Einfache Wenn-Dann-Beziehungen

Ich gehe auf dem Weg zum Einkauf am Spielplatz vorbei, von dem eine Mutter gerade ein Kind wegzieht: „Wenn du nur Streit anfängst, dann können wir hier eben nicht hingehen!“ So einfach, nicht wahr. Klare Regeln, Konsequenzen, simple Wenn-Dann-Beziehungen. Davon abgesehen, dass man in solchen Fällen als unfreiwilliger Zeuge die möglicherweise doch komplizierte Vorgeschichte nicht ergründen kann, möchte ich diese Simplizität manchmal gerne auf alles anwenden, nicht nur auf kleine Kinder, die sich auf Spielplätzen danebenbenehmen. Auch auf Erwachsene, es gibt so dermaßen viele Gründe dafür. Sofort und als dringlichste Maßnahme alle E-Roller aus dem Stadtbild entfernen: „Wenn ihr die nicht ordentlich abstellt, dann könnt ihr damit eben nicht spielen!“ Danach dann die meisten Menschen aus den Autos und von den Fahrrädern zerren: „Wenn ihr euch nicht an die Regeln haltet, dann könnt ihr damit eben nicht fahren!“ Alle diese Fahrgeräte erst einmal drei Wochen wegsperren, dann weitersehen. Erst einmal alle ausgiebig Besserung geloben lassen, mit zitternden Unterlippen und viel bitte, bitte, es muss schon ernst gemeint sein, ich muss das auch erkennen können. Nicht mehr so nachgiebig sein. Wind von vorn, wie der olle Kempowski gesagt hätte. Dann vielleicht – natürlich erst nach langer Überlegung! – doch noch einen Versuch machen, einen einzigen, das dann ausgiebig betonen: „Aber nur auf Probe!“ Den Verkauf von Nikotin und Alkohol ebenfalls im ganzen Stadtgebiet untersagen: „Wenn ihr hier überall die Reste liegen lasst, dann können wir das eben nicht mehr kaufen!“

Sollen sie doch jammern und heulen. Ich habe es ja alles schon sehr oft gesagt und sie lernen es doch sonst einfach nicht, was soll man denn machen. Erziehung fühlt sich manchmal auch wie Notwehr an, da muss man eben strenger werden.

Ich zähle jetzt bis drei, und dann steht hier aber kein einziges Auto mehr im Halteverbot. Kein. Einziges. Haben wir uns verstanden.

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Tief im Herzen verankert

Ich war beim Friseur, ich habe meinen Kleiderschrank aufgeräumt und umsortiert, es ist Saisonwechsel. Sehr befriedigend ist es, wenn da alles Naht auf Naht liegt, Kante auf Kante, ein Anblick, als habe man – endlich, endlich! – alles im Griff, den Schrank, die Klamotten, das Leben. Dazu der erneuerte Haarschnitt, für einen Augenblick doch einmal dieses bestärkende Gefühl, für etwas gerüstet und bestens vorbereitet zu sein. Und sei es nur für den nächsten Tag. Ach was, für den Nachmittag, immer bescheiden bleiben.

Die Essensplanung steht auch bis zum 15. März, jeder sucht sich eben seine alltagsstabilisierenden Faktoren und bastelt und schraubt nach Kräften daran herum. Bei anderen ist es, sehe ich gerade, der Geschmack von Käse auf frischem Brot, und das geht auch. Heute gibt es hier Backfisch im Brötchen, entnehme ich meiner Liste. Das können Sie jetzt prima in Ihre Hamburg-Klischees einbauen, auch das ist eine Form der Ordnung.

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Am frühen Morgen nun mehr Vogelstimmen da draußen, der Chor vergrößert sich gerade, die Amsel ist jetzt in der Frühschicht dabei und unterlegt das Rotkehlchen und die Meisen. Im Drogeriemarkt haben sie die Stände mit den Ostersüßigkeiten aufgebaut, in den Foodblogs erscheinen erste Spargelrezepte, die sind allerdings noch nicht recht umsetzbar.

