Didn’t it rain, children

Ich habe mir dann bei dem Kindergeburtstag im völlig verregneten Schrebergarten immer wieder vorgestellt, wie Sister Rosetta Tharpe “Rain! Rain! Rain!” ruft und dabei in die Saiten greift -dann ging es stimmungsmäßig wieder.

Und ich fürchte, wir haben die Gastkinder nach einer kleinen Schatzsuche in einem dezent angeschmuddelten Zustand zurückgegeben. Aber irgendwas ist ja immer.

 

Ein Haus am See

Nur noch eine Kindergeburtstagsfeier, dann ist die Urlaubs- und Partysaison 2017 für uns auch schon vorbei. Auf besonderen Wunsch des Kindes wird das Fest bei jedem Wetter im Garten stattfinden, dem Wetterbericht nach zu urteilen wird das eine ziemlich spezielle Erfahrung.

Den ersten Kindergeburtstag haben wir da auch schon gefeiert, da war das Wetter trotz verheerender Prognose gut und die Kinder haben zu unserer Überraschung erstaunlich viel Spaß daran gehabt, große und auch verdammt große Steine aus dem künftigen Gemüsebeet zu buddeln. Nur ein Kind wollte das nicht, das hat dann lieber die Hecke geschnitten, was seine eigene Idee war und dann auch so tom-sawyer-mäßig eskalierte, wie man es sich nur vorstellen kann, die Hecke ist jetzt wirklich sehr ordentlich. Fast möchte man sagen: adrett.

Und weil etwa zehnjährige Kinder wirklich enorm viel leisten können, mehr noch, als man es sich eigentlich vorstellen kann, haben wir jetzt ein tiefes Loch im Garten, ein Loch, in dem vorher viele Steine waren, die bilden jetzt einen neuen Hügel neben der Laube, der ist demnächst auch auf Satellitenaufnahmen erkennbar. Auf der Billerhuder Insel liegt überall Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg, die komplett zerbombten Nachbarstadtteile wurden 1945 hier verräumt. Nur in dem künftigen Gemüsebeet, da liegt jetzt kein Schutt mehr, da liegt jetzt gar nichts mehr. Also abgesehen von dem See, wir werden ihn Lake Buddenbohm nennen, international ausgerichtet, wie wir sind. Abgesehen von dem See also, der nach den ergiebigen Regenfällen in den letzten Tagen dort vermutlich entstanden ist, nein, entstanden sein muss, ich fahre nachher erst nachsehen. Es liegen sicher keine Orangenbaumblätter auf dem Weg zur Laube, ich habe gar keine Orangen im Garten, aber hey. Man kann nicht alles haben. Der Song klingt auch mit Apfelbaumblättern noch gut, ich habe das soeben testgesungen. Die zwanzig Kinder aus dem Song werden sicher da sein und meine Frau ist schön, das wird schon alles.

Ich überlege mir nachher noch, was wir mit einer großen Schar frierender Kinder morgen bei extrem schlechten Wetter am Ufer dieses neuen Sees alles anfangen können, während es schüttet und schüttet und herbstlich kalt ist und erstaunlich früh dunkel wird und stürmt und überhaupt. In der abrissreifen alten Laube gibt es keinen Strom mehr, vielleicht lesen wir einfach im Schein einer im Zugwind wild flackernden Kerze Gruselgeschichten vor, das könnte gehen. Früher hatten die Söhne im Sommer Geburtstag, werde ich zwischendurch immer wieder murmeln, früher war alles einfacher.

Aber wie heißt es bei Bukowski – alright, lass es regnen. Man muss sich dem einfach stellen. Nächste Woche kann das kleine Blog hier dann vermutlich wieder halbwegs normalen Betrieb aufnehmen, das ist doch auch ein netter Gedanke.

Beifang vom 05.09.2017

Im Landlebenblog geht es fein bebildert um einen Tapetenwechsel.

Und wenn wir schon dabei sind:

Bei Kiki kann man mitmachen – Septemeer.

Hier gibt es eine Reise ins Baltikum, verlinkt ist der dritte Teil, die anderen Teile und Länder findet man auch dort. Liest sich ein wenig so, als müsste man da auch mal hin. Schlimm.

Ein weiteres Interview mit Sven Regener.

Über den Begriff “Videoaufklärung”.

Auch beeindruckend: Wie es Ratten in Toiletten schaffen. Mit Film.

Benny Andersson hat ein Piano-Album am Start. Für die gepflegte Nostalgie im Herbst. Das hier angespielte Stück ist auch auf Spotify verfügbar.

Kurz und klein

Beifang vom 01.09.2017

Bei der GLS Bank habe ich fünf Links zur Landwirtschaft zusammengestellt.

In der NZZ geht es um die Fokussierungs-Illusion. Das weiß man im Prinzip alles, man vergisst es nur dauernd.

Die Welt über das “Birding”. Durch die verbindlich geltende Kalauerpflicht in deutschen Redaktionen natürlich mit der Formulierung “Volkssport Vögeln.” 

