Das Lachen des Jokers und Momente der Fremdheit

Ich habe weiter in “Die Welt im Selfie” von Marco d’Eramo gelesen, wo ich eine Stelle gefunden habe, die mich jetzt vor einer falschen Darstellung bewahrt, das fand ich gut und lehrreich.

Um das zu erklären, muss ich etwas unvermittelt mal eben zurück zur nach wie vor nicht fertig erzählten Wanderung mit Sohn II an der Ostsee, zum mittlerweile dritten Tag. Wir sind, da war ich vor ein paar Wochen stehen geblieben, von Sierksdorf nach Hamburg zurückgefahren und ich habe etwas vergessen, das kommt davon, wenn man nicht schnell genug erzählt. Aber der Arm, Sie wissen schon.

Als wir jedenfalls abends in Hamburg ankamen, stand vor einem der U-Bahneingänge am Hauptbahnhof ein größeres Aufgebot der Feuerwehr. Große und kleine Wagen, Sanitäter, Menschen mit Funkgeräten. Und auf der anderen Straßenseite, vor dem anderen U-Bahnausgang, da stand ein größeres Aufgebot der Polizei. Passanten blieben stehen und guckten, ich zog den Sohn mühsam weiter, denn so ist das mit dem Erziehungsauftrag, man muss dann auch seine eigene Neugier in den Griff bekommen. Mehr war auch gar nicht zu sehen, hier die Feuerwehr, dort die Polizei, und die standen da alle so herum, mehr gab das Bild nicht her – es war nur noch etwas zu hören. Aus dem U-Bahnschacht hörte man ein lautes Lachen, aber nicht in der gesunden, fröhlichen Art, eher in der Art des Jokers bei Batman, das Lachen des bösartigen Wahnsinns. Der Sohn und ich, wir sahen uns an und uns war gerade gar nicht nach Großstadt zumute, wir hätten viel lieber wieder an der dunklen, ruhigen Ostsee gestanden wie am Abend davor.

Am nächsten Morgen fuhren wir, wie bereits erwähnt, gleich wieder los. Sogar das Frühstück gab es im Zug, weil der Sohn mit dem Meer noch nicht fertig war und es eilig hatte. Wir sind in Travemünde ausgestiegen und gleich wieder zum Strand gegangen, im Falle des Sohnes eher gerannt. Es war immer noch heiß, es war unfassbar heiß, es waren die heißesten Tage eines heißen Sommers. so heiß war es. Der Sohn ging sofort baden, mit Anlauf auf den Steg und in weitem Sprung rein, er hatte schon auf dem Weg alle Klamotten von sich geworfen, die ich hinter ihm aufsammelte. Er blieb auch erst einmal eine ganze Weile in der Ostsee, und das Bild des vollkommen glücklich schwimmenden und tauchenden Sohnes, das werde ich mir vom Sommer 2018 hoffentlich bewahren. 

Dann gingen wir langsam nach Norden zum Steilufer, denn da wollte er unbedingt noch einmal hin, die Steilküste hatte ihn beim ersten Besuch beeindruckt. In Travemünde gibt es ein dreifach gestaffeltes Stranderlebnis, wenn man nach Norden geht. Erst kommt der breite Sandstrand vor dem Maritim-Hotel, das ist der, den alle meinen, wenn sie vom Strand reden. Das ist also der mit den Strandkörben und den Burgen, das ist auch traditionell der mit den Familien. Der wird immer schmaler und schmaler, dann ist er auf einmal weg, es ist kein Sand mehr da und direkt am Meer entlang verläuft nun eine steinerne Promenade, unzählige Findlinge liegen als Wellenbrecher davor. Auf der anderen Seite der Promenade die Liegewiese. Darauf sind keine Strandkörbe, darauf liegen die Menschen einfach auf mitgebrachten und sehr bunten Handtüchern und außerdem auf etwas, das am Anfang dieses Sommers mutmaßlich einmal grünes Gras gewesen ist. Nach dem langen Stück mit der Liegewiese kommt das Steilufer, kommt Wildwest, kommt FKK und Hundestrand und Lagerfeuer und Hippies, kommt das ungeregelte Leben und irgendwann dann Niendorf, aber das dauert etwas. Auf dem Sandstrand zahlt man Kurkarte und Strandkorb, auf der Liegewiese nur die Kurkarte – oder wie immer sie heute gerade heißt – , am Steilufer zahlt kein Mensch mehr irgendwas.

Das war damals so, als ich noch da lebte, das ist heute auch noch so. Und doch ist es anders. Ich nehme einmal an, ich habe keine absurde Ausnahmesituation gesehen, aber genau weiß ich es nicht. Nach diesem einen Tag zu urteilen ist jetzt so, dass der Liegewiesenabschnitt nahezu ausschließlich Gäste hat, die sich nach ihrer Herkunft gruppieren, Menschen mit türkischen, arabischen, indischen Familien liegen hier, und hinten auf dem Sand bei den Strandkörben, da liegen die Deutschen und die deutsch aussehenden Touristen. Ich fand den Anblick vollkommen absurd, die strikte Trennung sah aus wie inszeniert, was sie ja auch war, eine soziale Inszenierung. Das habe ich nicht gewusst, dass sich das da alles so streng in zwei Gruppen teilt, als sei das offiziell geregelt und angewiesen, was es natürlich nicht ist. Die Menschen scheinen für solche Trennungen gar keine  Regelungen zu brauchen, die machen das einfach so. Zumindest zwei, drei Generationen lang. 

Ich habe eine Spaziergängerin gesehen, der Hilde gar nicht unähnlich, die in meinem Buch über das Travemünde von damals vorkommt, eine Rentnerin, die da langsam entlang ging. Die stand da an der Liegewiese und guckte und vermutlich fiel ihr gerade auf, dass da nur Menschen lagen, die ihr fremd vorkamen. Ich konnte es auf ihrem Gesicht sehen, das Erstaunen, das genauer Hinsehen und Umsehen, dann ein leichtes Kopfschütteln, nach oben gezogene Augenbrauen. Mehr ist nicht passiert, da lagen einfach nur ganz normale Badegäste herum, da ging einfach nur jemand ganz normal spazieren und guckte, aber in einem Theaterstück oder Film zum Thema Fremdheit wäre das ein geeigneter und sinniger Moment als Symbolszene, im Gesicht einer guten Schauspielerin würde da einiges passieren.