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In den Nachrichten las ich am Wochenende eine Meldung zum weiteren Ausbau der Wintersportgebiete in Thüringen, es ging da um Kritik, weil es in diesen Regionen künftig eher weniger oder auch keinen Schnee mehr geben wird, der Klimawandel. Der Ministerpräsident von Thüringen wies die Kritik zurück, denn, so sagte er, die Gegend sei eine Legende und außerdem tief in den Herzen verankert und das sei da auch schon seit hundert Jahren Wintersportort. Alle drei Argumente sind ein Fall von „Thema verfehlt“, wie Ihnen vielleicht auffällt, sie stehen in keinem logischen Bezug zur Kritik. Ich finde es von den Medien nicht richtig, solche Argumente ohne Einordnung abzubilden, es hat eine Beliebigkeit, die ich abstoßend finde. Man kann die Argumente immerhin hervorragend übertragen, auf alles. Wir können nicht aufhören, in den Urlaub zu fliegen, denn das Fliegen ist Legende, wir fliegen seit hundert Jahren und es ist tief in unseren Herzen verankert. Wir können nicht aufhören, riesige Fleischberge zu grillen oder Unmengen Benzin zu verbrennen, denn wir grillen und knattern seit hundert Jahren, das Grillen und auch der Geruch von Diesel sind Legende, sie sind tief, so tief in den Herzen verankert. Und immer so weiter. Ich werde auch weiter bloggen, denn ich blogge seit hundert Jahren.

Ach, was rege ich mich auf.

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Ich habe mit einem mathematisch begabten Sohn für eine Arbeit geübt. Es macht mich regelmäßig so fertig, ich möchte mir danach sofort einen schlichteren Beruf suchen. Wege fegen oder so. Aber nur gerade Wege bitte, ohne komplizierte Kurven.

Im Ernst jedenfalls finde ich es immer wieder faszinierend, wie wenig man sich das Denken der anderen vorstellen kann, weil man eben nicht so denkt, nicht so denken kann. Wie ist es denn bitte möglich, bei Multiplikationen im fortgeschritten mehrstelligen Bereich das Ergebnis einfach zu „sehen“? Einfach so? Für mich ein Fall von *hexhex*, für ihn aber: „Äh, ist doch logisch.“ Und er sieht mich an und versteht nicht recht, was ich nun wieder nicht verstehe.

Ich fange dann an

in Reimen zu sprechen

Wie um mich zu rächen

für den Mangel an Talent

den das Kind da benennt,

denn das Denken in Gedichten

das kann er mitnichten.

Und dann fragt er: „Wie machst du das denn!?“, und ich denke halbwegs getröstet: „Wieso, das ist doch einfach.“ So geht es hier zu.

Aber, Begabung hin, Begabung her, das Erbgut ist doch unverkennbar – wir sitzen jedenfalls beide vor den Textaufgaben und rätseln vollkommen unangemessen lange und intensiv, was uns die Autoren denn nun damit wieder sagen wollte und warum denn bloß. Wir beschweren uns dann stundenlang über die unsäglich bekloppte Blödheit der Beispiele, statt etwas zu lernen oder einfach alles stumpf abzuarbeiten, es ist immer wieder das Sequel zu meiner Schulzeit. Wir wissen beide, dass wir da gleich ticken, wir sagen zwischendurch verschwörerisch: „Vater und Sohn, ne.“

Aber es hilft ja nix. Die Textaufgaben sind tief in den Herzen der Schulbücher verankert.

