12 von 12 im August

(Die zahllosen anderen Ausgaben der Reihe 12 von 12 wie immer hier)

Ich stehe wie fast immer weit vor der Familie auf, koche mir einen Kaffee und gehe an den Schreibtisch, wofür hier unten gleich ein Symbolbild folgt, natürlich schreibe ich am Computer. Sonst würde die Familie ja auch nicht mehr schlafen.

Mit der schlafenden Familie im Rücken schreibt es sich am besten, das gilt bei mir seit vielen Jahren. Ich tippe weiter am seltsam ausufernden Wanderbericht, zwischendurch frage ich mich auf einmal, ob ich die Orte dabei eigentlich in der richtigen Reihenfolge wiedergebe, also sehe ich lieber noch einmal auf der Wanderkarte nach. Schreibende Menschen kennen das vielleicht, ab und zu überkommt einen die Angst, dass man nicht nur die üblichen kleinen Fehler macht, sondern TOTALEN STUSS schreibt, deswegen gucke ich so etwas sofort gründlich nach. Immer.

Sohn I steht wie üblich als Zweiter auf, er sieht auf die neben mir liegende Wanderkarte, die kennt er noch gar nicht.

“Was ist das hier unten, diese Biegung?”
“Das ist die Lübecker Bucht.”
“Die könntest du doch mal längs gehen!”
“Das habe ich gerade gemacht. Mit deinem Bruder.”
“Oh.”

Kommunikation in der Familie, darüber könnte man ja auch Bände schreiben.

Ich gehe Brötchen holen, da das Kind, das Brötchen holen sollte, verspannt ist. Verspannt! Das Wort hätte ich in seinem Alter gar nicht gekannt, aber gut formulierte Ausreden müssen belohnt werden, sprachliche Förderung geht bei mir immer vor, also gehe ich selbst. Meine Verspannungen interessieren hier eh keinen.

Die Brötchen sind furchtbar wie immer, die sehen nur gut aus, im Grunde ist die Qualität, die da geboten wird, gar nicht mehr zumutbar, sie ist unter aller Sau, eine Frechheit und eine Schande für den altehrwürdigen Begriff Bäckerei.

Im Flur unserer Wohnung steht eine wartende Holzeins, für die die Herzdame gestern in immerhin fünf Geschäften war, diese Holzzahlen scheinen nicht mehr so üblich zu sein. Man braucht aber doch eine Holzeins, genauer eine zweite Holzeins, wenn Kinder ein gewisses Alter erreichen, und das ist hier demnächst der Fall.

Apropos Geschäft, ich habe neulich in einem Kaufhaus hier um die Ecke einen Ball für die Söhne gekauft. Der verlor aber nach jeweils fünf Stunden schon die Luft, deswegen habe ich den zurückgebracht, denn fünf Stunden sind auch für einen recht günstigen Ball eher wenig, finde ich. An der zentralen Kasse im Erdgeschoss, die mir wie ein ziemlich logischer Anlaufpunkt für so etwas vorkam, fragte ich, ob ich da richtig sei: “Nein, da sind sie hier aber ganz falsch. Ganz falsch!” Ein abwehrender Satz, vorgebracht in heller Empörung, wie Kunden nun wieder so doof sein können, so etwas zu fragen, also wirklich. Man schickte mich in den vierten Stock, denn da habe ich den Ball ja auch ausgesucht, logisch. Im vierten Stock war aber kein Mensch, auch logisch, also aus Kundensicht. Als dann eine Verkäuferin auftauchte, war sie, na klar, nicht zuständig, als ein Verkäufer auftauchte, verwies er auf einen anderen, der müsse eigentlich bald kommen – und der kam dann auch irgendwann, durfte aber nichts entscheiden. Und als der, der was entscheiden durfte, schließlich gefunden war, schickten sie mich mit dem doppelt unterschriebenen Bon wieder ins Erdgeschoss, wundern sich aber jeden Tag, warum die Leute alles online kaufen. Meine Güte.

In der Küche stelle ich nebenbei fest, dass wir in diesem Jahr den Frühjahrsputz ausgelassen haben, viel im Garten und überhaupt wochenlang weg waren, dass wir ferner, wenn wir denn doch einmal da waren, wohl gehaust haben wie die Dreijährigen, und so sieht es hier auch aus. Während draußen die Kirchenglocken die Frommen zur sonntäglichen Andacht rufen, suche ich also Putzmittel zusammen, räume die erste Schublade aus und starte die dringend notwendige Großaktion, da haben wir also Besinnung und Fleiß in einem Moment schön vereint, wenn das kein norddeutscher Sonntag ist.

Es kommt dabei allerdings zum Küchen-GAU, ich räume nämlich auch die Schublade mit dem ganzen Tupperzeug und den Frühstücksboxen und Trinkflaschen der Söhne komplett aus, die Schublade also, die nur fortgeschrittene Gamer und ausgeprägte Fans von 3-D-Puzzles wieder vollständig einräumen können. Alle Familienmitglieder gucken sofort angestrengt weg und müssen dringend andere Dinge tun, ich dann auch. Wenn sich das Zeug bis morgen nicht von selbst einräumt, dann machen wir eben einen neuen Plan, ziehen um oder wandern aus, was weiß ich. Wir hinterlassen jedenfalls bemerkenswert saubere Schubladen.

Egal, ich versuche es mit einem Mittagsschlaf, scheitere aber wieder an dem Phänomen, dass hier alle Familienmitglieder sofort etwas von mir wollen, wenn mein Körper tagsüber waagerecht ausgerichtet wird. Faszinierend. Aber auch enervierend, zumal wir im Schlafzimmer weiße Vorhänge haben, die bei offenen Fenstern so sachte herumwehen und sich hier dezent etwas bauschen, dort ein paar kleine Wellen schlagen, bei dem Anblick kann man wirklich hervorragend ruhen und einschlafen. Eigentlich.

Draußen ist grauer Himmel, das ist hier keiner mehr gewohnt, die Stimmung ist etwas getrübt. Ich gehe zwischendurch mit Sohn I etwas planlos raus und sehe mir in den Schaufenstern des Stadtteils die neuesten Modetrends an, nicht alle können mich überzeugen.

Bei grauem Himmel kann man sich aber wenigstens mal wieder an den Herd stellen, das ist in dieser Wohnung bei Sommerhitze nicht möglich. Es gibt Couscous mit Huhn, Zucchini, Datteln, Kreuzkümmel und Koriander, ein hervorragendes Essen, wenn ich mich mal kurz selbst loben darf. Das Rezept kam wieder aus der von mir viel genutzten KptnCook-App, keine bezahlte Werbung, nein, nicht einmal ein Link.

Ich lese außerdem weiter in Ortheils Moselreise, zu der mir erstaunlich lange kein Symbolbild einfallen wollte. Dann aber doch noch:

Passt schon.

Eines der Fotos ist bei mir traditionell ein Video, da lade ich jetzt das ab, was mir Youtube seit Wochen aus mir völlig unklaren Gründen wieder und wieder empfiehlt, mit einer Hartnäckigkeit, die schon erstaunlich ist. Porque te vas. Vielleicht hört es jetzt auf? Vielleicht musste es nur einmal raus?

Ich schreibe weiter am Wanderbericht, ich sortiere Termine, ich mache Schreibtischzeug. Die Herzdame geht zum Tanzen, ein Sohn liest, einer haut ab zu einem Kumpel, der Tag dümpelt so dahin, das ist gar nicht schlecht. Unaufgeregt.

Fehlt nur noch der Hinweis, was der Sohn liest:

Er findet es allerdings eher langweilig. Vielleicht wird es noch? Dann schreibt er was darüber, dann merken Sie das. Und wenn nicht – tja.

 

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Der kleine Tierfreund

Da die Kaltmamsell in den Kommentaren zum letzten Artikel “Die Moselreise – Roman eines Kindes” von Ortheil empfohlen hat, habe ich mir das Buch aufs Handy geladen und umgehend angelesen. Ich hatte heute eine Stunde komplett freie Zeit dafür, da die Söhne im Jumphouse waren (keine bezahlte Werbung) und ich im Vorraum auf sie wartete, über die Aktion wird Sohn I eventuell noch schreiben. Ein sehr feines und rührendes Buch ist das jedenfalls, ich danke für die Empfehlung.

Was Sohn I sicher nicht über das Jumphouse schreiben wird, das nehme ich schon vorweg. Ich bin nämlich wegen meiner immer noch schrottreifen Ellenbogen nicht mit in diese Trampolinhalle gegangen, das schien mir nicht ratsam. Als die Herzdame das letzte Mal Kunststückchen auf einem Trampolin machen wollte, da hatte sie hinterher wochenlang Spaß mit einem Orthopäden, und die Herzdame ist deutlich jünger als ich und hat zwei völlig gesunde Arme. Ich habe also weise verzichtet, was mir, wie man sich vielleicht denken kann, nicht allzu schwer fiel. Herumhüpfen, nein, das ist einfach nicht meins. Andere Eltern sahen das anders, andere Eltern gingen da wild entschlossen und in betont sportlichen Klamotten mit rein – und ich habe mich mehr so nach innen etwas darüber amüsiert, dass die deutliche Mehrheit dieser anderen Eltern nach etwa zehn Minuten mit hochroten Köpfen ziemlich wörtlich in den Seilen hing oder in den Gastrobereich retirierte. Auf Trampolinen herumzuhüpfen ist nämlich doch nicht mehr ganz so einfach, wenn man ein gewisses Alter und ein gewisses Gewicht überschritten hat. Es sieht nur leicht aus.

Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Kindheit einem frei bespielbaren Trampolin begegnet zu sein. Es gab zwei Dinge, die damals beim Springen halfen. Zum einen das Sprungbrett, das unser stets heillos besoffener Sportlehrer immer vor den großen Kasten schob, damit Kleine wie ich und auch Übergewichtige an dem Gerät eine Chance hatten. Zum anderen das Sprungbrett am Einer im Schwimmbad, von dem mich anlässlich des endlich zu erwerbenden Freischwimmers der Schwimmlehrer ohne Warnung warf. Es gibt so Vorkommnisse, die merkt man sich für die Ewigkeit und ja, das habe ich schon einmal erzählt. Da kann man mal sehen, was so etwas anrichtet.

