Die Herzdame: Experiment Tag 3

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die so langsam doch Zweifel bekommt.

Die Söhne mit dem iPad

Für alle, die das Experiment noch einmal von Anfang an lesen möchten bitte hier entlang.

Es ist Sonntag und die Söhne schlafen tatsächlich mal bis 8 Uhr. Sie kommen kurz für ein paar Minuten zu mir ins Bett, werden aber schnell unruhig, weil das iPad ruft.

Gegen 9 Uhr fragen wir ob jemand Brötchen holen könnte und uns bei der Spülmaschine hilft. Es fällt ihnen schwer, sehr, sehr schwer. Das merkt man. Aber Sohn 2 entschließt sich dann doch Brötchen zu holen und Sohn 1 hilft uns, die Spülmaschine auszuräumen.

Sie beteiligen sich auch freiwillig am Frühstück, Sohn 2 sogar, obwohl er nicht mal Hunger hat. Ich habe nicht so genau drauf geachtet, aber ich glaube Sohn 1 hat tatsächlich was „Gesundes“ gegessen.

Danach wollen sie mal kurz vor die Tür, was erledigen. Ganze 10 Minuten schaffen sie draußen an der frischen Luft. Dann ist wieder iPad angesagt. Was sonst…

Ich erinnere Sohn 1 daran, dass er noch lernen wollte. Ja, später. Irgendwann kommt er dann tatsächlich an und möchte mit dem Gatten ein bisschen Mathe lernen. Der hat aber leider gerade was anders vor. Ein paar Spiele später finden sie dann doch noch kurz zusammen.

Um 13 Uhr ist Sohn 1 mit einem Freund fürs Kino verabredet. Die ganze Familie bringt ihn dahin und fährt dann zum Garten weiter, einmal kurz nach dem Rechten schauen. Sohn 2 hatte heute keine Lust sich anzuziehen und ist im Schlafanzug mitgekommen, bei Minusgraden. Aber wie sagt man so schön? Nur die Harten kommen in den Garten. Haha.

Wieder zurück, schaut Sohn 2 von 14 Uhr bis 19 Uhr Youtubevideos, genauer Bibis Beauty Palace und knabbert nebenbei einen ganzen Sack Möhren. Er ist so begeistert, dass ich mich zu einem Video überreden lasse. Ich schaffe ein halbes. Ich bitte darum, noch ein anderes anmachen zu dürfen, vielleicht finde ich das ja lustiger. Nach drei angefangen Videos breche ich ab. Dann doch lieber Bibi und Tina. Gegen 19 Uhr ist dann auch Sohn 1 zurück und klebt sofort neben seinem Bruder am iPad. Wie die Verabredung war, erfahre ich nicht.

Bis dahin war es ein wirklich entspannter Sonntag. Aber so richtig glücklich bin ich nicht mit dem vielen Zocken und Youtube gucken. Ich hatte gehofft, dass es den Jungs nach spätestens 3 Stunden langweilig wird. Aber Fehlanzeige, es geht immer noch mehr und noch mehr.

Ich gehe in den Keller, die Wäsche hochholen. Alleine, denn niemand hat Lust mir zu helfen. Es sind drei Wäschekörbe voll und ich habe jetzt auch keine Lust, alles allein zu schleppen. Also lasse ich die Wäsche der Söhne hängen. Zurück in der Wohnung teile ich das den Kindern mit. Sie springen sofort auf und holen ihre Wäsche. Freiwillig und ohne, dass ich gemeckert habe. Ich hatte einfach nur keine Lust.

Ich empfehle den Kindern ins Bett zu gehen, da sie die letzten beiden Nächte nicht viel geschlafen haben. Es ist mir aber verabredungsgemäß auch egal, ich gehe Tatort schauen. Nein, eigentlich ist mir das nicht egal, wenn die Kinder nicht ausgeschlafen sind, aber da muss ich jetzt wohl durch.

Es dauert dann tatsächlich nicht lange bis sie schlafen und ich glaube, Zähne geputzt haben sie am Ende auch.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Lauben und Schrullen

Die Herzdame hatte einen Termin, um den Vertrag für die neue Laube zu unterschreiben. Sie ist nämlich die offizielle Pächterin der Parzelle, denn ich bin ja älter als sie und außerdem ein Mann, also vermutlich früher tot, wie sie mir mit ihrem unbedingt liebenswerten Nordostwestfalencharme sachlich und überzeugend erklärt hat. Die Laube ist tatsächlich die teuerste Anschaffung, die wir jemals getätigt haben, fällt mir gerade auf. Also abgesehen von den Kindern natürlich. Die gehen sicher auf Dauer mehr ins Geld, haben aber auch noch interessantere Features.

Die neue Laube wird etwa Mitte Mai geliefert und aufgebaut, wir müssen mal sehen, wie man die Gartenbaustelle bis dahin schon einigermaßen sinnvoll gärtnerisch bewirtschaften kann. Neuer Rasen etwa hat vermutlich keinen Sinn, da rollt dann eh noch einmal ein Laster drüber. Oder auch zwei.