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Frostfreie Tage voraus

Morgens stabile Plusgrade, immer auch das Positive wahrnehmen, sicher doch. Also für das  Gefühl, nicht für den Klimawandel, versteht sich. Frostfreie Tage voraus, und dann ist gleich schon März. Am Sonntag gehe ich in den Garten, eine Stunde Weg ist das, und ich mache die kleine Wanderung zum ersten Mal in diesem Jahr. Vorbei auch an neuen Geschäften, guck an. Kaum geht man irgendwo zwei, drei Monate lang nicht vorbei, schon ist da wieder etwas anders. Beständigkeit stellt man sich so auch nicht vor, wir leben in unruhigen Zeiten. Ich sehe auf der Parzelle nach der Hasel, nach der Forsythie, nach dem roten Hartriegel, auch nach der rekordfrühen und gelbknospenden Kornelkirsche, nach der Magnolie mit ihren pelzigen Flauschtrieben. Kleine Bestandsaufnahme des allgemeinen Knospenfortschritts, wohlwollendes Abnicken der allseitigen Bemühungen, yes, you can. Auf dem Weg dorthin prüfe ich aber auch die Beete in den Parks, ich sehe nach den Narzissen und nach anderem, die Triebe am Straßenbegleitgrün nicht zu vergessen, alles einmal wieder würdigen. Der Himmel ist dabei grau wie immer, es nieselt, aber es ist doch so etwas in der Luft, eine vage Ahnung nur, und die reicht ja bekanntlich.

„Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.“

Hofmannsthal war das, 1892, da war das nämlich auch schon so, wenn auch vermutlich nicht im Februar.

Einen Buntspecht höre und sehe ich nach etwas Suche sogar, die Kohlmeisen singen überall aus Leibeskräften, am Wegesrand einige Winterlinge. Zwei blühende Gänseblümchen finde ich, drei weißumflorte Zierkirschen, natürlich das übliche Rudel Schneeglöckchen im Garten neben dem noch schlafenden Weißdorn. Viel mehr sehe ich noch nicht, aber immerhin. Zwei leuchtend rote Tupfen im schwarzen Beet: Da rührt sich mein Rhabarber und testet mal die Luft, ob da vielleicht bald schon was geht.

Auf dem Weg wird mir dieser Song von Brandi Carlile zugeshuffelt, und ohne groß auf den Text zu achten, er passt zur Stimmung dieser Wegstrecke, ich kann sehr gut zu ihm gehen, was mir immer ein besonderer Genuss ist, wenn der Rhythmus mit dem Gang harmoniert. Er läuft dann einfach auf Repeat weiter. Wenn etwas gut ist, das dann gleich beibehalten, alte Regel:

Die Herzdame ist mit dem Auto in den Garten vorgefahren und lässt sich währenddessen von einer Fachberaterin lange über den Gehölzschnitt im Frühjahr aufklären. Sie hat das Thema für sich reklamiert, ich erwähnte es vermutlich schon irgendwann, der Mensch sucht sich Aufgaben. Sie markiert bei der langen Unterweisung alles, was in den nächsten Wochen geschnitten werden muss, mit hölzernen Wäscheklammern, Zweige und Äste. Die Gewächse sehen dadurch nun etwas eigenartig igelig aus, werden aber sicher sehr kundig behandelt und wir haben danach mehr Obst, so der Plan.

Ja, mach nur einen Plan.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 12.2.2023

Jochen über den Stellenabbau bei Gruner & Jahr. Ich gehöre gewissermaßen und in erweiterter Betrachtung zu den Schuldigen, ich kaufe keine Magazine, schon seit vielen Jahren nicht mehr, und im Netz spielen die betroffenen Titel eher keine Rolle. Das einzige Magazin, das uns hier erreicht, ist der stets dünne Gartenfreund, die Zeitschrift des Schrebergartenverbandes (Titelstory der aktuellen Ausgabe: „Erbsen aus dem eigenen Garten“), die man als Mitglied routinemäßig und unweigerlich bekommt. Sonst nichts. Ich lese online und Bücher, dazwischen ist nichts mehr, und ich sehe im Moment nicht, dass sich das noch einmal ändern wird.

Manchmal trauere ich der Zeit nach, als ich manche Magazine, etwa den Spiegel, noch früher sogar den Stern, noch gut und sogar spannend fand, aber das ist dann nur so ein wehes Nostalgie-Momentchen. Es ist auch schon lange her und die Menschen, die damals auf den Titelseiten waren, sind vermutlich in der Mehrzahl schon tot. Es ist eine dieser Westdeutschlanderinnerungen, man fühlt sich allmählich museal damit. Damals, als man Spiegel und Zeit und Süddeutsche und beim Arzt auch Geo las, und dabei das befriedigende Gefühl hatte, alles richtig zu machen, auf der richtigen Seite zu sein, korrekt informiert zu sein. In einem Land vor unserer Zeit.

