Der leise Stich der Entbehrlichkeit

Ich habe die Sturmhöhe beendet, das Buch bleibt natürlich im Regal. Man kann bei ruhelosen Streifzügen durch die Wohnung ab und zu ob der grauenvollen Handlung kopfschüttelnd davor stehen bleiben und sich denken: “Was es alles gibt!” Und solche Bücher sind eben auch gut und nützlich.

Eigentlich hätte ich Lust, mich auf Sekundärliteratur zum Buch zu stürzen, auf Biographien der Verfasserin etc., aber wo kommt man da hin. Nein, das wäre dem Projekt abträglich, es geht hier um das Wiederlesen, und das wird noch eine ganze Weile eisern durchgezogen.

Als nächstes lese ich – ohne jeden inhaltlichen Bezug zum Vorgängerbuch – Graham Greenes Dritten Mann in der neuen Übersetzung von Nikolaus Stingl, auch das ist wieder eine feine Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, schön illustriert von Annika Siems.

Das Buch habe ich zum ersten Mal, vermutlich in einer stark gekürzten Version, im Englischunterricht auf dem Gymnasium gelesen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, weiß aber immerhin, dass ich die Behandlung entschieden zu lang fand. Das ging mir allerdings bei jedem durchgenommenen Buch so, auch in Deutsch. Was etwas seltsam ist, denn einerseits fand ich es schon als Jugendlicher interessant, möglichst viel über ein Buch und die Autorin oder den Autor zu erfahren, andererseits wollte ich das aber nie von jemandem erzählt bekommen, sondern immer nur selber lesen. Fragen zu Büchern hasse ich bis heute. Wer hat darin wann was und warum gemacht und was bedeutet dieses Ding und jener Name? Ganz schlimm. Ich komme wirklich gerne selbst drauf, aber als Prüfungssituation war mir das immer unangenehm. Der dritte Mann also, wir haben damals im Unterricht übrigens nicht den Film gesehen, das fand ich auch falsch, das finde ich bis heute falsch. Ohne den Film hätte es die Erzählung immerhin nicht gegeben – und umgekehrt. Außerdem ist es ein sehr guter Film. 

Hier etwas mehr zum Buch und zur Übersetzung.

Und hier auch, dort wird ganz zu Recht dieser Satz zitiert: “Martins spürte den leisen Stich der Entbehrlichkeit, als er an der Bustür stand und zusah, wie der Schnee so dünn und sanft herabschwebte, dass die großen Verwehungen zwischen den zerstörten Gebäuden eine Anmutung von Dauerhaftigkeit besaßen, als wären sie nicht die Folge dieses mageren Geriesels, sondern lägen für alle Zeiten oberhalb der Linie ewigen Schnees.“

Schnee, ein natürlich wichtiger Hinweis für die Freunde der jahreszeitlich geschickt gewählten Lektüre. Später, viel später im Leben habe ich übrigens fast alles von Graham Greene gelesen, aber nicht noch einmal den Dritten Mann. Manchmal ist es ja seltsam.

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Währenddessen fielen andere Bücher gerade meinem Projekt zum Opfer, etwa die Werkausgabe von Lessing, die ich mit ziemlicher Sicherheit niemals lesen werde. Da könnte natürlich jemand wegen der literaturgeschichtlichen Wichtigkeit des Herrn protestieren, aber um die eben geht es gar nicht. Es geht darum, dass in meinem Regal das für mich Richtige steht. Ebenfalls nicht genug interessieren mich die Selbstbiographie von Jacob Grimm, dito die Werkausgaben von Herwegh, Uhland und Gryphius. Den gesamten Schiller werde ich dagegen behalten, aber schwerlich en bloc lesen können, den Goethe und den Shakespeare auch nicht, die werde ich eher stückweise (ha!) in die Lektürereihe einbauen.

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Musik! Ich wünsche eine schöne und fine Woche. 

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Die Zeitlupe des Spätsommers in der Provinz

Wie es dem Arm geht, wurde in den Kommentaren gefragt. Vielen Dank für das Interesse, ich habe die Operation gerade abgesagt. Wie erwartet, wurden die Symptome sofort wieder schlimmer, manchmal ist diese Vorhersehbarkeit wirklich ein wenig nervtötend. In Kürze gibt es noch einen Therapieversuch – und dann weiß ich auch nicht. Neues Jahr, neues Glück – oder so.

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Aber apropos Arm. Das dämliche Gelenk hat mich im September und Oktober davon abgehalten, die Wandererzählung korrekt zu beenden, da fehlen immer noch drei Tage. Mittlerweile habe ich allerdings den Eindruck, es ist einigermaßen egal, ob ich nun stundenlang schreibe oder nicht, der Arm richtet sich mit den Schmerzen eher nach dem Wetter, dem Mond, den Dieselpreisen oder nach Gott weiß was, ich kann also auch einfach schreiben. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und nach alter Gewohnheit sind noch vor der Silvesternacht alle alte Themen abzuarbeiten, jeder hat eben so seine Marotten. Erst muss das Alte weg, dann geht es an die Fortsetzung, gerade gestern erst erkundigte sich der Sohn nach der Möglichkeit einer Winterwanderung, “aber ohne Zelt”, wie er sicherheitshalber hinzufügte. Es ist sogar noch Geld für Fahrkarten da, das haben Leserinnen uns bereits freundlich vorfinanziert. Das Projekt der Umrundung Schleswig-Holsteins bewegt sich also wieder etwas, aber zunächst erst einmal zum geordneten Abschluss der Sommerwanderung.

