Währenddessen in den Blogs

Bei Frau Novemberregen am Ende Ihres Eintrags eine Einschätzung der Lage, der wir vermutlich alle folgen können, ausdrücklich auch dem absurden Dreh zum letzten Satz. So ist es eben, und ich möchte hierzu auch die Herzdame mit dem Satz zur Lage zitieren, den ich zutiefst nachfühlen kann: „Ich habe gar keine Kapazität mehr für noch so eine Krise!“

Frau Novemberregen übrigens mit einem schönen Hang zu knalligen letzten Sätzen.

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Eine Quellen- und Hilfsliste bei der Geschichte der Gegenwart, überhaupt eine gute Seite.

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ich versuche, mich zu belesen und meine normalität zu schützen, indem ich eine haltung entwickele, ich setze die diffuse angst vor krieg in aktivitäten um, vorratskäufe, auto volltanken.

Die eigene Normalität, sie ist in solchen Zeiten auch etwas, das man, so seltsam es klingt, aushalten können muss. Die Tupperdosen, Kaffee und Kuchen. Der Garten, die Hausaufgaben, das Home-Office.

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Bei HONY etwas aus dem Archiv, ein Bild von einer Dame: „Now go to eternity.

Ich war am Sonnabend auf einer eher schwach besuchten Hamburger Demo gegen den Krieg in der Ukraine, dabei musste man nur bei bestem Wetter an einem der schönsten Plätze der Stadt etwas vor Panoramablick unter Postkartenhimmel herumstehen, es war so schwer wirklich nicht, aber das nur am Rande. Beim nächsten Mal kommen sicher schon mehr, Berlin hat gezeigt, was geht. Ohne zu viel pathetisch irgendwo hineinzudeuten, die anwesenden Menschen aus der Ukraine freuen sich über alle, die kommen, das steht wohl fest.

Auf der Demo jedenfalls hielt eine ältere Frau, schon weit im Rentenalter sicher, ein Pappschild hoch, es war russisch beschriftet, nein zweisprachig, es verlangte Frieden. Ein recht kleines Pappschild war das nur, gut lesbar war es auch nicht gerade, es war ein Behelf, es war besser als nichts. Ein Fotograf machte ein Bild von diesem Pappschild, der Ausrüstung nach war es ein Profifotograf, von der Presse wohl. Die Dame hielt ihm sofort ihr Schild entgegen, damit er es besser dokumentieren konnte. Das passierte ringsherum in diesem Moment mehrfach, Fotografen mit Kameras und Handys vor bunten Schildern, auch vor wehenden blaugelben Flaggen. Der Fotograf vor der älteren Frau sah nach dem ersten Bild noch einmal über seine Kamera weg und fragte höflich, ob es denn okay sei, wenn sie mit auf dem Foto sei, man könne sie dann vielleicht erkennen …

Und die Frau schob entschlossen ihre Mütze aus der Stirn, zog ihre Maske etwas herunter und sagte mit auf einmal gut sichtbarem Gesicht lachend: „Na was, ich bitte darum, ich habe mich doch extra geschminkt!“

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Und hier acht Fotografen mit Bildern zur Lage, man kann ihnen jeweils auf Instagram folgen, wenn man die Bilder denn aushält (im Ernst, bitte abwägen. man muss auch nicht alles mitbekommen). Gefunden via Friederike Kroitzsch auf Twitter (herzliche Grüße, irgendwann fahre ich mal in den Odenwald und wir trinken einen Kaffee, ja?), die es wiederum via Kwerfeldein fand. Ich versuche, diese Spuren stets mitzubekommen, dann können Sie da auch folgen, wenn Sie denn mögen.

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Der Tweet der Woche bei Markus fällt eindeutig aus.

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Andere Krisen auf der Welt kommen übrigens auch noch vor, versteht sich. Und, wie ich schon einmal angemerkt habe: Die Bilder in dem gleich verlinkten Blog ersetzen mir Spaziergänge in der Natur, die es hier so nicht gibt.

Ich lege noch einen Scheit Holz auf das Kaminfeuer in meinem Dorf im Odenwald und schreibe an den Kollegen im Flüchtlingslager in Abu Dhabi How are you at the moment, how are things going on?“

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In Berlin war die Demo etwas größer: „Meine Frau und ich stehen gemeinsam mit hunderttausenden Menschen an der Siegessäule und protestieren gegen den Krieg in der Ukraine. Meine erste Demo seit ungefähr 25 Jahren. Warum ich heute hier bin und all die Jahre zu keiner Demo gegangen bin, die sich ebenfalls für unterstützenswerte Anliegen eingesetzt haben, kann ich nicht sagen. Ich komme mir auch ein bisschen erbärmlich vor, denn es wirkt schon fast plattitüdenhaft, gegen Krieg zu protestieren. Wer ist schon für Krieg? Außer Putin.

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In einem Literaturblog eine Erinnerung an Kiew und Andrej Kurkow und by the way, kennen Sie Read-Ost?

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Parallel habe ich in mehreren Foodblogs einleitende Sätze vor Rezepten gelesen, die in etwa aussagen: „Ich mache hier jetzt trotzdem weiter“, und ich finde, das muss man auch würdigen, dieses Weitermachen, ich bin ein Freund des Weitermachens. In den Foodblogs ansonsten die ersten Rezepte für Osterzöpfe und Fastenkrapfen. Ich weiß nicht einmal, was Fastenkrapfen sind, aber ich sehe daran, phänologisches Internet, das Jahr schreitet voran, der Frühling kommt, wir erwarten also gewissermaßen bestes Demo-Wetter, nicht wahr.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Währenddessen in den Blogs

Die Artikel in den Medien finden Sie sicher alle selbst (folgen Sie doch bitte auch dem Katapult-Magazin auf Twitter, Instagram etc.), ich will versuchen, ab und zu eine kleine Blogschau zum Thema, das uns selbstverständlich alle beschäftigt, ängstigt und umtreibt, zusammenzustellen. Was außerhalb der Redaktionen noch zur Lage geschrieben wird.