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Sohn II lässt das Plattdeutsche im Moment keine Ruhe, er fragt nach Kinderbüchern op Platt – hat jemand vielleicht einen Tipp für etwa acht- bis zehnjährige Kinder? In dem Bereich kenne ich mich leider überhaupt nicht aus.

Und apropos Platt: “Aber mi is wichtig, drupp hentoweesen, dat wi in Düütsland mehrere Spraaken hebben, und dat wi in Düütsland bunt upstellt sünd.

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Ich empfehle dieses Blog, da geht es gerade wieder los:

“Und ich bin wieder hier. Hier an meiner alten Arbeitsstätte. Voller Enthusiasmus und Energie – die ich nach 4 Wochen auch schon wieder gut brauchen kann.”

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Patricia über Jugendjahre.

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Nach wie vor habe ich keine Lust, mich um SEO und ähnliches Zeug zu kümmern, aber ich lese ab und zu doch mit Interesse solche Texte wie diesen hier, da geht es um den Instagram-Algorithmus in seiner aktuellen Ausprägung. Das kann natürlich morgen schon wieder alles ganz anders sein. Und ich finde es weiterhin eher absurd, meine wie auch immer gearteten “Werke” auf eine bestimmte, fremd vorgegebene und genau abgezirkelte Art zu posten, zu taggen, zu benennen, zu kommentieren, zu beschreiben, zu verlinken usw., nur damit die Logik einer Firma sie richtig aufgreift. Ich habe da mittlerweile eine gewisse Grundbockigkeit.

Oder sagen wir es anders, auf Twitter hat der Herr Mierau einen meiner Texte gerade als “leicht schrullig” bezeichnet. Vielleicht ist es ja das, vielleicht bin ich tatsächlich schon altersbedingt leicht schrullig und habe auch deswegen keine Lust mehr, mich ausführlich mit solchen Mechanismen zu befassen. Ich möchte hier einfach nur sitzen und posten.

Egal. Nach schrullig kommt kauzig, ich arbeite daran.

Die Herzdame: Experiment Tag 2

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die einen sehr entspannten Tag hatte.

Die Söhne mit dem iPad

Für alle, die das Experiment noch einmal von Anfang an lesen möchten bitte hier entlang.

Obwohl die Kinder am Abend zuvor erst irgendwann zwischen 22-23 Uhr geschlafen haben, sitzt Sohn 1 am Samstag schon um 6 Uhr vorm iPad und Sohn 2 gesellt sich um 7 Uhr direkt nach dem Aufstehen dazu. Sagt der Gatte. Ich kann das nicht beurteilen, ich habe bis 8 Uhr geschlafen.

Sie spielen dann mit wenigen Unterbrechungen bis 9 Uhr. Unsere Fragen, ob jemand mitfrühstücken möchte oder gar Brötchen holen könnte, werden mit „Nein“ beantwortet. Der Gatte und ich frühstücken also ganz in Ruhe, ohne Gezappel, ohne Gesabbel und ohne dass mir jemand meinen O-Saft wegtrinkt. Wir schweigen und lesen, ganz wie in alten Zeiten ohne Kinder.

Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist es dann 10:30 Uhr und die Kinder spielen immer noch. Oder schauen Serien, wer weiß. Geht mich auch nichts an, ist ja ihre Entscheidung.

Zwischendurch machen sie dann mal eine kurze Pause, um sich ein Honig-Toast (normalerweise bestehe ich erst mal auf ein „gesundes“ Brot und dann ein süßes hinterher, egal aktuell nicht mein Bier) zu machen, wollen dann eigentlich auch aufhören …

Es ist jedenfalls sehr entspannt und ruhig hier. Man merkt gar nicht, dass Kinder in diesem Haushalt leben. Warum haben wir das nicht schon früher angefangen? Die Diskussion über „Medien und Kinder“ scheint mir gerade völlig überbewertet.

Sohn 2 bekommt dann spontan eine Anfrage für ein Date am Vormittag, entscheidet sich aber weiter iPad zu spielen und sagt ab. Mittags hängen die Kinder immer noch am iPad. Haben es sich im Bett gemütlich gemacht, und das Süßigkeitenglas mit Bonbons geholt, glauben wohl, dass ich das nicht merke. Ich sage aber nichts. Irgendwann nach 5 Stunden stelle ich fest, dass sie schon seit 5 Stunden zocken und Serien gucken: „Wir wollten gerade aufhören und ein bisschen aufräumen.“ Aha!

Langsam mache ich mir ein bisschen Sorgen. Normalerweise bekommen sie nach zu viel Medien (also einem durchschnittlichen Spielfilm) wirklich schlechte Laune und drehen auch gerne mal richtig durch.

Es ist 13:30 Uhr, ein sehr ruhiger Tag heute, unglaublich entspannend. Die Sonne scheint, alles ist toll. Ich kann in Ruhe schreiben und habe schon 3,5 Artikel geschafft. Von den Kindern habe ich noch nicht viel gesehen. Die gucken inzwischen seit 7 Stunden Serien und zocken auf dem iPad. Mich wundert, dass es noch nicht heiß gelaufen ist. Das ist der ultimative Belastungstest, was das Gerät abkann.