Eine indische Dame fortgeschrittenen Alters, so eine Dame die auch deutlich nach Dame aussah, in betont würdevoller Haltung, löste sich von ihrer Familie, ging über die Promenade, auf einen Steg und ins Meer. Sie war traditionell bekleidet, also soweit ich das beurteilen kann, und sie ging langsam und in voller Montur geradeaus ins Wasser. Es gab kein Zögern und überhaupt keine sichtbare Regung auf ihrem Gesicht, während die jüngeren Verwandten umso aufgeregter um sie herum liefen und auf sie einredeten. als würde sie etwas höchst Ungehöriges tun. Sie war die Ruhe selbst, sie wirkte sehr bei sich und es war ein beeindruckender Anblick, wie sie da so langsam in ihren Kleidern in die Ostsee stieg, es sah feierlich und wunderschön aus.

Und hätte mich die oben erwähnte Stelle in “Die Welt im Selfie” nicht daran erinnert, dass es für viele Menschen in Indien keine Bademodenkultur gibt, sondern dass die Frauen, wenn überhaupt, im Sari ins Wasser gehen, ich hätte gedacht, die Dame dort, die sei ganz besonders cool für ihr Alter gewesen. Da einfach so im Kleid … ein starkes Stück.

Aber gut. Sie ging einfach nur baden. Wie andere auch. Denn das ist es, was sie alle in Travemünde machen. Was auch sonst.

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Fortsetzung hier

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminiter zurücktreten sollte.

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Wanderlust

Wie der Gatte hier schon geschrieben hat, haben wir jetzt über die Feiertage die Netflix-Serie Wanderlust gesehen. Seit gefühlt 100 Jahren mal wieder Pärchen-Filmabende. Die Kinder haben wir aus dem Schlafzimmer ausgesperrt, ein Bierchen aufgemacht, uns im Arm gehalten und die Serie geschaut. Das war schön.

Der Serie selbst stehe ich etwas zwiegespalten gegenüber. Es geht um ein Ehepaar in einer langjährigen Beziehung, bei denen es im Bett nicht mehr so richtig gut läuft. Nachdem sie sich gegenseitig ihre Seitensprünge gestanden haben, stellen sie fest, dass sie keine Lust mehr auf einander haben, sich aber immer noch lieben und sich dann halt nur noch außerhalb der Ehe vergnügen wollen. Es läuft gut an, sie reden viel miteinander und sogar die Lust aufeinander kommt wieder.

Die Serie ist sehr dialoglastig und es wird viel über Bedürfnisse und Wünsche geredet, was mich etwas nachdenklich gestimmt hat. Auch wenn die Gesellschaft angeblich immer offener wird, über Sexualität und Fantasien wird bis heute noch nicht viel geredet. Vielleicht gibt es das anderswo, aber ich habe nur sehr wenige Freunde, mit denen ich wirklich offen darüber reden kann. In der Regel verstecken sich alle Gesprächspartner hinter billigen Sprüchen oder zerreißen sich das Maul darüber, wie x sich bloß von y flachlegen lassen konnte. Es geht fast immer nur um die andern und fast nie um einen selbst. Oder es gibt großes Schweigen.

Die Serie geht vor allem der Frage nach, ob eine offene Beziehung möglich ist. Das ist spannend und mutig und für mich das erste Mal, dass ich dieses Thema kritisch, aber ohne erhobenen Zeigefinger im Film wahrgenommen habe. Im Übrigen bin ich auch fest davon überzeugt, dass das Konzept „offene Beziehung“ funktioniert. Es traut sich nur niemand.

Die Serie oder zumindest diese Staffel kommt leider zu einem anderen Schluss, was ich dann doch nicht mehr so mutig finde. Schade, aber immerhin haben sie es versucht. Und leider ging auch das „miteinander reden“ nach ungefähr 2/3 der Staffel über in „viel zu viel reden“. Und auch den erwachsenen Kindern muss man ja nicht gleich alle Details seiner neu erwachten Lust auf die Nase binden, oder?

Alles in allem war die Serie super und im übrigen auch totkomisch, der Schluss aber ziemlich entbehrlich. Da die Serie allerdings auf einem Theaterstück basiert, kann sie vermutlich noch nicht mal etwas dafür.

Ich wäre jedenfalls sehr gespannt, wie eine zweite Staffel weitergehen könnte.

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Kurz und klein

Statt Djü ein Dööd

Ich mag den hier zitierten Satz von Harari.

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Cool to meet you.

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Ich sehe am Sonntagnachmittag aus dem Fenster auf den Spielplatz. Ein Spielplatz an einem norddeutschen Wintertag ist ein übel trostloser Anblick. Nasse, ungenutzte Spielgeräte in Farben, die bei Sonnenschein einmal fröhlich wirken sollten, das zieht einen fast unweigerlich runter, mit solchen Einstellungen fangen unfrohe Familienfilme an, das kennt man. Zwei kleine Lebewesen können diesen Anblick in einer Sekunde verändern. Ein einziges Eichhörnchen etwa, das da munter von Baum zu Baum turnt, reicht schon aus, um alles viel lebendiger und niedlich wirken zu lassen, mehr so naturfilmmäßig, parkartig. Ein einzelnes Kleinkind wiederum, das ist verlässlich der endgültige Stimmungsuntergang. Denn viel schlimmer als ein leerer Spielplatz im Nieselregen ist ein Spielplatz im Nieselregen mit nur einem einzigen Kind darauf, mit nur einem Kind, das sich lustlos auf die Schaukel setzt oder unmotiviert das Klettergerüst halb ersteigt, dann da einfach auf halber Höhe unmotiviert hängenbleibt und in die Gegend guckt. Ein einzelnes Kind auf einem Spielplatz wirkt aus der Ferne immer furchtbar deprimierend, alle Kindheitseinsamkeiten von damals steigen im Betrachter hoch, alle je erlebten Verlassenheiten, alles Trübe und Sinnlose. Geht das Kind durch eine Pfütze, weil Kinder nun einmal durch Pfützen gehen, ganz alte Regel, höre ich unweigerlich die Werbung von damals: “Wenn Ihr Kind häufig lustlos ist …”

Wobei der kleine Mensch auf dem Spielplatz dabei vielleicht bestens gelaunt ist, während er da in seiner Pfütze steht, das kann natürlich sein. Aber Bilder sind stark.