„Seit heute Morgen verspüre ich immer wieder den Impuls, losfahren zu müssen, um bei ihnen zu sein. Und gleichzeitig schreibe ich jedem von ihnen, sie sollen das Land verlassen und zu mir kommen.“

Ich gebe übrigens zu, nicht allzu viel über die Ukraine zu wissen, damit scheine ich eine Seltenheit zu sein. Ich hatte auch nicht die ganze Zeit schon den überaus komplexen Ablauf des Konflikts dort parat, ich könnte auf einer leeren Landkarte nicht einmal die Grenzen Russlands überall korrekt einzeichnen. Meine Generation hat in der Schule über die Gegend nicht viel gelernt, da war nichts, da war nur eine dumpf drohende Gefahr. Ich habe keine erhellende Magisterarbeit über SWIFT geschrieben, ich habe nicht einmal Völkerrecht studiert und halte mich daher damit zurück, irgendein Verständnis herbeizubehaupten, das ich nicht haben kann. Ich bin kein Experte, ich bin es auch abseits dieser Krise kaum, bei wenigen Themen nur, und über die schreibe ich in der Regel nicht einmal. Ich bin nur gerade so Experte für „Being Buddenbohm“, für viel mehr nicht. Und, versteht sich, ich finde das schwer genug.

Aber man kann ja noch etwas lernen. Man sollte es auch, das ist am Ende son Demokratie-Aspekt, freies Wissen etc. Gerade habe ich mir den Joseph Roth bestellt, „Reisen in die Ukraine und nach Russland“. Irgendwo anfangen.

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Unterricht in Zeiten des Krieges. Ich habe 2015 erlebt, dass die Kinder an der Grundschule hier per Beschluss (wunderbar demokratisch übrigens) bestellt haben, doch bitte regelmäßig über die aktuelle Lage informiert zu werden. Das wurde damals abgelehnt, das schien den Zuständigen nicht machbar. Eine verstörende Erfahrung war das.

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Im Raiffeisenmarkt ein paar Dörfer weiter treffen wir zufällig einen Freund; zwischen Melkfett und Pferdehalftern, Weckgläsern und Rasensamen Marke Berliner Tiergarten erörtern wir die Weltenlage und schütteln die Köpfe. Das Wort vom Tyrannenmord steht plötzlich zwischen den Regalen mit Arbeitshandschuhen und Gummistiefeln, und ich frage mich, ob schon jemals in diesem Odenwälder Raiffeisenmarkt, in dieser Halle mit vier Wänden und einem Dach, Kunden über das antike Konzept Tyrannenmord nachgedacht oder gesprochen haben, während sie doch eigentlich Hühnerfutter oder Melkfett oder Elektrozäune für die Kühe kaufen wollten.“

Apropos Tyrannenmord: „Die Stadt vom Tyrannen befreien!“ – hier auf Youtube liest Oskar Werner die Bürgschaft von Schiller.

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Tell me what to do. Ja. Es war in den letzten Tagen besonders absurd.

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Eine Kolumne aus den großen Medien doch noch als Zugabe, Lena Gorelik:

„Ohnmächtig den Menschen in der Ukraine schreiben, mit denen ich auf Russisch kommuniziere, weil wir das schon immer getan haben. Es gibt in keiner Sprache gute Worte dafür um zu sagen: Kommt gut durch den Tag, durch die nächsten Stunden, durch die nächste Stunde; ohnmächtig, wie viele Fragen sind eine Frage zu viel, und wie formuliere ich all diese Fragen: »Alles in Ordnung?«, »Wie geht es Euch?«. Wie soll es Menschen schon gehen in einem Land, das seine Ordnung, die Ordnung des Friedens, verloren hat.“

By the way: Ich habe Kolleginnen in der Ukraine und auch in Russland. Es ist für mich unvorstellbar, wie surreal sich die Lage für sie anfühlen muss. Die haben letzte Woche noch miteinander gearbeitet.

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Links am Morgen

Die Links würden besser am Abend passen, aber ich habe dummerweise jetzt Zeit und nachher nicht. Vielleicht machen Sie sie gleich wieder zu und später wieder auf? Na, nur ein Vorschlag. Sie können machen, was Sie wollen, es ist ein freies Land. Vorgestern wäre das noch ein viel leichterer und heiterer Scherz gewesen, so schnell kann es gehen.

Zehn unsortierte Gedanken von Vanessa. „Ein zartes Gefühl von Apokalypse“, schreibt sie da, und es wurde schon zu Beginn der Pandemie oft als Cartoon und Witz ausgearbeitet, aber es ist eben wirklich ein besonders verstörender Teil dieser Erfahrung, dass man dabei weiter jeden Tag ganz normal arbeiten soll. Oder zu Schule, zur Uni etc. gehen soll. Es ist seit März 2020 höchst irritierend, finde ich, und ich meines es nicht als Scherz.

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Ich weiß nicht mehr, wer diesen Artikel von Tom Nichols verlinkt hatte, auf Twitter war es jemand, ich bitte die Nichtnennung zu entschuldigen, aber ich fand ihn jedenfalls gut. Es geht um das Einsortieren von Begriffen in politischen Debatten.

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Diese Linksammlung wurde noch vor dem russischen Angriff geschrieben, sie entstehen immer stückweise, diese Texte, zu einer Zeit also wurde sie größtenteils geschrieben, als die folgenden Themen auch noch relevant erschienen:

Auf arte sah ich einen Film (52 Minuten) über Lady Chatterley von D.H Lawrence, bzw. um den Prozess zum Buch damals. Das Buch war in meinem Studium Seminarinhalt, fällt mir wieder ein, es ging da um die Bewertung (heute und historisch) von anzüglicher oder pornografischer Literatur. Also bezogen auf öffentliche Bibliotheken: was darf in den Bestand? „There are thirteen passages of sexual intercourse in this book“, sagt der Ankläger im Film in scharfem Tonfall, und ich erinnere mich an keine einzige davon. Am Ende habe ich das Buch nicht einmal komplett durchgelesen, ich weiß es nicht mehr. Schlimm.

Ebenfalls auf arte und dito passend zum Seminarinhalt damals gab es noch eine Doku über Lolita von Nabokov, 54 Minuten. Ich glaube, meine Dozentin damals hatte das Motiv des Buches richtig einsortiert, also im Sinne dieses Filmbeitrags, es war überhaupt eine außerordentlich kluge Dozentin und ein wandelndes Lexikon der Literaturgeschichte. Sehr schön bei dieser Doku die Interviewstelle im Film, in der Nabokov sagt, dass der Name des Protagonisten Humbert Humbert auch ein Gitter sei, Humbert Humbert Humbert … und wie er dann kurz und skeptisch zum Interviewpartner blickt, ob der das überhaupt versteht … Nabokov übrigens damals aus Russland geflohen, es gibt immer überall Bezüge.

