Der Himmel über Altona

Donnerstag, der 8.6. Ich habe nach der Arbeit für eine andere Arbeit, so geht es nämlich zu bei den Menschen mit mehreren Berufen, noch einen Termin in Altona. Auch da war ich lange nicht mehr, schon vor Corona nicht, Bezüge zu Altona habe ich eher selten. Ich erkunde gerade nach und nach meine Stadt neu, die mir in den Pandemiejahren überraschend fremd geworden ist, wie mir immer klarer wird.

Wenn es um neue Häuser und Straßen und Plätze geht, fallen die Veränderungen in Altona fast so krass aus wie in der Hafencity, wenn man nur lange genug nicht dort war, und von der S-Bahn aus müsste ich mich schon einigermaßen anstrengen, um mich an „meine“ alte Einfahrt in diesen Bahnhof zu erinnern. Wie sah es da damals aus und wann war damals eigentlich. Die Achtziger, die Neunziger, die Zehner, so in etwa, da verschwimmt eh alles längst, ein unklarer Vergangenheitsbrei. Anders war es jedenfalls, für wie lange Zeit auch immer. Da war doch diese weite, leere Fläche, die Bahnbrache, nicht als Gleise und Ödnis. So leer war es, dass ich die Erinnerungsbilder mit den Filmbildern aus „Der Himmel über Berlin“ zusammenwerfe. Urbane Karstlandschaften. Ich gehe ein wenig durch die in den letzten Jahren neu bebauten Straßen und staune. Da wohnen Menschen wie in Architekturmodellen, und sie gehen in die Häuser raus oder rein wie in Marketinganimationen, die von einer KI in Szene gesetzt wurden. Da sitzt ein Kind symbolhaft auf einer Schaukel, hier wächst ein Prospektbäumchen, so lebt man also in einer Präsentation.

Später kaufe ich im Discounter im Bahnhof Altona ein, es passt heute nicht mehr anders ins Programm, es ist eine Spontanlösung. Mir fällt etwas auf, was mir ohne meine Abokarte gar nicht in den Sinn gekommen wäre – bei Regen könnte ich hier auch absichtlich und sogar gut einkaufen. Es dauert natürlich länger, erst dorthin zu fahren, aber ich käme immerhin trocken hin und zurück, das ist auch interessant. Das mal für die regenreicheren und kälteren Saisonvarianten vormerken. Der Discounter da ist sogar größer als der bei uns im kleinen Bahnhofsviertel, es gibt mehr von allem.

Das ist nur ein winziges, ein eher lapidares Beispiel, und doch denke ich dabei gerade meine Mobilität neu. So geht das also, denke ich mir.

Der Himmel über Altona, er zeigt währenddessen die ganze Zeit das makellose Azur des allzu trockenen Sommers. Ich fahre in der S-Bahn zurück zum Hauptbahnhof, lasse mir etwas Passendes dabei vorsingen und lobpreise die Technik, die solche Lieder und Videos jederzeit auf Abruf bereithält. Man müsste sonst sicher enormen Aufwand betreiben, um den Herrn, der diesen Song geschrieben hat (mit einem Text von Vito Pallavicini), mal eben für sich singen zu lassen.

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Einen Verlag mit B finden

Mittwoch, der 7.6. Die Timelines sind voller gelborangefarbener, apokalyptisch anmutender Bilder aus New York, ein Katastrophenfilmsetting mit oscarverdächtiger Kulisse und irren Special Effects, aber wieder ohne rettenden Action-Helden oder ein herbeifliegendes Superwoman. In einem Blog sehe ich eine eher beiläufige Bestätigung für die Meldungen auf den Titelseiten, auf Tiktok sehen die Filmchen deutlich dramatischer aus. In Brandenburg brennt es auch, sehe ich nebenbei, was wieder wie ein Kurzgeschichtentitel klingt. „In Brandenburg brennt es auch“, vom Buddenbohm, wie plausibel liest sich das denn, ich habe gleich das Cover vor Augen. Einen Verlag mit B am Anfang dafür finden, eh klar. Browohlt für die Männerliteratur aus dem Verlag, ist darauf schon jemand gekommen?

Der Rasen im Garten wird währenddessen an einigen Stellen schon strohgelb, so früh im Jahr. Es ist alles staubtrocken und kein Regen ist in Sicht, weit und breit nicht. In den Wetter-Apps sehe ich durchgehendes Sonnengelb ohne einen Tropfen. 14 Tage lang geht das mindestens so, es sieht aus wie in sehr unbemüht erstellter Wetterbericht, copy and paste immer wieder, das hat doch der Praktikant gemacht. Da wir es nicht jeden Tag in den Garten schaffen können, wird wohl nicht alles durchkommen können. Immer weiter alles umsortieren und neu bepflanzen, so dass es mit Dürre halbwegs umgehen kann. Was bei Obst und Gemüse allerdings keine allzu leicht lösbare Aufgabe ist, und wie viel Salbei braucht die Welt, wie viel Lavendel.