Sven Regener im Interview über sein neues Buch. Gleich mal vormerken als Herbstlektüre.

Noch so ein Projekt von jungen Großstadtjournalisten über die deutsche Provinz. Da ist meistens irgendetwas dabei, was mich interessiert, aber allmählich wird es auch Zeit für das Umkehrporojekt. Können jetzt bitte gestandene Lokaljorunalisten kurz vor der Verrentung nach Berlin oder Hamburg fahren und sich in den Szenevierteln umsehen? Und darüber auch so befremdet schreiben?

Für die Hamburger LeserInnen: Bei der Elbmelancholie ändert sich etwas.

Ein Artikel über Shirley Collins und alte Lieder. Bitte mal bei dem dort eingebetteten Video von Mississippi Fred McDowell den Absatz darüber lesen und dann auf Play klicken, dann kriegt man den Blues. Und wie. Und das lasse ich dann auch mal so als Musiktipp für heute stehen. 

Nein, lasse ich doch nicht, es ist ja September! Wir können uns kopfüber in die Herbststimmung stürzen.

Was schön war

Ein Großparkplatz in Nordfriesland, einer dieser Plätze, wo alle Touristen irgendwann landen, wenn sie hier mehrere Tage verbringen und Attraktionen abklappern. Ein Auto hält dicht neben unserem, darin auch eine Familie, auch Mutter und Vater, auch zwei Kinder, allerdings Töchter. Alle vier sehen schwerst genervt aus. Die Mutter und der Vater bleiben diese eine Sekunde zu lange sitzen, atmen einmal zu viel tief durch, bevor sie zur Autotür greifen und aussteigen. Diese eine Sekunde, in der man sich einen Ruck gibt, um das hinter sich zu bringen, was da eben gerade Programm ist, zu dem niemand Lust hat, so etwas kommt wohl in jeder Familie manchmal vor. Sie gehen ums Auto herum zum Kofferraum, während die Kinder laut streitend aussteigen und sich anpöbeln, finstere Blicke, verheulte Gesichter, dieser Morgen ist ihnen irgendwie entgleist, und zwar gründlich. Dabei regnet es gerade nicht einmal.

Der Mann macht den Kofferraum auf. Es ist ein SUV-ähnliches Auto, so dass die Sachen im Kofferraum nicht vor einem liegen, wenn man ihn aufmacht, sondern sich vor einem aufstapeln. Er nimmt ein Paar Kindergummistiefel heraus, nein, er möchte es herausnehmen, er zieht nur etwas daran. Dadurch gerät aber das ganze Gefüge des Familienausflugsgepäcks in Bewegung, er versucht noch, mit der anderen Hand etwas aufzuhalten, aber vergeblich, das ganze Gemenge aus Schuhwerk, Strandspielzeug, Proviantkorb, Picknickdecken, Trinkflaschen, Laufrad, Kescher, Kekspackungen, Sonnenmilch, Regenschirmen, Regenjacken, Thermoskannen und so weiter, es fällt ihm alles komplett vor die Füße. Es sieht ein wenig so aus, als hätte sich der Kofferraum direkt vor ihm erbrochen. Er steht da, rührt sich nicht und guckt. Die Frau steht daneben und guckt auch, schweigend starren sie auf das Chaos, das einer von ihnen vielleicht vor wenigen Minuten erst in den Kofferraum hineingestopft hat, man kann sich vorstellen, in welcher Stimmung. Vermutlich läuft da vor ihren Füßen gerade irgendwas aus, der Kaffee für später, der Apfelsaft. Die Kinder gucken und lachen jetzt, die Eltern starren weiter mit hängenden Schultern.

Schließlich bücken sich beide zum exakt gleichen Zeitpunkt. Man ist ja auch schon länger Paar und schon länger Eltern, man weiß, auch da muss man jetzt durch. Und ganz egal, wie bescheuert der Rest der Familie oder der Rest des Tages oder diese Phase ist, das Zeug da muss zurück in den Kofferraum, es nützt nun einmal nichts. Die Kinder werden es wohl kaum aufräumen und liegenlassen kann man es nicht. Und weil sie sich genau zeitgleich bücken, müssen sie einander nichts vorwerfen, da müssen sie auch nicht weiter herumschmollen, nein. Sie können jetzt etwas zusammen machen, das verbindet wieder. Sie basteln also mühsam alles zurück und streiten dabei auch nicht neu. Sie reden ganz friedlich und überlegen zusammen, wie man das alles irgendwie besser stapelt. Sie schließen den Kofferraum und nehmen jeder ein Kind an die Hand und gehen dann machen, was man als Tourist eben macht.

Nehme ich jedenfalls an, wir gehen in eine andere Richtung. Aber dieser kurze Moment des perfekt synchronen Bückens – schon schön.