Und schließlich noch eine dritte arte-Literatur-Doku, die über Emma Bovary, 52 Minuten. Ich sehe so etwas sehr gerne, vorzugsweise an Wochenendmorgen, das ist auch seltsam. In den Briefen von Flaubert, die ich gerade lese, ich erwähnte es vermutlich bereits irgendwo, finde ich eine Stelle, da beschwert er sich gerade vehement über die Arbeit an der Bovary. Es geht im Manuskript nämlich um ihre Verschuldung, es geht um so etwas wie Wechsel und Diskont, und er versteht davon nichts, überhaupt nichts, er findet das Thema furchtbar, langweilig und das Schreiben schrecklich, aber er muss da nun einmal durch. Sehr interessante Briefe auch!

Ich habe nie ganz ergründen können, warum ich Briefe, Tagebücher, Biografien und alle Arten von Sekundärliteratur oft wesentlich reizvoller als die eigentliche Literatur finde – am Ende ist aber auch das nur das Anzeichen einer veritablen Meise und gar kein lobenswerter Bildungsdrang, so ist es ja meistens. Immer alles in Frage stellen, ja, ja.

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Diese Links verweisen alle auf arte, was soll ich machen, ich schaffe nicht mehr. Hier noch schnell eine abgefahrene Doku über das Haus von Victor Hugo (52 Minuten) auf Guernsey, sie ist vielleicht noch interessanter für Menschen, die sich für Innenausstattung interessieren, als für die Literatur-Bubble. Dieser Arbeitsplatz auf dem Dach!

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Über die geliehene Erinnerung an die Flut in Hamburg.

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Genauigkeit ist Selbstschutz – ein Feature über Herta Müller. Audio, 30 Minuten. Die Stelle mit „Der Wind ist kälter als Schnee“ – grauenvoll schön ist die, schon dafür lohnt sich der Beitrag. Rumänien war damals ja unter russischem Einfluss … ach, lassen wir das.

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Ich höre weiterhin viel Blues, das passt gerade, es ist nicht eben überraschend, wenn man an meine Stimmungsbeschreibung von neulich denkt. Hier habe ich eine Live-Aufnahme von Freddie King, es sind 12 Minuten, und es ist großartig, glauben Sie mir. Die Pausen, die er spielt, sein Gesichtsausdruck, der Herr am Klavier (David Maxwell) ab 08:03. Das ganz kurz eingeblendete Gesicht der Zuschauerin bei 3:12! Have you ever loved a woman so much that you tremble in pain? Wer nicht, meine Herren, wer nicht. Ich finde dieses Video sensationell.

Freddie King starb an einem Herzanfall, den er während eines Konzerts hatte, fast möchte man diese Art des Abgangs schön finden, wenn man ihn bei diesem Lied sieht.

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Es gab Pasta Pollo, das kam hier im Blog vor längerer Zeit schon einmal vor. Ganz simpel, aber doch gut, und das mögen alle im Haushalt. Es gab außerdem Bratreis, etwa so, den fand ich immerhin sehr gut, der Rest war mehr bei „befriedigend“. Ich möchte hier aber entgegen meiner sonstigen Selbstverpflichtung zur Bescheidenheit vermuten: Ich hatte Recht.

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Hörbücher und Sonstiges

Ich höre Hawthorne, „Der scharlachrote Buchstabe“, gelesen von Jürgen Fritsche. Seit mir bei Kafka die Parallele zum Jetzt so dermaßen einleuchtend auffiel und kurz darauf auch die beim Querdenker Kohlhaas, achte ich wieder etwas mehr darauf, was in den Büchern noch Bestand hat, was zu uns oder zumindest zu mir noch spricht. Und da haben wir also beim Hawthorne die rigiden Moralvorstellungen jenseits aller Lässigkeit, allen Humors auch, bar aller Gnade, fern der Toleranz, da haben wir selbstgerecht gefällte Urteile für die Ewigkeit, ohne jede Chance auf Revision, da haben wir Fehler und Sünden, die nie wieder gutzumachen sind, Fehltritte, die verlässlich in den Abgrund und aus aller Achtung stürzen lassen, kommt es uns bekannt vor? Und hätten sich die im Roman geschilderten Moralapostel, ich will einmal annehmen, dass sie gut getroffen sind, träumen lassen, dass spätere Zeiten davon ausgehen werden, dass sie Unrecht hatten, dass die Sympathien künftig eindeutig bei den Opfern liegen könnten?

Wobei das nicht der Kern ist, denke ich, der Kern liegt im Rigiden, im Gnadenlosen, in der nicht vorhandenen Fehlertoleranz und im vollkommen unerschütterlichen Bewusstsein der eigenen Weisheit, im dauernden Besoffensein vom Rechthaben und ja, wir kennen das. Insofern, das hätte ich gar nicht unbedingt erwartet, ich habe das Buch immer – und warum eigentlich – für eher langweilig gehalten, ist es eine Leseempfehlung auch für die Heutigen, glaube ich.

Ich habe Maria Stuart von Schiller gehört, und wie schon bei den Räubern, es sind sicher schöne Stellen darin, aber es spricht nicht mehr zu mir. Und ich glaube, das fällt mir sonst eher nicht auf, es würde mir auf Papier mehr Spaß machen, weil ich dann de schönen, die zu merkenden Sätze besser registrieren würde, anstreichen könnte etc.

Ansonsten, um es salopp zu formulieren, ist das Stück doch definitiv etwas zu depri für Februar 2022.

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Ich höre „Die Nacht von Lissabon“ von Remarque, das ist vielleicht sogar noch mehr depri, aber da sehe ich eine Stelle, die man auch wieder in Bezug auf Twitter etc. durchdenken könnte: „Solange man spottet und Angst hat, versucht man, die Dinge auf ein kleineres Maß zu bringen, als sie haben.“

Ich bin auch nach längerem Nachdenken nicht sicher, ob ich das mit der Angst richtig verstehe, aber beim Spott gebe ich sofort Recht, da ist etwas dran. Wobei es aber statthaft und womöglich auch nützlich ist, Dinge auf ein kleineres Maß bringen zu wollen, glaube ich.

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Im Discounter, der mir mangels Naturerleben oft den phänologischen Kalender ersetzt, habe ich am Sonnabend die ersten Osterartikel gesehen. Das Jahr schreitet demnach trotz des gefühlten Stillstands voran und auch dieser Februar endet vermutlich irgendwann, da sind dann so die verbleibenden Hoffnungen.