Na, vielleicht erlebe ich doch noch ein Revival. Ich war neulich auf einer geselligen Veranstaltung im kleinen Kreis, bei der die Gastgeberin Langspielplatten aufgelegt hat. Manches kommt doch wieder.

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Bei diesem Post über den Titel gestolpert. Ich sollte so etwas bewohnen, sollte ich nicht?

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Gaga über Tagebücher und Blogs. Ich führe kein Tagebuch mehr nebenbei, die Unvollständigkeit der beiden Seiten hat mich irre gemacht, ich bin zu ordnungsverliebt für so etwas. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste beide Notate passend zusammenbringen, wie bei einem Puzzle. Das war selbstverständlich Unsinn, aber eben Gefühl, was willste machen. Ich beschränke mich aufs Bloggen, habe nunmehr nur noch eine unvollständige Seite zu befüllen und lasse also viel weg. Ein erheblicher Teil des Alltags steht hier nicht, ich finde das für mich richtig so. Ich schreibe mir mein Leben zurecht. Wie vermutlich alle, die schreiben.

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Variationen und Wiederholungen

Phänologischer Kalender: Mehr lilafarbene Krokusspitzen im Stadtteil, an allen Stellen, die überhaupt dafür in Betracht kommen. Das sind allerdings gar nicht so viele, abseits der Flächen unten an der Alster, es gibt hier kaum Vorgärten. Vorm Balkon lärmende Baumfällarbeiten über zwei Tage, die alte und vermutlich viel zu schräg über einem Fußweg stehende Birke am Kirchenbüro ist weg. Die kleinen Kinder auf dem Spielplatz standen mit offenem Mund und sahen dem Mann zu, der oben auf der hoch ausgefahrenen Arbeitsplattform mit der Kettensäge hantierte und den Baum Ast für Ast zerlegte, der dann auch den Stamm kappte, stückweise immer tiefer. Das Haus, vor dem diese dichtbezweigte Birke wie ein geschlossener Vorhang wirkte, es steht nun nackt und einsehbar wie ein Puppenhaus da. Man sieht am Abend in Fenster, in die man noch nie sehen konnte. Die Menschen in den Räumen wirken auf einmal seltsam exponiert und gehen wie auf einer sorgsam ausgeleuchteten Bühne durch ihre Räume. Jetzt nimmt er ein Buch, jetzt setzt er sich hin. Jetzt geht sie von Raum zu Raum, jetzt sagt sie etwas zu ihm, was ist das für ein Stück.

Ein neuer Baum wurde bisher nicht in das Loch gepflanzt, aus dem man in langer Arbeit auch den Stumpf gefräst hat, man hofft wieder so vor sich hin.

In den Foodblogs ein Rezept für Valentinstagherzen, die genau so aussehen wie die Plätzchen zu Weihnachten, nur hat man sie vor dem Backen in Herzchenform gedrückt. Denn so gehen wir durchs Jahr, indem wir diesem und jenem immer mal wieder eine leicht andere Form aufdrücken, von Monat zu Monat. Die Plätzchen etwa verfertigen wir erst als Sternchen, kurz darauf als Herzchen, dann schon als Häschen und kurz darauf lassen wir sie einfach rund und belegen sie mit einer Erdbeere, einigen Johannisbeeren und immer so weiter. Variationen und Wiederholungen.

In den Timelines werden währenddessen noch variantenreich Minustemperaturen vermeldet, begeistert klingen die Nennungen nicht mehr.

Burt Bacharach ist gestorben. Er hat einmal gesagt, Alfie sei von all seinen Liedern sein Lieblingssong, und er hatte wirklich reichlich Auswahl.

“What’s it all about, Alfie?Is it just for the moment we live?What’s it all about when you sort it out, Alfie?Are we meant to take more than we give?Or are we meant to be kind?

And if only fools are kind, AlfieThen I guess it is wise to be cruelAnd if life belongs only to the strong, AlfieWhat will you lend on an old golden rule?”