Dafür müssen wir zurück in die Hitze, das wird jetzt bei aktuell drei Grad in Hamburg etwas Fantasie erfordern, aber die haben Sie ja und ich bin immerhin stets bemüht. Sommer, Sonne, Strand also, Sie erinnern sich vielleicht, der Sohn hatte einen seligen Tag am Meer, das war bei Sierksdorf in der Lübecker Bucht an einem der heißesten Tage des Jahres und der letzte Eintrag zum Thema endete so:

“Der Sohn schwimmt, der Sohn steht am Meer, der Sohn sammelt Steine und setzt sich kurz neben mich. Der Sohn macht Strandjugenddinge, denke ich, es ist ganz schön, dass er das einmal so kennenlernen kann. Frierend aus der Ostsee kommen und in der prallen Sonne langsam wieder warmglühen. Auf dem Bauch im Sand liegen und in die Gegend sehen, sonst nichts. Am Meer stehen und Schiffe ansehen, wie sie von Travemünde aus nach Norden fahren. Und immer wieder auch ins Meer gehen, einmal, zehnmal, zwanzigmal an nur einem Vormittag. Er kommt zwischendurch zu mir und will wissen, ob es hier Feuerquallen gibt, die Frau aus dem Nachbarstrandkorb hört das und verneint: “Hier gibt es gar nichts. Also außer Tang.” Sie sagt es, als sei das eine gute Nachricht, dass es im Meer nichts gibt, nicht nur keine gemeingefährliche Feuerquallen, sondern auch keine Krebse oder andere Untiere, im Meer ist einfach nur Wasser.”

Hier war das.

Viel später am Tag werden wir im Zug sitzen und diskutieren, wie lange wir nun eigentlich in Sierksdorf am Strand gewesen sind. Dieser Tag ist jetzt mehrere Monate her, wir diskutieren das gelegentlich immer noch. Denn der Sohn, der in euphorischer Ferienekstase den vermutlich besten Strandtag seines Lebens hatte, er fand das da etwas kurz. Ich aber, der ich mehrere Stunden ohne Lektüre und mit leerem Handyakku in einem Strandkorb bei lächerlich hohen Temperaturen aushalten musste, ich fand das da eher etwas zu lang. Wenn ich also von diesem Tag spreche und darauf verweise, wie lange ich in Sierksdorf für ihn und sein Kinderglück durchgehalten habe, sagt er in einem Tonfall, der mir nicht recht gefällt: “Ist klar, Papa, richtig lange.” Mit diesen beiden Sichtweisen im Kopf und unter Berücksichtigung einiger Fakten wie etwa der späteren Zugabfahrzeit, waren wir nach bestem Wissen etwa sechs Stunden an diesem Strand. Wie auch immer das nun zu bewerten ist, ich jedenfalls war seit 1987 nicht mehr so lange in einem Strandkorb. Und da um mich herum Menschen in allen Stadien der Verbrennung lagen, kann das so empfehlenswert auch nicht sein. Aber da steigen wir also wieder ein in den Bericht:

Nach diesen sechs Stunden ist der Sohn endlich so oft im Meer gewesen, dass er keinen einzigen Zug mehr schwimmen kann. Die Sonnencreme geht langsam zur Neige, wir haben weder Getränke noch Essen dabei, und um etwas zu besorgen, müssten wir erst eine Bank finden, das Bargeld wird auch knapp, das ist alles etwas ungünstig. Der Gedanke, heute noch weiter zu wandern, er kommt uns beiden vollkommen grotesk vor, da sind wir uns einig. Also packe ich alles zusammen und wir gehen langsam zum Bahnhof. Wir gehen zum einen langsam, weil der Sohn sich nicht trennen kann und bei jedem Schritt überlegt, ob er nicht doch noch einmal schnell zum Meer rennt und reinspringt, wir gehen zum anderen langsam, weil ich wieder beide Rucksäcke trage, meinen heute aber viel schwerer als am Vortag finde und den Verdacht nicht loswerde, dass der Sohn heimlich mehrere ihm attraktiv vorkommende Steine beträchtlicher Größe hineingepackt hat.

Am Bahnhof steht ein Häuschen in fragwürdigem Zustand, in dem Toiletten und Fahrkartenautomaten sind, die zu meiner Überraschung sogar funktionieren. Unter einer Bank im Wartebereich finde ich eine Steckdose, ich krieche darunter und stöpsele das Handy ein, aber es passiert nichts, es gibt keinen Strom. Ich umrunde das Haus auch von außen, es ist aber keine weitere Steckdose zu finden. Man findet überhaupt sehr wenig Steckdosen in Schleswig-Holstein, wenn man einmal wirklich eine braucht, das ist wie mit dem Handynetz. Auf dem Bahnsteig warten zwei, drei Familien auf einen Zug, man sieht auf den ersten Blick, dass sie da schon zu lange stehen oder eher lagern. Eingedöste Kinder, fortgeschrittenes Wartekoma in brutal heißer Spätnachmittagsluft. Eine Mutter gräbt leise fluchend in mehreren Gepäckstücken nach Wasserflaschen, findet endlich eine und hält sie hoch, es ist nur noch ein Tropfen darin. Sie sieht sich um.

Neben dem Bahnsteig steht eine Baracke, vor der sitzt ein Mann in Uniform auf einem runtergerockten Drehstuhl. Er hat beide Beine lang ausgestreckt und die Dienstmütze der Deutsche Bahn so western-like in die Stirn geschoben, Detlev Buck hätte es auch nicht schöner inszenieren können, wie der da sitzt, unbeweglich und mit starrem Blick in der grillheißen Sonne, spiel mir das Lied vom Zug. Die Mutter geht zu dem Mann zu und fragt: “Bitte, haben Sie hier Wasser?” Der Mann schiebt die Mütze mit einem Finger höher und guckt, es ist herrlich, wie langsam er das tut, die Zeitlupe des Spätsommers in der Provinz, genau so stellt man sich das vor. Aber er sitzt da beruflich, er möchte nicht gestört werden. Er sitzt sehr gründlich und im Dienst, das müsste man eigentlich erkennen. Jeder müsste das erkennen, nur die Touristen wieder nicht. Er sieht die Frau an und sagt dann: “Jo.”