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Im echten phänologischen Kalender sehe ich, aber nur aus seinem bestimmten Winkel und auch nur bei einem bestimmten Licht, einen hauchfeinen und nur sehr dezent grünen Schimmer um die Mirabelle vor der Haustür, und nur bei ihr, sonst nirgendwo, das erste frische Laub des Jahres also, eine Andeutung davon zumindest. Ich sehe das beim Brötchenholen und freue mich, ich gehe zum öffentlichen Bücherschrank, dort steht prompt „Der Geist der Mirabelle“ vom ollen Lenz. Gehen Sie mir doch weg mit dem Konzept Zufall, das taugt mir nichts.

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Ich hole Brötchen, es gibt nichts zu sehen

Sonnabend. Ich ging am Morgen Brötchen holen, durch den quertreibenden Regen, durch letzte und versprengte Sturmböen, die noch an den Straßenecken herumlungerten und frühe Joggerinnen sowie brötchenholende Väter wie mich nach Rabaukenart von der Seite anrempelten. Besonders bedrohlich wirkte das Wehen nicht mehr, kein Vergleich war es zu dem, was in der Nacht davor auf mein Fenster eingeprügelt hatte, ein amoklaufendes Wetter war das gewesen. Vielleicht hat es auch den Windstärkenrekord der letzten Jahre gebrochen, das kann gut sein, es klang zumindest überzeugend so, und hätte das Dach über meinem Bett abgehoben, ich wäre unter freiem Himmel, aber wenig überrascht gewesen. Durch den Regen ging ich also, eiskalt war der, scharf war der, winterlich mutete alles auf einmal wieder an, dabei war das Thema für mich doch bereits abgehakt. Gegenstände aller Art lagen überall herum, wo sie nicht hingehörten, der Sturm hatte mit Restaurantstühlen aus der Außengastro gespielt, mit Werbeplakaten randaliert, mit Dachpappenstreifen geworfen, mit Blumentöpfen jongliert, er hatte auch einen hohen Zaun am Weg eingedrückt und im Park einen Baum gefällt, einen der größeren Art sogar und überall, versteht sich, die abgefetzten Äste und Zweige, der verwirbelte und verknäuelte Plastikmüll auch, auf allen Wegen im kleinen Bahnhofsviertel lag Zeug in großen Mengen herum. Hier müsste man aber mal durchfegen, hätte meine Großmutter gesagt und den Kopf geschüttelt.

Exkurs. Ich bin übrigens Sturmspießer, ich bleibe gerne drinnen, wenn es Orkan gibt. Das können Sie uncool finden, das hätte ich früher sicher auch verlacht, das kommt aber so: Als ich noch auf dem Lande lebte und eines Morgens im Orkan zum Bahnhof ging, das war noch weit vor den Möglichkeiten des Home-Offices, man sagte noch nicht einmal Office in jenen Jahren, man sprach noch schlicht und oldschool vom Büro, vom Institut sogar in meinem Fall, da fiel im Sturm etwa vier, fünf Schritte hinter mir eine längst ausgewachsene und also beträchtlich große Buche um. Und die fiel nicht langsam, wie ich es mir vermutlich vorgestellt hätte, wie ich es vielleicht auch von Holzfällerszenen aus Filmen kannte, nein, die fiel wie ein Brett oder wie ein Pfosten, zack, da lag sie, keine Sekunde dauerte das und die äußeren Zweige streiften noch meine Kapuze von hinten. Ich drehte mich um und diese Erkenntnis, dass ich mit großer Sicherheit tot gewesen wäre, hätte ich für den Weg an anderer Stelle nur vier, fünf Schritte mehr gebraucht, nur ein paar Sekunden Bedenkzeit irgendwo – die brauchte lange, um wirklich bei mir anzukommen, ein faszinierender Prozess war das. Vanessa schrieb auf Twitter, dass sie bei Sturm einmal fast von einem fliegenden Blech erschlagen worden wäre und ja, so etwas prägt ungemein. Der Mensch lernt durch Ansicht, und sonst nicht unbedingt. Exkursende.

Ich kaufte die Brötchen für die wartende Familie, ich ging aus dem Laden und da war auf einmal die Sonne rausgekommen, gleißendes, blendendes Licht in der Straße, eine schier unfassbare Helligkeit war um mich herum, die Meisen jubilierten laut und ekstatisch wie in einem Soundtrack an der Stelle, wo im Film das große Glück beginnt, und am Ende der Straße, zwischen zwei Bäumen, in goldenem Licht, das wie über ihr ausgegossen wirkte, stand eine Nonne und betete.

Da war ich dann froh, dass sie wenigstens fest auf dem Boden stand und nicht etwa einen Meter darüber schwebte, denn das wäre doch eine amtliche Erscheinung gewesen, was erstens schon lästig genug gewesen wäre, wenn man sich gerade agnostisch bequem eingerichtet hat, was aber zweitens auch noch bedeutet hätte, dass die Katholiken am Ende Recht gehabt hätten, denn eine echte Nonne dieser Ausprägung schien es mir doch eindeutig zu sein, und Katholizismus und Recht haben, also bitte, irgendwann ist auch einmal gut, bei aller Toleranz in religiösen Fragen. Ich stand und starrte, die Meisen sangen weiter wie bei Walt Disney, die Nonne aber hielt den Blick fromm gesenkt, stand im Licht und das, so dachte ich selbstverständlich, glaubt dir wieder kein Schwein, und doch ist es so.

Sie betete allerdings gar nicht, wie ich dann im Näherkommen sah, sie machte vielmehr, was wir alle machen, was wir sogar dauernd machen, sie sah nämlich nur auf ihr Handy, das sie in beiden Händen hielt, und ich habe es im Vorbeigehen nicht genau gesehen, aber wer weiß, am Ende war es nur ein Level Candy Crush oder etwas in der Art, das eben noch vor der Bäckerei beendet werden musste. Nonnen sind auch nur Menschen und kommen an dieser Stelle der Stadt übrigens öfter vor, die Zentrale der Hamburger Katholiken ist gleich um die Ecke, da sieht man gelegentlich auch recht malerische Mönche oder andere Menschen in aus meiner Sicht schwer deutbaren Kostümen der kultischen Art.

Eine Nonne also, die morgens Brötchen holt, die auf dem Weg mal eben auf ihr Handy sieht, bitte sehr, bitte weitergehen, es gab nichts zu sehen.

So fing das Wochenende an.