Es gibt auf der Seite Songfacts eine schöne Erklärung zu der Song-Zeile „What will you lend on an old golden rule“: The line, „What will you lend on an old golden rule“ is one that has baffled many listeners, including Barbra Streisand, who during rehearsals in 1999 refused to sing it until someone could explain to her what it meant. Her A&R man, Jay Landers, took action, calling the song’s lyricist, Hal David, who was in China but got back to him right away (the prospect of Streisand singing his song was apparently quite an enticement). When asked about the line, David replied, „It doesn’t mean anything.“ He was simply filling in words to Bacharach’s melody, figuring he would change it later. Bacharach liked it though, so they left it in. When Landers got off the phone, he told Streisand, „It’s one of those lines that’s open to interpretation.“ That was good enough for her.

Man findet Streisands Version selbstverständlich auf Youtube, wie auch die unglaubliche Ursprungsversion von Cilla Black, die bekannte Aufnahme von Dionne Warwick, etliche Cover und eine herzbewegende Interpretation von einer Whitney Houston mit sehr sichtbaren Problemen.

Hier aber der Meister selbst:


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Hier bin ich Buddenbohm

Ich habe gestern auf Mastodon geschrieben:

„Insgesamt, so dachte ich gerade, habe ich bei fast allem schon einmal lieber mitgemacht. Und das hat so gar nichts mit depressiver Verstimmung zu tun, mehr mit dem Lauf der Welt, der Gesamtsituation und Erfahrungen.“

Und, ohne mich unnötig verallgemeinern zu wollen, denn dazu habe ich kaum Anlass, ist es zumindest bezogen auf soziale Medien vielleicht doch ein verbreitetes Gefühl, ich las in meiner Timeline immerhin einiges in dieser Richtung. Man war schon einmal begeisterter dabei, engagierter. Vielleicht gilt das wieder nur in meiner Altersklasse, oder vielleicht ist es doch gängiger, ich weiß es nicht und ich habe auch gerade keine aktuellen Studienergebnisse dazu gesehen. Aber ich wäre nicht überrascht.

Und auch sonst: Wenn ich die freie Wahl hätte (die ich keineswegs habe, wer hat sie schon), ich würde jetzt an etlichen Stellen lieber mein Ding machen. Und zwar nur mein Ding. Kein Gruppending, Konzernding, Gesinnungsding, Richtungsding, Großstadtding, nicht einmal Socialmediading, in mir sperrt es sich gerade gegen vieles. Interessante Sache, da mal noch mehr drüber nachdenken. Ein dezent abgewandelter Bartleby: „Ich möchte lieber was Eigenes.“ Sollten das allerdings viele Menschen gerade denken – man würde unweigerlich doch wieder mitmachen. Auch faszinierend. Und dass das Eigene am Ende auch wieder nicht recht sein könnte, nicht einmal mir – ja, geschenkt. Es ist eh hypothetisch.

Das Blog wenigstens, es fühlt sich weiter durch und durch nach meiner eigenen Sache an. Das Blog ist in dieser Hinsicht also in Sicherheit. Hier bin ich Buddenbohm, hier darf ich‘s sein.

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Gestern und vorgestern war mir durchgehend so bibberkalt wie sonst den ganzen Winter nicht, es halfen weder Heißgetränke noch Heizungen, Pullover oder Decken. Ich denke, ich bin mittlerweile reif für die nächste Jahreszeit. Ab Sonnabend wird es wärmer, sagt der Wetterbericht, das ist also bedarfsgerecht.

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Phänologischer Kalender: In den Foodblogs erschien heute das erste Bärlauchrezept.