Im Gezweig der Büsche am Rand des Platzes sitzt, nanu, ein Dompfaff. Seit dem letzten Winter schon warte ich darauf, hier endlich mal eine andere Vogelart als Meise, Rotkehlchen, Taube, Eichelhäher, Möwe und Krähe zu sehen, nie war auch nur ein einziger weiterer Vogel vor dem Fenster. Jetzt aber endlich, da ist er, der Dompfaff. Ich habe seit Ewigkeiten keinen Dompfaff mehr gesehen, obwohl der in Deutschland gar nicht so selten ist, er kommt nur einfach bei uns nicht vor. Er braucht wohl Fichten, um sich wohl zu fühlen, sagt die Wikipedia. Ich überlege, wo hier die nächste Fichte steht, mir fällt keine ein, also abgesehen von den ruinierten Weihnachtsbäumen am Straßenrand, aber die stehen ja auch nicht. Ich gehe im Geiste den ganzen Stadtteil durch, nirgendwo steht eine Fichte, glaube ich. Wenn ich ein Dompfaff wäre, ich würde hier vermutlich auch nur durchreisen. Die Wikipedia sagt ferner, dass sich der Dompfaff durch die Form seiner Spermien von allen anderen Sperlingsarten unterscheidet. Die Information hilft mir nicht weiter, aber vermutlich merke ich mir das jetzt lebenslang, ich habe so eine Ahnung.

Die roten Federn des Dompfaffs leuchten wie unwirklich, der Vogel ist tatsächlich der einzige Farbfleck weit und breit, alles andere im Blickfeld ist schlammfarben, grau, schwarz, moderig, steinern, verblasst, verrottet, erdig. Wenn ich mich nicht an den Dompfaff in Lübeck erinnern könnte, der in meiner Kindheit ein ganz normaler und üblicher Vogel war, er würde mir jetzt wie ein abgefahren exotischer Vogel vorkommen, so bunt wie er wirkt, so ungewöhnlich und deplatziert, wie er da auf dem Zweig sitzt und auffällt wie ein Clown im Großraumbüro einer Versicherung.

Früher, so lese ich, früher wurde er oft im Hintergrund von Paradiesbildern dargestellt, warum auch immer. Vorne Adam und Eva, hinten der Vogel im Dickicht. Ein Garten Eden ist der Spielplatz vor meinem Fenster sicher nicht.

“Im Winter in Mitteleuropa einfliegende nordische Gimpel der Unterart P. p. pyrrhula lassen sich deutlich am Ruf von den hier brütenden Vögeln der Unterart P. p. europaea unterscheiden: Statt des weichen „djü“ erklingt ein „dööd“, welches stark an die doppelläufigen Spielzeugtröten aus Plastik erinnert.”

Statt djü ein dööd! Es gibt Tage, da möchte ich beruflich was mit Vogellauten machen, etwa im Park sitzen, lauschen und mitschreiben. Ich stelle mir vor, dass man eine lange Ausbildung braucht, um ein düdelö sicher und fachgerecht von einem tüdelüt zu unterscheiden, ich stelle mir vor, dass man mehrere Jahre des demütigen Lernens braucht, bevor man irgendwann allseits anerkannter Experte wird und dann vollkommen souverän vor interessiertem Publikum: “Das war ein düd” dozieren kann.

Aber ich ahne schon, davon könnte man auch wieder nicht leben.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Der Januar ist für fast alles die falsche Zeit

Eine bemerkenswerte Reihe auf Instagram von National Geographic. Menschen und ihre Hausapotheke, hier ein sehr spezielles Beispiel.

 

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Ein Beitrag geteilt von National Geographic (@natgeo) am

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Ich lese gerade “Die Welt im Selfie – eine Besichtigung des touristischen Zeitalters” von Marco d*Eramo. Wenn Sie ab und zu mal reisen sollten (haha, natürlich tun Sie das), dann ist das Buch auch etwas für Sie, möchte ich meinen. Denn neben der historischen Herleitung des Tourismus geht es auch um die Dimensionen der Tourismusindustrie, an der Sie sich dann unweigerlich beteiligen, auch wenn Sie noch so individuell reisen. Es geht auch um die soziologische Dimension, es wird zwischendurch sogar philosophisch, ich möchte es als Lektüre empfehlen, nein, warum nicht gleich als Urlaubslektüre. Auf dem Cover steht: “Von Hegel bis Tripadvisor”, das ist doch mal ein schöner und vielversprechender Klappentext.

Ich habe während der Lektüre nebenbei mit der Herzdame und den Söhnen die Urlaubsplanung 2019 diskutiert, was mich dauernd in Versuchung brachte, aus dem Buch seitenlang vorzulesen. Ich habe dem erfolgreich widerstanden, aber es war schwer. Ich komme auf das Buch sicher noch einmal zurück.

Es wurde nebenbei ein Südtirolbeschluss gefasst.

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Wir haben die Wohnung gründlich entweihnachtet, morgen fängt die Schule wieder an, es folgen acht Wochen Normalität. Also theoretisch, irgendwas ist ja immer.

