take everything you throw at it.

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Das Jahr, also mein Jahr, es hat noch fünf Werktage, davon ganze vier in dieser Woche. Dazu noch drei abzuschickende Texte. Man zählt so vor sich hin, man zählt runter und raus, und dann fängt es einfach von vorne an, also wenn alles nach Plan läuft. Ich las in den letzten zwei, drei Tagen mehrfach in den sozialen Medien summierende Erschöpfungsmeldungen, dahingehend dass man jetzt noch erschöpfter sei als in den Vorjahren, noch mehr durch, noch verbrauchter, müder, kränker auch und es wiederholt sich, was ich vor einigen Wochen schon zum Herbst schrieb, dass wir nämlich diese Punkte im Jahr, zu denen wir früher traditionell Schwung geholt haben, Herbstbeginn, Jahresanfang etc., dass wir die jetzt auslassen. Weil kein Schwung da ist, den man holen könnte, man weiß nicht, wo er sein könnte. Wenn man sich umhört – es gibt einen generalisierten und verstetigten Schwungmangel, wohl nicht nur in meinem Umfeld, am Ende ist das sogar der verbleibende Haupteffekt nach dem endlosen März 2020.

Ich habe allerdings keine Ahnung, ob ich vielleicht noch erschöpfter als im letzten Dezember bin, ich weiß nicht, wie ich das messen sollte. Durch ist durch, sprach der Lurch.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 12.12.2022

Ein lobender Bericht über eine Weihnachtsfeier, wie originell ist das denn. Ich weiß gar nicht, ob ich mich überhaupt erinnern kann, einen positiven Weihnachtsfeierbericht gelesen zu haben. Geschrieben habe ich gewiss keinen, bei uns gibt es traditionell keine Weihnachtsfeiern. Und wenn es sie gäbe, ich würde vermutlich nicht hingehen. Aber egal.

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Frau Meike über den Wert persönlicher Krisen. Kleines anekdotisches Anhängsel an ihre Ausführungen zum Nachnamen: Ich bin mittlerweile beim dritten Nachnamen angekommen, was bei Männern vermutlich noch eher selten vorkommt, und ich war mit jedem Nachnamen ein anderer Mensch. Weitere allfällige innere Reformen möchte ich aber doch gerne ohne eine weitere Namensänderung hinbekommen.

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Auf die Kaltmamsell verlinke ich im Kontext der aktuellen Neiddebatten, die hat nämlich Schnee. Wir haben wie immer nur Grau mit dünnen, weiß ausgefaserten Rändern. Der Schnee kam neulich bis Wandsbek, zwei Stadtteile weiter, dann gab er auf, wie immer. Das ist aber auch wiederum nicht nur eine persönliche Angelegenheit und scherzhafte Anmerkung, wie man zunächst denken könnte, man muss dabei nämlich im Sinn behalten, dass der jüngere Sohn hier solche Bilder, wie sie die Kaltmamsell so selbstverständlich und aus lässigem Reichtum heraus postet, aus eigenem Erleben nicht kennt. Was wiederum heißt, und es ist ein Aspekt, der erstaunlich wenig beachtet wird, dass ihm der gesamte Assoziationsraum fehlt, den wir alle, also wir in unserem Alter, noch für selbstverständlich halten, und sei es nur aus der Erinnerung an die Kindheit in den 70ern. Das ist erstaunlich tiefgreifend, wenn man darüber nachdenkt. Ich mache die Weihnachtsplaylist an, es läuft der Christmas Waltz, der beginnt mit „Frosted window panes …“ und er kennt das nicht, er hat das Bild nicht. Und so weiter, es zieht sich durch, bis hin zur elementaren Erfahrung des Frierens, mit der etwa meine älteren Geschwister und ich noch etwas vollkommen anderes verbinden als er, der das nur flüchtig und als leichthin überwindbar kennt. Ein Abgrund an vollkommen unverschuldeter Unkenntnis tut sich auf, und wir müssten eine dieser Ski-Familien sein, sollte er das anders lernen, aber alles hat doch Grenzen.

Wie ich schon einmal schrieb, wir müssen eigentlich längst alles umtexten, Regentröpfchen, Grauröckchen.