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Etwas vom E.T.A Hoffmann gehört und dann doch wieder abgebrochen. Es ist draußen schon zu hell für den Herrn und seine Spukhäuser, der braucht eindeutig eine novemberige Kulisse. Dann den Zwerg Nase von Wilhelm Hauff gehört, daraufhin das Märchen und den Dichter strebsam wie stets in der Wikipedia nachgelesen und dabei Wort das Suzeränität gelernt (es kommt im Text eine Pastete Souzeraine vor, eine ironische Ableitung dieses Begriffs), von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Es ist nämlich tatsächlich so, dass Märchen bilden.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 7.2.2023

Nach wie vor füllen sich die Linksammlungen eher langsam, vielleicht liegt es auch an mir. Womöglich habe zu abseitige Ansprüche, womöglich bin zu wenig allgemein oder auch zu wenig speziell interessiert, vielleicht lese ich zu wenig Quellen oder zu viele nur flüchtig, was auch immer, aber ich folge bei der Zusammenstellung dieser Links weiterhin nur einem schwer ausdeutbaren inneren Algorithmus, der mich beim Lesen eines Textes denken lässt: „Nehme ich.“ Geistreicher findet die Auswahl nicht statt, das ist alles.

Wobei ich die Frage, was ich eigentlich lesen möchte, im Moment gar nicht mal so schnell beantworten könnte, und ich habe den leisen Verdacht, ich wäre da früher nennenswert flotter mit einer Antwort zur Hand gewesen. Aber wann war früher?

Na, egal. Hier erst einmal die Links. Den ersten musste ich nicht einmal lange suchen, den habe ich selbst geschrieben. That was easy!

Ich habe also für das Goethe-Institut etwas über ein Bild notiert, ein fortgeschritten februariger Text über einen kleinen Moment nur, eine im Vorbeigehen beobachtete Szene auf dem üblichen Rundgang durchs Revier.

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Patricia über die Marie-Kondo-Schlagzeile.

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Frau Herzbruch über ein unangenehmes Thema, über Einbrüche, die hier im Umfeld auch in diesem Winter äußerst unerfreulich eskalieren, wobei das Umfeld bis in unseren Keller reicht. In dem es nichts zu holen gibt, aber egal. Das sieht man den Kartons und Krempelkisten vielleicht nicht an. Fahrräder kann man holen und tut es auch, entnervend oft. Ich kaufe nicht mehr dagegen an, ich gehe zu Fuß. Schuhe werden deutlich seltener gestohlen.

Und dann schreibt sie noch über Frau Faeser, aber das ist im Moment ein womöglich noch unangenehmeres Thema, womit auch schon fast alles gesagt ist.

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Franziska übernimmt das Monatsnotizformat von Nicola, das finde ich gut. Blogformate weiterreichen, das ist fast wie früher. Ich bin im Moment mehr ein Freund des täglichen Schreibens, aber ich finde diese Monatsnotizen nützlich, denn ich lese gerne nach, was andere lesen oder sehen. Das also gerne mal nachmachen.

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Ganz und gar kein launiger Text – über child post traumatic stress disorder.

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Die Helligkeit als Planungsmöglichkeit

Ich höre noch einmal das Irische Tagebuch von Heinrich Böll. Das ist einerseits gut, weil dieser Text auf eine traurig-milde Art sehr schön ist und schon ein guter Grund, den Herrn Böll in freundlicher Erinnerung zu behalten, das ist andererseits schlecht, weil ich Lust bekomme, auch irgendetwas zu beschreiben, was nicht vor der Haustür liegt. Das aber ist nicht so einfach gerade, schon jahreszeitenmäßig nicht, denn so gerne bin ich im Moment gar nicht draußen, es fehlen immerhin noch ein paar Grad bis zu den üblichen 12, auf die ich seit 2020 als Mindesttemperatur geprägt bin. Im Wetterbericht tauchen sie genau in diesem Moment auf, wie nett ist das denn – in ein paar Tagen soll es so weit sein. Vielleicht.

Wo übrigens gerade der Verkehrsminister wieder von breiteren Autobahnen träumt, wie man liest, von noch mehr Verkehr, von noch mehr Autos, es gibt da eine schöne Stelle bei Böll, wo er von den Kühen berichtet, die so selbstverständlich über die irischen Dorfstraßen zu den Weiden oder zurück zum Stall ziehen und er sagt dann weiter, dass es für eine Blasphemie halte, die Straßen künftig den Motoren zu überlassen, und er wehrt sich heftig gegen den Anspruch der Autofahrer. 1957 hat er das geschrieben, als die Verkehrsplaner gerade weltweit in langanhaltende Ekstase gerieten und anfingen, alles umzubauen oder erst einmal plattzumachen.