In der Sporthalle der Schule gab es zwar ein kleines Trampolin, fällt mir gerade ein, das wurde aber nie aus dem Verschlag geräumt, das stand da eben so herum. Hochkant abgestellt.

Und übrigens immer wenn ich daran denke, wie viele unverkennbar alkoholkranke Lehrerinnen und Lehrer ich hatte, wie viele Erlebnisse mit krass übergriffigem Lehr- und Betreuungspersonal aller Art, fällt mir wieder auf, dass die Söhne es in dieser Hinsicht eindeutig besser haben, das kann und muss man doch ab und zu lobend erwähnen. Es wird nicht alles schlechter.

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Wir haben Ameisen in der Küche, es sind so dermaßen viele, da muss man etwas machen. Ich bitte also einen Sohn, das mal eben zu recherchieren, wozu hat man große Kinder. Der Sohn geht an den Computer, wie wir es alle machen würden. Allerdings sieht er gleich auf Youtube nach, ich dagegen hätte wohl erst einmal gegoogelt, das sind so die Unterschiede. Die Ergebnisse sind aber nicht großartig verschieden, merke ich später, man kommt bei solch einfachen Fragen auf dieselben Hinweise und guckt dann kurz darauf gemeinsam in den Schränken nach Backpulver, Essig, Spülmittel, Gurkenschalen und Zimt. Ich war auf Google deutlich schneller als er, er weiß dafür aber besser, was man genau wie mit dem Zeug machen muss, denn er hat ja Bilder gesehen – es gleicht sich irgendwie aus.

Ansonsten möchte ich Ameisen in der Küche als stundenlange Beschäftigung für Kinder ausdrücklich empfehlen, denn man muss ja herausfinden, wo die Tierchen herkommen, wo sie hingehen, was sie unterwegs so machen und welche Lebensmittel sie besonders toll oder abstoßend finden, ganz wie ein richtiger Tierforscher. Und genau wie die echten Tierforscher muss man dazu natürlich alles gründlich und lange beobachten, fotografieren und filmen. Darauf hätte ich auch früher schon viel kommen können, so ein billiges, lehrreiches und leicht verfügbares Entertainment.

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Die Deutsche Welle schaltet die Kommentare ab, ein längst überfälliger Schritt.

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Eine Reportage über einen Unfall. Auch beklemmend.

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An den Wänden geht es hier im Stadtteil gerade so zu, es eskaliert gewissermaßen vor sich hin:

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Was noch? Ein weiteres Filmchen, wir bleiben bei dem oben eingeleiteten Gefühlsmodus. Was man im Internet eben so findet.

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Nachdem mir auf der Wanderung mit Sohn II an der Ostseeküste so viel aufgefallen ist, was ich notiert und ausgewertet habe, so viel sogar, dass es mindestens noch für zwei, drei Blogeinträge reichen wird, bin ich heute zum Vergleich durch den ganzen Stadtteil hier gegangen. Ich bin ganz langsam gegangen und habe mich besonders viel umgesehen, ich habe auch hier und da bei den Gesprächen der Passanten mal hingehört. Ich bin ab und zu auch extra lange einfach so in der Gegend stehen geblieben – und mir ist überhaupt nichts aufgefallen. Nichts, gar nichts, worüber ich schreiben könnte, nur blanker Alltag der reizlosesten Art, das meinte ich neulich mit den Sehstörungen in der eigenen Hood. Hier ist nichts, gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.

Ich muss also wirklich wieder los, allerdings wird das an diesem Wochenende nicht klappen. Wir müssen und wollen nächste Woche zur Trauerfeier für die Urgroßmutter der Söhne, das verwirbelt terminlich erst einmal einiges. Wenn hier wieder mal nichts erscheint – Sie wissen Bescheid, ich fahre durch die Gegend. Und ab Montag geht es auch zurück ins Büro, es wird irgendwie nicht einfacher. Aber ich bleibe dran.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Nackt mit Hund im Boot

(Die Fortsetzung zu diesem Artikel)

Nachdem der Sohn dem Meer endlich wieder entstiegen ist, gehen wir in Niendorf ein Eis suchen, das dauert unerwartet lange. In meiner Erinnerung gibt es an der Ostsee alle hundert Meter eine Imbissbude mit Pommes, Strandspielzeug, Comics und Eis, das ist aber gar nicht mehr so, oder es war überhaupt nur in Travemünde so, das kann natürlich auch sein. Wir müssen jedenfalls etwas suchen, bis wir endlich Eis finden und da ist die junge Verkäuferin dann von unserer harmlosen Bestellung so dermaßen überfordert, man kann es nur mit der Hitze erklären, mit der man gerade so ziemlich alles erklären kann. Sie bekommt ihre Hände nicht sortiert, sie weiß nicht, wie sie die Waffel halten soll, wie die Eiszange, sie wechselt die Hände, sie guckt ihre Finger an, als seien die alle fremd und neu, sie dreht sich im Kreis, sie weiß nicht, was wo ist, sie weiß auch nicht, welches Eis wo ist, sie ist so dermaßen verwirrt, man möchte ihr gut zureden und sie in die Pause schicken, kurz mal ins Meer oder nach Hause. Ich reiche ihr das Geld und sage sicherheitshalber, was ich gerne zurück haben möchte, sie zählt verbissen Geld ab. “Das war jetzt aber komisch”, sagt der Sohn, “Es gibt so Tage”, sage ich, “hat jeder mal”, und dann essen wir erst einmal Eis, und an der nächsten Bude essen wir gleich noch ein Eis, denn wer viel wandert, der braucht auch viel Eis und der Gedanke an andere Nahrung ist bei der Hitze eh nicht zu ertragen.

Die Sonne ist immerhin über den höchsten Punkt und jetzt tritt ein angenehmer Effekt ein, wenn wir stur immer an den Promenaden entlang gehen, die es natürlich in jedem Ort an der Küste gibt, dann gehen wir oft im Schatten der teureren Hotels und größeren Privathäuser, die immer in der erste Reihe stehen. Küstenorte funktionieren vermutlich weltweit nach diesem Prinzip, man kann sich überall danach orientieren: Strand, Promenade, erste und teure Häuserreihe, zweite und etwas billigere Häuserreihe mit mehr Geschäften, in den Querstraßen noch weitere Geschäfte. Dahinter die besseren Wohnviertel mit vielen Ferienwohnungen, dahinter die schlechteren ohne Ferienwohnungen, dann die Gewerbegebiete und Supermärkte. An der Ostsee hat man am Nachmittag also nach vorne raus oft Schatten, an der Nordsee wird das anders ausfallen, da muss man dann morgens mehr Strecke machen.

Niendorf, Timmendorf, Scharbeutz, Haffkrug und Sierksdorf haben gewisse Ähnlichkeiten und funktionieren vergleichbar, in der Erinnerung gehen die Orte nach der Durchwanderung schnell durcheinander, was natürlich keiner dort gerne hören wird, schon klar. Und ja, Timmendorf wirkt teurer. Niendorf hat einen Hafen. Sierksdorf hat den Hansapark. Haffkrug ist besonders klein. Scharbeutz bietet laut Homepage den “modernen Ostsee-Lifestyle”, was auch immer das ist, das habe ich auf dem Weg durch den Ort nicht registriert, vielleicht war ich nicht aufmerksam genug. Wenn man durch die Orte hindurch geht, merkt man jedenfalls nicht unbedingt, dass man gerade ein Ortsschild passiert hat. Rechts ist immer ein nicht allzu breiter Strand voller Strandkörbe und Strandmuscheln, die Strandabschnitte sind alle paar Meter gespickt mit verwirrend vielfältigen Schildern, die erklären, was nun genau von wo bis wo an jedem Abschnitt erlaubt oder verboten ist, Hunde, Grillen, Strandkörbe, Strandmuscheln, FKK, Boote, und alles in allen denkbaren Kombinationen. Wenn man nackt mit Hund auf einem Katamaran segelt und mal eben kurz an Land springen und etwas grillen möchte, es gibt vermutlich auch dafür einen genau passenden Abschnitt, den gilt es dann zu treffen. Aber darf man überhaupt nackt segeln?

Ansonsten bietet die Gegend keinen umwerfenden landschaftlichen Reiz, ohne die Orte unnötig beleidigen zu wollen, selbstverständlich macht man da bei Sommerwetter dennoch prima Strandurlaub, dafür braucht man ja keine legendären Panoramen. Die werden auf Mallorca etc. auch oft genug nicht gewürdigt und Strand ist Strand, da gibt es nichts. Sohn II etwa möchte da sehr gerne wieder hin, auch oft, also bitte, die Orte funktionieren wie sie sollen Der Himmel ist blau und das Meer ist warm wie das Mittelmeer oder noch wärmer, auf einem Schild, das irgendwo an der Promenade auf die aktuellen Temperaturen hinweist, steht “Luft: Warm” und “Wasser: Schön”. Mehr Präzision ist in diesem höchst speziellen Sommer auch nicht mehr erforderlich.

Erst hinter Sierksdorf wird es landschaftlich wieder interessanter, da steigt der Uferstreifen wieder auf, aber das kommt noch, da war ich noch nicht. Das war auch früher nicht mein Revier, ich kam immer nur bis Haffkrug. Eine Perle der Architektur ist jedenfalls keiner dieser Orte, aber wenn man schon einmal da ist und da man nun einmal Tourist ist, sieht man sich die Häuser eben intensiv an, was sonst. Es ist überhaupt das Beste am Reisen, das man wieder alles sieht, jede Kleinigkeit fällt auf, alles ist markant, während man in der eigenen Hood irgendwann wie sehgestört durch die Straßen geht und nur noch grelle Auffälligkeiten mitbekommt. In Niendorf sehe ich sogar die gar nicht so großen Werbeplakate für den baldigen Auftritt des Schlagersängers Roland Kaiser. Roland Kaiser – hängen die Plakate noch seit den Achtzigern da? Nein, er sieht jetzt älter aus. “Santa Maria”, singe ich vor mich hin, der Sohn guckt mich irritiert an. “Ich hab meine Sinne verloren, in dem Fieber, das wie Feuer brennt”, sagte ich, er beachtet mich nicht weiter. Man muss Erwachsene auch nicht immer verstehen.