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Ein interessantes Gespräch über das Buch „Anfänge“ von Graeber/Wengrow. Das Buch passt vermutlich hervorragend hinter das „Sie nannten es Arbeit“ von Suzman, das ich gerade mit Gewinn lese. Ich habe hier auch noch Graebers „Schulden“ herumliegen, das im öffentlichen Bücherschrank stand, aber man kommt ja zu nichts und es stapelt sich alles nur höher. Immerhin aber stapelt es sich dekorativ und auch pflegeleicht, ganz anders als das benutzte Geschirr in der Küche. Vorteil Buch!

Ich bin übrigens, und ich meine das nicht einmal ansatzweise mit irgendeinem Sendungsbewusstsein, vom E-Book völlig weg. Ich möchte definitiv Bücher in der Hand haben, ich möchte Bildschirmpausen haben, ich möchte „in echt“ umblättern können und Lesebändchen und Schutzumschlag und volle Regale, stürzende Stapel und alles. Meine Bildschirmzeit wurde 2022 eher weniger als mehr, es gefällt mir gerade so.

Schrieb er und sah sinnend auf seine Finger, die vom Nachfüllen des Kolbenfüllers wieder einmal schwarzgefärbt und tintenverschmiert waren. Irgendwas ist immer.

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Zur Frage des Bargelds – was ist in der bargeldlosen Zukunft eigentlich mit den Obdachlosen, den Bettelnden? Wie läuft das denn mit denen in den Ländern, die schon bargeldloser sind als wir? Keine Ahnung.

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Loreley extra cuvée

Ich höre auf dem Weg zur Arbeit den Felix Krull von Thomas Mann, gelesen von Boris Aljinovic. Später am Vormittag zitiert ein Kollege bei einem Meeting aus dem Felix Krull und versteht nicht, wieso ich ihn einigermaßen entgeistert ansehe. Literarische Zitate sind nun nicht eben häufig im Büro, es fügt sich also äußerst merkwürdig. Ich gehe nach der Arbeit nach Hause, ich mache den Computer an und sehe in den Feedreader, der erste Text ist einer aus einem Literaturblog, es geht da um den Felix Krull. Und das soll dann alles wieder nur Zufall sein, ist klar. Man möchte manchmal doch, um im Bild und im Buch zu bleiben, eine Bouteille Loreley extra cuvée auf solche Vorkommnisse trinken, nicht wahr, das war der schaurig schlechte Schaumwein, den der alte Krull in seiner bald bankrotten Kellerei abfüllte.

Ein Sohn war krank, ein Sohn wird krank, die Herzdame schwächelt, ich huste. Lazarettmeldungen, wie aus nahezu allen Familien, aber uns geht es ja noch gold, das auch nicht vergessen. Meine Mutter ist währenddessen im Krankenhaus gelandet, das ergibt wieder weitere Wege und Besorgungen, dabei kann ich viel Felix Krull hören, man muss sich immer die Vorteile heraussuchen. Der Krull hat immerhin 14 Stunden, man kann mit ihm etwas herumkommen. Da der eine Sohn neulich in einem anderen Krankenhaus war, besuchte ich jetzt also innerhalb von sieben Tagen zwei Krankenhäuser, auch das ist eine Premiere, eine seltsame, vielleicht aber eine altersgerechte, sandwichgenerationkonforme Premiere. In beiden Krankenhäusern gab es übrigens enorm freundliches Personal, das muss auch einmal irgendwo stehen.

Ich lese abends im Joseph Roth weiter, noch bei „Rechts und Links“ stolpere ich über das Wort Tattersall, da geht nämlich jemand im Tattersall reiten, und zwar tut er das so selbstverständlich, dass es etwas merkwürdig ist, wie unbekannt mir das Wort vorkommt. Ich schlage es also nach: Tattersall. Guck an, wieder etwas gelernt. Ich lese danach „Die Filiale der Hölle auf Erden“, seine politischen Schriften aus dem Exil, und ähnlich wie bei der Sagan muss ich auch dabei dauernd denken: Was für ein intelligenter Mensch das war. Beeindruckend. Hellsichtig und scharfsinnig, so möchte man manchmal auch sein, und dann denkt man bei den nächsten Nachrichten wieder nur wie immer: „Ich weiß es doch auch nicht.“ Jetzt liegt hier jedenfalls „Die Geschichte von der 1002. Nacht“, und das ist so etwas, da bin ich nicht sicher, ob ich es schon einmal gelesen habe oder nicht. Auch schlimm.