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Vom Sturmtief zum März

Die letzten Tage wurden präsentiert von der schlechtesten Laune, die überhaupt nur denkbar war, als würde die Stimmung mit den vorbeijagenden Tiefs korrelieren, was für Norddeutsche auf Dauer nicht die beste Idee ist. Aber es kam hin, die Böen der Aversion gegen die eigene Lage und Person, die Sturmfluten der schwarzen Stimmung. Und was man dann in solchen Lagen so macht, man denkt nach und denkt nach und denkt nach. Ach Gott, was hat er denn, mit sich ruhig auch einmal in der dritten Person reden, das kann helfen, so glauben manche ernsthaft, ja, das gilt sogar als probate Methode. Ich glaube das allerdings nicht, ich bin nämlich nicht nett genug zu mir, ich bin mehr so innerer Drill-Sergeant, stand up and fight, you loser, wer würde sich denn bei so einem Typen auf die Couch legen? Also ich nicht.

Schließlich kam ich aber doch darauf, und zwar in der der ersten Person, was wohl gerade mein größtes Problem ist. Es gibt manchmal bemerkenswerte Blödigkeiten und geradezu lächerliche Schaltverzögerungen, wenn es um die eigenen Befindlichkeiten geht, also bei mir jedenfalls, und nun weiß ich es also recht gut, wie ich glaube, worum es geht, und siehe da, das Problem ist auf den ersten Blick gar nicht mal so lösbar, na super, das hat sich ja wieder gelohnt, das Nachdenken. Eine echte Challenge, wie man heute sagt, wobei ich bei dem Wort leider seit Jahren schon einen starken Brechreiz verspüre.

Aber egal, ich habe also etwas zu tun, das ist besser als nur zu grübeln, heißt es. Und es stimmt vielleicht auch.

Was noch, wo war ich überhaupt stehengeblieben und worum geht es hier eigentlich, was soll ich texten? Ach, das war ja egal, ich kann hier schreiben, was ich will, richtig. Angenehm ist das, jeder sollte so eine Seite haben, das tut manchmal gut.

Es gab da neue Corona-Beschlüsse – pardon, ich gehe thematisch noch etwas nach, ich weiß, Sie sind schon weiter. Ich habe etwas bemerkt, an mir selbst bemerkt, das einige vielleicht von sich kennen werden, ich werde versuchen, es zu erklären. Ich interessiere mich nicht für Sport, also für keine einzige Sportart auch nur ansatzweise, und ich halte es im Grunde für eine fürchterliche Zumutung, wie oft im Radio und in allen anderen Medien etwas zum Thema Sport vorgetragen wird. In meinem Erleben und Denken ist Sport ein drolliges Nischenthema und ich weiß wirklich nicht, warum ich damit lebenslang so überreich und an dermaßen vielen Stellen behelligt werde. Kultur im weitesten Sinne etwa kommt nicht annähernd so häufig vor, die Finalisten des Halberstädter Hymnenpreises für Langlyrik werden nicht mit großer Selbstverständlichkeit interviewt und nuscheln dann in unverständlichem Dialekt etwas von „Wichtig ist auf dem Blatt“, obwohl ich das tatsächlich interessant finden würde. Aber ich schweife ab.

Ich wollte sagen: Ich höre also dauernd Sport im Radio, aber ich höre es doch nicht, also nicht verstehend. Ich höre Sport etwa so wie Radio Moskau. Ich weiß, da spricht ein Mensch, aber es hat irgendwie keinen Inhalt, keine verständliche Botschaft Da wird etwa die Bundesligatabelle ritualisiert runtergebetet, ich höre jedes Wort, aber es ergibt keinen Zusammenhang und nichts davon bleibt hängen, nichts davon könnte ich hinterher wiedergeben, keinen einzigen Sachverhalt, außer eben grob: Sport. Und so ergeht es mir mittlerweile auch mit den Corona-Beschlüssen, -Regeln, -Maßnahmen, das wollte ich nur eben sagen. Ich höre das, aber es hat keinen Inhalt mehr. Es klingt für mich nur noch wie „Hinrunde Zweitimpfung Relegation Ungeimpfte nach Ecke Kontaktpersonen auswärts Quarantäne Trainingslager.“ Mit beliebigen Verben dazwischen. Kauderwelsch, egal. Hören und Vergessen.

Das gilt auch für das Lesen von Artikeln zum Thema. Ich habe -stets bemüht! – die Beschlüsse selbstverständlich alle brav nachgelesen, aber ich verstehe das alles nicht mehr, mein Hirn macht nicht mehr mit, ich steige mitten in den Absätzen aus.

Ich bin Brauchtumsblogger, denke ich auch bei dieser Gelegenheit, ich muss also gar nichts verstehen. Ich werde einfach rausgehen, hinsehen und das dann aufschreiben. Wenn die Leute da draußen etwas anders machen, wenn sich etwas verändert, dann bekomme ich es hoffentlich mit, dann notiere ich das. Noch aber – ist nichts. Alles ist wie immer, es gibt nur immer mehr und immer buntere Tulpen in den Blumengeschäften, und dieser eine Satz ist jetzt jeden Tag öfter zu hören, dieser eine Satz, dass im März entweder alles aufhört, zumindest aber vieles aufhört, alles wieder einfacher wird, immerhin aber vieles einfacher werden wird, dass man im März mal sehen muss, dass es im März irgendwie besser werden wird, dass es im März lockerer wird, im März, im März, im März, die Menschen um mich herum sprechen das wie im Kanon, wir werden alle verrückt wie die Märzhasen, in zehn Tagen ist es soweit, und dann aber.

Ich werde berichten, versteht sich. Und die alte Bauernregel „Märzenblüte hat keine Güte“, die haben wir selbstverständlich nie gehört. Wir kennen gar keine Bauernregeln.

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Der Mensch ist ein geselliges Wesen mit Rädern dran

Sonntag, Saisoneröffnung. Ich war das erste Mal im Garten und bin von da aus zu Fuß nach Hause gegangen. Etwa eine Stunde Weg ist das, eher noch etwas mehr. Im Garten die Schneeglöckchen und jetzt auch die Krokusse, einige wenige Blüten sind schon offen und leuchten in intensivem Lila. Die Fäden in den Blüten ein kräftiges Orange. In anderen Gärten sind es schon mehr Blümchen, da wimmelt es seit Tagen von Farbtupfern auf dem Rasen. Spaziergänger bleiben stehen und zeigen darauf, machen Fotos. Es gibt bei uns im Garten einen Mangel an geschützten sonnigen Stellen, wir haben einen Windgarten, eine Sturmeinfallschneise, da fehlen immer ein, zwei Grad. Das macht tatsächlich etwas aus und ist nur bei Hitzewellen nett, dann allerdings sehr. Dennoch sehen wir auch bei uns überall das frühe Austreiben, die grünen Spitzen in jedem Beet, wie energisch das alles emporbricht, durch das welke Laub, durch die toten Staudenstängel, das wird alles beiseitegeschoben von der nächsten Saison, demnächst in diesem Theater.