Die Frau hebt ihre leere Flasche, nach wie vor läuft alles wie in einem Drehbuch ab. Der Mann sieht die Frau an, die Frau sieht den Mann an. Aus dem benachbarten Freizeitpark hört man kreischende Kinder auf der Achterbahn. Langsam lässt die Frau die Flasche wieder sinken, denn das müsste der Typ ja allmählich verstanden haben, was sie will, jeder hätte das jetzt verstanden. Der Mann atmet tief ein, legt den Kopf zurück und sagt: “Aber es ist kein Trinkwasser.” Dann schiebt er die Mütze wieder über die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust.

Eine Viertelstunde später steht er ächzend auf und stellt sich an die Bahnsteigkante, ein Zug fährt durch. Ein Zug, der nur in Städten einer respektablen Größe hält. Er fährt enorm schnell durch und der Mann steht wirklich dicht am Zug, der Fahrtwind reißt und zerrt an seinem Hemd. Der Mann guckt stoisch auf die Wartenden, bei denen die Eltern jetzt unwillkürlich die Kinder festhalten, als der Zug auf einmal so dicht an ihnen rasend vorbeilärmt. Der Mann aber steht da und passt auf, das ist sein Job. Nur er darf da so stehen und immerhin weiß er: Die Kinder im Freizeitpark kreischen auf der Achterbahn wegen der vermeintlichen Gefahr, aber das, was er da macht – das ist echt. Und dann setzt er sich langsam wieder hin, auf seinen uralten Bürostuhl.

Der Sohn und ich fahren nach einer schier ewigen Wartezeit an diesem Bahnsteig mit dem Zug zurück nach Hamburg, nur um gleich am nächsten Morgen wieder aufzubrechen. Denn sofort nach dem Aufwachen ist ihm klar, dass er immer noch nicht ganz strandsatt ist. “Wir könnten Brötchen kaufen und im Zug frühstücken”, sage ich. “So machen wir das”, sagt der Sohn. Und so haben wir es dann auch wirklich gemacht.

Fortsetzung hier.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Eine faire Wendung

Noch etwas zur Dürre.

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Auf eine subtile Art war es ein bemerkenswerter Tag, es gab ein zwar nur ganz kleines Bemerknis, das aber doch so unwichtig nicht ist, wenn ich länger darüber nachdenke. Denn nachdem ich jahrelang Sätze und Sprüche der Söhne auf Twitter, Facebook oder hier im Blog gepostet habe – in den letzten Jahren übrigens nur noch mit ihrer Erlaubnis -, hat heute Sohn I zum ersten Mal einen Satz von mir in seinen Kreisen und Medien geteilt. Ich werde den Satz hier nicht zitieren, den hat er immerhin redlich erbeutet, über den verfügt er jetzt alleine. Aber diesen Satz von mir fand er also witzig, den fand er richtig gut, über den sollen jetzt auch andere lachen.

So dreht die Geschichte der Buddenbohmscherze in eine nur faire Wendung und ich werde mein Bestes tun, als komischer Vater vom Dienst die Schulden nach und nach zu begleichen.

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Weiter in der Sturmhöhe gelesen. Cathys Tochter Cathy (es ist kompliziert) verliebt sich in Heathcliffs Sohn, der allerdings nicht Heathcliff, sondern Linton heißt, im Hintergrund gedeiht ein außerordentlich bösartiger Racheplan. Soap Opera nichts dagegen. Man muss zwischendurch auch einmal bewundern, auf welches Handlungskonstrukt die junge Dame da gekommen ist, denn das ist eine höchst ungewöhnliche, widerborstige Romanentwicklung voller unsympathischer Personen mit schweren Defekten, das lag doch nicht gerade im Trend der Zeit, wenn ich es korrekt erinnere. Mir fällt auch nach längerem Nachdenken keine andere Romanfigur ein, die so dermaßen niederträchtig handelt wie Heathcliff, dagegen werden ja sogar die Schurken bei Dickens mit ausgeprägt menschlichen Zügen gezeichnet.

Es ist übrigens erstaunlich wenig Landschaft in dem Buch, das habe ich ganz anders erinnert. Natürlich, ab und zu wird die Heide erwähnt und es windet, irgendwo gluckst ein Moor – aber viel mehr findet man nicht, ich finde es glatt ein wenig enttäuschend. 

Die Übersetzung macht mir im letzten Drittel immer mehr zu schaffen, jetzt werden noch andere Dialekte hineingemischt, Dorfbewohner klingen auf einmal wie Hessen, vielleicht soll es auch etwas anderes sein, pardon, ich bin gar nicht so gut in Dialekten südlich des Ruhrgebiets, aber ich merke jedenfalls, dass ich deutsche Dialekte nicht gut in einen ausländischen Kontext hinein denken kann. An Dialektwörtern hängt mir zu viel Heimatkontext, die Begriffe reißen die Figuren förmlich aus Yorkshire heraus. Also nach meiner Empfindung jedenfalls, das werden andere anders sehen und fühlen. Einige Kraftausdrücke sind mir außerdem entschieden zu modern, das wiederum reißt mich aus dem richtigen Jahrhundert, und ich müsste jetzt, um das alles recht zu verstehen, ältere Übersetzungen und natürlich auch das Original ansehen, aber wer hat Zeit für so etwas? Dann verstehe ich es eben nicht, das macht ja nichts. Interessant ist die Übersetzung dennoch.

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Musik!