Bei den Hörbüchern führe ich eine Liste und kann nachsehen, was ich kenne und was nicht, bei den gelesenen Büchern habe ich das nie getan.

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Ich stehe sonst viel im Wohnzimmer herum und sehe raus, wofür es wichtige Gründe gibt. Die Herzdame hat nämlich an unseren Meisenbällen einen Buntspecht gesehen und ich noch nicht, wir führen hier Neiddebatten, das können Sie sich nicht vorstellen.

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Ungeduldige Menschen wie ich übersehen manchmal gute Videos, weil sie zu schnell weg- und weiterklicken. Hier etwa, fast verpasst, dass das kein gewöhnliches Video dieses sattsam bekannten Songs ist. Mal ein paar Sekunden laufen lassen und dann sehen, wie gut Frank Sinatra dieses Lied bei dem Auftritt nicht nur singt, sondern spielt. Hervorragend. Man möchte es gleich als einzig gültige Version abspeichern. Text übrigens von Johnny Mercer, der auch Moon River geschrieben hat. Und hier noch viel mehr zum Song.

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Und sollten Sie Bedarf an etwas heiterer Laune haben, dann vielleicht diese beiden …

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 10.12.2022

Eine Geschichte über Service-Leistungen

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Ein König im Wedding

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Stellvertretend für viele Frau Herzbruch mit Anmerkungen zum aktuellen Krankenstand, hier am Beispiel ihres Sohnes. Ich kann die Beobachtung hier (noch) nicht bestätigen, wie bewegen uns da ja alle bisher nur in der anekdotischen Evidenz, aber die reine Häufigkeit der Erkrankungen im Umfeld, auch im Umfeld der Söhne, ist vermutlich gerade beispiellos. Wer jetzt nicht krank ist, der war es letzte Woche, der wird es nächste Woche, es sind recht sichere Wetten (mit beginnendem Husten notiert).

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Ich habe für das Goethe-Institut etwas über das andere große Thema, also die Raumtemperaturen geschrieben.

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Kein Blog, aber irgendwo muss der Link ja hin: Auf arte eine Doku über „Bonjour Tristesse“ von der Sagan. Sehenswert. „Ich hatte nichts zu tun, also habe ich das Buch geschrieben.“ Eine wunderbare Erklärung für ein großes, literaturgeschichtlich bedeutendes Werk. Die Interviewsequenzen! Was für ein überaus kluger Mensch sie war.

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Falls Sie andererseits mit dem Begriff Dunkeltuten etwas anfangen können, der jetzt wieder so schön in die Saison passt, und falls Sie es nicht übergriffig finden, diesen Begriff auf den Jazz anzuwenden, dann gucken Sie mal nach Daniel Herskedal, etwa auch nach dem Titel „The Lighthouse.“Der hat was in der Richtung. Maritimer Jazz im Nebel, so hört es sich an, ich mag es sehr. Aber nur im Winter. Draußen gerade mäßiges Schneegeriesel, kristalline Ränder an den Dachfenstern, es passt schon.

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Was schön war

Gestern war noch nicht Vollmond, aber es sah doch schon so aus. Der Vollmond im Dezember heißt kalter Mond oder Julmond, las ich, und heute ist es auch wieder ein Supermond, so steht es hier, wobei Supermond kein allzu schöner Begriff ist. Supermond, Superbenzin, Superformel, es klingt nach Werbung. Aber Julmond, das klingt doch eindeutig wie etwas, zu dem es bestimmte alkoholhaltige Getränke geben müsste, die man bei seinem Anblick aus Tradition zu sich nimmt, womöglich in netter Gesellschaft und zu später Stunde. Julmondeinladungen. Haben Sie Julmondeinladungspostkarten? Ich finde, das klingt überaus plausibel, das müsste es doch geben, so dermaßen naheliegend klingt das. Hast Du zum Julmond schon etwas vor? Und ja, früher wurde da eh irgendwas gefeiert, schon klar, im Dezember ging ja alles Heidnische, Christliche und Weltliche seit quasi immer schon wild durcheinander. Julmond. Julmond ist auch als französischer Vorname geeignet, non?