An der Kornelkirsche die Knospen, sie sind so kurz davor, so dermaßen kurz davor sind sie, man möchte daneben stehenbleiben und zusehen, es muss doch gleich so weit sein, denkt man, in der nächsten Stunde vielleicht schon, wenn nicht sogar jetzt. Am Flieder sind auch schon die prallen, dicken Knospen und guck mal, an der Blutjohannisbeere auch und an diesem Busch da, was für einer war das denn noch und wann haben wir den gepflanzt. Am Ende wird, wir kennen das schon, das Stachelbeerenquartett, dem man heute noch gar nichts ansieht, wieder über Nacht alle überholen, als sei das die leichteste Übung. So geht es manchmal zu mit den Unscheinbaren, den Kleinen, den Introvertierten, den Stacheligen. Ich mag Stachelbeeren sehr, ein unterschätztes Obst.

Ich stehe vor den Knospen und freue mich, obwohl sie vermutlich zu früh sind, der Klimawandel, die Klimakatastrophe, alles verschiebt sich, das ist nicht gut, das weiß man. Der phänologische Kalender ist längst verrutscht, und wie der verrutscht ist, um vier Wochen mittlerweile im Schnitt oder so, ich müsste es noch einmal nachlesen. Der Herbst wird länger, der Winter wird kürzer, der Frühling kommt früher, der Früherling, wir müssen ihn umtaufen. Noch aber sind wir im Vorfrühling (Schneeglöckchen), dann kommt der Erstfrühling (Forsythie), dann der Vollfrühling (Flieder und Apfel). Februar jedenfalls, die Älteren erinnern sich – eigentlich ist das kein Frühlingsmonat.

In Hamburg gab es in diesem Winter bisher keinen einzigen Wintertag, der den Namen verdient gehabt hätte. Es gab nur ein durchgehendes Grau von November bis jetzt, das erklärt auch bei manchen die Stimmung. Nein, kein einziger schöner Wintertag war dabei, kein Raureifzauber, keine Schneepracht, keine Ruhe der Eislandschaft, null, nada. In den letzten Wochen fiel dafür so viel Regen, dass einige Parzellen in der Kolonie komplett abgesoffen sind und das Holz der Zäune, Lauben und Hochbeete wegrottet und verpilzt, wo man nur hinsieht. Das ist dann jetzt der Winter in der norddeutschen Großstadt, eine geschlossen graue Wolkendecke von Herbst bis April und jeden Tag eine Sturmflutwarnung, eine Orkanwarnung oder eine Starkregenwarnung, man sieht schon nicht mehr hin. Am Donnerstag der nächste Sturm, der ist schon eingebucht. Es kommt auch nicht mehr darauf an, was nicht fest ist, das wurde längst fortgeweht.

Im Umland sah es zwischendurch etwas besser aus, ich bekam es gelegentlich auf Instagram mit, manchmal so weiße Bilder, Winterpostkarten, ganz hübsch und immerhin. Das war gar nicht weit von hier, 15 Minuten mit dem Auto. Aber bis in die Stadt reichte es nie.

Egal. Heute die Sonne, heute raus, eine Stimmung wie beim Osterspaziergang, auch mal wieder Goethe lesen, nein, deklamieren. Die Menschen treten aus den Häusern und eilen in die Parks und auf die Grünflächen, man zeigt auf Krokusse, man macht nach alter Regel alberne Krokuspluralwitze, hält sein Gesicht in die Sonne, sagt „Ah!“ und bastelt am Vitamin D. Die nächste Tablette vielleicht doch mal weglassen.

Ich gehe durch einen langgezogenen Park, überall tummeln sich Familien mit Kindern. Und die Kinder haben, es wirkt fast schon herbeiinszeniert, alle irgendwas mit Rollen dran dabei, die fahren Inliner, Skateboard, Roller, Dreirad, Hoverboard und wer weiß was noch alles, wie heißen denn diese Dinger überhaupt, die nur ein Rad haben? Ich weiß es gar nicht, ich bin vermutlich zu alt dafür. Große Kinder, kleine Kinder, alle fahren irgendwas, sogar ganz kleine Kinder, die noch bunte Schneeanzüge tragen, da stürzen sie weich. Eltern dabei, drum herum und hinterher, die fahren in vielen Fällen auch was, diese Eltern, denn der Mensch ist ein geselliges Wesen mit Rädern dran, zumindest sieht es hier eindeutig so aus. Hingefallene Kinder, tröstende Eltern, hingefallene Eltern, lachende Kinder, es ist alles dabei und ich gehe altmodisch und stockkonservativ dadurch, einfach so, zu Fuß. „Wer ein richtiger Konservativer ist, der ist es auch in kleinen Dingen.“ (Fontane, aus Irrungen, Wirrungen.)

Zwei kleine Mädchen rollen mir auf rosafarbenen Rollern mit Glitzer in den Weg. „Lasst mich durch“, sage ich, „Ich bin Brauchtumsblogger, ich muss das alles aufschreiben.“ Da gucken sie aber.

Ich komme zu Hause an und denke überrascht, das hat gar nicht gereicht. Ich gehe noch weiter und weiter, ich gehe durch die halbe Stadt und ich müsste lange nachdenken, wann das zuletzt passiert ist, dass ich einmal ein Gefühl von Energie hatte, es fühlt sich ausgesprochen seltsam an.

Der Frühling ist zu früh, aber immer ist er recht, da kann man nichts machen. Wir sind nun einmal so.

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Einfach zahlen und gehen

Ich mache Ihnen Musik an, Moment – Declan O‘Rourke.

Der Song hat allerdings mit dem Text nichts zu tun, der ist mir nur so zugelaufen.