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Gerade Gemütlichkeit gehabt

Frau Novemberregen schreibt über Gemütlichkeit, das sieht bei mir ganz ähnlich aus. Tendenziell macht mich der Begriff nervös oder aber komatös müde, je nach Tageszeit, und bei der bloßen Erwähnung von so etwas wie Wellness kriege ich bekanntlich unkontrollierbares Muskelzucken. Aber gestern! Gestern kam ich so bleiern und gedankenleer von der Arbeit, dass hier nicht einmal ein Text erschienen ist, in meinem Hirn waren nur leises Rauschen und blassgraues Flackern, diese Art von Erschöpfung, Sie kennen das. Wie früher auf dem Bildschirm, wenn man nur einen kleinen Schwarzweißfernseher und leider keinen Empfang hatte. Es war am Tag gar nichts besonderes los, ein regulärer Mittwoch, das war nur ein kleines Leistungstief, was im November ja nicht ganz unüblich ist. Und Saisonales finden wir doch super, das wollen wir alles haben, was jetzt gerade auf dem Markt angeboten wird, wir wollen die Kürbisse und das Grau und den Regen und die Abgeschlagenheit und das Frieren und die kuscheligen Decken und die frühen Lebkuchen und überhaupt, den ganzen November eben, das volle Programm, auch ruhig in XXL. So weit, so korrekt, ich saß also unschlüssig in der frühen Dämmerung auf dem Sofa herum und wartete, dass endlich ein Kind nach Hause kam, denn wenn man Nachwuchs hat, dann kann man zu heimkommenden Kindern sagen: “Mach doch bitte mal Licht an” und muss sich dafür nicht selbst bewegen, das ist manchmal ganz schön und spart anstrengende drei Meter Weg.

Licht nützte aber auch nichts mehr, weswegen ich noch früher als bei mir ohnehin üblich ins Bett ging, bzw. eher hinein fiel. Die Herzdame ging noch aus und besuchte ein wildes Konzert. Allein die Vorstellung, auf ein wildes Konzert zu müssen, sie ließ mich noch tiefer und schwerer in die Kissen sinken. Zu meiner Überraschung fanden aber auch die Söhne die Idee gut, einmal einfach auf dem Bett herumzuliegen, weswegen sie sich solidarisch zu mir gesellten und auch lasen. So lagen wir da ganze zwei Stunden lang und es wurde nicht gesprochen, nur umgeblättert. Es gab keine Action und keine Diskussionen und kein Lernen und kein Tippen und auch keine Spiele auf dem Handy, es gab quasi gar nichts, nur drei Bücher und drei Buddenbohms und das war also – so etwas muss unbedingt festgehalten werden – der lange Winterabend 2018, das war die Sache mit der Gemütlichkeit. Haben wir das also jetzt, die Kandidaten erreichen die volle Punktzahl, bitte sehr, wir sind durch.

Dann können wir ja ab heute wieder wild und gefährlich leben und spätabends noch, was weiß ich, hemmungslos herumbloggen oder so.

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Musik!

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Sinn und Titel

Der Unfug mit dem Hamburger Kältebus, den alle gerade teilen – hier die Richtigstellung. Alle Jahre wieder.

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Ordnung im deutschen Wald! Die Überschrift bitte im Tonfall der historischen deutschen Wochenschau lesen, das macht mehr Spaß.

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Thomas Fischer hier im oberen Teil über einen FAZ-Artikel, sehr gelacht.

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Sohn II: “Mein Kumpel ist jetzt Kapitän der Mannschaft.”

Ich: “Ach? Und was bist du dann?”

Sohn II: “Ich bin dann der Admiral.”

Es ist eben immer gut, sich mit Titeln auszukennen.

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Auf der Sturmhöhe gab es bei der gestrigen Lektüre die letzte Umarmung (“sie verkrallten sich ineinander”) von Cathy und Heathcliff, ab jetzt kommt sie nur noch körperlos vor. Aber diese letzte Szene – ohne Zweifel grandios.

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Die Arbeit schwillt an, das ist in meinem Metier zum Jahresende nicht ganz unüblich, es fällt in diesem Jahr aber noch etwas üppiger als sonst aus. Falls es Ihnen ähnlich geht und falls Sie einen dieser Musikstreamingdienste nutzen – gucken Sie doch mal nach Dan Reeder und dem Work Song, dessen einzige Textzeile lautet: “I got all the fuckin‘ work I need.” Geht gut in Dauerschleife, ein sehr eingängiges Stück, man kann hervorragend dabei arbeiten. Nicht umsonst verlangen in den Youtube-Kommentaren mehrere Menschen nach einer zehnstündigen Version des Stücks. Ich unterstütze das ausdrücklich.

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Ich habe außerdem weiter im Kahneman (“Schnelles Denken, langsames Denken”) gelesen, es geht bei ihm weiterhin um all die Entscheidungen, die wir, also wirklich wir alle, zu schnell, ohne fundiertes Urteil, aufgrund zweifelhafter Heuristiken treffen. Das bringt mich unweigerlich in Versuchung, über Entscheidungen an sich nachzudenken, auch über meine, auch über größere, man kommt durch eine solche Lektüre ja verdammt leicht auf philosophische Gleise und ist ruckzuck bei der schier monströsen Frage nach dem gelingenden Leben – und kommt von da dann ganz zwanglos zur Suche nach dem quecksilbrigen Sinn, nach der kaum erkennbaren Leitlinie für nahezu alles. Anstrengend! Aber auch richtig, eh klar. Jeden Tag entscheide ich immerhin irgendwas so vor mich hin, und sei es nur in der Negation (“Wieder nicht alles hingeworfen und durchgebrannt”), jeden Tag erhalte ich durch diese oder jene Multiple-Choice-Box mein Modell eines vielleicht doch eher achtlos skizzierten Lebensentwurfs aufrecht, selbstverständlich ist das des Nachdenkens wert.

Jetzt gerade etwa, wenn ich nur mal genau diesen Moment nehme, was ich jetzt sofort alles machen könnte! Eine schier unvorstellbare Vielzahl von Optionen, unendliche Weiten. Und was mache ich? Ich schreibe noch eine Zeile.

Ist das richtig?

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Egal. Musik!