Weil wir um 16 Uhr verabredet sind, teile ich um 14 Uhr mit, dass ich mich jetzt langsam fertig mache und spreche die Empfehlung aus, dass Zähneputzen so langsam mal ganz gut wäre. Die Zähne würden sich freuen. „Ja, gleich, nur noch die Runde zu Ende.“ Uff.

Ich weise noch zwei bis drei mal auf die Uhrzeit hin, aber es ist ja ihre Entscheidung, ob sie pünktlich fertig sind und mitkommen oder nicht. Obwohl ich es sehr schade fände wenn nicht, weil wir die Freunde seit ihrem Umzug lange nicht gesehen haben.

15:30 Uhr Abflug. Die Kinder haben bis dahin 9 Stunden fast ununterbrochen gezockt und Serien geschaut und sich ausschließlich von Honig- und Nutellabrötchen und Bonbons ernährt. Sie tragen jetzt ihre Sachen von gestern, inklusive Wäsche und Socken.

Wir kommen dann doch nicht so pünktlich los, wie ich wollte, weil die Kinder auf den letzten Drücker noch unbedingt Zähne putzen wollen. Also mir wäre das ja egal gewesen…

Es war ein wirklich schöner Nachmittag und wir kommen erst sehr spät um 23 Uhr nach Hause. Die Kinder sind wahnsinnig müde und auch unter normalen Umständen würde ich sie um diese Zeit nicht mehr zum Zähne putzen zwingen. Aber Sohn 2 kommt wie selbstverständlich mit mir ins Bad und putzt, ohne dass ich was sage, seine Zähne. Und als Sohn 1 schon im Bett liegt und ich einfach nur nachfrage, springt er noch mal auf und rennt ins Bad. Ich bin beeindruckt.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Drogen und Vorräte

Ich habe gelesen, dass man die Knollen der Dahlie essen kann, dass man das wohl früher auch öfter getan hat, ja, es gab sogar Überlegungen, sie kartoffelähnlich deutschlandweit anzubauen. Überraschend, nicht wahr? Geschmacklich sollen sie zwischen Spargel und Schwarzwurzel liegen. Wobei die Knollen der Dahlie tatsächlich irgendwie essbar und gemüseartig aussehen, da gibt es nichts, ich habe gerade noch einmal nachgesehen, meine Dahlie steht hier gleich neben mir. Aber immer interessant, was man alles nicht weiß. Im letzten Jahr hat es mich ähnlich überrascht, dass Menschen Hortensienblüten aus Gärten stehlen, um sie zu rauchen, denn das ist angeblich besser als gar kein Rausch (don’t try this at home, es ist wohl nicht ganz ungefährlich).

Man geht an Gärten vorbei und denkt sich: wie nett, so hübsche Blümchen in den Beeten – aber nach etwas Lektüre und Weiterbildung sieht man überall nur noch Drogen und Vorräte. Schlimm.

Gelesen habe ich das mit den Dahlien übrigens in diesem Buch, das auch sonst interessant ist und dazu noch ein paar Rezepte für die Gemüseküche mitliefert, die ich mir sofort notiert habe. Kann ich also empfehlen:

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Ich war gestern beim Stadtteilbeirat, das ist eine lokalpolitischen Spezialität in Hamburg. Da wurde nämlich ein Bauvorhaben vorgestellt, das hier ein paar Meter neben uns geplant ist, damit werden wir noch einiges zu tun haben, erst Abriss mehrerer Häuser, dann Neubau in beträchtlicher Höhe, der auch uns Licht kosten wird. Da standen also der Architekt, der Bauherr, der Bauvorhabende oder wie immer seltsam sie sich neuerdings bezeichnen, der Investor. Bzw. ein Vertreter des Investors, des Architekten, des Bauherren, eh klar. Im Publikum waren Interessierte aus dem Stadtteil, darunter Vertreter einiger Parteien, Nachbarn, Leute vom Mieterverein usw. Da werden sehr heruntergekommene Häuser abgerissen, in denen billige Wohnungen waren, es werden Wohnungen neu gebaut, die selbstverständlich keineswegs billig sein werden, wie das heute so ist, alles nur kleine 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen, Familien sind als Kunden sowieso uninteressant. Fragen zur künftigen Miethöhe wurden tatsächlich mit Grinsen und Schweigen beantwortet. Jemand fragte nach sozialem Wohnungsbau und die Gesichter der drei Herren hätte man filmen müssen, großes Kino. Erstaunte Blicke, dann Befremden, das in eher verkniffene Heiterkeit überging, denn richtig lachen durften sie ja erst hinterher draußen, beim Bier nach dem Sozialpolitklimbim, so viel Benehmen musste schon sein. Keiner im Saal hatte eine andere Reaktion erwartet, das war auch klar, aber eigentlich kann man darüber noch einmal kurz nachdenken, dass die bloße Frage nach sozialem Wohnungsbau, nach günstigen Wohnungen, hier nur noch als Scherz durchgeht, als Politkabarett von links, als Mahnung der Sozialromantiker, dass es so etwas einmal ganz selbstverständlich gab.