Die erste Erdbeere sieht mittlerweile essbar aus. Vielleicht würde ihr ein weiterer Sonnentag noch guttun, vielleicht wäre das dann aber auch der Tag, an dem gewisse Tierchen wieder schneller als wir sind, die Schnecken, die Stare, die Asseln und wer weiß, wer da noch alles an Süßem interessiert ist. Unwägbarkeiten. Die Kirschen röten sich nun auch langsam deutlicher, die Glockenblumen blühen, die Rosen. Ein flüchtiger Gartenrundgang heute nur, keine Zeit, keine Zeit.

Rote Rosenblüten vor hellblauer Laubenwand

Am Abend ein spektakulärer Polizeieinsatz vor unserer Haustür, ein paar Meter weiter, nur eben um eine Ecke, so dass man die Action nicht sieht, nur hört, aber wie gut man die hört. Beeindruckend lautes Polizeigebrülle. Sätze, die man aus Filmen kennt, wie oft hat man das exakt so gehört, „Langsam rauskommen!“ und dergleichen, sogar „Hände hoch!“ ist dabei. Ich könnte gar nicht so laut schreien, wie der Polizist da, das ist am Ende auch so eine Sonderbegabung, in jeder Einheit braucht man vielleicht einen zum Brüllen. Aus allen Richtungen herbeilaufend Zivilpolizei, heranbrausende Autos auch, auf deren Dach noch während der Fahrt das Blaulicht geklemmt wird, die Fahrzeuge halten kreuz und quer auf den Fußwegen und auf der Kreuzung. Es sieht unfassbar krimimäßig aus und die Balkone ringsum sind fast sämtlich besetzt, in zahlreichen Fenstern sehe ich Köpfe. Man kann das nicht überhören, was da stattfindet, da siegt die Neugier dann doch und der abendliche Film findet heute vor der Haustür statt. Es ging um 20 Kilo Kokain und um andere Drogen, sehe ich am nächsten Tag in den Nachrichten. Da wird es dann schon einmal lauter.

Aber hey, gehobene Wohnlage nennt sich das hier.

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In der Sonne, am Nachmittag, in Richtung Südwest

Dienstag, der 6.6. Der Sommeranfang. Nicht kalendarisch, nicht meteorologisch, sondern de facto. Ab hier ist auf einmal etwas Neues in der Stadt, es geht als Hitze durch, als veritable Sommersituation. Noch nicht überall, auch noch nicht zu jeder Stunde, aber doch auf jeden Fall in der Sonne, am Nachmittag, in den Büros und Wohnungen mit Räumen Richtung Südwest, in den Autos im Stau, auf manchen windgeschützten Plätzen – eindeutig. Die Herzdame und ich haben einen Termin bei einer Bank in einer Straße, in der wir sonst nicht oft sind. Ein Bankmensch müht sich für uns mit der Software, er müht sich sogar sehr, es dauert und dauert, wir warten währenddessen. Vor den Fenstern, wir sitzen im Erdgeschoss, ein lange nicht mehr gesehenes Stück Stadt, das heute seltsam überzeugend südlich wirkt, es sieht nach Madrid aus, nach ganz anderer Großstadt. Dieser helle Stein der Fassaden, dieses grelle Licht, all die sommerlich gekleideten Menschen, die Schatten suchen. In der Bank läuft eine Klimaanlage, die Angestellten wirken dennoch gut durch, erschöpft und verbraucht, es ist bald Feierabend. Vor dem Fenster halten Hamburger Busse, mitten in Madrid. Mit dem Deutschlandticket kann ich jetzt bis nach Spanien fahren, denke ich.

Ein paar Meter weiter ein anderes Kundengespräch. Ein Banker spricht mit einer älteren Frau, er spricht laut, sie auch, man kann es nicht überhören. Nach zwanzig Minuten kenne ich die finanzielle Situation dieser Frau recht gut und ich weiß auch, mit wie viel Bargeld sie gleich nach Hause gehen wird, welchen Betrag sie nächste Woche holen will und was ihre nächsten Transaktionen zum Wohle der Familie sein werden. Datenschutz stelle ich mir anders vor. Auch Telefonate hören wir in der Wartezeit mit, es geht gar nicht anders, es ist in diesem Raum nicht anders vorstellbar. Es geht befremdlich oft um Vorgänge, die „in der Software aber nicht so sind“ und ich höre auch muntere Sätze wie „… aber das klappt dann schon, machen Sie sich mal keine Gedanken.“ Mein Vertrauen reduziert sich minütlich. Hätte ich Millionen, ich würde sie hier wohl eher nicht deponieren. Aber isch abe gar keine Millionen.