Die Häuser also. Da stehen die betonlastigen bekannten Klotzbausünden der Siebziger, daneben und gut unterscheidbar in anderen, oft seltsam dunklen Farbtönen und Materialien, die der Achtziger. In beiden Gebäudetypen gibt es noch eine hohe Gardinendichte, da kann man sich überlegen, wie alt die Menschen sind, die da wohnen oder übersommern, die stellen da noch die Mehrheit. Vor einem Café ein Schild: “Kuchen wie bei Oma”. Vor dem Café daneben das Schild: “Hier backt Oma” – Humor ist überall und Kuchen wie bei Oma ist immer wichtig, vermutlich sogar für alle Generationen. Dann, aber das ist natürlich Geschmacksache, gibt es auch die Bausünden der Gegenwart, die gerade erst errichtet werden oder frisch fertig sind, funkelnagelneu und auf diese beklemmende Werbeprospektart unbelebt. Wie sehen diese Häuser aus? Sie haben blauglänzende Dachziegel, die kühlen den Gesamteindruck schon einmal ordentlich herunter. Die Wände sind weiß, an Sommertagen also strahlend weiß, die Fensterrahmen glänzen silbrig, alles leuchtet und blitzt sauber und rein, man könnte die Fassaden auch verchromen, das würde den Zweck gewiss erfüllen und den Geschmack treffen.Verchromte Fassaden, und wenn man darauf zugeht, dann geht wie in Science-Fiction-Filmen lautlos eine Tür auf, gleitet sachte zur Seite, man verschwindet im Haus und macht – ja, was macht man da dann eigentlich? So, wie diese Häuser gebaut sind, kann es innen nicht gemütlich sein, nicht einmal behaglich, schon gar nicht romantisch, höchstens stylish. So, wie die Häuser gebaut und gemeint sind, kann es innen eigentlich nur sachlich zugehen, unterkühlt und beherrscht. Sicher wird drinnen gearbeitet, lässiges Herumhängen passt irgendwie nicht. Ich stelle mir vor, dass die zweifellos wohlhabenden Besitzerinnen und Besitzer dauernd Office machen. Sie makeln vielleicht, sie verkaufen und vermieten genau solche Häuser, die sie auch selbst bewohnen, die genügen höchsten Standards, die haben vor jedem Detail das Wort Komfort stehen, die liegen bestens, die sind ein gut gekühlter Traum, die sind von Hamburg aus leicht erreichbar. Vor den Terrassentüren liegen sterile Gärten in kantiger Unbelebtheit, das überrascht natürlich keinen mehr, und man muss auch nicht nachsehen, was wohl im Carport steht, das weiß man dann schon, wie groß und neu das Auto ist. Ich hatte vor langer Zeit mal ein Interview mit diesem Philosophen, wie hieß denn der, Byung-Chul Han, im Blog verlinkt, da ging es um die Ästhetik der Glätte, gerade ist mir dieser Passus von ihm in einem Buch wieder begegnet, sonst hätte ich den natürlich nicht parat gehabt. Die Ästhetik der Glätte, das kann man sich denken, wenn man vor diesen Fassaden steht, so sieht das dann wohl aus. Mit diesem Gedanken im Kopf ist das Haus zwar immer noch potthässlich, aber man fühlt sich als Betrachter wenigstens halbwegs gebildet. Immer gut.

Der Sohn und ich, wir haben jedenfalls andere Träume, stellen wir fest, wir haben einen altmodischen und vermutlich total spießigen Geschmack, wir mögen die wenigen alten Häuser mit Reet und rotem Backstein und mit vielen Winkeln und Brüchen in der Fassade und alten Bäumen im Garten, die einladend Schatten spenden. Architekten und andere Kenner können uns dafür gerne verlachen, wir machen es uns so lange gemütlich.

In Niendorf, um wieder vorne weiterzumachen, gibt es einen Hafen, das haben die anderen Orte nicht zu bieten. Und weil es einen Hafen gibt, kann man Räucherfisch kaufen. Gesetzt den Fall, der kommt auch aus der Ostsee, ich habe nicht nachgefragt und wundern tut mich nichts mehr, ist dieser Räucherfisch das einzige regionale Produkt, das mir an den ersten beiden Wandertagen aufgefallen ist. Ein merkwürdig dünnes Ergebnis, da haben die drüben in Mecklenburg aber etwas mehr vom Marketing der Produkte aus der Gegend verstanden, wenn man sich nur überlegt, was die alles aus ihrem Sanddorn machen. Wobei es da nicht viel zu überlegen gibt, alles machen sie aus Sanddorn, alles. Die Niendorfer machen also immerhin Räucherfisch, wir haben aber leider keinen Hunger auf Räucherfisch, es gab schon zu viel Eis. Schade eigentlich.

Im Hafen findet ein Fest statt, ein Hafenfest. Fast hätte ich gerade Hafengeburtstag geschrieben, das machen all die Jahre in Hamburg mit einem. In einem großen Planschbecken schwimmen riesige luftgefüllte Plastikzylinder, in die kann man steigen und darin herumlaufen, dann drehen sich die Zylinder und fahren übers Wasser. Ein großartiges Vergnügen für Kinder, noch nie hat Sohn II das gedurft, jetzt ist es aber fällig und ich kann gar nicht so schnell gucken, wie er da in eines dieser Dinger krabbelt.

Dann tobt er darin herum und läuft wie ein Hamster im Rad und wirft sich hin, lässt sich wie eine Kugel herumwerfen und hat enorm viel Spaß, während ich mir denke, dass es in diesem Ding bestimmt grauenvoll heiß sein muss und alle Kraft, die da gerade so begeistert ausgegeben wird, gleich auf der Straße fehlen wird. Aber wir haben ja keinen Plan und kein Ziel, also setze ich mich hin und gucke einfach nur zu. Wandern und Eile, das passt nicht.

“Geben Sie mir mal fünf Euro”, sagt der Betreiber der Attraktion, “dann passt das schon.” Und er sagt es so, als sei das ein sensationelles Sonderangebot.

(Fortsetzung hier)

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, mit etwas Glück gehe ich schon am nächsten Wochenende die nächste Etappe.

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Wertvolle Wolldecken und romantischer Regen

Mein Handy hat sich in der Hosentasche selbständig gemacht, es war entsperrt und ich habe durch Bewegungen beim Gehen wild darauf herumgedrückt. Meistens rufe ich dann ohne es zu merken jemanden an, der dann mit meinem Gesäß telefoniert, manchmal höre ich auch eine wieder einmal nichts verstehende Siri aus der Hosentasche. Diesmal war es etwas raffinierter, diesmal habe ich die Bilder-App geöffnet, also nicht ich, sondern meine Gehbewegungen haben das ganz alleine getan. Sie haben die Bilder-App geöffnet und es dann auch noch geschafft, ein neues Album anzulegen, es hat sogar einen Titel und der Titel ist auch noch ein sinnvolles Wort, ist es denn zu fassen: “Molke”. Ein ziemlich interessanter Zufall.

Was mache ich denn jetzt damit? Ich gehe an Zufällen ja ungerne vorbei. Mal eine Molkerei, nein, eine Käserei besuchen, um das Album mit Bildern zu füllen? Mir einen Hund zulegen und ihn Molke nennen? Molke, komm, ich mache ein Bild von dir! Schwierig. Lapidar übrigens die Wikipedia, ich gucke ja alles gleich nach, so auch die Molke, da liest man dann: “Um 1890 bestanden in der Schweiz gegen dreißig Molkenkurorte, doch schon um 1900 wurde Molke als nutzlos betrachtet.” Sic transit gloria mundi, aber gelernt hat man doch wieder was. Hätte es die zehn goldenen Jahre der Molke in den USA gegeben, wir würden alle irgendwelche Filme darüber kennen, mit Robin Williams als Kurarzt kurz vorm Untergang.

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Nachts wache ich auf, weil ich vom Erstickungstod träume, womöglich ist die Wärme in dieser Wohnung ganz im Ernst nicht mehr gesund. Ich sitze eine Weile auf dem Balkon und gucke auf den dunklen Spielplatz, nach einer Weile fallen mir auf einigen Balkonen ringsum ein paar Menschen auf. Da sitzen also noch mehr zu unchristlicher Zeit herum wie ich und atmen gierig Nachtluft, die in den Wohnungen nicht ankommt. Dann geht es irgendwann und ich schlafe noch zwei Stunden. Ausgeschlafen fühle ich mich dann im Herbst wieder, nehme ich an.

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Ich lese “Arme Leute – Reportagen” von William T- Vollmann, übersetzt von Robin Detje. Ich bin noch recht weit vorne, aber das Buch ist ziemlich zweifelsfrei interessant.

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Für Sohn I habe ich zusammengekauft, was er für den Start am Gymnasium braucht, es gab da eine ellenlange Liste von der Schule. Ich glaube, er hat jetzt mehr Schnellhefter, als ich überhaupt je besessen habe, was lernen die denn da bloß, Ablagesysteme? Dabei gelernt, es gibt jetzt vorgefertigte Plastikfolien, um Schulbücher darin säuberlich und passend einzuschlagen, die gibt es sogar für alle nur denkbaren Buchgrößen im Abstand von je 5 Millimetern Rückenlänge. Wir dagegen mussten damals alles noch komplett selbst basteln. Und was gab das immer für einen Ärger, wenn ich das Mathebuch dann wieder in die Todesanzeigen der Lübecker Nachrichten eingeschlagen habe. Schlimm. Ich kann mich allerdings, wie mir gerade einfällt, an kein einziges Mathebuch erinnern, und zwar nicht einmal ansatzweise, wohl aber an die aus allen anderen Fächern. Verdrängung ist immer wieder auch eine Gnade, das darf man nicht vergessen.