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Scared is scared of all the things you like. Nicht irgendein Filmprojekt.

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Von einem Sohn gehört, dass sie in der Grundschulklasse ein Ritual haben, das sie “warme Dusche” nennen. Da wird ein Kind ausgelost und alle anderen sagen, was sie gut an ihm finden, eine Prozedur, die sie in der Klasse alle sehr mögen. Auf diese Art erfährt also jemand, dass er nett ist, lustig ist, ein toller bester Freund ist, sehr gut malen kann, gut im Tor ist, hilfsbereit ist und dergleichen mehr, da freuen sich die Ausgelosten dann hinterher noch tagelang wie Bolle über all die guten Botschaften. Natürlich gibt es auch bei den Kindern welche, die sich gegenseitig schwer unsympathisch finden, aber da werden dann Lösungen gefunden. Sie haben eine Weile drüber gegrübelt und sich etwas ausgedacht, was man in solchen Fällen sagen kann, mit einem wirklich faszinierenden Ergebnis. Das endet dann nämlich in Sätzen wie “Du hast einen schönen Ranzen.” Guck an, was Kinder heute so lernen. Stark.

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Im Wetterbericht steht – also wenn man weit genug nach unten scrollt jedenfalls – wieder etwas von steigenden Temperaturen und Regen. Guter alter Regen! Da wird einem als Hamburger sofort ganz warm ums Herz. Regen ist hier ein wichtiges Stück Heimat, für uns müsste es folgerichtig ein Regenministerium geben, da würde niemand spöttisch und herablassend nach dem Sinn fragen. Oder zumindest viel seltener und leiser als bei einem “Heimatministerium”. Ja, manchmal müssen so in die Luft gemalte Gänsefüßchen schon sein.

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Sven mit naheliegenden Gedanken zu den Fahrverboten in Hamburg, die mich zugegebenermaßen auch etwas verwirren. Kiki denkt da ebenfalls drüber nach, hat aber zusätzlich ein Chili-Rezept anzubieten, das man nachkochen kann. Immer auf den Mehrwert achten!

Und dann noch das Neusprech-Blog zum schönen Wort “Fähigkeitslücke”.

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In Kürze übrigens wird es abends wieder lieblichen Amselgesang geben, akustischer Schmelz über Dächern im warmen Abendrot, auch wenn man es sich gerade noch überhaupt nicht vorstellen kann. In ein paar Wochen nur! Und welches Lied fällt uns bei Amselgesang ein? Genau.

 

Die Herzdame: Experiment Tag 1

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, hat zwei ganz neue Kinder.

Die Söhne mit dem iPad

Kurz vorweg, wir freuen uns, dass wir das Familienmagazin der Süddeutschen Zeitung als Werbekunden für diese Reihe gewinnen konnten, siehe ganz unten.

Freitag nach der Schule berufen der Gatte und ich den Familienrat ein und stellen den Söhnen unser Experiment vor. Erst mal etwas gelangweilte Blicke, an der Stelle mit „unbegrenzte Medienzeit“ dann leuchtende Augen. Und beim Hinweis zu „Eigenverantwortung“ Schulterzucken und Gähnen.

Alles in allem aber zwei durchaus interessierte Experiment-Teilnehmer. Und je länger wir darüber sprechen, desto mehr bringen sie sich mit ein, was für unsere Kinder eher ungewöhnlich bei einem Familienrat ist. Normalerweise kann sich Sohn 1 dabei vor Müdigkeit kaum auf dem Stuhl halten und Sohn 2 macht demonstrativ desinteressiert etwas anderes und hört gar nicht erst zu.

Die Möglichkeit, viele Dinge selbst zu entscheiden, also ohne elterliche Vorträge, scheint sie offensichtlich sehr zu motivieren. Sohn 2 äußert dann doch etwas sorgenvoll seine Bedenken, dass er möglicherweise zu spät zur Schule kommen könnte und wir ihn bitte weiterhin morgens ermahnen sollen. Wir können uns dann aber darauf einigen, dass ich ihn ab und zu freundlich auf die Uhrzeit hinweise, mich dann aber nicht weiter aufrege und ihn ansonsten alleine machen lasse.

Auch bei anderen Themen kommen wir überein, dass der Gatte und ich den Kindern freundliche Empfehlungen geben, sie dann aber selbst entscheiden lassen, ob sie denen nachkommen wollen oder nicht.

Zum Thema „Hilfe im Haushalt“ halten wir fest, dass wir Eltern um Hilfe bitten, sie aber ebenfalls entscheiden, ob sie Lust dazu haben oder nicht. Wenn wir allerdings am Ende vor Erschöpfung umfallen, weil wir alles alleine machen mussten, können sie nicht erwarten, dass wir noch irgendwas für sie tun.

Gesunde Zähne, gesundes Essen, ausreichend Schlaf, saubere Wäsche, gute Noten – das sind alles Entscheidungen, für die die Söhne eine Woche lang selbst verantwortlich sein wollen.