Am Morgen, das ist ein Zufall, habe ich mit einem Sohn noch ein Gespräch über die Verwendung von Lottogewinnen geführt. Zu meiner Überraschung gab es da überaus vernünftige Vorstellungen, was würde man mit einer Million machen, was mit zehn Millionen, was wäre dann wie. Verzinsung war ein Begriff und berechenbar, sehr sortiert klang das alles, sicher viel vernünftiger, als ich es in dem Alter ausgeführt hätte, und nach einer Weile dachte ich dann: Soll er ruhig mal gewinnen, der Herr Sohn. Ich würde sogar etwas abbekommen, wie nett ist das denn. Aber er spielt gar kein Lotto, fiel uns dann noch ein, das erschwert die Sache deutlich.

Abends höre ich Katrin Seddig aus ihrem neuen Roman „Nadine“ lesen. Ich kenne bisher nur die von ihr vorgelesenen Abschnitte aus dem Buch, ich finde sie sehr gut und möchte mehr davon, dieses Buch also mal besorgen. Ich werde wohl an anderer Stelle mehr dazu schreiben, hier belasse ich es bei einer kurzen, aber doch dringenden Empfehlung. Wenn Sie noch Ferienlektüre brauchen, denn auch diese Saison beginnt bald, merken Sie das doch bitte vor.

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Amselabende

Montag vor einer Woche, der 5.6. Wir haben die nächste Stufe des Sommers erreicht, wir schlafen wieder mit offener Balkontür. Es ist mit das Schönste am Sommer für mich, wenn diese Tür durchgehend offenbleiben kann und die Amsel um halb elf immer noch singt, fast wie in Vertretung der Nachtigall. Und wie schön sie singt, in dieser überaus freundlichen Resthelligkeit des Junitages, in der man auf dem Balkon sogar noch lesen könnte, wenn man denn unbedingt wollte, aber es ist noch viel schöner, sich von der Amsel lieblich in den Schlaf flöten zu lassen. Während im Haus gegenüber zwei, drei, vier Lichter ausgehen und nur eines an, und während die Farben im Wohnzimmer langsam zu Grau verblassen. Sehr langsam.

Am Montagmorgen dann früher Sonnenschein auf einer militärisch korrekt geordneten Ameisenparade in der Dachrinne vor dem Küchenfenster. Wie die das immer bis hier oben schaffen, es muss doch ein veritables Hochgebirgsvorhaben für ein so kleines Volk sein. Der Apfel, der für die Amsel auf dem Balkongeländer liegt, ist ihr Pendant zum Gipfelkreuz, sie arbeiten sich hoch.

Ich sehe mir die Termine im Kalender an, ich gehe danach zurück zum Fenster. Ich sehe mir die Ameisen an, die da stoisch immer weiterziehen und mit dem Abbau der gefundenen Rohstoffe beginnen, es sind eindeutig Ameisen mit Auftrag. Ich nicke, ich gehe zurück zum Notebook. Ich erledige mehrere Dinge noch vor sieben Uhr. Ich will diesmal Vorsprung vor der Woche haben. Kann man das überhaupt?

Auf dem Arbeitsweg höre ich weiter die Hoffritz, mache also weiter im Geschichtsunterricht. Es geht gerade um die Inflation im Jahr (19)23, es kommt einem alles seltsam bekannt vor. Sogar das Wort Inflationsausgleich wird erwähnt, es geht ferner um Arbeitszeitverkürzung, wie gegenwärtig ist das denn. Dabei habe ich etwas gelernt, und es schadet sicher nicht, das zu kennen, was ich im Geschichtsunterricht vielleicht nicht hatte, zumindest kann ich mich nicht ansatzweise erinnern: Das Stinnes-Legien-Abkommen. Daher und seitdem also der Achtstundentag. Weiß man das jetzt auch.

Ansonsten muntere Büroarbeit. Ich ändere die Hintergrundmarkierung einer Zelle in Excel, ich singe leise „Blau, blau, blau sind alle meine Zellen“, und da weiß ich wieder nicht, bin ich heute nur milde gut gelaunt oder schon längst reif für die Einweisung. Egal. Weitermachen. Das Blau der Excelzelle passt zufällig genau zur Farbe des Himmels vorm Bürofenster, fällt mir kurz darauf auf. Wenn ich mein Notebook hochhalte, sieht es aus, als könne ich durch diese Zellen hindurchsehen. Faszinierend. Vielleicht doch intensiver über die Einweisung nachdenken. Ich kann den Himmel in Zellen sehen, da! Man kann da durch, ins Blaue, ins Weite! „Ist gut, Herr Buddenbohm, entspannen Sie sich erst einmal.“

Aus der Schule kommen währenddessen Mails, in denen die Termine bis zum Schuljahresende gelistet werden, das ist damit also schon so gut wie durch. Wir erreichen nach den Sommerferien die Klassenstufen acht und zehn für die Söhne. Bei Sohn I bin ich aus allen Hilfsmöglichkeiten mittlerweile gründlich raus. Neulich fragte ich ihn nur interessehalber, was sie eigentlich gerade in Mathe machen: Kombinatorik. Ich weiß nicht einmal, was das ist. Verdrängt, vergessen oder damals verpasst, was weiß ich. Ich war in diesen Jahrgängen nicht sehr oft in Mathe anwesend, aber das habe ich in dem Gespräch nicht erwähnt.