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In einem Kommentar zum letzten Beitrag wurde ich gefragt, wie ich zur Silvesterböllerei stehe. Da muss ich mit einem Umstand anfangen, der ziemlich eindeutig nicht mehrheitsfähig ist, ich gehöre nämlich einer Minderheit an, und zwar der kleinen, kleinen Minderheit, die Feuerwerk gar nicht besonders schön findet, sondern eher vonne Ästhetik her bestenfalls so mittel und ansonsten entbehrlich und lästig. Auch zu Silvester. Das liegt ein wenig mit daran, dass ich in einer ungewöhnlich feuerwerksreichen Gegend wohne und mir die dämliche Ruhestörung mit Leuchteffekt jahrelang so dermaßen oft die gerade eingeschlafenen Kinder geweckt hat, die dann wieder stundenlang fröhlich zur Unzeit um mich herumsprangen, es war wirklich nachhaltig nervtötend.

Mir wäre es daher vollkommen egal, wenn man es verbieten sollte, dass der gemeine Privatmensch tonnenweise Zeug in die Luft jagt, ich würde das nicht bedauern. Die Kinder sehen das natürlich etwas anders, die Kinder finden Feuerwerk eher toll, wie wir es alle als Kind toll gefunden haben, nehme ich an.

Sie haben aber andererseits die Nachrichten zu Umweltschäden, Gefahren und Feinstaub etc. aufmerksam verfolgt – die wohl noch nie so umfangreich waren wie in diesem Jahr – und danach erstmal freiwillig nur geringste Mengen Feuerwerk gekauft und dann nachts noch diskutiert, ob das Zusehen nicht eigentlich auch reichen würde, ob das eigene Zündeln sie nicht sogar vom entspannten Zusehen abhält. Wenn diese Kinder die Zukunft sind: Läuft.

Allerdings halten kindliche Beschlusslagen selten lange, schon klar. Ich fand es dennoch erfreulich.

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Im Garten gewesen. Die Vegetation denkt bei lauschigen sieben Grad und freundlicher Feuchtigkeit überhaupt nicht an Pause, zumindest die eher nicht so willkommenen Pflanzen wuchern wild vor sich hin. Magnolie, Pfirsich, Pflaume, Kirsche knospen bemüht, Ringelblumen blühen durch, der Grünkohl steht in aller Pracht, aber nicht mehr lange. Der Kompost sieht schwarz und zum Anbeißen aus, wenn Sie keinen Garten haben, dann müssen Sie das nicht verstehen.

Man müsste sehr vieles machen, jede Ecke sieht nach Arbeit aus, aber der Januar ist für fast alles die falsche Zeit. Meinetwegen kann es Frühling werden.

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Musik! Kevin Morby.

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Jetzt ist schon wieder nichts passiert

Die liebe Frau im Walde.

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Ich gehe nach wie vor sehr viel durch die Gegend, es passiert aber nichts dabei, also fast nichts. Ich sehe keine Szenen, die ich im Blog lang und breit beschreiben könnte, ich erlebe keine halben Geschichten, ich fange nicht einmal bemerkenswerte Dialoge im Vorbeigehen auf, es gibt gerade eine kleine Flaute. Die liegt vielleicht auch am Wetter, es gibt da draußen nämlich gerade ein äußerst langweiliges Großstadtgrau mit mauer Temperatur, nicht warm, nicht kalt, dazu ein gelegentlicher hauchdünner Nieselregen, den kann man nicht einmal als typisch hamburgisch oder norddeutsch bezeichnen, den kann man nur ex negativo definieren, der ist einfach nur kein gutes Wetter. Die Stadt sieht im Licht dieser Tage unschön aus, unfotogen, dreckig, verkommen und verbaut, wobei die an den Straßenrändern liegenden Tannenbäume eine fein deprimierende Note ergänzen, wie sie da abgetakelt zurückgelassen wurden, wie sie nadeln und nass werden, vorbei die ganze Herrlichkeit. Nächste Woche werden sie alle abgeholt.

Im letzten Jahr lag der erste Tannenbaum hier bereits am Abend des 24.,12. vor der Tür, er war nicht einmal richtig abgeschmückt. Der war sicher Teil einer dramatischen Geschichte, Familienkrach für Fortgeschrittene oder so etwas, da ist Weihnachten irgendwo gründlich an die Wand gefahren worden. In diesem Jahr verläuft aber alles in geregelten Bahnen, die ersten Bäume lagen erst kurz vor Silvester auf dem Fußweg. Jetzt werden es zügig mehr und mehr, an manchen Ecken wurden schon drei, vier übereinander geworfen. Über Nacht machen sie sich selbständig und liegen am Morgen im Weg und auf den Straßen, die winterlichen Tumbleweeds der deutschen Gemütlichkeit.

Zwischendurch fahre ich kurz mit der U-Bahn, da sitzt mir ein älterer Mann gegenüber, der ist dann doch bemerkenswert. Markantes Gesicht, stechender Blick. An der einen Hand ein Ring, bei dem man dreimal hingucken möchte, ein goldener Widderkopf in einer Größe, die das an einem Ring erwartete Normalmaß erheblich übersteigt, sagen wir ruhig pflaumengroß, es ist nicht übertrieben. An der anderen Hand trägt er auch einen Ring, auf dem steht ein eiserner Würfel, Kantenlänge locker 4 cm. Vielleicht habe ich noch nie einen Menschen gesehen, der so große Ringe trägt, das kann sein. Wäre ich in einem Fantasyroman und dieser Herr würde sich mir gegenüber hinsetzen und mich so durchdringend ansehen, wie er es getan hat, während ich krampfhaft versuche, nicht die ganze Zeit diesen wirklich vollkommen abgefahrenen Widder und den Eisenwürfel anzustarren, wäre ich also in einem Fantasyroman an genau dieser Stelle, wo unsere Blicke sich treffen und er die Augenbrauen langsam etwas hebt – es würde mit großer Sicherheit auf den nächsten Seiten verdammt spannend werden.

Ich bin aber nicht in einem Fantasyroman, ich bin nur in einem Blog, daher wird das hier einfach nur ein Eintrag von vielen und morgen gibt es ein anderes Thema. Was ein Glück.