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Eben kam das Unwetter, das mit -zig auf dem Handy blinkenden Warnungen seit Stunden angekündigt worden war. Es war sogar ein wenig beeindruckend windig, das ging schon in Richtung Orkanböen, doch, doch. Es kam auch reichlich Regen runter, so Unwetterregen wie im Film, wo man immer denkt, da steht doch einer mit Schlauch und Eimer nebe dem Kameramann. Es blitzte auch schön quer über den plötzlich düsteren Himmel, es donnerte wie im Hörspiel und es flog reichlich Laub vorbei, wirklich, ich will nicht meckern, das war nicht schlecht. Nur leider verdammt kurz.

Vom Fenster aus sah ich unten ein Pärchen stehen als es gerade ganz dunkel wurde, die hasteten nicht wie die anderen in Sicherheit, die suchten nicht Deckung, Schutz und Trockenheit, die blieben mitten im Wolkenbruch stehen und drückten sich und knutschten und umarmten sich, die strichen sich gegenseitig die klatschnassen Haare aus den Gesichtern, pusteten Tropfen von Nasen weg und lachten und lachten und froren, denn es hagelte auch ein wenig, die haben alles, alles richtig gemacht. Und hätten sie kurz hochgeguckt, sie hätten meinen begeistert hochgereckten Daumen gesehen. 1A-Romantik, gerne wieder. Zu Not auch mit spanischen Untertiteln.

 

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Die Söhne haben jetzt keine Urgroßeltern mehr, wir werden nächste Woche zur Beerdigung ihrer Urgroßmutter fahren. Aber es freut mich, dass die beiden diese Generation noch erlebt haben, und sogar so, dass sie sich deutlich erinnern werden. An Menschen aus einer ganz anderen Zeit und mit einem ganz anderen Lebensstil, an Menschen, die nie große Ansprüche gestellt haben, nicht an ihre Karriere, an ihre Freizeit oder an ihr Land, nicht an die Gesellschaft, nicht einmal an die Familie. Die keine besonderen Kicks gesucht haben, keine Rekorde, keine Specials oder irgendwelche best of was auch immer, sondern einfach nur Alltag, und die diesen Alltag dann gut und passend gefunden haben, so dass da nicht mehr viel geändert werden musste. Jahrzehntelang. Sich bescheiden und zufrieden sein, eine aussterbende Grundqualifikation.

Und wenn hier jetzt jemand in diesem Haushalt Mittagsschlaf macht, er kann die Wolldecke der Uroma mit aufs Sofa nehmen, das sind doch Erbstücke, die wirklich etwas wert sind.

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Was noch? Bernstein und Gould.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Die Kuh an sich macht nichts falsch

(Die Fortsetzung zu diesem Artikel)

Während wir auf Niendorf zugehen, während sich die Steilküste langsam absenkt und man unten schon wieder Badende sieht, ausgebreitete Handtücher, Spaziergänger und in den Wellen herumspringende Hunde, fällt dem Sohn einiges auf, und schön ist das alles nicht. So bemerkt er zum vermutlich ersten Mal im Leben, dass es keine freie Natur zu geben scheint, denn diese Wäldchen da am Weg, die waren zwar schön und sahen sogar dicht und urig aus, aber die waren auch recht klein. Und direkt dahinter sah man immer sofort die Rasenflächen des Golfplatzes, bestellte Äcker, eingezäunte Wiesen mit Kühen darauf, Wildnis war da am Weg nicht vorgesehen. Wie weit wir denn wohl gehen müssen, um richtig aus allem raus zu sein? Ich kann ihm keine Hoffnung machen, das liegt hier nicht um die Ecke, und nach Meinung mancher gibt es das auch gar nicht mehr, zumindest nicht in Deutschland, zumindest nicht in Schleswig-Holstein, ziemlich sicher nicht in der Lübecker Bucht. Richtige Wildnis, das ist so eine Sache, und unberührt ist so gut wie nichts mehr.

Nur da, wo die Kante bricht, wo die Lehmwand der Steilküste aufragt und sich Jahr für Jahr ein wenig ins Land frisst, wo sie Bäume herunterzerrt und vom Menschen angelegte Wege und manchmal sogar das Mauerwerk längst verlassener Häuser bröckelnd abstürzen lässt, wo die Uferschwalben nisten und ihre kleinen Tunnel anfliegen, da sieht es doch ziemlich echt aus, findet er. Also so, wie es wohl gehört, die Erde an sich eben. Das ist aber ein verdammt schmaler Bereich. Na, vielleicht noch die Brandungszone unten davor, mit der hat der Mensch auch nichts gemacht, die sieht unbearbeitet und ungenutzt aus. Aber hinter ihr sieht man immer schon die großen und kleinen Schiffe, also das Menschenwerk, und weiter links kommen schon Stege ins Bild und Surfbretter, die auf dem Strand liegen.

Und da der Sohn davon gerade genervt ist, fällt ihm auch auf, dass jetzt zunehmend mehr Müll herumliegt. Er hat auf einer Jugendfreizeit an der Nordsee gerade etwas über Plastik im Meer gelernt, jetzt sieht er jeden Fitzel im Gebüsch, und es gibt, daran kann man eigentlich beim besten Willen nicht vorbeisehen, viele Fitzel. „Als würde man auf eine Müllhalde zugehen“, sagt der Sohn und findet Menschen schrecklich. Wir reden darüber, wie das alles kommt, welchen Beitrag der Einzelne leistet und wie sehr alle meinen, dass ihr Anteil nichts ausmacht, wie nachlässig der Mensch an sich ist, also auch er, auch ich. Das Gespräch geht lange, es ist auch alles sehr kompliziert. Aber auf Wanderungen hat man Zeit und das wollte der Sohn ja, denken und reden und gehen, das kann er haben. Als der erste Gartenzaun am Weg auftaucht, ist er gerade bei „Der Mensch an sich ist also böse. Aber er kann sich immerhin Mühe geben, gut zu sein.“

Da er aber ziemlich gnadenlos weiterdenkt, kommt er auch darauf, dass man fast immer ein Problem darstellt, egal, was man macht, man läuft einfach nur irgendwo herum und tritt auf einen Käfer, man kann gar nicht anders, und die Kühe da hinter dem Weidezaun, die können das auch nicht anders, es ist womöglich ziemlich grundsätzlich etwas verkehrt in dieser Welt. Aber die Kuh kann sich keine Mühe geben, darauf kommt er auch noch, wir schon. Wobei die Kuh an sich weniger falsch zu machen scheint, die steht da eben und frisst, das kann man ihr irgendwie nicht vorwerfen, sie scheint nicht anders zu können. Der Mensch an sich aber kann immer auch anders, das ist wohl der Punkt. Wenn ich mich recht erinnere, stand das ähnlich in dem Geschichtsbuch von Yuval Noah Harari, als es um die Frage ging, wie der Mensch „eigentlich“ ist, also wie er wohl richtig ist, wie er abseits aller kultureller Prägung gehört. Das ist nicht zu beantworten, denn da der Mensch denken kann, kommt er für alles auf verschiedene Optionen und kann mit seinem Denken auch alle Optionen begründen, er kann aber nie wissen, welche Option wirklich richtig ist. Richtig und natürlich ist es vielleicht, keine Optionen zu haben, mag sein, das ist uns nicht gegeben. Der Mensch war sozusagen von der ersten bewussten Entscheidung an, von den ersten beiden Optionen an verdammt für alle Zeit, ganz ohne Apfel und noch vor dem ersten Brudermord.

Dass die Kuh an sich für gar nichts etwas kann, das ist ein erst einmal befriedigender Schlusssatz für den Sohn, den kann man so stehenlassen. Wir müssen das Thema auch dringend verlassen, um uns über diesen eben erwähnten ersten Gartenzaun zu wundern. Der umschließt nämlich ein Grundstück direkt am Weg, links ist das Haus, rechts ist das Meer, dazwischen der Weg. Wir gucken nach, aber da ist an der rechten Seite kein Zugang zum Meer, da ist nur dichtes Gebüsch ohne Pforte oder Weg. Die wohnen da also in allerbester Lage, können aber nicht ans Meer, darüber kann man sich nicht genug wundern. Wie mag das sein, da zu wohnen? Ärgern die sich wohl jeden Tag, dass die erst etwas weiter weg und dann wieder zurück gehen müssen, um direkt vor ihrem eigenen Haus zu baden? Oder gehen die gar nicht ans Meer, so wie wir nicht an die Alster gehen, obwohl wir doch direkt daneben wohnen? Und ist es nicht überaus seltsam, wenn am eigenen Gartenzaun jeden Tag Hunderte Menschen vorbeiziehen und stehenbleiben und gucken und beurteilen? Denkt man nicht bei allem, was man kurz auf dem Rasen liegenlässt „Das sieht jetzt wieder jeder“, ist das auf Dauer nicht irre lästig? Das ist alles entschieden merkwürdig.

Und noch merkwürdiger ist es dann nur ein paar Meter später, dass diese Niendorfer ein Schwimmbad direkt ans Meer gebaut haben, ein Schwimmbad, in dem sogar Menschen sind und schwimmen, während wenige Meter weiter die Ostsee piwarm herumdümpelt, es gibt also Leute, die bezahlen da Eintritt und schwimmen lieber drinnen, mit Blick aufs Meer. Warum denn bloß? Ich erkläre dem Sohn die Sache mit dem Winter an der Ostsee, damit kenne ich mich immerhin aus. Aber das ist nicht einfach, denn Winter kann sich in diesen Wochen niemand mehr vorstellen, Winter ist eine vage Erinnerung. Im Winter schwimmen alle lieber drinnen, kann sein, da war irgendwas mit Kälte und so.