Und das geht dann tatsächlich auch gleich gut los. Der Gatte und ich verteilen den restlichen Tag nur freundliche Hinweise und die Söhne überschlagen sich vor verantwortungsvollem Verhalten.

Sohn 2 hat am Ende des Tages eher weniger Medienzeit als mehr, obwohl er sich durchaus mehr hätte gönnen können. Ganz ohne Gezeter der Eltern. Er hilft mir auch ganz freiwillig beim Wäsche aufhängen. Und als wir aus dem Keller wieder in die Wohnung kommen, putzt sich Sohn 1 schon die Zähne und hat abends (!) freiwillig (!) eine Bürste in der Hand, mit der er sein Vogelnest auf dem Kopf bearbeitet.

Sie bieten an, alleine ins Bett zu gehen und als Sohn 2 auch noch seine Haare gebürstet haben möchte, übernimmt das Sohn 1. Ich bin wirklich fassungslos, zwei Brüder, die sich gerade ziemlich doof finden, einträchtig im Wohnzimmer sitzend und Haare bürstend.

Als ich mich dann ins Bett zurückziehe und langsam in den Schlaf sinke, höre ich sie noch lange einträchtig reden, was sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr getan haben.

Es ist schon interessant, was so ein bisschen mehr Freiheit ausmachen kann. Das sind nicht meine Kinder! Aber wie lange das anhält – warten wir es ab.

Pia Ziefle hat ähnliche Probleme und einen etwas anderen Ansatz. Auch sehr interessant.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Slieken im Snee

Ein Sohn war im Ohnsorg-Theater und hat dort fast alles verstanden, auch Vokabeln, die er bisher gar nicht kannte. Etwa Slieken für Schleichen, solche Begriffe. Wieso versteht er das so spontan? Alle Kinder kamen da wohl nicht mit bei dem Stück. Das hat ihn überrascht und er erklärt sich das jetzt so, dass er Plattdeutsch eben von Natur aus verstehen kann, weil so viele seiner Vorfahren Norddeutsche waren.

Jo, so is dat wohl.

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Ich habe wieder um einen Gastbeitrag im Blog der GLS Bank gebeten, diesmal hat Alu von Große Köpfe über Arbeit geschrieben, bitte hier entlang.

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Schnee am Montagmorgen, viel Schnee sogar. Jetzt ist Dienstag, der Schnee ist immer noch da. Das ist auch alles durchaus von einer gewissen Hübschigkeit da draußen, zugegeben, aber ich sehe mir das dennoch lieber durchs Fenster an. Oder auch gar nicht. Und Sohn II fragte mit skeptischem Blick und einem vorsichtigen Finger im Schnee: “Das war früher also öfter so? Wirklich?”

Denn das kann er sich einfach nicht vorstellen. Seine Jahreszeiten sind nicht meine Jahreszeiten, das ist auch einmal festzustellen, dazwischen liegen mittlerweile erhebliche Differenzen, wir assoziieren ganz verschiedene Naturerlebnisse damit. Er kennt ja nicht einmal diese endlosen Rodelnachmittage, an denen wir damals, längst durchgefroren wie die Eiszapfen, immer noch nicht reingehen wollten, obwohl es schon desaströs dunkel wurde, aber wir mussten doch unbedingt noch einmal und dann auch noch einmal den Hügel runter, auf dem Rücken, auf dem Bauch, im Sitzen vorwärts und rückwärts und hockend ging auch irgendwie und kniend! Und stehend! Nein, das ging nicht. Aber probiert haben wir es mit großer Selbstverständlichkeit. Oft. Und auf dem viel zu späten Heimweg haben wir dann bitterlich geheult, weil die kalten Füße so verdammt wehtaten und die Handschuhe längst nass waren und auch sonst überhaupt nichts mehr wärmte und auch weil der Weg für heutige Verhältnisse sportlich weit war, da wurde ja noch nicht hinterhergehelikoptert, von niemandem. Nein, diesen Spezialspaß aus dem letzten Jahrhundert kann er sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, der Sohn. Egal, Opa erzählt vom Winter, und da bin ich noch gar nicht bei 78/79 angekommen, das kann hier eh keiner mehr hören.

Sohn I hat sich dagegen heute immerhin seine ganz eigene Rodelerinnerung gebastelt und ist mit dem Schlitten gegen einen Metallzaun gefahren, wonach wir den Rest des Nachmittages beim Zahnarzt verbringen durften, da er mit den Frontzähnen gebremst hat. Man macht was mit.

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Apropos Opa erzählt von früher, in der Gegenwart haben sie auch nicht mehr alle Latten am Zaun: “Gut jeder dritte Social-Media-Nutzer in Deutschland kann sich das Leben ohne soziale Netzwerke nicht mehr vorstellen.”

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Die letzte Sonntagskolumne aus der Reihe “Der moderne Mann” für die Lübecker Nachrichten abgeschickt, nach immerhin 189 Folgen wird die Folge dort beendet. Das ist einerseits etwas traurig, andererseits aber vielleicht auch ganz gut so. Denn kein Format ist für die Ewigkeit und Wechsel kann wohltuend sein. Und natürlich hat man so Platz für Neues. Also sowohl die Zeitung als auch ich.