Aber apropos auffällige ältere Männer. Wenn Sie Kinder haben, dann kennen Sie vielleicht das Buch “O je, du fröhliche” vo Raymond Briggs, über einen Weihnachtsmann, der mit seinem Job gar nicht so zufrieden ist, der z.B. dauernd über das verflixte Wetter schimpft? In der radiologischen Praxis saß gestern ein Mann im Wartezimmer, der hatte genau das Gesicht dieses Weihnachtsmannes. Er war nicht ganz so beleibt, er war etwas abgemagert, aber zu erkennen war er doch. Ich bin recht sicher, dass er das war, denn dieses Buch habe ich unseren Söhnen ziemlich oft vorgelesen, die Bilder haben wir zu jedem Weihnachtsfest gemeinsam betrachtet, so etwas prägt sich ein.

Falls Sie sich also fragen, was der Weihnachtsmann nach den Feiertagen eigentlich so macht: Er geht zur Strahlentherapie in Hamburg-Altona. Wollen wir hoffen, dass es hilft, sonst gibt es im Dezember ein Problem.

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Musik! L.A. Salami.

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Ich als Spezialexperte

Ein Terminhinweis für Hamburg, bei mir um die Ecke – Gegen das Vergessen u.a. mit Esther Bejarano (Auschwitz-Komitee) und Regula Venske (PEN). Sonntag 13. Januar, 13 Uhr, im Polittbüro auf dem Steindamm, kostet nix.

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Ein Lob der schlechten Laune, das liest man ja auch nicht jeden Tag.

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Ease. (Ich überlege noch, welches Wort ich nehmen würde)

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Bei Spektrum gab es auch einen Artikel über gute Vorsätze und deren Scheitern, danach ist es eine menschliche Grunderfahrung, ständig hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben und bei aller Mühe dann doch nicht das Richtige zu tun. Im Grunde eine banale Erkenntnis, man müsst aber das Wort “ständig” vielleicht noch einmal verinnerlichen, es ist doch irgendwie tröstlich. Und selbstverständlich ist es kein Grund, nicht irgendwas zu probieren. Schöner scheitern, Sie kennen das.

Wo wir schon wieder dabei sind, noch ein Wort zur Selbstoptimierung. Ich nutze zur Speicherung von Links den Service von Pocket, dort gibt es auch eine Rubrik “Empfohlen”. Ich habe nie verstanden, was da wie ausgewählt wird, ein Algorithmus macht irgendwas, bei mir erscheinen da aus irgendwelchen mir vollkommen schleierhaften Gründen immer wieder etliche Artikel aus den USA mit wunderwirksamen Listen. Zehn Schritte, um ein toller Autor zu werden, ein reicher Influencer, ein schlanker Mensch oder sonstwas. Fünf Bausteine für mehr irgendwas, mehr Geld, Erfolg, Liebe, Selbstvertrauen und immer so weiter, der Mensch als solcher mag wohl Listen und To-Dos. Sieben Tricks gegen schlechte Stimmung und Schreibblockade und Selbstmitleid und Siechtum, was weiß ich. Es gibt To-Dos für und gegen alles, manche absurd und abwegig, manche geradezu nervtötend naheliegend: “Räum dein Zimmer auf.” Man liest es und hört sich selbst zu den Kindern sprechen, Selbstoptimierung ist am Ende auch nur eine Fortsetzung der eigenen Erziehung mit Bordmitteln und ohne Eltern.

Ich überfliege da morgens immer schnell die Überschriften, denn manchmal finde ich in dem Wust tatsächlich doch einen interessanten Link, wenn auch selten. Deswegen weiß ich, dass da immer wieder das Frühaufstehen dringend empfohlen wird. Was man alles erreichen kann, wenn man früher oder noch früher aufsteht! Die Welt steht einem plötzlich offen, man hat um acht Uhr schon das Tagewerk erledigt, kann ab dem Mittag in strahlender Stimmung die Erfolge abgreifen und wird, das ist ja ganz wichtig, Topmanager und in Folge auch noch steinreich. So stellen sich das viele wohl vor. Ich nehme an, man kann da schreiben, was immer man will, es probiert eh niemand aus, denn das frühere Aufstehen fällt den allermeisten Menschen so irrsinnig schwer, es wird ein typischer ewig scheiternder Vorsatz sein.

Ich bin das Gegenbeispiel, ich stehe seit Jahren früh auf, sagen wir ruhig sehr früh. Nicht weil ich mir da irgendwie Mühe gebe, sondern weil ich einfach aufwache, ein Folgeschaden aus der Kleinkindzeit der Söhne, mein Biorhythmus hat sich danach nie wieder umgestellt. Ich kann da jedenfalls als Insider und Spezialexperte einen Punkt ergänzen, der in diesen Texten immer, immer fehlt, der ist aber gar nicht mal so unwichtig – wenn man früher aufsteht, dann ist man abends auch früher müde. Logisch, ne.

Weswegen ich mir übrigens gerade Mühe gebe, das wieder etwas umzudrehen. In letzter Zeit werde ich gerne schon um vier Uhr morgens wach, da hört der Spaß allmählich auf, denn am Abend bin ich dann ab etwa acht Uhr völlig unbrauchbar und mit einem irgendwie gearteten Sozialleben muss mir keiner mehr kommen. Ich versuche also seit einer Weile, abends wieder länger aufzubleiben, um morgens dann etwas länger zu schlafen und irgendwann – möglichst bald – wieder in einen etwas sozialverträglicheren Rhythmus zu kommen. Man kann die Komfortzone auch zeitlich verlassen, um noch einmal auf die Gedanken der letzten Tage zurückzukommen. Wobei ich das aber nicht aus Prinzip versuche, sondern weil es mir für andere spaßige Vorhaben sinnvoll erscheint. Wenn ich z.B. versuchen möchte, mehr Gelegenheiten und Möglichkeiten aller Art wahrzunehmen, brauche ich dafür sicher auch die Abendstunden, da trifft man nun einmal Freundinnen und andere Menschen, da geht man ins Theater, ins Kino usw., und mir ist gerade sehr nach Anregungen aller Art.