Und wo wir schon über das Baden reden, kann man auch sofort ins Meer springen, was der Sohn dann an dieser Stelle zum ersten Mal tut, halt mal meinen Rucksack, ich bin gleich wieder da. Er geht ins Meer und schwimmt, noch etwas zögerlich vielleicht, denn an dieses Prinzip muss er sich erst gewöhnen, irgendwo herumgehen und zwischendurch einfach so ins Meer springen, das ist doch fast zu schön, um tatsächlich wahr und machbar zu sein. Ich stehe am Weg und warte auf ihn, ich stehe dabei neben einem Schild, das Radfahrer zum Absteigen auffordert, es scheint allerdings niemanden zu interessieren. Etliche Menschen auf Rädern kurven daran vorbei, gucken das Schild an und schütteln den Kopf. Eine radelnde Rentnerin fällt mir mit Schwung vor die Füße, in sandigen Kurven rutscht man leicht, das Schild ist womöglich gar nicht so sinnlos. Ich helfe der Dame wieder hoch, es ist ihr nichts passiert, Glück gehabt. Ihr Mann hat ein paar Meter weiter gehalten und guckt wütend, was macht die denn da, fällt die einfach hin. Er grummelt herum, es wird in die Richtung von „zu blöd für alles“ gehen, er macht überhaupt keine Anstalten, ihr irgendwie zu helfen, er guckt zu ihr und dann nach vorne, dahin, wo er jetzt schon hätte sein können. Dann fahren beide weiter, er natürlich voran, und ich suche den Sohn im Meer, was gar nicht so einfach ist, ein Kopf unter vielen Köpfen.

„Eis!“ rufe ich ihm zu, als ich ihn endlich entdeckt habe, „ich brauche ein Eis! Jetzt!“ „Später!“ ruft er zurück, denn er möchte noch etwas gründlicher schwimmen. Ich setze mich auf den Rucksack und warte ab. Man kann nicht immer sofort ein Eis bekommen, wenn man eines möchte, das habe ich in den letzten Jahren schon einmal gehört, vielleicht habe ich das sogar selbst gesagt, vielleicht sogar ziemlich oft.

Und da sitzt man dann und wartet.

(Fortsetzung hier)

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Buddenbohm an der Bille

Heute ein normaler Blogeintrag, der Wanderbericht geht aber in Kürze weiter. Es sind in letzter Zeit ein paar Links angefallen, deswegen wird das heute fast aussehen wie früher der Beifang, Stammleserinnen erinnern sich.

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Es ist nach wie vor heiß, unsere Dachgeschosswohnung ist kaum auszuhalten, ach was, ist definitiv nicht auszuhalten, wir haben hier ganz im Ernst ein Metalldach über uns. Sie könnten jetzt mitleidig gucken, das wäre vollkommen angemessen. Die Herzdame hat mit den Söhnen lieber in der Laube geschlafen, die kühlt abends wenigstens etwas runter, wenn man alle Fenster öffnet, wobei dabei allerdings auch interessante Tiere in spannenden Formaten ins Haus kommen, irgendwas ist eben immer. Ich habe in einem Zelt im Garten geschlafen, es gab da noch eine Luftmatratze, die dringend getestet werden musste. Und in einem Zelt in einem Garten, da ist es doch tatsächlich von etwa vier bis sieben Uhr morgens fast etwas frisch, also immerhin so, das man sich ohne Erstickungsgefahr mal einen Moment etwas zudecken kann, was in diesen speziellen Zeiten ja schon ein Genuss erster Klasse ist. Falls Sie ein Zelt und einen Garten haben – nur zu, es lohnt sich.

Was sich auch lohnt, das haben wir heute ausführlich getestet, ist ein Besuch im Bootshaus Bergedorf, das man gut mit der S-Bahn erreichen kann, man hat ab dem Bahnhof Bergedorf nur etwa sechs Minuten Fußweg einzuplanen, kein Problem. Wir haben ein Kanu für vier gemietet und sind die Bille raufgefahren, eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Das ist kaum anstrengend, das ist ganz erstaunlich schön, was mir überhaupt nicht bekannt war – und es ist vor allem fast komplett schattig! Da stehen überall hohe Bäume und Büsche am Ufer, man gleitet durch einen grünen Tunnel, es ist sehr wenig los, man trifft fast niemanden, also abgesehen von vielen, vielen Libellen, von denen man in einem Reiseführer schreiben würde, sie seien von erlesenem Reiz – passt schon. Ein Gefunkel! Und das, was da manchmal dunkelblaulila im Unterholz der Böschung auszumachen ist, das sind vollreife Brombeeren, die wachsen einem da quasi ins Boot. Auch nett.

Die Bille ist nur bis zu 1,40 tief, Schwimmwesten tragen die Kinder dennoch obligatorisch. Man kann sich wasserfeste Säcke mieten und die Wertsachen hineintun, das Risiko, mit dem Boot zu kentern halte ich aber für gering, selbst mit unruhigen Kindern, die sich nicht einigen können, wer wo sitzt, weil der jeweils andere Platz ja irgendwie besser sein könnte, was vermutlich jeder verstehen kann, der einmal Kind war. Überall ist es besser, wo ich nicht sitze.

Besonders anstrengend war die Fahrt auch nicht, habe ich mir von meinen drei Paddlern sagen lassen, ich habe die ganze Zeit nur gesteuert, das ist ja das mit der größten Verantwortung. Und das ist auch das für die mit den kaputten Gelenken, die nicht so gut paddeln können. Man kommt jedenfalls auch mit kleinen Leute an den Paddeln gut voran und es spricht nichts dagegen, sich zwischendurch einfach etwas treiben zu lassen.

Der Ausflug war tatsächlich so dermaßen gut, ich bin ganz kurz davor “Kanuwandern” zu googeln, aber es ist heute zu heiß für alles, sogar fürs Googeln. Wobei es an der Müritz ja auf jeden Fall gehen müsste …

Und wenn man noch Zeit hat und es einem nach den ersten drei Schritten an Land schon wieder heiß geworden ist, dann kann man noch eben ins Bille-Bad (beheiztes Außenbecken, Sprungturm, Nichtschwimmerbecken, Kleinkindbereich, Saunabereich, Bistro mit Terrasse).

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Die beste Reiseliteratur waren immer Berichte über den Weg, nicht das Ziel.” Ich plädiere ja für Wanderurlaub, aber egal.

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Sven über Funklöcher an der Ostsee.

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Element of Crime hat in Kürze ein neues Album draußen, man kann einen Song bereits hier abspielen. Vertraute Gitarrenklänge, vertraute Bilder in den Texten, da könnte man sich beschweren, das ist alles so dermaßen vorhersehbar. Aber Gott sei Dank ist das so vorhersehbar, ich bin bei EoC  konservativ, erzkonservativ sogar, die sollen bitte immer genau so klingen, noch einmal und noch einmal. Es ist jedesmal gut, das ist alles richtig so, das hat so zu bleiben.

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Heathcliff! It’s me!” Ich habe damals selbstverständlich auch kein Wort verstanden, kein Mensch hat das Lied verstanden, wir kannten auch das Buch noch nicht. Nicht einmal eine Verfilmung kannten wir, wir hatten ja nichts. Das Lied war auf Partys dennoch gut und selbstverständlich. Besonders zu sehr später Stunde, man sah sich ebenso breit wie verständnisinnig tief in die Augen und wusste, man hatte den korrekten Geschmack, also genau den, den die anderen da auch hatten, besonders aber jenes Mädchen. Danach lief Meatloaf, bei dem verstand man dann immerhin auch was. Bei dem verstand man sogar so viel, dass man noch bis heute jede Silbe des Albums “Bat out of hell” mitsingen kann, das ist alles unauslöschlich eingebrannt, well I remember every little thing as if it happened only yesterday. Und dann, ganz wichtig: “And I never had a girl looking any better than you did” – immer ein ganz besonderer Effekt, denn sie hieß Judith.

Das ist natürlich heute alles fürchterlich uncool, schon klar, aber so war das eben damals, liebe Kinder. Und wenn mein Jahrgang irgendwann im Altersheim wegdämmert, legt das bitte auf und macht laut – wir singen alles mit. In welchem Zustand auch immer.

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Heavy Metal Hijabs (via Denkfabrikblog)

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Wunderbare Spezialexperten seltsamster Ausprägung rekonstruieren griechische Musik. Ganz großartig, man möchte sofort auch so einen vollkommen verschrobenen Beruf haben.

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Ich hatte neulich erwähnt, dass man bei unserem Edeka jetzt mitgebrachte Behälter mit Wurst, Käse etc. auffüllen lassen kann, was natürlich bedingt, dass man immer sein passendes Behälterchen dabei hat, woran es bei mir schon scheitern würde. Eine Erweiterung ist das Pfandsystem für Behälter, das gerade getestet wird. Aber da geht sicher noch mehr, z.B. könnte der Handel originellerweise einmal zusammenarbeiten und so etwas gemeinsam entwickeln.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Ich komme aus Lübeck, aber heute nicht

Der Anfang der Wandertour scheitert fast am Fahrkartenautomaten der Bahn, der möchte nämlich unbedingt, dass Lübeck mein Startbahnhof ist, nicht mein Zielbahnhof. Da kann ich drücken, was ich will, das interessiert den Automaten einfach nicht, Lübeck, meint er, ich komme aus Lübeck. Ich komme zwar tatsächlich aus Lübeck, also gebürtig, ich brauche dahingehend aber keine Belehrung durch einen DB-Automaten, ich möchte heute bitte mal aus Hamburg kommen. Da wird man ja noch herkommen dürfen! Nein, sagt der Automat, ich komme doch aus Lübeck. Ich gehe ins Reisezentrum um mit echten Menschen zu reden, da sind aber unendlich viele andere Reisende vor mir dran, natürlich, es ist Ferienzeit, alle sind unterwegs. Ich gehe zurück zu den Automaten, da stehen mittlerweile lange Schlangen vor jedem Gerät. Einige schütteln die Köpfe, vielleicht haben die auch alle ein Lübeckproblem, ich kenne das. Es dauert zehn Minuten, bis endlich ein anderer Automat frei wird, der mich auch noch aus Hamburg kommen lässt, viel länger hätte es nicht dauern dürfen, dann wäre unser Zug weg gewesen.

Im Zug ist der Sohn verständlicherweise etwas aufgeregt, immerhin ist es seine erste große Wanderung, mit Übernachtung und so, also mit allem. Wir sind zwar schon einmal in Hamburg gewandert, bis Blankenese etwa, aber das war nicht ganz richtig, da war man ja nicht wirklich aus der Stadt weg und hat nicht übernachtet, das kann ja jeder, das war quasi nur ein Spaziergang in lang. Aber jetzt! Es hält ihn keine zehn Minuten auf seinem Sitz, er geht den Zug erkunden und läuft bis zum Ende und dann bis zum Anfang, dann noch einmal und noch einmal, den ersten Kilometer geht er auf diese Art schon während der Hinfahrt.