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23 ist ein anderer Sommer

Sonntag vor einer Woche, der 4.6. Ich lese weiter in Zsuzsa Bánk, Der Schwimmer. Ich habe einige vorhersehbare Schwierigkeiten mit den ungarischen Namen im Buch, aber das ist nicht schlimm. Dennoch weiterlesen. Ich höre auf den Wegen und beim Gießen im Garten – wir sind schon wieder in einer ausgesprochen dürren Phase – Jutta Hoffritz: Totentanz – 1923 und die Folgen, ein Sachbuch über dieses Jahr. Es sind in letzter Zeit mehrere davon erschienen, warum wohl. Sie erzählt das Jahr 1923 entlang einiger Personen, sie begleitet im Text die Nackttänzerin Anita Berber, den Industriellen Hugo Stinnes, Reichsbankpräsident Havelstein und die sicherlich allgemein bekannte Käthe Kollwitz. Bezüge zur Gegenwart finden sich schnell und mit nahem Einschlag, der Herr Stinnes residiert da nämlich im ersten Kapitel, nachdem er das Ruhrgebiet in höchst problematischer Lage verlassen hat, im Hotel Atlantik. Das ist bei uns das Haus gegenüber, es gehörte ihm zu der Zeit. Das Haus hier auch im Bild. Es ist obenherum nicht gelb, das ist der Abendsonnenschein.

Das Hotel Atlantic

Nachmittags im Garten. Die Herzdame sitzt draußen auf der Hollywoodschaukel in einer Wolldecke. Es ist wieder kühl im Wind, allzu kühl, die Optik des Junis täuscht erneut. Es ist hier alles nur Kulisse für ein Stück, das noch gar nicht zur Aufführung kommt, irgendwas mit Sommer 23 im Titel. Sommer 23, später. Nächste Woche vielleicht, der Wetterbericht sieht so aus.

Eine Meise im Weißdorn, die weder Kohl- noch Blau- ist, eine Tannenmeise vielleicht, wir raten etwas herum, wir müssten nachsehen, wir lassen es heute. Auch mal unbemüht sein.

Ich gehe in die Laube, mir ist es entschieden zu frisch draußen. In der Laube ist es dagegen holzhaussommerheiß, so gehört es doch in diesem Monat. Flirrender Staub in Sonnenstrahlen. Ich beobachte das Tanzen der Flusen und Pünktchen vom Bett aus, auf das ich mich mit dem Buch lege. Schattentänze an den Wänden durch bewegte Zweige vor dem Fenster, Vorhänge in sachter Bewegung im Zug. Das ferne Brummen landender Flugzeuge, ganz nah dagegen die schimpfende Amsel und einige andere Vögel, die nachmittäglich reduziert piepsen, es ist nicht ihre lauteste Stunde, man singt jetzt nicht. Zwischendurch weht kurz das arg ungeordnete Debattieren der Krähenkonferenz aus der Pappel hinter unserer Parzelle heran, es geht bei denen wieder hoch her, demokratische Parlamente sind nichts dagegen.

Ein Buchregal in der Laube

Es riecht nach Brettern und etwas nach frischer Farbe in der Laube. Nach Juni auch und auf eine schwer zu beschreibende Art nach Kindheitssommer, obwohl ich mich an keine Kindheitsholzhäuser erinnern kann. Nur an Verschläge, die wir aus dem Holz der Kisten manchmal gebaut haben, in denen das Glas für den Betrieb meines Vaters geliefert wurde, das Glas, aus denen dann Fenster wurden oder was auch immer. Lockige Holzwollreste in diesen Bauwerken aus splitterigen Brettern, vielleicht erklärt es das.

Aber wie gerne, wie liebend gerne ich jedenfalls in Holzhäusern bin. Erinnerungen auch an diesen Urlaub in Österreich vor vielen Jahren, noch weit vor den Söhnen, wo es an dem einen See dort so dermaßen viele attraktive Holzhütten gab, eine anziehender als die andere, und eine mitreisende und ebenfalls anziehende Freundin irgendwann zu mir sagte: „Wenn du noch ein einziges Mal erwähnst, wie toll du Holzhäuser findest, dann …“

Sie hat es dann nicht weiter ausgeführt, aber ich weiß noch, sie sah angenehm furchterregend aus dabei und da sah ich auch schon das nächste Holzhaus. Das war ein schöner Sommer, damals, eine verspielte Zeit. Pardon, ich schweife ab.