Es ist etwa neun Uhr am Mittwochabend, als ich aus dem Küchenfenster sehe, und der angehende Julmond da links neben dem fast schwarzdunklen Kirchturm hängt, der in diesem Jahr aus Energiespargründen nicht angestrahlt wird, ich erwähnte es bereits, in dem es aber immerhin einen blassen, weihnachtlichen Funkelstern im Turmfenster gibt, was in dieser reduzierten Version ohnehin viel traulicher und besinnlicher wirkt, das sollte man unbedingt so beibehalten.

Gleich neben dem Mond der Mars in selten gesehener Pracht, mit schicken Lichteffekten, weil zartschleierige Wolken gerade äußerst malerisch davor drapiert werden. Feinste Spitze, wie sie in Romanen aus dem neunzehnten Jahrhundert noch vorkam.

Unwirklich sieht es aus, und wenn der Blick nach rechts geht, dann kommen von dort auch noch Lichtsignale vom Jupiter, ebenfalls in seltener Intensität, also zumindest für unsere urbanen Verhältnisse, wir haben hier ja sonst nichts, in unserer bitteren Großstadtsternenarmut.

Es ist kalt und die Luft ist bemerkenswert klar, nur das dezente Wolkengespinst da oben um den Mars, ganz feine Pinsel müsste man nehmen, wollte man das malen, haardünn müssten sie sein. Die Nachbarn ringsum haben in diesem Jahr viel weniger Weihnachtsglimmer und Wintergeblinke an den Balkonen und Fensterrahmen, der ganze Platz ist mit den Vorjahren nicht zu vergleichen. Die Beleuchtung ist um ein paar Jahrzehnte zurückgefallen, und gut sieht es aus, oder sieht es eben nicht aus, denn man erkennt es ja nur in der Verneinung: Was wir nicht sehen, das ist gut. Ein schmaler Lichtschein unten aus der nur angelehnten Tür des dubiosen Thai-Massage-Salons im Souterrain des Hauses aus der Gründerzeit. Eine der Frauen, die dort arbeiten, steht in einem übergeworfenen roten Frottee-Bademantel vor der Tür, rauchend. Auch sie sieht zum Mond hinauf, wie ich.

Ein obligatorischer Mann mit Hund geht an ihr vorbei. Weiter oben, in zweiten und dritten Etagen, zwei, drei Silhouetten in den erleuchteten Fenstern der Häuser neben uns. Abendliche Verrichtungen, Teller werden getragen, das erkenne ich. Ein Licht geht an, ein Licht geht aus. Wie abgestimmt sieht das aus, aber es liegen doch drei Häuser dazwischen.

Kein Verkehr, kein Lärm. Nicht einmal diese im Hintergrund brummende Großstadtunruhe, die wir sonst immer hören. Keine Außengastro auf dem nächsten Platz. Keine Stimmen, keine Rollkoffer, keine zerschellenden Flaschen, kein Streit. Keine auf laut gestellten Smartphonetelefonate über Weihnachtsbesuche und Geschenke und den Charakter von Klaus. Ich habe gerade neulich erst viel über Klaus erfahren, auch über seine Kinder, die er Weihnachten alle mitbringen wird, was übrigens schlimm ist, man macht sich ja keinen Begriff. Aber das nur am Rande, es stellen immer mehr telefonierende Menschen ihre Gesprächspartner laut, ich finde das überaus verstörend. Den theaterhaft alles verstärkenden Soundeffekt, den es auf dem kleinen Platz vor unserem Haus gibt, den kennen die Leute natürlich nicht, den kann nur ich genießen, aus meiner Loge hier. Ich verstehe oft sogar die tröstenden Worte der Mütter auf dem Spielplatz, wenn die Kinder hingefallen sind oder oben auf der Rutsche stehen und Angst vor der wilden Abfahrt haben, denn es ist ein Spielplatz für sehr kleine Kinder, da wird viel geweint. Aber jetzt gerade, jetzt ist es still. Die Kinder weinen zuhause.

Keine tutenden Schiffe aus dem Hafen. Keine quietschend bremsenden Züge aus dem Hauptbahnhof, keine herübergewehten dumpfen Bahnsteigdurchsagen. Keine Hubschrauber der Polizei oder vom ADAC über dem Haus. Keine rasenden Taxis in der Zone 30.

Nur der Mond, der Mars, der Jupiter und der blasse Stern im Kirchturm, die Frau im Bademantel, der Mann mit Hund, und ich hier oben am Fenster, in der unaufgeräumten Küche, mitschreibend.

So war das gestern. Und schön war das.

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