Beifang vom 27.08.2017

Die Blumen des Bösen wurden neu übersetzt, beim Deutschlandfunk ist man nicht begeistert, das aber detailreich.

Über Boethius und das Schicksal. “Die grössten Schicksalsschläge haben Sie ohnehin bereits überstanden.” Dann geht’s ja.

“Das brummt wie Schwein.” Über den seltsamen und mir völlig unbegreiflichen Trend zu Gabionen. Wenn man so über Land fährt, wie wir es gerade reichlich gemacht haben, sieht man sie überall. Ein Anblick grässlich und gemein.

“His passion is moving heavy items.” Warum auch nicht.

Wolfgang Michal über Parteien und Alterstrukturen.

Die Geburt einer neuen Insel: Norderoogsand (gefunden via Markus Trapp auf Twitter).

Und nun noch ein Song über einen wichtigen Buchstaben. Ohne B kein Buddenbohm.

Im Grunde ist es egal

Einer der Texte, die ich in der letzten Woche gebloggt hätte, wenn ich online gewesen wäre.

Es ist kalt in Nordfriesland, man ist sogar in Versuchung, so etwas wie saukalt zu sagen. Es sind vielleicht die kältesten Tage, die ich überhaupt je im August erlebt habe, es ist so verdammt kalt, man möchte morgens das Bad beheizen und abends am Kamin sitzen und Herbstgedichte lesen und heiße Getränke mit Schuss zu sich nehmen, so lange, bis einem das Wetter da draußen wirklich egal ist. Dazu ist es windig, damit einen die Kälte auch ja überall erreicht, dazu regnet es, natürlich regnet es auch, wie könnte es in diesem seltsamen Sommer anders sein, und der Wind haut einem den Regen mit erstaunlicher Kraft quer um die Ohren. Es ist ein so ausdrücklicher Verpiss-Dich-Regen, dass man definitiv lieber drinnen bleibt, wenn es irgend geht.

Weil man aber nicht im Strandkorb auf dem Ferienhof sitzen kann, fahren die Menschen alle nach Sankt Peter-Ording, da kann man in die Dünen-Therme gehen. Die ist beheizt, da stehen die Strandkörbe drinnen und man kann dann immerhin sagen, man habe im Strandkorb gesessen, wozu macht man sonst Urlaub an der deutschen Küste. Und weil es einerseits Sommer ist und man ja Ferien hat, es andererseits aber so schweinekalt ist, dass man sich dem doch irgendwie stellen muss, tragen die Leute auf dem Weg in die Therme oben herum dicke Outdoorjacken und Wollmützen – und unten herum kurze Hosen und Sandalen.

Die Kinder rutschen in der Therme stundenlang, denn die Wasserrutschen in der Therme sind das, worum es hier eigentlich geht, zumindest aus ihrer Sicht. Noch einmal und noch einmal – und dann bitte doch noch ein einziges Mal, so vergeht dann schließlich auch ein grauer Vormittag und die Kinder sind zufrieden.

Hinterher gehen wir in einen Fischimbiss mit auffallend unfreundlichem Personal, aber das macht nichts, das passt zum Wetter, zum Himmel, zum Wind – und das Essen schmeckt trotzdem. Eine Frau fragt die Imbissmannschaft nach Frau Merkel, wo die denn wohl sei. Der Mann an der Fischbrötchentheke denkt etwas nach, bevor er antwortet, das macht man hier so. Dann sagt er: „Zu Frau Merkel gehen Sie rechtsherum, dann kommen Sie zu ihr.“ Die Frau nickt. Der Mann an der Fischbrötchentheke ist aber noch nicht fertig, der denkt immer noch nach: „Sie können aber auch linksherum gehen, dann kommen Sie auch zu Frau Merkel.“ „Ach“, sagt die Frau. „Jo“, sagt der Mann an der Fischbrötchentheke, „im Grunde ist es egal.“

Dann geht die Frau zu Frau Merkel, die da irgendwo öffentlich spricht, denn man merkt es zwar nicht recht, aber es ist doch Wahlkampf in Deutschland und da tritt sie eben irgendwo auf, morgen vermutlich auch in Ihrer Stadt. Es regnet nicht mehr, dann hört man sich die eben mal an. Während wir zum Auto gehen, hören wir noch ab und zu, wie sie in den Gesprächen der Passanten erwähnt wird. Seltsamerweise wird sie in jedem Fall Frau Merkel genannt, nie die Kanzlerin, die Merkel, die Angela, wir hören auch keine Beleidigungen. Sie ist immer Frau Merkel, und es ist ganz egal, ob man rechts oder links herum zu ihr kommt. Am Ende steht sie da mit Raute und allem und ist Kanzlerin, so wird es wohl auch im Herbst sein. Irgendwie regt es keinen mehr auf, weder so noch so.

Die Veranstaltung mit ihr verläuft friedlich, hören wir später im Radio. Da sind wir schon wieder drinnen und sehen an den Fensterscheiben, dass es noch einmal anfängt zu regnen.