Nun. 23 ist ein anderer Sommer. Man nimmt gerade den, der eben kommt. Diese letzte Zeile habe ich von Klaus Hoffmann geklaut, und er hat es ganz anderes bezogen und außerdem wiederum von Brel, aber das ist egal. Remix-Culture, Baby!

Die Herzdame bleibt währenddessen draußen unter ihrer Wolldecke auf der Hollywoodschaukel, ich bleibe einfach in der Laube liegen, es vergeht etwas Zeit. Wir schicken uns Herzchenemojis und Liebesnachrichten, es ist alles gut, vielleicht sehr gut.

Eine unbemühte Stunde lang.

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Noch später gibt es Gnocchi mit Rosmarin, Rucola, Thymian und Oregano aus dem Garten, gekaufte Tomaten dazu, beste Laubenküche ist das. Tomaten aus dem eigenen Beet wären noch besser gewesen, eh klar. Aber Geduld haben du musst.

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Aperol in Hauseingängen

Weiter Sonnabend, der 3.6. Währenddessen, nur ein paar Meter weiter: Proteste gegen Vertreibung, und da ist eine ganz alltägliche Vertreibung gemeint. Eine gewöhnliche, banal erscheinende Gerechtigkeitsfrage, die im wahrsten Sinne des Wortes schon vor meiner Haustür beginnt, wer darf eigentlich wann wo sein? Es ist seltsam, nicht wahr, man macht gar nichts Besonderes und stößt überall und dauernd auf moralische Fragen und Ethikdiskussionsvorgaben, die sich wie Besinnungsaufgaben lesen. Die Zuständigkeiten und Kompetenzen St. Florians.

Man kann sich ab und zu jedenfalls wieder klarmachen, wie deutlich es etwa von Kleidung und Erscheinung abhängt, ob jemand im öffentlichen Raum, sagen wir in einem Hauseingang in einer belebten Straße sitzend, z.B. hier gleich um die Ecke, nach der öffentlichen Meinung Alkohol konsumieren darf oder nicht. Der verkrachte Mensch aus Osteuropa mit der Schnapsflasche, die Frau im Business-Outfit mit dem Feierabend-Aperol im Plastikbecher, den sie aus einer Bar geholt haben wird, sie sitzen hier in wenigen Metern Entfernung draußen herum. Äußerst klischeehaft sind die beiden, das gebe ich gerne zu, aber auch äußerst echt, das leider auch, denn genau so geht es nun einmal zu. Und die beiden wirken höchst unterschiedlich auf die Vorbeigehenden.

Und was ist, wenn man schon dabei ist, mit denen, welche man sich ungefähr in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen vorstellen kann? Es ist kompliziert.

Siehe dazu auch beim geschätzten Nils Minkmar, Die Treppe. Man muss dort nur eben die Frage ergänzen, wer da eigentlich sitzen darf, auf dieser Treppe, und schon ist man wieder im Thema.

Ein Sticker auf einem Stromkasten mit dem Text "Kopf hoch"

Ich gehe auf den Balkon, ich gucke runter auf den Spielplatz. Da sitzt einer oben auf der Rutsche. Ein Bier in der Hand, schwankend im Sitzen, stiert ins Leere oder vielleicht auch in die Vergangenheit, in der er Kind war und es noch lustig fand, oben auf Rutschen zu sitzen, zu spielen, zu toben. Er sieht hoch zu mir, er nickt mir zu, er macht eine vage Geste zur Rutsche unter ihm, hebt wie entschuldigend die Schultern, prostet mir zu, sieht dann wieder lange da hinunter.

Darf der das? Da so sitzen? Ich könnte das so weiter beschreiben, dass Sie denken, na klar, der darf das, alle dürfen das. Ich könnte andererseits auch kurz erwähnen, wo er zehn Minuten später hinpinkelt, dann dreht auch Ihre Meinung kurz ins Konservativere. Nehme ich an.

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Sandwich und Cola

Freitag, der 2.6. Ich habe für das Goethe-Institut wieder etwas zur Lage geschrieben.

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Die Saison der Schulsommerfestdiskussionen beginnt ansonsten, sehe ich am Morgen. Längliche, ausufernde Waffeleisendiskussionsstränge im Mailpostfach, es ist alles durchritualisiert. Vielleicht ist es beruhigend, dass es so erwartbar ist, aber ich werde dem andererseits nicht hinterhertrauern, wenn wir damit durch sein werden, so viel steht fest. Ich war ernsthaft bemüht, ich gönne auch allen den Spaß, die dergleichen mögen, sollen sie da fröhlich feiern, aber Schulsommerfeste sind nicht recht mein Ding.

Nun, ein paar Jahre haben wir weiterhin vor uns. Macht man für Abiturienten auch noch Waffeln? Vermutlich. Die Sommerfeste der Unis oder der Ausbildungsbetriebe darf ich dann später wohl ignorieren. Man hofft so vor sich hin. Abwarten und Waffeln essen. Und am Ende blickt man doch nostalgisch zurück und findet auf einmal, dass es ganz nett war, ich weiß.