Im Discounter steht währenddessen schon der kleine Stand mit den Samentütchen, Radieschen, Möhrchen, etc. Es geht los, es geht los. Also zumindest demnächst. Wir gehen auf Mitte Februar zu, das ist da, wo die Tage wieder so hell sind, dass das Licht im Vorstellungsvermögen auch ankommt, man sich also nicht mehr alles, was man sich vornimmt, als routinemäßig in stockdunkler Umgebung vorzustellen hat. Ich nehme zumindest an, dass es bei anderen auch so läuft. Die Helligkeit als Planungsmöglichkeit und wieder üblicher Umstand am Tag, so in etwa. Am Montagmorgen habe ich einen routinemäßigen Termin in einem anderen Stadtteil, und der findet auf einmal bei Tageslicht statt, es fällt sehr auf.

In der Innenstadt sehe ich in einem Dekoladen im Vorbeigehen den ersten Stand mit bunten Osterhasenfiguren.

Und in der Linde vor dem Balkon die Grünfinken, endlich. Seit einem halben Jahr weiß ich, dass sie da unten irgendwo sind, ich konnte das an den Lauten klar und zweifelsfrei zuordnen, nie habe ich sie gesehen, es sind gekonnt versteckt lebende Vögel. Jetzt aber. Die Liste der vom Balkon aus gesehenen Arten bleibt immer noch stadtmittetypisch eher überschaubar, aber egal, eine Ergänzung gibt es jetzt doch. Letztes Jahr der Buntspecht und die Mauersegler, dieses Jahr die Grünfinken, hat 2023 also schon einmal ein Soll erfüllt. Nächstes Jahr dann vielleicht ein Wintergoldhähnchen oder so, man hat ja noch Wünsche offen.

Ein Dompfaff wäre auch nett. Die waren in meiner Kindheit noch ganz selbstverständlich, fällt mir gerade ein, und sie sind mir dann vollkommen aus der Wahrnehmung gerutscht. Sie kamen einfach nie wieder vor, in keiner Wohnlage, und da ist es wieder – am schwersten ist doch das zu bemerken, was man nicht mehr bemerkt.

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Rauf und runter muss es gehen

Am Sonnabend gibt es gegen 17 Uhr etwas Abendrot mit freundlich angestrahlten Wolken, rosa eingefärbt. Es gab auch schon einmal schöneres Abendrot, es ist nicht so, dass man da jetzt den großartigsten Himmel des Lebens vor sich hätte, aber es ist – immerhin! – ein Himmel, der oben blau ist und an den Rändern rötlich, es sind immerhin irgendwie angenehm ausgeleuchtete Wolken, es sind Farben in der Natur, und die Leute stehen reihenweise vor dem Bahnhof und fotografieren das, was zu anderen Jahreszeiten vermutlich keine Sau interessieren würde, das bisschen Stimmungslicht über der Kuppel der Kunsthalle. Dann sehen sie auf ihre Handys, filtern herum, verschicken vermutlich Bilder und freuen sich. Man braucht gar nicht viel, denke ich im Vorbeigehen, man braucht ja gar nicht viel.

Im Supermarkt sehe ich Regalhumor, da steht der „Leistungstee“ direkt neben dem „Anti-Stress-Tee“, es sind Produkte der gleichen Marke. Die mal lieber nicht verwechseln, alles immer zur rechten Zeit und abwechselnd trinken, wie damals bei Alice im Wunderland, rauf und runter muss es mit einem gehen, und ich stehe als Grinsekatze vom Dienst vor den so launig benannten Teesorten.

Abends koche ich Hühnersuppe, was bekanntlich enervierend lange dauert, aber hinterher hat man immerhin Hühnersuppe für zwei Tage. Wenn sich nur alles im Leben so eindeutig lohnen würde, was zu lange dauert. Beim Kochen höre ich Fontane, Mathilde Möhring, ein hervorragendes Buch. Es kommt im Text das Wort „Schlappier“ vor, französisch auszusprechen, es bezeichnet einen Menschen, der sich tendenziell hängen lässt und ich finde es sehr schön und unbedingt bewahrenswert. Es wird auch die dazugehörige „Schlapperei“ erwähnt, und wer kennt sie nicht, wer hat sich ihr nicht schon einmal hingegeben, gerade im Februar, und manche, glaube ich, planen sie sogar ganzjährig an jedem Wochenende ein.