Die Kolumne bestand immer aus 1.750 Zeichen und ich hatte einen gewissen Ehrgeiz, sie stets mit genau 1.750 Zeichen abzugeben, keines mehr, keines weniger. Das hat mir immer Spaß gemacht, am Text so lange herumzuschrauben, bis alles auf das Zeichen genau gepasst hat, das wird mir doch ein wenig fehlen. Man lernt etwas über das Texten, wenn man auf diese Art schraubt, was man im Blog oder generell online nicht lernen kann. Allerdings fand das die Familie auch oft lästig, wenn ich am Sonntag stundenlang verbissen Zeichen geschubst habe. Irgendwas ist immer.

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Zwischendurch schnell in die Bücherei gerannt und den nächsten Band von Kempowskis Echolot geholt, das liest sich nämlich überraschend schnell. Nach den Grauen von Leningrad jetzt also direkt zu Stalingrad, man träumt nicht unbedingt gut nach diesen Büchern. Schon gar nicht, wenn man einen Sinn für die Gegenwartsbezüge hat, die schier zahllos sind.

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Ich stecke musikalisch übrigens immer noch in den Achtzigern fest und gucken Sie mal, damals hatte man noch Zeit für lange Intros. Auch schön! Wobei die Stücke von der Dame sowieso vergleichsweise würdevoll gealtert sind, die muss man nicht verstecken.

 

Die Herzdame startet ein Experiment

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die keine Vorträge mehr halten will.

Die Söhne mit dem iPad

Im Moment haben wir zu Hause wieder eine ganz furchtbare Phase. Es klappt nichts.

Die Wünsche der Söhne (8 und 10 Jahre) und unsere Wünsche gehen gerade komplett auseinander. Die Kinder wollen mehr iPad, mehr Spieleapps, mehr Serien, mehr Fernsehen, mehr Youtube-Videos, mehr Hörspiele, mehr Abhängen, mehr Chillen, mehr Süßigkeiten, mehr Tiefkühlpizza. Außerdem lieber weniger frische Luft, weniger Hausaufgaben, weniger Lernen, weniger gemeinsame Mahlzeiten, weniger gesundes Essen, weniger Tischdeckaufgaben, weniger Spülmaschineausräumen, weniger Müllrunterbringen, weniger Zähneputzen, weniger Körperpflege. Genau genommen all das am liebsten gar nicht. Und alleine ins Bett gehen schon mal überhaupt nicht.

Die Eltern wollen logischerweise das genaue Gegenteil.

Wir alle haben es zurzeit nicht leicht miteinander. Die gegensätzlichen Wünsche führen zum Beispiel dazu, dass sich die Kinder die Freiheit nehmen, mehr Medienzeit zu nutzen als vereinbart wurde. Es reicht nicht die „eine Runde noch zu Ende“ zu spielen, nicht 5 oder 10 Minuten mehr, nicht eine Stunde mehr, nein, es ist nie genug.

Die fürsorglichen Eltern erinnern erst daran, dass die Zeit um ist. Mahnen dann, dass nun wirklich genug sei. Sagen dann auch, dass sie es richtig blöd finden, dass die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden. Stehen dann irgendwann zeternd und meckernd vor den Kindern, die auf Durchzug geschaltet haben, bis dann früher oder später das Wort „iPad-Verbot“ fällt. Aha! Jetzt schauen sie wenigstens mal kurz hoch. Um dann aber wieder aufs iPad zu starren. Nur eben noch die Runde zu Ende …

(Pädagogisch wertvoller Tipp übrigens: wenn man sich wieder mal kein Gehör verschaffen kann, aus welchen Gründen auch immer, einfach mal ganz leise das Wort „iPad-Verbot“ flüstern und schon hat man alle Aufmerksamkeit der Welt.)

Oder ein anderes Beispiel, die stressgeplagten Eltern bitten die Kinder: „Ihr liebsten Söhne, beste Kinder der Welt, wäret ihr so gnädig die Spülmaschine auszuräumen? Ach nein, es reicht schon, wenn ihr den Esstisch abräumen könntet. Stellt die Teller einfach auf die Spülmaschine.“ Keine Reaktion, die Kinder sitzen schon lange nicht mehr am Esstisch. Nichts regt so sehr die Verdauung an, wie eine gemeinsame Mahlzeit mit der Familie. Also am Ende wieder Vorträge über Hilfe im Haushalt und Geschimpfe. Die meisten Eltern werden das irgendwie kennen.

Mittlerweile bin ich schon selbst so richtig genervt von meinen ewigen Vorträgen. Und kann mein eigenes Gemecker auch nicht mehr ertragen. Ich will das so nicht mehr! Und der Gatte auch nicht. Deshalb habe ich ein Experiment vorgeschlagen: eine Woche ohne Vorträge und Meckern.