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Eine Zettelspur durch die Jahre

Im Gespräch mit Lehrern habe ich gerade wieder gehört, dass es nicht alle Kinder einer Klasse schaffen, über eine volle Schulstunde aufmerksam zu sein und engagiert mitzuarbeiten (“Ach was?!”), wobei man natürlich wissen muss, dass Schulstunden heute oft 60 oder 90 Minuten lang sind. Das ist ein klein wenig lustig, denn wenn ich mich in meinem Umfeld so umsehe, es gibt ja kaum noch Erwachsene, die irgendwas länger als 30 Minuten am Stück durchhalten. Und ganze 90 Minuten konzentriert durcharbeiten? Überlegen Sie mal an Ihrem eigenen Beispiel oder sehen Sie mal eine Weile Ihre Kolleginnen an. 90 Minuten sind wirklich verdammt lang, 60 auch schon. Zumindest heutzutage. Früher waren sie kürzer, eh klar. Aber früher konnten wir uns ja auch alle tagelang konzentrieren wie die Zen-Mönche, das war ganz normal, fragen Sie ruhig einen beliebigen Nostalgiker Ihres Vertrauens

*krückstockgefuchtel* 

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Im Nachhinein fällt mir auf, dass auf dem Hamburger Barcamp Themen der nachhaltigen Wirtschaft, der Umwelt etc. nicht oder kaum vorkamen. Kein Plastik, keine Verkehrswende, kein Klimawandel, nix. Das ist kein Vorwurf, ich hätte das ja auch anbieten können, ich stelle das einfach nur fest und wundere mich. Sind diese Themen denn nicht einigermaßen dran? Nein?

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Ich habe die Sturmhöhe weitergelesen. Cathy gerät gerade in wahnhafte Zustände, liegt fiebernd im Bett und zerbeißt (sic!) ihr Kopfkissen, rupft dann die Daunen heraus, sortiert diese nach Länge und Format und bestimmt die Vögel, von denen sie stammen, Gans, Taube, Moorhuhn, Kiebitz. Eine beeindruckende Szene, man fühlt sich seelisch gleich viel gesünder. Ich wäre allerdings auch in äußerst verzweifelten Lagen gar nicht fähig, Federn nach Vögeln zu sortieren, so als naturferner Städter, genau genommen weiß ich nicht einmal auf Anhieb, ob hier überhaupt irgendwo Federn drin sind und vermutlich würde ich also nur in synthetischen Flausch beißen, ein eher unschöner Gedanke. 

Heathcliff heiratet derweil die getäuschte Isabella und haust dann mit ihr in etwas, das eine gewisse Boulevardzeitung mit Sicherheit als “Horrorhaus” bezeichnen würde. Ein einziger und nicht einmal sehr auffälliger Halbsatz weist auf eine eventuell ansatzweise positive Entwicklung hin, die aber erst ganz am Ende des Buches eintreten wird, versteht sich. Es ist noch ein weiter Weg.

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Der Herr Fischer warf mir gestern noch eine schöne Ergänzung zum Wort “Genau” zu:

In Referaten geht man nicht mit einem „daraus folgt“ oder „und nun komme ich zum nächsten Aspekt“ zum nächsten Gliederungspunkt über, sondern dadurch, dass die Referenten auf das Konzeptpapier schauen und „genau!“ sagen. So, als ob man sich selbst Mut machen und ein Kontinuum herstellen müsste, weil man ahnt, dass der Aufbau des Referates lediglich additiv war.

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Und ansonsten habe ich gerade eine gottverdammte ganze Stunde damit zugebracht, Accounts und Passwörter und Usernamen zu entwirren, denn wenn man Kinder hat, legt man heutzutage ziemlich sicher irgendwann irgendwas online für sie an, was sie dann später aber selbst nutzen wollen, und dann muss man sich an die verfluchten Log-in-Daten und Namen und alles erinnern, welche Mailadresse man wo verwendet hat etc., und es wird schnell ungeheuer anstrengend. Das war jedenfalls die Stunde, in der ich heute schreiben wollte, pardon. Man kann nicht jeden Tag gewinnen.

Eine nicht ganz unbekannte Seite meldete mir eben nach dem xten Anmeldeversuch lapidar: “Es scheint Sie mehrfach zu geben.” Und da sitzt man dann und brüllt: “”JA VERDAMMT, GENAU DAS DENKE ICH AUCH OFT, IHR KNALLCHARGEN!”

Contenance. Liebe Eltern, wenn Sie je für den Nachwuchs Accounts anlegen – und Sie werden es tun! Oft auch recht spontan! – , notieren Sie sich bitte sofort alle Daten und notieren Sie sich dann wiederum akribisch, wo genau Sie das notiert haben und immer so weiter, bis Sie eine Zettelspur lückenlos durch die all Jahre zurückverfolgen können. Besser ist das.

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Musik!

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Genau

Ein Special über die Dürre in Deutschland.

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Wunschbloggen! Micha fragte in einem Kommentar zum letzten Artikel, wann ich denn ein Buch wegen der Handlung lesen würde. Das ist einfach – so gut wie nie. Handlungen interessieren mich eher weniger, was natürlich bedauerlich für die ist, die so wahnsinnig viel Mühe darauf verwenden, sich verwickelte Handlungen voller Überraschungen und Zeitblenden auszudenken, das sehe ich ein. Aber tatsächlich gebe ich mir nur geringe Mühe, einer Handlung zu folgen, und wenn sie zwanzig Personen und zig Schauplätze umfasst, bin ich ziemlich garantiert raus. Ich lese aber dennoch weiter, wenn das Buch gut geschrieben ist, denn mich interessieren Szenen und Schilderungen, ich gehöre also auch zu jenen vermutlich seltenen Freaks, die drei Seiten Landschaftsbeschreibung gut finden, ich lese die dann sogar zweimal, wenn sie gut sind, weil ich wissen möchte, warum genau diese Seiten gut sind. Haben Sie noch parat, wie etwa Fontane Häuser beschreibt? Die stehen nach vier Seiten komplett vor ihnen und Sie könnten die dann zeichnen, also wenn Sie zeichnen könnten jedenfalls – und das ist sauschwer, so zu schreiben. Bei Simenon setzt sich ein Mann in ein Zugabteil zu drei anderen Personen, und nach drei Seiten weiß man, wie die alle aussehen, wie die Stimmung ist, wie das Licht ist und was vor den Fenstern ist – ich kann mich damit endlos beschäftigen, wie so etwas geht, wie das Bild in die Sprache und von da in meinen Kopf kommt und warum das nicht allen Schreibenden gelingt, warum es im Grunde wenigen gelingt. Wobei das kein dominantes Qualitätskriterium ist, es gibt genug große Autorinnen und Autoren, die nicht bildhaft schreiben, die es gar nicht versuchen, es geht hier gerade nur um meinen Geschmack. Ich bin ein Bildermensch, bevor ich geschrieben habe, hat mich viel eher die Kunst interessiert, das wirkt immer noch nach. Ich gehe aber auch ins Theater und freue mich eventuell mehr über das Bühnenbild und über die Kostüme als über den Rest, doch, das kommt vor.