Oder wenn ich wieder Geschichten oder gar ein Buch schreiben möchte, dann brauche ich dazu auch die Abendstunden, die sind dafür nämlich viel geeigneter als die Morgenstunden. Die wiederum sind eher gut fürs Blog oder für den Wirtschaftsteil. Ich kämpfe mich also momentan abends minutenweise vorwärts, andere Menschen, so höre ich, sollen ja bis elf oder noch länger aufbleiben.

Na, wir haben jedenfalls schon den 4. Januar und ich bin noch nicht gescheitert. Geht doch!

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Im Vorübergehen gehört:

“Erst mein Sohn, dann meine Frau, dann ich.”

“Erst dein Sohn, ja.”

“Ja. So ist das jetzt.”

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Ich kümmere mich selten um Podcasts, aber ich mag diese kleine Reihe vom SWR: “Die größten Hits und ihre Geschichte”. Fünf Minuten und man weiß mehr, das kann man mal eben hören während man Kaffee kocht oder so.

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Musik! Und zwar für den Abend, vielleicht sogar für den späten Abend.

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Gehen und Gucken

Ich habe eine Einladung zu einem Neujahrsempfang bekommen, zu so etwas gehe ich ja normalerweise nicht. Also habe ich sofort zusagen wollen, Komfortzone und so, Sie wissen schon. Dann habe ich leider gemerkt, dass bei der Einladung versehentlich kein Tag dabei steht. Nur eine Uhrzeit. Schwierig. Aber der gute Wille war da!

Na, das regelt sich vielleicht noch. Davon abgesehen bin ich enorme Strecken spazieren gegangen, dabei ist überhaupt nichts Interessantes passiert, aber es fühlte sich gut an. Siehe übrigens auch hier. Ich habe mich im letzten halben Jahr viel zu wenig bewegt, es besteht erheblicher Nachholbedarf. Den Erling Kagge (“Gehen – Weitergehen”) habe ich übrigens abgebrochen, er kam irgendwie nicht auf den Punkt und die Kernaussage war recht eindeutig “Gehen ist super” – das finde ich aber ohnehin schon, das muss ich nicht nachlesen.

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Und dann habe ich gleich noch etwas gemacht, was ich sonst nie mache, das läuft hier nämlich. Und zwar habe ich, Sie werden es wohl nicht spektakulär finden, eine Serie gesehen. Sogar mit der Herzdame gemeinsam! Wir fanden das bemerkenswert. Und auch schön. Wir sahen “Wanderlust” auf Netflix, eine britische Serie über ein Paar, dass die Beziehung öffnet, die also beide mit anderen Leuten Sex haben, ohne sich deswegen trennen zu wollen. Eine sehr dialoglastige Angelegenheit (eine Folge besteht überhaupt nur aus einem durchgehenden Dialog), in Bezug auf Fremdschämmomente manchmal etwas anstrengend, aber wirklich witzig und betont liebevoll gemacht. Dicke Empfehlung, wir haben das gemocht.

Wenn Sie mit dem Lieblingsmenschen Ihrer Wahl eher nicht offen über Sex und Liebe reden können, ist das gemeinsame Gucken vielleicht nicht ganz risikofrei, kann ich mir vorstellen. Man kommt da auf Themen.

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Überraschend schwierig finde ich übrigens die Sache mit dem Vorsatz: “Etwas lernen”, denn was nehme ich da bloß? Vielleicht hänge ich mich einfach an den E-Piano-Unterricht von Sohn II ran, das ist so einer der Mängel, die mich wirklich stören, dass ich musikalisch rein gar nichts kann, nicht einmal “Alle meine Entchen”. Das müsste doch zu lösen sein? Und taugt eigentlich irgendeine dieser Apps zum Klavierlernen etwas? Für richtige Stunden wird die Zeit nicht reichen.

Zweitliebstes Vorhaben wäre wieder etwas Zeichnen zu lernen, ich muss das noch abwägen. Aber das sind jedenfalls so zwei Bereiche, bei denen es sich nicht gut anfühlt, nichts zu können.

Vielleicht fällt mir auch noch etwas ganz anderes ein.

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Zum Geburtstag von J. D. Salinger. Wie wohl der Fänger im Roggen bei einer wiederholten Lektüre wäre? Darf man den als Ausgewachsener überhaupt erneut lesen? Wobei ich den so großartig damals gar nicht fand, dazu war er viel zu sehr Schulbuch und von vorne bis hinten mit nervtötenden Fragen durchseucht, warum sagt der das, warum reagiert die so, beschreibe den Charakter, es war entsetzlich. Wir konnten es einfach nicht in Ruhe lesen und eine erleuchtende Erfahrung war es ganz sicher nicht.

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Warum trinken wir keine Milch von Schweinen? Wieder was gelernt. Leider vergessen, durch wen ich den Link gefunden habe, pardon.

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Florian Wacker schreibt und setzt sich durch Öffentlichkeit unter Druck. Kann man machen. Spannend.

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Klingt vielleicht gar nicht so interessant, fand ich aber doch – die taz über die Krätze. Es juckt förmlich beim Lesen.

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Ich habe festgestellt, dass ich neuerdings wieder mit der Hand schreiben kann, was ich jetzt immerhin seit August nicht mehr gemacht habe. Und ich weiß nicht, wie das genau zu erklären sein mag, aber meine Schrift ist jetzt nennenswert besser. Ruhiger, klarer. Falls Sie also auch unter Ihrer Sauklaue leiden, schreiben Sie doch einfach mal fünf Monate gar nichts, das scheint enorm zu helfen. Was bin ich heute wieder hilfreich,

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Im Vorbeigehen gehört:

”Die haben mich gerade verhört, deswegen rufe ich an.”

Und dann, andere Leute, nur ein paar Meter weiter:

Wie machst du das mit dem Schwarzgeld?”