In Travemünde steigen wir aus, der Bahnhof ist heruntergekommener als zu meiner Zeit. Ein Gleis wurde aufgegeben und liegt brach, da wachsen Sträucher und Bäume durch die Anlagen. Nach der Wende ging es damals mit Travemünde erst einmal bergab, das sieht man heute noch, auch wenn die Immobilienpreise längst wieder steigen und überall “Exklusiv” dransteht, wo gebaut wird, und gebaut wird nicht wenig.

Der Bahnhofsvorplatz ist für mich verwirrend, das ist der Platz, wo früher mein Schulbus abfuhr, da war ich jeden Tag. Als ich aus dem Zug stieg, hätte ich noch sagen können, wie es dort früher aussah, jetzt stehe ich da vor dem umgestalteten Platz und alles ist sofort überlagert und weg, was war denn noch einmal da, wo jetzt der Bäcker ist? Und war da nicht ein Gebäude, hieß das Lokal da nicht anders und war an dieser Ecke früher auch schon eine Ampel? Nach ein paar Minuten ist mir das egal, vergangen ist vergangen, der Sohn sieht eh nur den neuen Ort, dem schließe ich mich jetzt einfach an. Bis er an einem Kiosk eine Limo kaufen möchte, da sehe ich den Namenszug auf der Markise, das ist immer noch der alte, ist es denn zu glauben. Alles vergeht, der Kiosk bleibt, ich könnte da immer noch einen Comic kaufen, genau wie als Zwölfjähriger. Die Dame vor mir kauft Saft und fragt nach großen Flaschen, ist dann aber überrascht vom Preis des Einkaufs und lässt sich die Addition vorrechnen. “Das ist ja alles sehr, sehr teuer”, sagt sie kopfschüttelnd, und die Verkäuferin im Kiosk sagt, dass es ihr leid tut: “Aber so ist das nun einmal.”

Wir gehen zur Promenade am Strand und machen eine kleine Pause für reichlich Sonnenschutz, es ist früh am Morgen und schon heiß. Es ist viel heißer als ich dachte, der Wetterbericht hatte eigentlich einen frischeren Tag vorhergesagt und hat erst am Vorabend auf Hitze gedreht. Hitze, nicht Wärme. Egal, habe ich gedacht, an der See geht ja immer etwas Wind, das wird schon passen. Wir stehen am Geländer der Promenade und sehen auf die Ostsee, da geht allerdings kein Wind, kein Lüftchen, kein Hauch, da geht gar nichts. Das Meer liegt so ruhig wie ein Meer nur ruhig liegen kann, also etwa so ruhig, wie ich ruhig liege, wenn ich mal ganz bewusst ruhig liegen will. Irgendeine Kleinigkeit bewegt sich da immer noch, es kribbelt hier, es zuckt da, ab und zu ein winziger Wellengang. Aber im Großen und Ganzen bewegt sich tatsächlich nichts. Ich finde es immer ein wenig anstrengend so zu liegen, und die Ostsee wirkt auch nicht gerade so, als würde es ihr Spaß machen, die liegt da wie niedergedrückt und von der Hitze gebügelt. Die Möwen vom Dienst segeln lustlos und tief, das ist ohne Brise wohl auch auch nicht so ein Vergnügen wie sonst.

Der Strand ist schon voll, obwohl es immer noch früh ist, wir sehen uns die Strandkörbe von der Promenade aus an. Es gibt nicht mehr so viele Burgen wie früher, das ist wohl zwischenzeitlich etwas aus der Mode gekommen, sich mit Schaufeln einzugraben und abzugrenzen. Dafür gibt es jetzt ungeheuer großes Plastikspielzeug zum Aufblasen, überdimensionierte Rettungsringe mit hoch aufragenden Einhornköpfen vorne dran, mit Flamingoköpfen, mit Schwänen und weiß Gott welchen Tieren und Fabelwesen, alles natürlich in schreibunt. Und es sind nicht nur Kinder, die damit ins Wasser gehen. Ich denke an die Luftmatratze, die ich als Kind lange benutzt habe, die war oben dunkelblau und unten dunkelrot, die würde man heute gar nicht mehr wahrnehmen, so unauffällig war die.

Keine der Frauen am Strand läuft oben ohne herum, das fällt mir auch auf. In den Siebzigern war das normal, das macht heute niemand mehr, ich weiß gar nicht, wie das kam. Wieso werden Gesellschaften eigentlich wieder prüder? Ist das eine Wellenbewegung, sind das soziale Zyklen? Neben den Strandkorbverleihkabäuschen gibt es aufgestellte Wände, das sind Umkleidekabinen. Die hat früher keiner vermisst, heute werden sie rege besucht. Später am Tag werden wir in anderen Orten noch mehr von diesen Kabinen sehen, manche sind sogar historisierend gestaltet, das Wort “Umkleide” daran in Fraktur geschrieben. Aber die verweisen nicht auf das Neunzehnte Jahrhundert, diese Kabinen, die verweisen nur auf eine Zeit vor den Siebzigern.

Da, wo man von der Promenade zum Strand runtergeht, hängen Automaten, an denen man eine Beach User Fee bezahlen soll. In den anderen Orten später am Tag wird das Strandkarte heißen, Gästekarte, Ostseekarte, Kurkarte, wie auch immer, überall anders. Das lässt der Sohn sich erklären und ist hell empört, Eintritt für den Strand, das geht doch nicht? Der ist doch Natur? Alle verrückt oder was? Ich erzähle ihm, dass in einer Nordseegemeinde jemand gerade erfolgreich gegen diese überall erhobene Gebühr geklagt hat, das findet er super. Es lässt ihm gar keine Ruhe, so unglaublich findet er das, muss man da bezahlen, um ans Meer zu dürfen, also echt jetzt mal, das geht nicht. Er findet, ich müsse dagegen demonstrieren oder wenigstens was im Blog dazu schreiben, ich sage, dass das klar geht. Bald schon.

Wir stehen noch eine Weile oben auf der Promenade und sehen uns das Treiben an, wir stimmen uns erst einmal ein, eilig haben wir es sowieso nicht. Uns fällt auf, dass sich viele zu streiten scheinen, Urlaub ist auch nicht immer ganz einfach. Da werden Kinder angekeift, da wird auch unter Erwachsenen gezickt und gebrüllt und ermahnt und streng angewiesen, du kannst doch das Handtuch da nicht einfach so in den Sand legen! Also wirklich! Entspannung am Strand ist am Ende auch eine höhere Kunst. Ein fast erwachsener Sohn spielt Beachtennis mit seiner Mutter, nach drei Schlagwechseln  wird er aber schon ungeduldig, die Mutter trifft einfach nichts. “Du musst dich kontrollierter bewegen, Mutter”, ruft er ihr zu, das klingt wie ein Liedtitel von Tocotronic und die Mutter sieht für eine Sekunde so aus, als würde sie den Schläger dem Sohn kontrolliert über den Schädel ziehen wollen, aber dann nimmt sie nur den Ball, wirft ihn hoch und macht eine Angabe, die vielleicht ein klein wenig zu stark ausfällt, so dass der Sohn fluchend über den Strand stapft, dem verdammten Ball hinterher, der da ganz hinten irgendwo gelandet sein muss.

Die meisten anderen machen keinen Sport, die meisten anderen machen gar nichts. Sie sitzen in glutheißen Strandkörben und gucken in einem Martin-Parr-mäßigen Licht auf die anderen, die auch alle so sitzen, wenige im Schatten, die meisten in der Sonne, fettglänzend vor Sonnencreme. Man brät allgemein vor sich hin, wozu geht man bitte sonst an den Strand.

Das Licht ist heute tatsächlich etwas speziell, die bunten Segel der wenigen Schiffe da ganz hinten leuchten greller als sie eigentlich sein können, das sieht nicht realistisch aus, das ist völlig überzeichnet. Auch der DLRG-Turm mit seiner Signalfarbe, die Menschen darin in ihren signalfarbenen T-Shirts, alles leuchtet wie irre und knallt ins Auge, das kann doch so nicht gehören. Wir gehen an der großen Liegewiese vorbei, die leuchtet nicht, die liegt stumpfgelb und staubig da, verdorrt wie alle Rasenflächen in diesem Sommer. Wir gehen weiter am Strand entlang zum Steilufer, der Rucksack sitzt gut, die Laune ist bestens, nur die Hitze ist etwas besorgniserregend.

Am Golfplatz vorbei weiter zum Steilufer, wir gehen ins erste Wäldchen, da ist Schatten, da machen wir schon die erste Pause und gucken von oben über die Ostsee. Von hier sieht man keine Menschen mehr, man sieht nur noch die Fährschiffe weit draußen und der Sohn sagt, dass er genau da jetzt ab sofort öfter sein möchte, an dieser Steilküste und in diesem Wäldchen, denn da sei es ja wohl wirklich, wirklich schön. Womit er natürlich Recht hat. Ich sage ihm, dass ich da früher andauernd war, das kann er sich nicht vorstellen.

Die Hermannshöhe ist heute ein Erlebnisrestaurant, was immer das genau ist, die lassen wir links liegen und gehen weiter in Richtung Niendorf. Wir suchen uns den nächsten Schatten unter Bäumen und setzen uns schon wieder hin, in der Sonne ist es jetzt endgültig zu heiß, viel zu heiß. Wir beschließen, jeden auffindbaren Schatten mitzunehmen, und wenn wir dafür alles im Zickzack gehen müssen, das ist egal. Den ganzen Weg in der Sonne würden wir ziemlich sicher nicht schaffen, “die Sonne will uns erschlagen”, sagt der Sohn. Auf einem Acker am Weg stehen Pflanzen, ich erkenne nicht einmal, welche Kultur das ist, jedenfalls ist alles noch vor der Ernte zu Stroh geworden. Es ist auch ziemlich egal, was es ist, verwerten wird man das trockene Kraut nicht können. “Der Bauer hat aber nicht gegossen”, sagt der Sohn und ich erkläre ihm, dass es fast überall so aussieht. Wir gucken uns die Landschaft an, die Büsche am Wegesrand, die Bäume, die Wiesen, es ist alles struppig und wirkt wie zerzaust und räudig, wo man nur hinsieht, auch die Gärten sehen alle so aus, der letzte Regen ist wer weiß wie lange her. Leuchtend grün ist nur der Seetang unten im flachen Wasser der Ostsee, der sieht herrlich frisch aus. Ein sommerliches Grün, vor gar nicht langer Zeit gab es diesen Farbton auch noch an Land.