Eine Woche sollen die Kinder die Verantwortung für ihr Handeln selbst übernehmen. Ich mische mich nicht ein, ich rege mich nicht auf. Sie können sich so viel Medienzeit nehmen, wie sie es für richtig halten. Wenn sie nichts lernen wollen, dann eben nicht. Ich bin keine Zeitansage in Dauerschleife, wenn sie morgens zu lange trödeln, dann kommen sie eben zu spät in die Schule. Ich gehe jedenfalls pünktlich um 7:45 Uhr zur Arbeit. Wenn sie keine Lust auf Zähneputzen haben – die Quittung kommt, wenn sie das erste Gehalt gleich in das erste Implantat statt in den ersten Urlaub investieren müssen. Nicht mehr meine Baustelle. Sie haben keine Lust, mit uns am Tisch zu sitzen? Egal, so können der Gatte und ich uns endlich mal wieder in Ruhe unterhalten. Wo der Kühlschrank steht, das wissen sie ja, und Brote schmieren können sie auch. Ihre Schmutzwäsche liegt nicht im Wäschekorb? Dann kann ich sie leider auch nicht waschen. Schade für sie, weniger Arbeit für mich. Lieber Schokolade statt Apfel – egal, Kinder werden auch unter viel schlimmeren Lebensbedingungen groß.

Wenn die Wohnung mit Kinderkram zugemüllt ist – auch egal, ich rege mich nicht auf. Ich schmeiße einfach alle Sachen ins Kinderzimmer auf einen Haufen, und wie es da aussieht ist mir sowieso egal. Hauptsache MEIN Wohnbereich ist ordentlich und ich kann mich wohlfühlen. Zum Gute-Nacht-Kuss komme ich pünktlich um 20:15 Uhr nach der Tagesschau, WENN die Kinder dann komplett bettfein im Bett liegen. Und über löchrige Socken und nicht angezogene Winterjacken rege ich mich ohnehin schon lange nicht mehr auf.

So die Theorie … Natürlich müssen sie nicht alles allein machen. Wir werden weiterhin für sie einkaufen, kochen und dergleichen, aber uns eben eine Woche lang auch nicht mehr Arbeit machen und aufregen als nötig.

Was meint Ihr, klappt das?

Es war tatsächlich Zufall, aber dieses Experiment passt hervorragend zum Interview des Gatten drüben bei Patricia.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Von Fichten verfolgt

Ein fehlendes Bett.

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Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Wort Sitkafichte bis vor ein paar Tagen überhaupt noch nicht kannte, dann kamen diese Nadelbäme bei mir im Wirtschaftsteil vor (hier der Artikel über Irland) und jetzt begegnet mir die Art schon wieder. Und zwar in einem Artikel über den Beginn des Anthropozäns: Der einsamste Baum der Erde. Das Anthropozän ist demnach ungefähr so alt wie ich, was sagt mir das jetzt?

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Kurz in den Garten gefahren, der ist zwei Stadtteile weiter, also quasi irgendwo da draußen, und es ist immer wieder faszinierend, wie sehr es anderswo Winter ist, nur bei uns nicht. Da lag reichlich Schnee und alles sah nett aus, hier war am Nachmittag alles grau wie immer. Die Stadtmitte hat eben auch Nachteile.

Im Garten steht erwartungsgemäß nach wie vor der Bagger sinnlos herum. Sohn II will da jetzt einen Zettel mit einer Frist dranmachen, und wenn die Frist verstrichen ist, gehört der Bagger ihm. Das gute Kind.

Garten im Schnee

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Hier noch eine typisch hamburgische Aufforderung zum Widerstand und nein, da ist kein Schreibfehler drin.

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Auf der Straße steht der stadtbekannte Jesusbrüller und predigt vehement wie immer, die Leute weichen ihm eilig aus. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass er die Bibel so hält, wie die jungen Leute ihre Handys halten, so ans Kinn gehoben und dann hineinredend, als sei das ein Empfangsgerät. Da er aber seine wüste Rede niemals unterbricht, um einmal zuzuhören, wirkt das ein wenig so, als würde er endlos und aufgebracht auf seinen Gott einreden, er ist der besorgte Gläubige vom Dienst mit der schier endlosen Sprachnachricht.

Nun bin ich kein religiöser Mensch, aber ich würde doch generell davon abraten, auf Gott einzureden wie auf einen lahmen Gaul, in welcher Religion auch immer. Das interessiert den Jesusbrüller aber natürlich nicht, denn er hat ja Recht, heiliges Recht sogar, und er schimpft immer weiter in seine Bibel, jedes Hallelujah eine beleidigte Belehrung. Ich weiß ja nicht recht, ich kenne mich auch nicht aus, aber das geht doch besser und sympathischer.

Was in Altona auffällt

Am Nachmittag bei einer politischen Veranstaltung gewesen. Da war ich der einzige Teilnehmer, die Veranstaltung ist nämlich erst im nächsten Monat, wie mir allerdings erst einfiel, als es da verdächtig menschenleer aussah. Egal, wenigstens einmal draußen gewesen! Wenigstens wieder einmal in Altona gewesen, lange nicht mehr gesehen. Wenn ich schon einmal da bin, kann ich mich ja auch etwas umsehen, dachte ich. Da stand in einer kleinen Nebenstraße eine einsame blühende Kirsche, liebliches Rosa, leuchtend und frisch, das war die erste Kirschblüte in diesem Jahr, an der ich vorbeikam. Und hätten die Blüten Ärsche gehabt, sie hätten sie sich abfrieren können, so kalt war das da. Mehr ist mir in Altona nicht aufgefallen.