Das war in Altona, eine ganz verkommene Gegend ist das.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Wohl und sicher

Ich bin nach wie vor mit den Vorsätzen beschäftigt, da kam in den Vorschlägen der Leserinnen auch der Punkt mit der Komfortzone, die ich verlassen soll, die sowieso quasi jede und jeder verlassen soll, das liest man ja oft. Man liest es in diesen ganzen Selbstoptimierungstexten, von denen das Internet und die Ratgeberregale nur so wimmeln. Also wenn man die denn überhaupt liest, ich lese da eher nur mal die Überschriften. Und ich habe, da fängt es schon an, Vorbehalte gegen diese Komfortzonenangelegenheit. Denn alle Welt scheint zu unterstellen, dass man da drin ist, sonst könnte man ja nicht raus. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob es nicht eine sogar recht große Gruppe von Menschen gibt, denen man erst einmal raten müsste, in ihre Komfortzone hineinzufinden.

Laut der Wikipedia ist die Komfortzone allerdings sowieso nur ein Begriff der Populärpsychologie, das ist schon einmal eine wunderschöne Begriffsbeleidigung, die nicht in jeder Fachrichtung klappt, Populärjura etwa kommt nicht vor, soweit ich weiß. Und ansonsten: “Eine Komfortzone ist der durch Gewohnheiten definierte Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt und es ihm deswegen leicht fällt, mit der Umwelt zu interagieren.” Meine Komfortzone ist demnach mein Bett, in dem ich mich wohl und sicher fühle und in aller Regel nur mit einem Menschen interagiere. Ob der Rest meines Alltags nach dieser Definition meine Komfortzone ist – ich weiß ja nicht.

Ich halte mich eher für einen routinierten Komfortzonenneider, unter uns Freunden der Küchen- und Populärpsychologie gibt es dafür ganz einfache Hinweise, gerade jetzt im Winter. Wenn ich durch abendliche Straßen gehe und in fremde Fenster sehe, dann unterstelle ich anderen Menschen stets mehr Gemütlichkeit, Entspanntheit und Sicherheit, als ich normalerweise selbst zur Verfügung habe. Das ist eine ganz spannende Frage, was andere Wohnungen für einen ausstrahlen. Ich beneide niemanden um seine Wohnungsgröße, um die Ausmaße seines Fernsehers, um seine schicke Einrichtung oder um seine Einbauküche, es sind andere Aspekte.

Ich denke immer, die sitzen da alle und wohnen total friedlich und besinnlich, ich dagegen weiß bis heute nicht, wie das geht.

Aber gut. Die Komfortzone meint natürlich alles, worin man sich eingerichtet hat, das können also auch recht fatale und unangenehme Umstände und Probleme sein, Hauptsache, sie ändern sich nicht mehr, so ist das ja eigentlich gemeint, ich weiß. Und da soll man unbedingt raus, das ist also die Aufforderung sich zu challengen, sich irgendwas zu stellen, etwas Neues zuzulassen, sich mal wieder mit etwas abzumühen – damit etwas passiert und sich verändert. Im Grunde ist das eine Wachstumsstrategie, und das ist der zweite Punkt, an dem ich Zweifel habe. Denn diesen Imperativ, dass man immer weiter und höher muss, dass man mehr erreichen soll, mehr sein soll, den kann man ja zumindest mal hinterfragen. Reduce to the max könnte einem als Alternative einfallen (mir schon namensbedingt sowieso), wobei es zu Personal Degrowth noch keine Ratgeber zu geben scheint, bin ich da gerade über eine Marktlücke gestolpert? Ebenso könnte einem die mittlerweile leicht verstaubte Variante einfallen, sich doch bitte erst einmal okay zu finden, das fanden damals doch auch schon alle schwer genug, die Älteren erinnern sich.

Bei Isa stand gerade der Satz: „Do one thing every day that scares you.“ Sie zitiert da spaßeshalber einen herumgeisternden Ratschlag, das ist von unserer Komfortzonendiskussion nicht weit weg. Wobei es vermutlich viele Menschen gibt, die diesen gerade zitierten Punkt schon abhaken können, wenn sie morgens auch nur erfolgreich das Haus verlassen, zumindest sehen in der S-Bahn etliche so aus. Gut, das sind also meine Vorbehalte.

[Exkurs: In einem anderen Blog begegnete mir der Begriff Superbetter, das ist eine App nach einem Buch, bei der es um die Gamification der Selbstverbesserung oder Selbstheilung geht, was auch immer. Und da ich ja möglichst alles nachlese, habe ich eine erstaunlich lange Rezension zum Buch gefunden. Wenn Sie das Thema der Selbstoptimierung spannend finden, dann gucken Sie bitte mal hier, das wird Sie dann vermutlich interessieren. Die App selbst habe ich mir natürlich auch angesehen, der erste Eindruck ist definitiv: Ich weiß ja nicht. Exkursende]

Andererseits! Andererseits kann man die Komfortzone auch als den Routinerahmen des Alltags betrachten, der tendenziell immer weniger Anstöße zulässt, über die tatsächlich noch ernsthaft nachgedacht wird – und Nachdenken, da stehe ich ja drauf. Nicht weil ich damit großen Erfolg hätte, nein, eher weil es Spaß macht.

Noch einmal kurz zurück zu den Ratgeberbücherregalen und den Selbstoptimierungstexten im Internet, ein Aspekt, der da immer wiederkehrt, ist so dermaßen banal, dass man im Grunde gar nicht drüber reden muss, da aber alle dauernd und in epischer Breite drüber reden, wird er vielleicht etwas Wichtiges treffen – mehr Gelegenheiten ergeben mehr Möglichkeiten, um hier einmal das so unangenehm verpflichtend klingende Wort Chancen zu vermeiden. Wirklich, mit dieser Kernbotschaft können Sie Coach werden, das läuft super. Versammeln Sie Leute um sich und sagen Sie ihnen, sie sollen mal rausgehen. Oh, diese Fülle der Weisheit! Denkt man so.

Aber richtig ist es vermutlich doch, es ist sogar eine simple Frage der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die man selbstverständlich auch prima esoterisch, philosophisch, psychologisch, strategisch oder sonstwie betrachten und unterfüttern kann. Und, das wollte ich nur eben sagen, abzüglich der oben erwähnten Einwände, werde ich mich also um dieses Gelegenheitsspiel außerhalb der Komfortzone in diesem Jahr mal deutlich intensiver kümmern.