Ich habe vermutlich einen schlichten Intellekt und auch einen schlichten Geschmack, ich bemerke wahnsinnig geistreiche doppelte Ebenen und Anspielungen und Tricks eher nicht, weil ich nämlich so mit Gucken und Anstaunen beschäftigt bin, und das ist nicht fishing for compliments.

Ich interessiere mich bei Handlungen nur schier endlos für das Werden und Vergehen von Liebesbeziehungen, einer sagt einer, dass er sie liebt, die sagt ja oder nein oder weicht aus oder läuft weg. Dann sind sie zusammen und irgendwann nicht mehr, dann haben sie Liebeskummer und der geht vorbei oder nicht, das wird einfach nicht langweilig und ein nicht so kleiner Teil von mir denkt ganz ernsthaft bis heute: Darum geht es doch. Darum geht es doch? Das ist wie bei Sven Regener, der kann auch den fünfhundertsten Song noch damit beginnen, dass sie weg oder da ist. Es bleibt interessant, wie es diesmal ausfallen wird. Im Grunde könnte dieses Interesse natürlich auch mit Groschenromanen bedient werden, die sind aber leider nicht so gut geschrieben wie andere Werke der Weltliteratur und intellektuell dann doch sogar mir zu flach.

Romane wie die Sturmhöhe lese ich eigentlich ungern, weil er mir, lachen Sie ruhig, zu gewaltsam ist. Ich bin ein zimperliches Sensibelchen und lese ungern von psychischer und noch unwilliger von physischer Gewalt. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, darunter auch sehr gute Bücher, deren Lektüre ich bis heute bereue, weil mich die darin beschriebenen Szenen immer noch verfolgen, und zwar auf unschönste Weise, nehmen wir etwa die “Brücke über die Drina”. Die ist in diesem Sinne wirklich ganz fürchterlich, aber sie ist natürlich ein gutes Buch, keine Frage.

Gute Sprache macht vieles wett, in guter und sehr guter Sprache geht fast alles. Es gibt auch Sprachvarianten, in denen kann man mir jeden Quatsch erzählen; ich habe vermutlich in keinem einzigen Brenner-Roman von Wolf Haas verstanden, was da genau die Handlungslogik war, es war mir auch völlig egal – aber ich hätte auch gerne zwanzig Bände der Reihe gelesen, Sucht Hilfsausdruck.

Wenn ich durch eine Buchhandlung gehe, interessieren mich die meisten Bücher der Handlung nach zu urteilen nicht. Im Grunde verstehe ich nicht recht, warum alle das eigentlich Interessante, nämlich er liebt sie, sie liebt ihn nicht oder umgekehrt, so unfassbar umständlich in komplexe und kunstvolle Handlungen einbauen, in denen es um ganz andere Themen geht.

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“Schnelles Denken, langsames Denken” von Kahneman weitergelesen, da ging es gerade um die Sache mit Ball und Schläger, die kennen Sie vielleicht? Ein Ball und ein Schläger kosten zusammen 1,10, der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Was kostet der Ball? Die meisten sagen, er kostet zehn Cent, was auch keine Schande ist, man ist da in bester Gesellschaft, allerdings ist es falsch. Die richtige Antwort lautet fünf Cent und das ist nur einer der vielen Beweise, warum wir nicht die Hellsten sind.

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Auf dem Barcamp fiel mir wieder auf, was mir gerade überall auffällt, nämlich dass es unter Sprecherinnen und Sprechern gerade eine Genau-Invasion gibt, alle sagen immer genau, manche sogar, bevor sie etwas anderes sagen, so als völlig sinnfreie Einleitung, fast alle aber sagen es garantiert, wenn sie – im Falle einer Präsentation – eine Folie beendet haben. Genau. Wenn es einem erst einmal aufgefallen ist, wird es wirklich schrecklich. Genau. Achten Sie mal drauf.

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Hier haben die Söhne übrigens neuerdings Interesse am Kochen, entgegen aller bekannten Theorien und Ratgeber allerdings nur, wenn sie das Zeug hinterher nicht probieren müssen. Nicht immer verläuft also alles in der kindlichen Entwicklung lehrbuchgerecht, aber egal, es gibt Essen. Sehr gut zubereitetes Essen, denn sie geben sich Mühe, so ist es ja nicht. Sie geben sich sogar sehr viel Mühe. Gestern erst hat einer den anderen abends mit ziemlich robustem Mandat vom Herd weggeprügelt: “Hau ab! Du kochst nicht mit genug Liebe! Das kann doch so nicht schmecken!”

So etwas erleben Sie auch in keinem Sternerestaurant, das geht nur mit Kindern.

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Musik! Beachten Sie bitte am Ende bei 4:26, wie er sie ansieht. Ist das nicht schön?