Die Steilküste senkt sich jetzt langsam etwas ab, wir gehen allmählich auf Niendorf zu.

Fortsetzung hier.

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Ja, mach nur keinen Plan

Als ich noch in Travemünde wohnte, gingen wir oft nach Norden aus dem Ort raus. Da kam die Steilküste, da kam ein kleines Wäldchen, dann noch eines, dann noch eines, das waren für uns so Wegmarken, man plante Spaziergänge bis zum ersten, zweiten oder dritten Wäldchen. Danach kam die Hermannshöhe, ein damals gutbürgerlich genanntes Restaurant, in dem man also so etwas wie einen Senatorenteller bekam, mit viel Fleisch. Das war bis dahin ein Sommerurlaubsstandardspaziergang, der wurde und wird routinemäßig in jedem Reiseführer erwähnt, den machten alle, die ihn nur irgendwie schaffen konnten. Den machten auch ganz alte Menschen, es standen und stehen viele Bänke am Weg, man kann sich jederzeit ausruhen und über das Meer gucken, bis die Kräfte wieder enatofür ein paar Meter reichen. Der Blick ist sehr gut von da oben, wirklich bemerkenswert gut. In meinem Buch über die Strandjugend kommt der Weg mehrfach vor.

Nach dem Essen in der Hermannshöhe kehrten die meisten Spaziergänger um. Wenn man aber doch einmal nach Norden weiter ging, kam man bald nach Niendorf, das ist der nächste größere Ort, immerhin mit Hafen und kleinem Schwimmbad. Danach das noch größere Timmendorf, da ging man aber wegen einer Traditionsfeindschaft zu Travemünde nicht gerne hin, das war für uns Kinder oder Jugendliche eher eine No-go-area. Timmendorf war schnöselig, vermutlich ist es das bis heute, ich kann es nicht objektiv beurteilen, denn ein paar liebevoll gepflegte Vorurteile möchte man sich auch bewahren, wenn das Leben einem schon im Laufe der Jahrzehnte die meisten raubt. Hinter Timmendorf, das leider auch noch elend lang ist, schien erst einmal nicht mehr viel zu kommen, das sah da alles gleich aus, eine Bausünde neben der anderen und ein immer gleicher Strand, eher schmal als breit. Ganz normalen Strand hatten wir aber auch in Travemünde, und der war sogar breiter. Wir kehrten also meistens kurz vor Timmendorf wieder um, kletterten auf dem Rückweg ausgiebig an der Steilküste herum und landeten bald wieder in Travemünde, wo wir dann wie immer im Imbiss Pommes aßen, denn der Senatorenteller in der Hermannshöhe war doch eher etwas für Erwachsene.

Aber schon seit dieser Zeit dachte ich, es müsste doch auch spannend sein, einmal noch weiter zu gehen, also noch viel weiter. Die ganze Küste rauf, an diesem Timmendorf und an den ganzen Bausünden vorbei, bis nach Dänemark, auch wenn man dabei durch Kiel muss, was für Lübecker wieder nicht ganz einfach ist. Einfach mal gucken, was da noch so kommt, durch Gegenden, die nie zuvor ein Mensch … na ja, fast Und kurz vor Dänemark dann links abbiegen und fix rüber zur Nordsee gehen, an der entlang unter Auslassung aller Inseln nach Süden zurück, bis ganz zur Elbe, da einbiegen, das geht zu Fuß eh nicht anders. Dann schließlich hinter Hamburg dem Elbe-Lübeck-Kanal folgen und schon ist man einmal im Kreis um die Heimat herum. Dachte ich. So eine einfache Tour, also von der Orientierung her! Immer nur am Meer entlang, erst liegt die Ostsee rechts, dann liegt die Nordsee rechts, zum Schluß noch ein wenig am Fluss, der liegt auch immer rechts, das ist genauso simpel. Man braucht nicht einmal eine Karte! Man ist immer wie von selbst orientiert, so stellte ich mir das jedenfalls vor. Das geht mir übrigens bis heute so, ich fühle mich nur am Meer perfekt orientiert, im Binnenland ist mir tendenziell unklar, wo ich bin. Sobald ich aber das Meer sehe, weiß ich, wo auf dem Globus ich bin und alle Himmelsrichtungen fühlen sich logisch, richtig und wohlsortiert an.

Zu dieser Tour kam es dann aber nie. Nicht zu Fuß, nicht mit dem Fahrrad, nicht einmal mit dem Auto. Das ging nie, das passte nie, dazu kam ich genauso wenig wie zu sonst irgendwas. Ich wartete immer auf genug Zeit, auf mehr Geld, auf besser passende Gelegenheiten. Wie man eben so wartet, während die Jahre vergehen. Man kann gerade nicht, aber als Dauerzustand und ehernes Gesetz. Man kann nicht wegen des Jobs, wegen der Gebrechen, wegen des Wetters und wegen der Jahrszeiten, wegen des Nachwuchses und auch wegen anderer Urlaubsplanungen, man will auch noch hierhin und dorthin. Natürlich ist es im Nachhinein Unsinn, überhaupt auf etwas zu warten, denn es sagt ja keiner, dass man alles am Stück laufen muss, man kann sich das nett in handliche Tagesausflüge zerlegen, in Zweitagestouren, in was auch immer. Dann hat man irgendwann verdammt viele An- und Abfahrten, aber hey, Schleswig-Holstein-Ticket.

Weswegen Sohn II, der dem Freundeskreis Einfach-Machen ganz entschieden angehört, und ich jetzt einfach losgegangen sind, von Travemünde bis nach Sierksdorf. Das ist für den Anfang gar nicht so schlecht,das waren rund 20 Kilometer an einem Tag unter ziemlich schweren Bedingungen, dazu später mehr. Wir hatten eine Übernachtung auf einem Campingplatz, damit haben wir das also auch mal geübt und für gut machbar befunden.

In Sierksdorf gibt es einen Bahnhof, wir sind von da aus zurück nach Hamburg gefahren. Demnächst fahre ich da mit oder ohne Sohn wieder hin und gehe von da aus nach Norden weiter bis nach Neustadt in Holstein, da gibt es dann wieder einen Bahnhof. Dann fahre ich irgendwann bis Neustadt, gehe nach Großenbrode viertel vor Fehmarn, na, und immer so weiter. Da ist irgendwann auch ein längeres Stück ohne Bahnhof dabei, da brauche ich dann mal drei Tage oder so, aber das wird sich alles finden. Es hat Zeit, es hat sogar viel Zeit, aber es ist jetzt in Bewegung geraten.

Das ist doch mal ein Plan, der vor allem gut ist, weil es eben kein Plan ist. Da muss man nämlich gar nichts planen, oder fast nichts. Einfach machen, wie es gerade auf den Schienbeinen des Herrn in der Berliner S-Bahn stand, ich berichtete. Einfach gehen, und gehen kann ich. Ich kann wirklich nicht viel, aber geradeaus weitergehen, das kann ich seit der Strandjugend definitiv, an der Küste war eben alles enorm langgezogen. Weit und schnell gehen, kein Problem. Stoisch immer weiter, das kann ich auch, eselhaft blöd und beladen einfach immer einen Schritt vor den anderen. Genau mein Ding, wenn nicht sogar mein Leben.

Andere können Schmerzen und Probleme veratmen, ich kann die vergehen. Ja, da staunt die Grammatik, das liest sich ungewohnt, das soll aber so. Zum Bericht über die Tage 1, 2 und 3, Etappe Travemünde bis Sierksdorf mit Niendorf, Timmendorf, Scharbeutz und Haffkrug dann in Kürze mehr. Also im Sinne von viel mehr, das Notizbuch war natürlich dabei und der Sohn und ich haben einiges beobachtet. Wir waren nur einen Tag wirklich unterwegs, es waren aber doch drei Tage Berichtszeit, das erkläre ich dann auch noch.

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Kurz und klein

Leichtes Gepäck

Bei der GLS Bank habe ich etwas zum Thema Ernährung geschrieben.

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Eine kleine Sache aus dem Heimatdorf der Herzdame, die Dame kennen wir sogar. Und nein, in Wahrheit ist es natürlich keine kleine Sache.

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Wir steigen in Berlin aus dem Zug und fahren mit der Rolltreppe hoch zur S-Bahn. Da oben fährt einer, der nur mit einer abgeschnittenen Jeans bekleidet ist, auf einem Fahrrad auf dem Bahnsteig herum und pöbelt Leute an, wieso die da im Weg stehen, wo er doch gerade lang will, ey, hau mal ab da, wa. Man kommt bei Stadtbesuchen nicht darum herum zu vergleichen, und hier drängt sich der Abgleich mit Hamburg sofort nach der Ankunft auf, dieser Abgleich ist ohnehin interessant, dazu müsste man mal mehr bloggen, nicht wahr, Kollege? Wenn man nämlich in Hamburg so tollkühn ist und mit dem Rad in den Hauptbahnhof fährt, man wird vermutlich nach zehn Metern von zehn Sicherheitskräften niedergerungen und steht am nächsten Tag in der Zeitung unter der Überschrift: „Provokation im Bahnhof“, dazu ein Bild, wie man gerade schreiend auf dem Boden liegt, während einem zwei Muskelpakete in Uniform auf dem Rücken knien und sich hektisch umsehen, ob heute noch mehr Irre unterwegs sind. In Berlin fährste mit dem Rad durch den Bahnhof und klingelst einfach die lästigen Leute aus den Weg. Die Leute vom Sicherheitsdienst wedeln gelangweilt Fliegen weg und gucken auf die Uhr, es ist bald Mittagspause.