Sonnabend, der 3.6. Ich habe spontan in der Laube geschlafen, weil ein Sohn am Freitagabend so überaus dringenden Bedarf an einer Gartenübernachtung hatte, was tut man nicht alles. Jedenfalls manchmal. Fünf Grad sind es dann nur am Morgen. Sommer geht definitiv anders, denke ich klappernd auf der Bettkante. Aber draußen Sonne auf sich gerade öffnenden Pfingstrosen in unfassbarem Prachtlila, das immerhin. Ich versuche, mich warm zu schreiben, das muss heute also etwas sportlicher als sonst ausfallen. Eine Hand am heißen Kaffeebecher lassen, mit der anderen einfingrig und möglichst schnell weitertippen. Das Improtheater der Morgennotizen.

Nebenbei Toast machen, in so einem Sandwichmaker. Den benutzen wir nur im Garten. Ich würde gar nicht daraufkommen, den in der Wohnung zu benutzen, da gehört er nicht hin. Dieser heiße Käseschinkentoast ist definitiv ein Gartengericht und ausschließlich hier richtig und angebracht. So wie ich auch nur während längerer Autofahrten Cola trinke, sonst nie. Ich käme nicht darauf, im Alltag so etwas zu kaufen oder zu trinken. Autobahn ohne Cola, das wäre aber richtig komisch, da fehlte dann etwas, das gehört so nicht. Man hat schon seltsame Gewohnheiten, nicht wahr. Also ich jedenfalls. Was weiß ich, was Sie so haben, Sie leben vielleicht ohne klare Essen-Raum-Zuordnungen. Andere Menschen bekanntlich immer seltsam.

Ich höre weite den Hans Rosling, Wie ich lernte, die Welt zu verstehen. Es gibt da einen Abschnitt über medizinisch-ethische Entscheidungen in besonderen, eher unlösbaren Situationen, also wem hilft man wann und wie, mit welchem Einsatz und mit welchem wahrscheinlichen Ergebnis. Er versucht, es logisch herunterzubrechen und sachlich richtige Lösungen für seine Handlungen und seinen Einsatz zu finden, die, und das kann dann nicht anders sein, daher nicht für jeden betroffenen Menschen die richtigen Lösungen sein können. Das fand ich interessant. Man kann das ansatzweise auch auf andere Berufe übertragen, sogar auf seinen Alltag, wie gewichte ich eigentlich, worum ich mich zuerst kümmere, wie ist die Logik an sich, wie ist meine Logik, habe ich da überhaupt eine. Es kann wohl aufschlussreich sein, darüber nachzudenken. Auch oder gerade, wenn man schon lange in Routinen steckt.

Ich habe bei Michael Bordt (ich fand seine Bücher damals ansprechend, weil er, ich kann es nicht besser ausdrücken, angenehm ruhig denkt) einmal etwas von den fünf Prioritäten der Jesuiten gelesen, eine Art Ranking, um Aufgaben und Handlungen im Alltag zu gewichten.

An erster Stelle stand da, und das fand ich überraschend, der Schlaf. Es wird logisch, wenn man etwas darüber nachdenkt, ohne den Schlaf geht immerhin gar nichts und alles wird deutlich schlechter, wenn man nicht genug schläft. Dann die körperliche Gesundheit, also auch Essen etc. (Rosling kommt übrigens für sich als Arzt zu gleichen Schlüssen.) Dann das Gebet, was man als nichtreligiöser Mensch vielleicht mit Besinnung übersetzen kann. Danach Beziehungen zu anderen Menschen, ausdrücklich inklusive der Klärung von Konflikten. Und dann erst die Arbeit, die restlichen Pflichten, die To-Dos und Termine. Da mal drüber nachdenken! Habe ich jedenfalls vor einer Weile gemacht, fand ich gut. Ich lege viel Wert auf meinen Schlaf, ich fühlte mich bestätigt, ich ging dann zu Bett.

Er sagte dann noch, der Herr Bordt, dass es Phasen gibt, in denen das alles so nicht gehe, etwa bei jungen Eltern, die gar nicht genug Schlaf bekommen können, aber im Prinzip – doch, das ist alles so, das gilt so. Alte Regeln und Vorgaben, lange durchdacht, sehr lange.

Jetzt Frühstück. Eines nach dem anderen, die Top Five abarbeiten.

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Das Blog der Unruhe

Donnerstag, 1.6. Nanu, ein Monatswechsel, das Halbjahr kommt schon in Sicht, also auch die damit in meinem Bürojob verbundene Arbeit. What the fuck, murmelt man da leise, what the fuck. Schon wieder! Und dann ist ja auch bald der nächste Jahresschluss, so geht es zu im Büro.