Aber das müssen wir jetzt nicht mehr durchdenken, es ist Sonntagspätnachmittag, es dunkelt schon, es ist gleich schon wieder Montag, kaum haben wir uns im Bett einmal umgedreht.

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Der Griff zur Kette

Am Freitagmorgen klatscht der Regen wieder ans Fenster, der Sonnenschein des Donnerstags war nur ein heiteres Zwischenspiel und wird erst einmal nicht fortgesetzt. Der Wind heult den ganzen Tag wie in Schauergeschichten oder in Nordkapdokumentarfilmen, es ist für mich stimmiges Home-Office-Wetter. Ich arbeite gerne in dieser Geräuschkulisse.

Im Newsstream am Vormittag die bemerkenswert blöde Schlagzeile: „Pandemie belastete viele Kinder.“ Ach was?! Das geht so weiter: „Die Belastung variierte mit den Wellen und den Maßnahmen. Dies zeige, Kinder reagierten sensibel auf drastische „Veränderungen in ihrer Lebenswelt“.

Kaum stellt man den Alltag der Kinder komplett auf den Kopf und hält sie von Offline-Kontakten mit Gleichaltrigen und jedem Spaß ab, schon reagieren sie also irgendwie, die kleinen Mimosen. Wie dummerhaft und inhaltsfrei können Nachrichten sein?

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Die Herzdame hat frei und macht einen Wellness-Tag mit Sauna und allem, was mir die schöne Gelegenheit gibt, stundenlang zu denken: „Gott sei Dank muss ich keinen Wellness-Tag mit Sauna und allem machen.“ So kommt hier jeder zu seinem Vergnügen, wir haben ein insgesamt ausgeglichenes Verhältnis.

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Auf dem Spielplatz unten ist wetterbedingt den ganzen Tag nichts los, ich sehe von oben den Wellengang in der großen Pfütze, Eltern und Kinder bleiben heute weg und beschäftigen sich lieber drinnen, nur die üblichen Vogeltruppen, Tauben, Möwen und Krähen patrouillieren gelegentlich durch die verlassene Sandkiste. Dann doch noch ein Mensch: Ein Mädchen im Teenager-Alter steht rauchend neben den Schaukeln, steht da nur so herum und guckt vor sich hin. Fasst dann kurz die Kette der einen Schaukel an. Geht rüber zur Wippe und steht eine Weile sinnend vor dieser, geht dann auch noch zum Basketballkorb, guckt hoch. Raucht dabei immer weiter, ein wenig hektisch vielleicht, unentspannt wirkend. Sieht sich um. Nickt. Geht im Kreis, weiß vielleicht nicht recht weiter. Geht zum Tor, bleibt stehen, dreht sich noch einmal um. In einem Film, so denke ich mir, wäre die Drehbuchvorgabe wohl gewesen, auf einem Spielplatz Erinnerungen an die Kleinkindzeit hochkommen zu lassen, dieses Erinnern irgendwie möglichst deutlich darzustellen, deswegen der zögerliche Griff an die Kette der Schaukel, der war ziemlich gut gespielt, fand ich, und die Hand hätte ich in Großaufnahme … na, egal.

Sie wirft ihre Kippe nicht auf den Boden, sie macht sie am Rand eines Mülleimers sorgsam aus und wirft sie dann hinein. Das macht sonst kaum jemand. Sie geht weg und sieht durch den Zaun noch einmal zurück. Es fängt wieder an zu regnen, sie dreht sich um, setzt die Kapuze auf und geht ab, Richtung Bahnhof. Schnitt. Nächste Szene, was raten wir da – ein Umzug, weg aus diesem Stadtteil, nach Berlin vermutlich, denn es ist eine deutsche Produktion. Lebensfilme.

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