Nach Niederschrift (ein schönes Wort, lange nicht mehr benutzt) dieser Zeilen bin ich selbstverständlich sofort vor die Tür gegangen, ein Mann, ein Wort, eine Absicht. Ich habe vorher kurz in den Hamburger Theaterplan gesehen, da sprach mich aber nichts an, also beschloss ich, einfach am Hafen spazieren zu gehen. Es war schon deutlich nach acht Uhr am Abend, das ist eigentlich nicht mehr meine Uhrzeit für so etwas, und so soll es ja sein. Zu meiner großen Überraschung wollten beide Söhne mit. Wir sind mit der S-Bahn zum Hafen gefahren, an den Landungsbrücken raus.

Es war fortgeschritten stürmisch, die Jungs öffneten die Jacken weit und spielten Laufsegeln, der Wind trieb sie energisch vor sich her über die Promenade. Die nachtschwarze Elbe war glitzerschön, über uns die beleuchteten Masten der Rickmer Rickmers, weiter hinten die eleganten weißen Aufbauten der Cap San Diego, all das also, was die Touristen an dieser Stadt so lieben, daran kann man sich ja auch als Einheimischer mal wieder erfreuen. Wir gingen an der hell erleuchteten Elbphilharmonie vorbei, durch die wie immer menschenleere und etwas vergessen wirkende Hafencity, wir unterhielten uns über viele wichtigen Themen, denn dazu sind solche Spaziergänge da.

Quer durch die Stadt gingen wir, am Gebäude der Zeit blieben wir überrascht stehen. Auf die Außenwand wurde dort riesengroß der Kopf von Helmut Schmidt projiziert, ein altes Schwarzweißbild von ihm, ein Hinweis auf eine Ausstellung zu seinem 100 Geburtstag. Das fanden die Söhne toll, da mussten wir dann erst einmal herausfinden, wo genau der Projektor stand und wie das genau ging, dass der Herr da oben so groß erschien.

Helmut Schmidt guckte ernst, überhörte unser freundliches “guten Abend!” und sah staatsmännisch und etwas mürrisch über uns hinweg in die Finsterbis, sicher auch weil man ihm keine Zigarette dazu projiziert hatte, ein Unding.

Und hätte er zu uns dreien etwas sagen können, die wir da direkt vor ihm standen und schon aufgrund der Höhe seines Bildes notgedrungen zu ihm aufsahen, es wäre vermutlich nur ein kurzes “Die Kinder gehören ins Bett” gewesen, denn einen ausgeprägten Sinn für S-paß bei der albernen Abendges-taltung hatte der Herr nicht, glaube ich.

Kaum verlasse ich also die Komfortzone, schon rede ich in dunkler und stürmischer Nacht mit toten Kanzlern, wenn das wenn das kein vielversprechender Einstieg ins Thema ist.

In Kürze mehr.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Trinkgeld Dezember 2018, Ergebnisbericht

Von dem Hutgeld im Dezember haben wir im Kino mit der ganzen Familie den Film über Charles Dickens gesehen, “Der Mann, der Weihnachten erfand”, außerdem den deutschen Film “100 Dinge”, den ich immer schlechter finde, je länger der Besuch her ist. Egal, die Söhne fanden ihn gut.

Und kurz vor Toresschluss waren wir dann noch mit der ganzen Familie in “Der Junge muss an die frische Luft”, also in dem Film, über den schon alle gebloggt haben, etwa hier Isa. Alles richtig, was bei Ihr steht, auch die Sache mit dem Ende. Ein zahlenaffiner Sohn sagte nach dem Kinobesuch: “Von 100 Leuten vor uns haben 65 geheult. Also 35 nicht.” Und das beschreibt es irgendwie auch ganz gut.

Sohn I: “Der Film geht für Kinder ab etwa neun Jahren, wenn sie mit Traurigkeit etwas umgehen können.

Sohn II: “Da lernt man etwas über die Wichtigkeit der Familie, das fand ich gut.

Es hätte für mich gerne auch noch ein Theaterbesuch sein dürfen, das Geld dafür war auch da, bzw. ist da. Die Zeit hat aber nicht gereicht, denn der Dezember ist ja immer befremdlich voll mit allem. Aber wir waren übrigens alle so angetan von unseren Kinobesuchen am Sonntagmittag, das setzen wir wohl so fort. Die Kinos sind leer, es ist hinterher noch etwas Tag übrig, das ist ein wirklich guter Termin für so etwas, wenn man die Kinder mitnimmt.

Fürs Theater müssen wir uns also noch etwas mehr Mühe geben, aber an Mühe muss ja nichts scheitern, wollen wir mal sehen, ob und wie wir das demnächst hinbekommen.

Die Herzdame und ich waren noch auf dem Erdmöbelweihnachtskonzert und haben Sohn II das Songbook mit Noten und CD mitgebracht, in diesem Jahr kommt er dann dorthin mit, wenn es wieder in Hamburg stattfindet.

Die Söhne waren von dem Geld außerdem im Drachenlabyrinth, so etwas können sie mittlerweile ganz elegant ohne elterliche Beteiligung organisieren und das ist ganz schön, wenn man ab und zu einfach sitzen bleiben kann. Nein, es ist nicht nur ganz schön, es ist eine riesige Erleichterung und ein großer Zeitgewinn, wenn man nicht mehr den halben Tag damit verbringt, Kinder von A nach B und zurück zu bringen. Die Jungs wissen jetzt, wo B ist, sie wissen, welche U-Bahn da hinfährt, es ist einfach herrlich.

Vom Buchgeld kaufte ich Mary Shelleys Frankenstein in einer besonders schönen Ausgabe der Büchergilde, übersetzt von Karl Bruno Lederer und Gerd Leetz, illustriert von Martin Stark, dazu später im Jahr mehr.

Wir danken für jeden einzelnen Euro, es ist immer wieder großartig und eine Freude, wenn da etwas ankommt!

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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