Ein ausgesprochener Tunneltag war es heute, wie ich am Abend etwas enttäuscht feststelle. Morgens rein, lange Fahrt, abends raus, kaum Licht dabei gesehen, nur verdammt viel Verkehr und Gewühl, durch das ich mich arg bemüht drängeln musste. Es gab zu viel Programm für die Stunden, in denen ich wach war, viel zu viel Programm, zu viele Themen auch. Ein äußerst unangenehmes Gefühl, wie bei einer Matheaufgabe, die nicht aufgehen kann, wie gründliches Scheitern an Tetris oder ähnlichen Spielen, ich bekomme nach ein paar Runden einfach nichts mehr einsortiert. So ein Tag, an dem man sich abends fragt, wie das Wetter eigentlich war und ob es überhaupt eines gab, aber worauf soll man denn noch alles achten.

Ein U-Bahntunnel (Hamburg Hauptbahhof)

Ich bin gerade unzufrieden mit allem, aber es ist andererseits alles nur eine Phase, das ist bekannt, und ich bete es mir routiniert immer wieder vor. Und diese Phase gerade, die ist nicht besonders gut, das kommt in den besten Leben vor und in meinem auch. Manchmal hilft etwas Selbstmitleid, auch wenn es unterm Strich sicher nicht angebracht ist. Die Menschen, denen es nennenswert schlechter geht als mir, sie stehen gerade wieder drüben vor der Kirche an und warten lange auf etwas Essen. Ich kann es kaum übersehen, nur ein Blick aus dem Fenster und da sind sie. Andererseits ist diese Art des Relativierens stets nur abstrakt wirksam, so sehr man sich auch moralisch müht.

Kein wirklicher Grund zur Beunruhigung ist das alles jedenfalls, zumal ich eh schon beunruhigt bin. Ein merkwürdiges Wort ist das, fällt Ihnen das auch auf – be-un-ruhigt. Eine seltsame Sprache. Aus der Ruhe gefallen, Von Unruhe befallen, wo steht hier eigentlich der Pessoa im Regal. Da auch mal wieder hineinsehen, aber wann.

Da ich an solchen Tagen nicht zum Notieren komme, kaum überhaupt zum Schreiben oder Denken, habe ich auch das befremdliche Gefühl, mir selbst nicht recht hinterherzukommen, stundenlang zu schnell für mich zu sein, zu beschäftigt auch, zu abgelenkt – und am Ende des Tages geht man ins Bett und ist dann etwas weniger man selbst, es ist manchmal etwas unheimlich. Man zerbröselt in diesen Zeiten.

Im besten Fall wächst man dann aber nachts wieder nach und zusammen.

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Überfüllte Postkarten

Immer noch der 31.5., der Mittwoch. Morgens sehe ich auf dem Handy nach dem neuen Ticket für den frischen Monat, es ist mir prompt erschienen. Technik, die begeistert, freie Fahrt.

Ich treffe am späten Nachmittag meine Bezugsgruppe Helgoland unten am Hafen, wir haben Austauschbedarf. Dabei müsste ich sie doch auf der Insel treffen, wie sich eigentlich von selbst versteht, ich sehe da erheblichen Optimierungsbedarf. Das ist alles falsch eingerichtet so. Wann ich denn zum letzten Mal auf der Insel gewesen sei, werde ich prompt gefragt, nicht ohne dezente Kritik in der Stimme. Damals, sage ich, irgendwann vor allem. Es gibt immer noch deutliche postpandemische Nachholbedarfe, aber nicht alle sind leicht zu bedienen. Wie sortiert man das alles ein, die Wünsche, die Pläne, die Vorhaben, die Neigungen. Sich bloß nicht für noch mehr interessieren.

Wir gehen gemeinsam eine Stunde in der Gegend der Landungsbrücken und oben hinter dem Portugiesenviertel spazieren und reden und reden, es ist ein erfreuliches Treffen. Aber nebenbei … ich sehe Schreckliches. Nämlich Menschen.

Menschen an sich wären noch nicht allzu schrecklich, aber es sind dermaßen viele davon, und zwar, ich kann das vermutlich vereinfachen, sind es signifikant mehr, als sie sich gerade vorgestellt haben, als ich die Landungsbrücken erwähnte, von denen sie vermutlich ein Bild im Kopf haben. Man stellt sich da, wenn man an typische Postkarten denkt, doch so ein paar Menschen auf dem Bild vor. Nehmen Sie die vorgestellten paar Menschen mal hundert. Mindestens, aber gerne auch noch viel mehr, das Doppelte, das Dreifache von dem, was Sie „verdammt gut besucht“ nennen würden. Und dann passt es erst. Was ich da an einem höchst gewöhnlichen Werktagnachmittag zur frühen Feierabendzeit gesehen habe, das war auch für mich als Hamburger eine neue Eskalationsstufe und ich war drauf und dran den Freunden, die da mitten in dem touristischen Gewühle und Geschiebe wohnen, zu sagen, dass man da doch nicht mehr wohnen könne – also genau das zu sagen, was andere auch schon zu uns sagen, die wir „nur“ in der Stadtmitte direkt hinterm Hauptbahnhof wohnen.