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Der Mensch, der Depp

Ich bin mit der Sturmhöhe nicht weitergekommen, weil ich versehentlich in den Kahneman (“Schnelles Denken, langsames Denken”) hineingesehen habe, da wird gleich am Anfang eines meiner Lieblingsthemen gestreift, nämlich die Unfähigkeit des Menschen, statistisch auch nur halbwegs korrekt zu denken, bzw. unsere fantastische Fähigkeit, permanent falsch hochzurechnen, eine Fähigkeit, die für einen kleinen Lebensraum vermutlich ganz passend und ausreichend ist oder wenigstens war, damals in der Steppe, die aber eher absurd ist, wenn man in größeren Maßstäben denkt. Eine echte Sollbruchstelle der menschlichen Intelligenz, bei der es auch nichts nützt, sie zu kennen, wir denken dennoch weiterhin dauernd, dass wir etwas über Hamburg wissen, über das Ruhrgebiet, über Deutschland, über die Stimmung im Land, über Trends, über Europa und sogar über die Weltlage, wir reden vermeintlich wissend über Bevölkerungsgruppen und Typen. Einen Dreck wissen wir, man muss es sich immer wieder und wieder klar machen. Die virtuelle Wirklichkeit ist eine viel verlässlichere Wirklichkeit, eine berechenbare Wirklichkeit, als die wirkliche Wirklichkeit, die wir einfach nicht korrekt ohne Hilfsmittel und recht komplizierte Verfahren erfassen können. Im Grunde muss man immer, wenn man ohne statistischen Beleg irgendwas über Gruppen, Mehrheiten oder Trends denkt, im Geiste ergänzen: “Oder auch nicht.” Man kann natürlich auch einfach eine Straßenecke weitergehen und dann noch einmal hinsehen, das reicht oft schon.

Gestern sah ich irgendwo aus dem Augenwinkel, ich weiß schon wieder nicht mehr, wo das genau war, etwas über den Gegensatz “Künstliche Intelligenz” und ”Natürliche Dummheit”, das fand ich sehr schön. Ein herrliches Thema. Oder, wie Sascha Lobo neulich schrieb: Der Mensch ist ein Knalldackel, wobei er sich auf unsere intellektuelle Kapazitäten bezog. In der mir vorliegenden Übersetzung der Sturmhöhe findet sich das bezaubernde Wort Vollkoffer, das nehmen wir auch gerne. So, und damit haben wir uns für heute genug beleidigt, wir Bloggerinnen und Blogleserinnen von sehr geringem Verstand, leise brummend lesen wir heiter weiter, denn es nützt ja nichts, wir haben nur dieses eine Hirn.

Und damit es nicht in den Kommentaren untergeht, hier wenigstens etwas Wuthering Heights:

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Wir waren wieder den ganzen Tag auf dem Barcamp, wo wir in diesem Jahr eigentlich keine Session anbieten wollten, was Sohn I allerdings unmöglich fand: “Das geht doch nicht!” So kann man also auch dazu kommen, sich da als Vortragender zu beteiligen. Falls Sie bei Barcamps Beteiligungshemmung haben, denn das soll es ja geben: Sohn I ist elf Jahre alt und war bereits an vier Sessions beteiligt. Seid wie Sohn I!

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Ich habe heute auch eine Session über gewaltfreie Kommunikation gehört, wozu ich kurz anmerken möchte – nichts gegen diese Session heute! – dass mir das Schlagwort “Gewaltfreie Kommunikation” bisher verlässlich nur in Kontexten und Situationen begegnet ist, die mich sofort super aggressiv gemacht haben, wegen unübersehbaren Spuren von Selbstgerechtigkeit, Scheinheiligkeit und Schauspielerei. Wie gesagt, das hat mit der Session heute nichts zu tun. Und anekdotische Evidenz beweist rein gar nichts, schon klar, siehe oben.

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Musik!

 

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Entscheidungsprobleme

Das weiße Album.

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Ich war heute auf dem Barcamp Hamburg, dummerweise ging es gleich in zwei Sessions um Entscheidungsfindung, was mich wieder daran erinnerte, dass ich dieses Thema prinzipiell interessant finde und ich immer noch den Kahneman nicht gelesen habe. Ich habe mich eben, haha, noch nicht zum Lesen entschieden. Das ist das Schlimme und das Gute an Barcamps, man kommt auf Ideen.

Falls Sie noch nie auf einem Barcamp waren, was ich stets empfehlen würde, da ist am Anfang immer die Sessionplanung, irgendwelche Menschen schlagen also im Plenum vor, irgendwas mit oder vor anderen zu machen. Je nach Barcamptradition fällt das sehr bunt aus, technik, IT- und wirtschaftslastige Themen stellen zwar eindeutig die Mehrheit, aber daneben geht viel. Und mittlerweile kenne ich das schon, ich denke zunächst: Oh mein Gott, das sind alles Experten und Topchecker mit Spezialthemen, die können alle irgendwas, nur ich, ich kann gar nichts. Ich bin nur ein großes gelbes Etwas mit Federn, um noch einmal an den depressiven Bibo zu erinnern. Nach einer Weile werden dann aber ein paar Themen vorgeschlagen, bei denen ich denke: Ach guck, das hättest du auch anbieten können. Vielleicht sogar mit speziellerem Dreh, vielleicht sogar mit mehr Erfahrung. Und das mündet dann schließlich in: Toll, ich möchte bitte von fast allem was mitbekommen.

Das halte ich für einen gesunden Effekt, denn Vielfalt und Diversifizierung findet immerhin auch im eigenen Kopf statt. Also im besten Fall. Und mindestens am Rande bekommt man auf einem Barcamp immer auch andere Firmenkulturen mit, andere Arbeitsstile und Umgangsformen, was für das eigene Erleben und den eigenen Alltag manchmal recht ernüchternd sein kann. Es gibt eben immer Firmen oder sogar ganze Branchen, die in irgendwas weiter sind. Normal.

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Ich habe gestern Sohn I unterstützt, der sozusagen im Home-Office war. Schule fand nämlich wegen der allgemeinen Lernentwicklungsgespräche nicht statt, die Kinder haben dafür reichlich Aufgaben mitbekommen und sollten sie sie zu Hause zu erledigen. Wir haben hauptsächlich Mathe gemacht, da geht es bei ihnen gerade um Mittelwerte, also um das arithemtische Mittel und seine Freunde. Allerdings nennen sie den Median da nicht Medien, sondern Zentralwert, das ist zwar inhaltlich nachvollziehbar, aber für mich schwierig, denn bei Zentral kann man ja auch auf Zentralfriedhof kommen und das dann erst einmal auf Youtube nachschlagen – ich kann so nicht arbeiten. Und was ist mit dem Modus? Der kommt erst noch. Den habe ich jetzt versehentlich zu früh erklärt. Schlimm. 