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Mit einem Gelstift, einem Kalligraphiestift und einem Füller seitenlang probegeschrieben, ich mache ja keine halben Sachen. Stabilo Worker, den hatte hier jemand in den Kommentaren empfohlen, der ist tatsächlich deutlich besser als andere Stifte – aber leider nicht gerade hübsch anzusehen. Orange fällt doch eher unter Problemfarbe, nicht wahr, ich habe immerhin die Siebziger erlebt, ich weiß Bescheid. Mit dem Kalligraphiestift wiederum sieht vermutlich jede Schrift plötzlich interessant aus, und alles, was man damit schreibt, wirkt mit so schick aufgeedelten Bögen und Schwüngen irgendwie voll deep, das ist auch ein spannender Aspekt. Tatsächlich gefällt der mir gar nicht schlecht. Von Staedtler und nein, ich habe keine Kooperationen welcher Art auch immer mit Schreibgeräteherstellern.

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Ein seit Tagen spürbares Unwohlsein und rätselhaftes Desinteresse an Nahrungsmitteln plötzlich als Zahnschmerz identifiziert, manchmal habe ich bei so etwas eine bemerkenswert lange Leitung. Montagmorgen gleich mal zur Fachfrau! Immer mutig voran.

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Der Salat aus der Voranzucht ist währenddessen teilweise vergeilt, daher habe ich ihn sofort als Microgreen bezeichnet (“Dein Name sei Microgreen!”) und auf der Stelle verspeist. Man muss da etwas findig sein, wenn man gärtnert, und Microgreens sind sowieso total in, die macht gerade jeder. Und guck an, das schmeckt ja überraschend stark, selbst wenn es nur winzige Blättchen sind. Gleich neue Samenkörnchen nachgeworfen.

Das Basilikum kommt jetzt auch reihenweise. Wenn es so weiter wächst, ich könnte schon einmal Tomaten und Mozzarella kaufen und vor den Anzuchttöpfchen warten.

Außerdem Gemüseschutznetze gekauft, was etwas absurd ist, da ich noch gar kein Gemüse habe, es aber schon schützen kann. Bin ich auf dem Weg zum Helikopter-Gärtner?

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Die Herzdame schreibt gerade einen Blogartikel nach dem anderen (demnächst hier auf diesem Sender!) und reagiert zunehmend gereizt auf Störungen aller Art, weil sie doch so sehr versucht, sich zu konzentrieren. Ich muss mich ungeheuer zusammenreißen, nicht dauernd “KANNSTE ENDLICH MAL SEHEN, WIE DAS IST!” zu rufen und sie alle drei Minuten anzutippen, anzusprechen, anzurempeln. 

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Am späteren Abend war ich noch einmal unterwegs und kam durch den Hauptbahnhof. Und obwohl ich es gewohnt bin, durch den Hauptbahnhof zu gehen und all die Problemfälle dort zu sehen, ist mir dort noch nie eine solche Menge sichtbar leidender Menschen aufgefallen. So viele, die schief im Leben stehen, eine solche Heerschar Gescheiterter und Gefallener. Das war wie inszeniert, alle gecastet für eine dystopische Großstadtszene, immer noch eine und noch einer. All die Bresthaften, die Geschlagenen, die von der Gesellschaft oder vom Leben zerschlissenen und aufgebrauchten, die Krüppel, die Aussortierten, die Weggelaufenen. Die Kranken, die Aussätzigen, die Halbtoten. Die Alkoholiker, die Junkies, die Süchtigen aller Art. Die Obdachlosen, die Heimatlosen, die Haltlosen. Die Einäugigen, die Einarmigen, die Einbeinigen, die Könige aller Art unter anderen.

Die Irren, die Erleuchteten, die Verblendeten, drei sangen sogar von Hare Krishna, das habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, irgendwo standen natürlich auch die mit dem Wachtturm. Wenn man sich hier lange genug umguckt, stehen sie immer irgendwo daneben, halten ihre Heftchen hoch und versuchen, einen Blick aufzufangen. In Dreiergrüppchen stehen die da, immer Rücken an Rücken. Sie halten sich für gerettet, die eilenden Passanten denken vermutlich eher das Gegenteil, aber allzulange denkt man da sowieso nicht drüber nach. Man kann sich nicht mit jedem Irrsinn beschäftigen, wo soll das hinführen, man muss sich auch selber retten. Und im abendlichen Hauptbahnhof sind sich alle Menschen gegenseitig eh nur Bilder im Vorübergehen. Seltsame, verstörende Bilder und wer weiß, wie man selbst gerade auf andere wirkt, immer Vorsicht an der Selbstbild-/Fremdbildkante.

Daran gedacht, wie ich 1987 in Hamburg ankam, in diesem Hauptbahnhof.

Kurz und klein