Eine furchtbar langweilige Woche war das, jahreszeitlich bedingt, pandemiebedingt, seelisch bedingt, was auch immer. Langeweile kenne ich eigentlich gar nicht, das passiert mir selten, man kann ja immer über irgendwas schreiben und schon ist man wundersam beschäftigt, also als Autor jedenfalls. Aber manchmal erwischt es auch mich. Die Gedanken waren allzu schwarz, um sie für die Öffentlichkeit zu notieren. Das Wetter war zu nassgrau, um es schon wieder zu beschreiben. Der Februar war und ist noch zu lang, um sein Ende launig herbeizutexten. Da draußen war alles zu sehr wie immer, um noch Geschichten darin zu entdecken. Neu waren nur die Valentinstagherzen in den Schaufenstern und die Pralinenschachteln mit den Liebesbotschaften in schnörkeliger Schreibschrift beim Discounter, aber wie abgeschmackt ist das denn. Die Preise für Blumen steigen, so stand es schon wieder in den Nachrichten, die auch nur aus Wiederholungen bestanden. Die Preise für alles steigen, dachte ich an der Discounterkasse, aber auch dieses Problem: Längst ist es zu bekannt, zu abgelutscht, zu öde, zu mitgeteilt. Einfach zahlen und gehen, was soll man machen.

Die Arbeit und der Alltag waren zu gleichförmig, das war mir nicht recht, aber aufregend hätten sie natürlich auch nicht sein dürfen. Nein, es war nicht möglich, mir in dieser Woche zu Gefallen zu sein, ich sah es ein und nahm nicht übel. Oder wenigstens nicht sehr. Oder zumindest nicht mehr als sonst.

Das Lernen mit den Söhnen war zu nervtötend, ich bekomme mittlerweile Brechreiz bei Grammatikfragen. Ich kriege unsinnige Hasswallungen bei Heideggerzitaten auf Philosophiearbeitsblättern, wer tut denn bitte Achtklässlern Heidegger an, geht’s noch, wie sollen sie das Fach jemals mögen. Ich sah Seneca-Sätze als Nebenbei-Memento Mori, es war alles nicht gerade belebend oder erbaulich. Ich übte das Past Progressive und das Simple Past, ich sagte Regeln und Beispiele auf, we were learning English when sudddenly …

Ich sagte zum Sohn: „Du hörst gar nicht zu“, der Sohn sagte überrascht: „Sprichst du mit mir?“

Nein. Ich stehe im Kinderzimmer und sage Sätze aus der englischen Grammatik einfach so für mich auf, warum auch nicht. Des Wahnsinns fette Beute.

Ich schicke die Söhne jeden Morgen zur Infektionslotterie, ich mache jeden Morgen das Home-Office an, das ist gerade so die Gegenwart, und das ist irgendwie auch alles, jedenfalls in dieser Stimmung.

Kennen Sie Wakefield, die Geschichte von Hawthorne? Eine interessante Sache, weil den Herrn Hawthorne bei diesem Text plötzlich die Moderne überkommen hat wie andere der Heilige Geist, die Idee passt nicht recht zu seinem sonstigen Werk und auch nicht in die Zeit, sie scheint da nicht hinzugehören. Wenn Sie der Geschichte habhaft werden können – sie lohnt sich. Ein Mann verlässt darin ohne erklärten oder erkennbaren Grund sein Leben, seine Frau, seine Wohnung, nimmt sich eine Ecke weiter ein Zimmer und beobachtet dann zwanzig Jahre lang heimlich von da aus die Reste seines alten Lebens, also das Altern der Frau, wie sich die Gegend verändert etc. Nach zwanzig Jahren kehrt er zurück und lebt – wiederum ohne Erklärung – als liebender Gatte weiter, wie es im Text heißt.

Es gibt einen zentralen Satz in der Story, er wird auch in der Wikipedia zitiert: „Amid the seeming confusion of our mysterious world, individuals are so nicely adjusted to a system, and systems to one another, and to a whole, that, by stepping aside for a moment, a man exposes himself to a fearful risk of losing his place forever. Like Wakefield, he may become, as it were, the Outcast of the Universe.“

In dieser Woche hätte ich meinen Platz auch gerne verlassen, das wollte ich nur eben sagen. Mir hätten allerdings zwei oder sagen wir meinetwegen zwanzig Stunden gereicht, zwanzig Jahre finde ich doch stark übertrieben. Alles mit Maß und Ziel, wie mein Vater sagte, ich werde das noch öfter zitieren, glaube ich.

Ich mache das Radio an, das Radio sagt „Brauchtumszone“. Ich mache das Radio aus und ich frage mich, wie schlimm alles noch werden wird. Brauchtumszone, Brauchtumszone, ich komme über das Wort gar nicht weg, über den Inhalt schon gar nicht. Brauchtumszone, wie furchtbar klingt das denn, wo sind wir denn gelandet.

Der Raum, den ich bewohne

Ist eine Brauchtumszone

Wo immer ich auch wohn‘

Da nenn ich‘s Tradition.

In Schrebergärten, wussten Sie das, gibt es auch so einen Brauchtumsunfug. Feuer in den Gärten sind verboten – aber wenn Sie zwei Akkorde auf der Gitarre können und neben dem Feuer klampfend etwas von wilden Schwänen oder ziehenden Gänsen grölen, dann ist es Brauchtum, dann darf man das. Zum Schluss die Gitarre verbrennen, dann ist es Rock‘n Roll.

Ich gehe einkaufen, im Supermarkt gibt es jetzt etwas Neues. Einen kleinen Verschlag gibt es da, in dem mutmaßlich japanischstämmige Menschen den ganzen Tag Lachs zerschnippeln und zu sehr frischem Sushi verarbeiten. In Japan kauft und isst man es wohl so, das ist also ein Brauchtumsbüdchen, denke ich, das wird jetzt überall so eingerichtet. Zönchen und Büdchen, und da dann machen, was man immer schon gemacht hat. Na, meinetwegen.

Ich gucke mir das an, ich schreibe das auf, ich bin ein Brauchtumsblogger. Ich bestelle mir neue Visitenkarten. Immer auf der Höhe der Zeit bleiben.

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Links am Morgen

Bei der Geschichte der Gegenwart geht es um Impfungen und gesellschaftliche Entwicklungen:

Rohe Bürgerlichkeit ist der Antipode zu demokratischer Empathie, der manifeste Ausdruck roher gesellschaftlicher Verhältnisse und Ausdruck der Bereitschaft, das soziale Band mit den anderen zu kappen.