Ich habe dann einmal nachgesehen, so ungefähr 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner sind in Hamburg dazugekommen, seitdem ich hierhergezogen bin. Das sind viel mehr, als meine Heimatstadt Lübeck EinwohnerInnen hat, also mehr als ein ganzes Lübeck ist zusätzlich hier noch eingerückt, mir hinterher. Und genau so fühlt es sich auch an.

Das ist selbstverständlich keine Entwicklung, die ich zu kritisieren habe, ich bin schließlich auch neu hier, erst seit einigen Jahrzehnten in der Stadt, nicht schon seit Generationen. Die Entwicklung hat nur den seltsamen Effekt, dass ich eine gewisse Fülle auf den Straßen und Plätzen, in den S-Bahnen und Bussen, in den Läden und Restaurants usw. immer öfter falsch finde – weil ich mehr Jahre in einem deutlich leereren Hamburg verbracht habe. Es sah hier anders aus. Und in diesen Jahren war zwar nicht alles besser, aber doch immerhin so, wie es sich gehört.

Denn so funktioniert das mit dem Altern. Es ist auch ein wenig lustig und es nützt überhaupt nichts, dass man es durchschaut. Es tritt dennoch so ein und irgendwann fragt man sich vermutlich ernsthaft, ob die Butter nicht am Ende früher im Ernst besser war. Es kommt einem langsam so ein Verdacht.

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Gehemmt und verklemmt, aber faltenfrei

Der 31.5., ein Mittwoch. Wieder Sonnenschein auf dem dekorativ blühenden Holunder vor der Haustür. Die Stimmung steigt prompt, auch die Vögel singen munterer. Eine Frau kommt aus dem Haus gegenüber, als ich aus meinem komme, sie sieht zum blauen Himmel hoch, dann zu mir, und sie lächelt. So einfach, das alles. Die Müllabfuhr lärmt munter vorbei, Müllwerker rufen sich Scherze zu. Zwei Hunde treffen sich wedelnd, hey, du auch hier, wie toll ist das denn. Ich höre Sinatra auf dem Weg ins Büro, und ich weiß, es kam hier vor Jahren schon einmal vor, aber wenn das Lied doch so gut ist und passt. Cycles.

Das Bügeleisen ist uns heruntergefallen und unheilbar zerbrochen, wir brauchen ein neues Gerät. Ich lese am Nachmittag online Bügeleisenbeschreibungen, da steht etwas von, und ich sitze dann haltlos kichernd davor, „kontinuierlicher Dampfleistung.“ „Wie bei uns!“, sagt die Herzdame, die mir über die Schulter sieht, „genau wie bei uns!“, und ich mache nur deswegen keine lustigen Dampflokgeräusche beim Weiterarbeiten, weil ich mich sehr gut zusammenreißen kann. Und natürlich auch ein wenig, weil ich in Wahrheit eher nicht spontan und locker bin, sondern verlässlich gehemmt und verklemmt. Ich bestelle jedenfalls, so lese ich weiter, da nicht nur ein simples Bügeleisen, oh nein, ich bestelle einen „Verbündeten gegen die Falten“, es wird einem ganz feierlich zumute. „Ich sei, gewährt es diskret, in eurem Bunde das Haushaltsgerät.“

Unter dem Gerät dann noch abschließend der philosophisch anmutende Kommentar eines Kunden mit abgründiger Tiefe: „It presses clothes really good, let’s see how soon it dies.“ Ich lese den Satz mehrfach, ich bin hell begeistert, so eine schöne, lapidare Anmerkung. Diese Satzlogik demnächst auch einmal anwenden! Oder die zweite Satzhälfte einfach als Suffix nehmen und überall dranpappen. Es kann so oft passen, als sachliches, banales memento mori, let’s see how soon it dies. Jedes Projekt, jedes Konzept mit dieser realistischen Ansage starten, das erdet ungemein. Oder auch Silvester: Look, a new year! Let’s see how soon it dies.

Linkedin zeigt mir später noch ein weiteres Highlight, mir wird dort vorgeschlagen, ich solle meine Kenntnisse im Profil angeben und es werden auch – basierend auf meinem Standort, warum auch immer – welche zur Auswahl angezeigt, darunter: „Eskalation.“ Mir war nicht einmal klar, dass das eine Fähigkeit ist, aber ich kenne jedenfalls Familienangehörige, die sind da klar hochbegabt.

Heute um Mitternacht müsste sich mein Deutschlandticket in der App für den Juni erneuern, das finde ich toll und spannend. Sollte ich dafür wohl wachbleiben, um das Umswitchen live zu sehen? Aber das ist natürlich weit nach meiner Zeit, da bin ich längst im Tiefschlaf und vertraue daher einfach auf die Technik.

Naiv, wie ich manchmal doch noch bin.

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