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Die Verkäuferinnen im Bioladen bezeichnete der Sohn beim Einkaufen spontan als Biotessen, das werde ich jetzt also unweigerlich auch immer denken, wenn ich da reingehe. Eine Bezeichnung für männliches Personal wurde noch nicht gefunden, weil gerade keines zu sehen war, und in der theoretischen Erörterung schien uns etwa das Wort Biozisten nicht passend, das klingt nämlich irgendwie kraftvoller und mächtiger als Biotessen, das ist also inhaltlich unpassend. So aber habe ich als Kind das bei der Polizei nicht gesehen, die Welt dreht sich weiter.

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Ich lese übrigens eventuell eine andere Sturmhöhe als Sie, jedenfalls wenn Sie das Buch vor -zig Jahren gelesen haben, ich lese nämlich die etwas spezielle und noch recht neue Übersetzung von Wolfgang Schlüter, die es wirklich in sich hat. Die Kraftausdrücke darin sind auch solche, und zwar solche, die wir nicht leicht mit unserer eventuell romantischen Vorstellung des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen können. Da steht also nicht “Oh, du niederträchtiges Weib!”, da steht eher etwas wie “Du gottverfickte Schlampe”, jetzt nur sinngemäß und als brauchbares Beispiel angeführt. Was der Herr Schlüter so gemacht hat, um das Krasse und Brutale des Textes so hervorzuheben, wie es auch damals auf das geschockte Publikum gewirkt haben muss. Wobei man auch abgesehen von der Wortwahl alle paar Seiten wieder staunend feststellen muss, was für ein hundsgemeines Buch das ist, das alle seine Hauptfiguren derart perfide behandelt und in den seelischen Ruin treibt. Was für eine Handlung, was für eine Gemeinheit! Und was für ein großartiges Buch, das natürlich auch.

Dass ein süddeutscher oder zumindest teilweise österreichischer Dialekt in der Übersetzung verwendet wurde, das finde ich allerdings auch schwierig, denn ich habe das immer eher norddeutsch assoziiert, Yorkshire ist ja da oben. Aber bei Dialekten in Übersetzungen kann man eh nichts richtig machen, schon klar, irgendwer treibt da als Leserin oder Leser immer assoziativ quer. Immerhin spricht nur die allerunsympathischste Figur ganz aufdringlich so, dass es grob nach Bayern klingt, das kennt man auch aus den Nachrichtensendungen, das ist geradezu seltsam vertraut.

Heathcliff beschließt gerade, in bösester Absicht die falsche Frau zu heiraten, die richtige Frau gerät dabei und deswegen in psychisch auffällige Zustände, um es dezent zu formulieren, das Verhängnis nimmt seinen Lauf und gleich weiß ich mehr.

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Musik!

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Funk, Flickr, Facebook

Um der Jahrsendzeitbeschleunigung auch musikalisch gerecht zu werden und mit deutlich mehr Kawumm in den Tag zu starten, höre ich jetzt morgens eine auf Spotify gefundenene Playlist “Funk – Instrumental”. Die klingt nach US-amerikanischem Großstadtleben und passt nicht unbedingt zu Hamburg im Novembernebel, aber gerade das ist ein sehr schicker Effekt, die Bilder, die man sieht, werden ganz anders betont. Bei der S-Bahnfahrt durch Hammerbrooklyn, wie Menschen aus der Werbebranche dieses absurd hässliche Viertel gerne nennen, passen sie sogar kurz mal zur Musik, für immerhin ein paar hundert Meter. Eigentlich müsste ich beim Hören eine Sonnenbrille tragen und etwas mehr grooven – aber ich will nicht übertreiben.< 

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Sturmhöhe: Cathy hat den Falschen geheiratet und Heathcliff taucht überraschend wieder auf, die Falsche verliebt sich ihn. Nicht viel geschafft, zu müde, es ist noch sehr viel Buch übrig, um der zunehmenden seelischen Verelendung nahezu aller vorkommenden Figuren ordentlich Raum und Tiefe zu geben. Es war eine hervorragende Wahl, das im November zu lesen. Nächstens soll es hier tatsächlich kälter werden, kalt wie nachts in Yorkshire im Winter. Und in diesem Zusammenhang erinnere ich aus Gründen der Saison und der Tradition an den Novembereintrag aus dem Jahr 2012. Passt schon.

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Ich werde mich um meine Bilder auf Flickr kümmern müssen, Flickr, wissen Sie noch, dieses Bilderdings, bei dem vor Urzeiten einmal alle waren. Tausend Bilder darf man da “nur noch” gratis haben, ich habe nachgesehen, ob ich diese Grenze überhaupt erreiche – ich habe da über fünftausend Bilder. Guck an. Dann muss ich die bis Februar mal woanders hinsortieren und den Account endgültig löschen, der wird nicht mehr gebraucht, ich bin überhaupt nie auf Flickr. Da habe ich also schon wieder eine Beschäftigung für die legendären langen Winterabende. Und wenn ich so zurückdenke – die Zeit, in der wir damals Flickr intensiv genutzt haben, in der wir da sogar über Kommentare und Likes kommuniziert haben, sie ist wirklich verdammt lange her. Hier das erste Bild, das ich auf Flickr gepostet habe, es zeigt mich (rechts) mit selbstgebautem Schneemann. 2005! Da hatten wir noch keine Kinder und mussten Schneemänner selbst bauen, Es war eine harte Zeit.

Buddenbohm mit Schneemann

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Apropos Account löschen, ich habe eine Weile nichts auf Facebook gepostet, weil ich Facebook eher furchtbar finde, aber es gibt wohl ein paar mehr LeserInnen, die das Blog hier ausschließlich über die FB-Postings verfolgen und deswegen irritiert waren, dann mache ich das also doch weiterhin. Immer serviceorientiert bleiben!

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Musik!

 

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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