Rohe Bürgerlichkeit, das ist gut ausgedrückt, diesen Begriff vielleicht mal merken. Ich habe gerade noch einmal Michael Kohlhaas vom Kleist gelesen, bzw. mir vorlesen lassen (Reclam Hörbuch, rund vier Stunden), da kann man sich auch ganz zwanglos eine Linie durch die Jahrhunderte zu den Querdenkern von heute ausmalen. Dieser erstaunlich kurze Weg vom Rechthaben zum Plündern und Brandschatzen, zu rohen Verhältnissen, vom Zustand der zumindest gefühlten Rechtschaffenheit zu „Ich bin der Richter“, das ist gut und dort schon im Grunde ein für alle Mal geschildert. Auch diese eine Stelle, die mir früher sicher nie aufgefallen ist, in der Michael Kohlhaas seinen Kontrahenten ohne inhaltlich greifbaren Anlass auf einmal „Feind aller Christen“ nennt und „alle guten Christen“ zum Kampf gegen ihn aufruft, also schnell und radikal Begriffe verwirbelt und Bedeutungen verschiebt, Rechtfertigungen eskaliert, um sich weiter und auf immer höherer Ebene zu legitimieren … doch, das Buch ist dummerweise auch wieder interessant geworden.

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Diese Rezension klingt vielversprechend. Das also mal vormerken.

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Gesehen und gemocht: Diese Doku über Agatha Christie.

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Margarete Stokowski ist wütend. Aber wer ist es nicht.

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Ich denke, dass Demokratie eine unumgängliche Zukunft für jedes Land ist, das überleben möchte.Ein schöner und edler Satz, ich meine das ohne jede Ironie, aus einem Interview in der taz mit einer russischen Menschenrechtlerin, bei der es schon heldenhaft ist, dass es sie überhaupt noch gibt. Ich finde ihren Einsatz ausdrücklich bewundernswert. Und ich mag den zitierten Satz sehr, ich bin aber zu pessimistisch, um ihn zu teilen. Nein, ich glaube das nicht, und ich müsste Anlass zu Optimismus erst wieder entdecken. Die letzten sieben Jahre waren da nicht hilfreich.

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Es gab Thai-Hühnersuppe, etwa wie hier, nur mit Gemüse, das irritierenderweise im Rezept fehlt. So ja nun nicht! Brokkoli, Frühlingszwiebeln und Karotten lagen herum – jetzt nicht mehr. That was easy. Die Herzdame möchte das öfter haben, was vermutlich auf eine latente Koriandersucht zurückzuführen ist, denn sie behauptet bei jedem Essen, an dem drei Blättchen Koriander sind, es sei sehr, sehr gut. Na, meinetwegen. Apropos Kochen, bei der Kaltmamsell kann man etwas über Techniken der Avocadoentkernung lernen. Wird demnächst nachgespielt.

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Links am Abend

Ich habe für das Goethe-Institut wieder etwas zur Lage geschrieben – hier entlang bitte, Erinnerungen an Menschenmengen und Sessel in Cafés.

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Jochen schreibt über Bibliotheken damals, über Bibliotheken damals schreibt Jochen (das klärt sich dann schon auf, warum das da so seltsam steht). Ich erinnerte mich beim Lesen an eine kurze Phase, in der ich in der Hamburger Zentralbibliothek, damals noch an anderem Standort in der Innenstadt, im Auskunftsdienst Praktikum gemacht habe. Damals, als ich das Bibliothekswesen studiert und nebenbei gejobbt habe, was sich aber in Wahrheit eher andersherum verhielt. Ich war darin gut, fand ich, in diesem Auskunftsdienst, schon weil es mich viel mehr interessierte als die anderen Studentinnen und Studenten, die andere Aspekte des Berufs wesentlich anziehender fanden und die Fragen der manchmal auch als lästig empfundenen Besucherinnen eher nicht. Ich aber war auf dieses Suchen und Finden geradezu scharf, das Wort passt schon. Es gab Momente, da kamen Kundinnen auf mich zu, stellten eine Frage und ich ahnte schon, noch während sie im ersten Halbsatz waren, dass ich da gleich helfen können würde, weil ich wusste, dass in dieser riesigen Bibliothek, in diesem einen Regal da im anderen Stockwerk, in der unteren Reihe, etwas stand, das dann auf etwas verweisen würde, in dem dann stand, wo man … ich fand das ungeheuer aufregend. Man muss sich das viel körperlicher als heute vorstellen, man lief über Treppen und durch Gänge von einer Fundstelle zur anderen, es war Bewegung darin, man telefonierte vielleicht auch, man sprach mit Leuten, man bückte sich an Regalen und blätterte und schob Bücher. Und ich denke heute noch manchmal, dass diese Stunden beruflich recht gute Momente waren. Ich bin dann später woanders abgebogen, was den Job betrifft, und richtig war das nicht, wie ich Jahrzehnte später erst ernüchtert festgestellt habe. Na, man macht Fehler und man muss sich auch verzeihen können.

(Der Autor beendet den Absatz, sieht mit gnadenlos kaltem Blick auf die geschriebenen Zeilen und murmelt etwas von „Gott verzeiht mir vielleicht, ich aber nicht …“)

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Die Monatsnotiz von Nicola zum Januar. Immer interessant, besonders für den Freundeskreis Podcast.

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Auch gemocht und ein wenig nicht unangenehmen Neid dabei verspürt: Ankes Video-Erzählung. Hier Teil II. Ich könnte mich auf das Filmen nicht einlassen, es würde mich mit großer Sicherheit mit Haut und Haaren auffressen. Es war mit der Fotografie schon knapp bei mir, es wäre auch mit dem mich fast noch mehr anziehenden Zeichnen ziemlich sicher so. Ich habe da ein Engagement-Problem der drolligen und etwas überkandidelten Art. Nein, vor der Rente geht das alles nicht, nur Schreiben, um Himmels willen nur schreiben. Und dann mal sehen. Später. Na, nur noch zehn Jahre.

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Gegessen, quasi als neue Rubrik, ich wollte ja mehr Rezepte festhalten und öfter auf Foodblogs verweisen. Wobei das Blog hinter dem folgenden Link übrigens gerade so oft vorkommt, weil ich etliche Rezepte daraus abgespeichert habe und Sachen gerne systematisch abarbeite: Kabeljau mit Senfsauce und Möhrenstampf. Wieder mochten es immerhin drei von vier im Haushalt, also: Stattgegeben. Und ich bin zwar kein Feinschmecker und werde auch in diesem Leben gewiss keiner mehr, aber mein Dijon-Senf war doch zu billig, das schmeckte man raus, möchte ich meinen. So eine kaum spürbare, aber mich doch deutlich irritierende metallische Note. Da mal bald mehr investieren! Obwohl es sonst keiner bemerkt hat, unter den noch größeren Banausen hier.

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