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In der Berliner S-Bahn sitzt mir ein tätowierter Mann gegenüber, auf dessen linkem Schienbein, also vom Betrachter aus, steht „Einfach“, auf seinem rechten steht „Machen“. Wenn der nun bei einem Unfall den Unterschenkel des rechten Beines, also vom Betrachter aus, verlieren würde, dieses „Einfach“ würde sich in seiner Bedeutung der neuen Lage sehr schön anpassen. Na, was man in unfassbar heißen S-Bahnen so denkt.

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Wir verbringen entspannte Stunden im Prinzessinnengarten, am Boxhagener Platz und am Badeschiff in der Spree, wir sagen uns alle paar Minuten, dass dies die Orte sind, die es in Hamburg eher nicht gibt, diese Orte, an denen man in Frieden einfach sein kann, ohne irgendwie sonst sein zu müssen, also mode-, schicht- oder ausrichtungsgmäßig. In Hamburg ist immer alles speziell, zumindest kommt es uns so vor. Und in Hamburg, versteht sich, guckt jeder, wie du bist und was du bist, das ist in Berlin wohl eher unüblich. Zumindest fällt es uns nicht auf, obwohl wir intensiv gucken, wie die anderen sind und was sie sind, man ist ja doch Tourist.

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Ich habe Nina Verheyens „Die Erfindung der Leistung“ durchgelesen, die beiden letzten Kapitel ausgerechnet in einem Freizeitpark. Ironisches Lesen, das ist auch so eine völlig unterschätzte Disziplin. Ich merke mir eine der Kernbotschaften, die da lautet, dass es kategorisch keine individuellen Leistungen gibt – Leistung ist „genuin sozial“. Zur Begründung bitte Buch lesen, das wird da fein hergeleitet. Und das ist doch ein interessanter Aspekt, ich warte jetzt auf eine gute Gelegenheit, diesen Satz jemandem um die Ohren hauen zu können. Wird das lange dauern? Ich glaube nicht.

Da ich für die nächsten Tage leichtes Gepäck brauche, lese ich „Wozu macht man das alles“ von Fredrik Sjöberg auf dem Handy, es geht gerade um den Namen Bing, und das hat mit Herrn Crosby nicht einmal etwas zu tun, wohl aber jüdischem Leben in Deutschland.

Ebenfalls angefangen habe ich Thomas Bauer: „Die Vereindeutigung der Welt – Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Viefalt“. Über verlorene und vermeintlich gewonnene Vielfalt, über ausgestorbenen Apfelsorten und industriell hergestellte Apfelshampoosorten, auch über Ambivalenz und Ambiguität. Darin eine schöne Stelle über die erstaunlich der Ambiguität zugewandte katholische Kirche, in der es ein traditionelles Statement für Fragestellungen gibt, die nicht beantwortet werden können, ohne Prinzipien zu verletzen oder politisch unklug zu sein, für Fragen also, die besser gar nicht erst gestellt worden wären: Nihil esse respondendum. Also die edle und weihrauchumwaberte Version von „Dazu sagen wir nix.“ Das kann man hervorragend für den eigenen Alltag übernehmen, einfach mal die Meinungsbildung ablehnen und jegliches Statement verweigern, bei mir gibt es heute kein Ja und kein Nein, gehen Sie weiter, es fällt kein Urteil: Nihil esse respondendum. Auch schön als Joker auf Twitter.

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Hat jemand den Wälzer von Hartmut Rosa zur Resonanz gelesen? Lohnt das? Die Besprechungen lassen mich etwas ratlos zurück, andererseits fand ich ihn in Interviews ganz interessant.

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In Berlin waren wir außerdem im Freilichtkino, immerhin drei Familienmitglieder auch zum ersten Mal überhaupt. Es gab Ocean’s 8, das ist ein vollkommen entbehrlicher Film von nervtötender Vorhersehbarkeit und ohne jeden originellen Aspekt, wäre es nicht Freilichtkino gewesen, ich würde noch absatzlang verbittert über verschwendete Lebenszeit klagen. Aber so – ganz nett, das. Die Vorführung fand im Freilichtkino im Volkspark Friedrichshain statt und wenn Sie Berlinerin sind, Berliner sind mitgemeint, dann kann ich Ihnen jetzt etwas über diese Vorführungen dort erzählen, das Sie wahrscheinlich nicht wissen. So ist das ja oft mit Reisenden, das die dann plötzlich Sachen parat haben, da staunt der Anwohner.

Wenn Sie nämlich dort einen Film sehen und hinterher gehen, dann machen Sie das vermutlich genau wie alle, Sie stauen also in der langen Schlange vor dem Ausgang herum, Sie nehmen sich noch eine taz, die da wohl standardmäßig verschenkt wird, Sie gehen langsam vorwärts und wenn Sie endlich draußen sind, dann bleiben Sie erst einmal stehen und warten auf den Rest Ihrer Gruppe, Ihrer Familie, Ihrer Beziehung, was auch immer. Dabei befinden Sie sich fast unweigerlich vor einem Baum, der steht da nämlich gleich vor dem Kassendings. Wenn Sie jetzt gerade die Schwäche überkommt, wollen Sie sich dort vielleicht anlehnen, denn der Baum macht einen stabilen Eindruck, der steht da schon länger. Aber es ist so – Sie sollten sich da nicht anlehnen. Wirklich nicht. Das Folgende könnte Sohn II noch besser als ich ausführen, aus leidvoller Erfahrung, wie man so sagt, aber er kann gerade nicht, er muss irgendwas auf dem Handy spielen, also übernehme ich eben. Wenn Sie sich da anlehnen, dann finden das die Wespen, die diesen Baum besiedeln, nicht so toll, und Sie haben Mittel und Wege, Ihnen das schmerzhaft klarzumachen.
Wie sich später herausstellte, als der Sohn nicht mehr ganz so laut schrie, kommt das da öfter vor, der Baum ist bei den Veranstaltern schon bekannt und „da müsste man mal was machen“, aber das ist diese Berliner Form von „da müsste man mal was machen“, das dauert noch etwas. Wissen Sie jetzt also Bescheid.

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Der Plan – ja, mach nur einen Plan! – sieht im Moment so aus, dass ich am Freitagmorgen mit Sohn II und Rucksack Richtung Ostsee aufbreche, Sohn I und die Herzdame aber in anderer Richtung das „A Summer’s Tale“-Festival besuchen, da sind wir dann wieder bei der neulich verhandelten familiären Teambildung, die ich nach wie vor empfehlen möchte. Ich hatte eigentlich vor, bei der Wanderung dekadent in Hotels zu übernachten, ich nehme jetzt aber aus reiner Reaktanz ein Zelt mit, genauer aus wild lodernder Abneigung gegen die Usability von Hotelbuchungsseiten und überhaupt Tourismus-Info-Seiten im Internet, über die ich mich aus dem Stand heraus geradezu endlos aufregen könnte. Ich möchte mit diesem Quatsch keine Zeit mehr verbringen, ich hasse Urlaubsrecherchen online von ganzem Herzen, dann gucke ich lieber vor Ort wie so ein Rentner auf den Plan vor dem Rathaus: „Sie sind hier“.

Und wenn ich schon dabei bin, ich lasse diesmal nicht nur die Onlinebuchung und die Onlinerecherche weg, ich lasse gleich fast alles weg. Ich nehme nichts, wirklich überhaupt nichts mit, was wir nicht unbedingt für eine Übernachtung brauchen, nur ein winziges Zelt, zwei Isomatten und zwei Schlafsäcke, zwei Zahnbürsten, zweimal neue Unterwäsche, fertig. Ich nehme keine Bücher oder Comics mit, kein Spielzeug, keinen Proviant, kein Gummiboot und keinen Kescher, keine drei paar Schuhe und keine Kuscheltiere, nichts, nichts, nichts. Na gut, eine Powerbank. Na gut, Wasser und Sonnencreme. Bloß nicht weiter nachdenken! Der Sohn sagt allerdings gerade, wir müssen auch einen Hammer einpacken, denn man weiß ja nie, wann man einen Hammer braucht. Also gut, einen Hammer, er hat ja Recht. Aber mehr dann wirklich nicht.

Nach all den Jahren ist wenig Ballast auch mal wieder schön, denn das ist etwas, was mich von Anfang an bei diesem ganzen Familiending genervt hat, diese Gepäckmenge, diese Berge von Zeugs und Zubehör, und das man nie einfach aufbrechen kann. Ich möchte gar nicht so oft gehen, aber wenn ich gehen möchte, dann möchte ich gleich gehen – und nicht erst Äpfelchen schneiden. Ich finde es fürchterlich, Äpfelchen zu schneiden, ich habe es von Anfang fürchterlich gefunden. Äpfelchen schneiden und eintuppern, die dann den ganzen Tag vom standhaften Nachwuchs verweigert werden und die man schließlich, pflichtbewusster Öko, der man nun einmal ist, abends selbst vor dem Notebook mümmelt. Siehe auch Karotten, Kohlrabi, Gurken, ich kenne jedes Gemüse in allen Zuständen der Labberigkeit und Austrocknung, ich habe Erfahrungen gemacht, die machen auf Ferienbauernhöfen sonst die Karnickel und die Schweine.

Nein, Schluss damit, die Kinder sind groß, also ziemlich groß jedenfalls (*fuchtelt mit der Hand in Lichtschalterhöhe herum*), wir gehen einfach los. Wir nehmen nicht einmal einen Plan mit, nicht einmal im Kopf. Es ist mir völlig schnurz, wie weit wir kommen und wie wir zurückkommen, ich habe nur eine Richtung im Sinn, der Rest ergibt sich. Alles also herrlich unklar, abgesehen von der Tatsache, dass wir eh nur zwei Tage Zeit haben und das damit sicher kein Groß-Event wird. Aber gut, man muss eben irgendwo anfangen und wir können es vielleicht bald fortsetzen, wenn es sich denn bewährt, das geht ja auch noch im Herbst. Die Schlafsäcke, so steht es auf einem Zettelchen daran, bewähren sich bis minus fünf Grad. Minusgrade! Die Älteren erinnern sich.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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